Das oppositionelle Lügenschloss bricht zusammen
Giorgio
Trucchi, 5. April 2019*
Das IKRK
präsentierte gestern die abgestimmte Liste der im Rahmen der letzten April begonnenen soziopolitischen
Krise gefangen genommener Personen.
Das Rote
Kreuz nennt die Zahl von 290 Personen (von denen schon über 200 in Hausarrest
entlassen wurden). Das entlarvt die dreisten Lügen der in der Alianza Cívica
por la Justicia y la Democracia (ACJD) und der Unidad Nacional Azul y Blanco
(UNAB) organisierten Oppositionssektoren, die von nationalen und
internationalen Menschenrechtsorganisationen übernommen worden sind.
Berichten,
Kommuniques und einer in den affinen Medien und Netzwerken entfesselten
Kampagne zufolge oszillierte die Zahl der „politischen Gefangenen“ zwischen 600
und 900. Auf der Basis falscher Daten – die Rede ist auch von über 1000
Verschwundenen – wurden internationale Kampagnen lanciert und weitere und
schärfere Sanktionen gegen das Land gefordert.
An dem
Tag, an dem die Opposition und diese nationalen und internationalen
Organisationen den Mut aufbringen, ihre Zahlen mit jenen der
(parlamentarischen) Wahrheitskommission abzugleichen, bricht ihr Lügenschloss
zusammen.
Destruktive
Logik
Leider
können die radikalsten Oppositionssektoren wieder ihre destruktive Logik
durchsetzen und erneut Voraussetzungen für den Bruch der Verhandlungen
schaffen. Sie zeigen damit ihren absoluten politischen Unwillen, eine
Verhandlungslösung für die Krise zu finden.
Sie haben
- ohne Mobilisierungskapazität und nur sich selber vertretend (sie haben nie
erklärt, wer sie ernannt hat und in wessen Namen sie reden und Entscheidungen
fällen, die die ganze Gesellschaft betreffen) – am 3. April den Dialog mit den
Regierungsvertretern suspendiert und mit dem Aufruf zu einer Mobilisierung
einen neuen „Medienzirkus“ in Gang gesetzt.
Bleiben
angesichts dieses Szenarios, in dem die Lügen platzen und die Einsamkeit und
Inkonsistenz einer Opposition offenkundig wird - heute haben der Permanente Rat
der OAS und deren Interamerikanische Menschrechtsorganisation CIDH diesem
politischen Kadaver neuen Sauerstoff zugeführt – noch Fragen, warum sie nie
zulassen werden, dass die Verhandlungen Erfolg zeitigen? Einer Opposition, die
von Sektoren der internationalen Gemeinschaft und abhängigen
Menschenrechtsorganisationen am Leben gehalten wird.
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Zu den Verhandlungen
(zas, 6.4.19)
In einem gewundenen Artikel (Cuarenta nombres de presos politicos no coinciden
en la lista conciliada) zitiert heute La Prensa den ACJD-Vertreter José
Pallaís, ehemaliger Vizeminister der neoliberalen Chamorro Regierung, wonach
die Allianz im Laufe des Tages ein Treffen mit dem IKRK abhalten werde, um
dieses dazu anzuhalten, die Namen von 40 Gefangenen in seine Abklärungen mit
der Regierung einzubeziehen, was es bisher angeblich nicht gemacht habe. Die
Oppositionsallianz habe die Namen von 578 Gefangenen präsentiert, wovon die
Regierung 288 anerkenne, aber von den verbleibenden 290 Personen habe das IKRK
die Angaben der Regierung gegenüber nicht thematisiert. Es gelte nun, zu
untersuchen, was mit diesen Personen los sei, ob sie z. B. im Ausland weilten. M.
a. W., bisher wurde behauptet, aber nicht untersucht. Interessanterweise gibt das
Allianzsprachrohr La Prensa zu den anderen 250 Personen weiter keinen Ton von
sich gibt, sondern fordert vom IKRK bloss Auskunft über den angeblichen
Ausschluss von 40 Leuten. Vom IKRK, das das Mandat der bisherigen
Verhandlungsrunden zur Organisierung der ausgehandelten Freilassung aller im
Zusammenhang mit den Unruhen Verhafteten „im Rahmen der rechtlichen Ordnung“,
wie es verschieden interpretierbar heisst, angenommen hat, gibt es keine
öffentliche Aussage zum Thema. Die Regierung hatte stets von 290 Inhaftierten
(und teilweise Verurteilten) gesprochen, die o. e. Wahrheitskommission von rund
350.
Die
Verhandlungen wurden Ende Februar überraschend in geheimen Treffen zwischen
Regierungsmitgliedern und führenden Wirtschaftsmagnaten beschlossen. Neben der
Gefangenenfreilassung sollten sie auch Themen wie die Wahlrechtsreform
beinhalten, über deren Grundzüge sich die Regierung mit der OAS schon vor den
Unruhen letztes Jahr ins Einvernehmen gesetzt hatte. Im Gegenzug sollte sich
die Opposition für ein Ende der US-Sanktionen einsetzen.
Ein Teil
der Opposition, insbesondere die von Washington und europäischen NGOs
finanzierte „Sandinistische Erneuerungsbewegung“ MRS samt ihrem „linken“ Flügel
um Leute wie Mónica Baltodano und Julio López, lief von Beginn weg Sturm gegen
die Aufnahme von Verhandlungen mit der „Diktatur“. Parallel schlug die
rechtsradikal dominierte katholische Bischofskonferenz eine Einladung zur
Begleitung der Verhandlungen als Zeugen zurück, da sie auf eine erneute Rolle
als Dirigentin des Prozesses wie in seiner ersten Version von Mai bis Juli
aspirierte (dass die evangelischen Kirchen eine entsprechende Einladung
angenommen hatten, scheint den Negativentscheid der Bischofsmehrheit
mitbestimmt zu haben. Der vom Papst entsandte Nuntius, massgeblich am
Zustandekommen des Dialogs beteiligt, sowie die von Daniel Ortega eingeladene
OAS-Delegation übernahmen nun den Part als Zeugen. Eine virulente Kampagne der
Rechten gegen die „Komplizenschaft“ des Nuntius beendete erst eine ihn klar
stützende Erklärung Bergoglios.
Die
MRS-Kreise, empört, dass ihnen nicht wie bei den „Dialog“-Runden letztes Jahr
eine Starrolle zwecks Sprengung jeglichen vom Regierungssturz jetzt sofort unterscheidbaren
Vorschlags zugestanden wurde (der Grossunternehmerverband COSEP leitet die
rechte Delegation), organisierten an den letzten drei Samstagen „Grossmobilisierungen“
- primär im grössten Einkaufszentrum von
Managua, dem Metrocentro. Ihre Mobilisierungskapazität hat nach den schlimmen
Ereignissen von letztem Jahr dramatisch abgenommen. Zudem verbietet die Polizei
jede Demo, die nicht mit Routenplanung und Verantwortlichen angekündigt wird. Das
ist repressiv, aber angesichts der „Demokultur“ dieser Kreise so unverständlich
auch nicht. Immerhin kam es bei solchen Demos nach den heissen Umsturzmonaten zu
Morden – an Sandinistas.
An den
ersten zwei Samstagen wurden im Metrocentro von kleinen Gruppen, die sich nur
innerhalb des Einkaufszentrums bewegten, mehrere mutmassliche Sandnistas tätlich
angegriffen. Schritten daraufhin die Polizeikräfte ein – in einem Fall
verprügelten sie widerlich einen schon wehrlosen Mann – war der zurecht
geschnittene Videobeweis zuhanden der sanktionsbegierigen Washingtoner
Gemeinschaft erbracht: Verhandlungen sind bloss Zeitverlust, einzig
Zwangsmassnahmen taugen etwas. Am Samstag, dem 30. März, kam es zu einer
schlimmen Szene. Ein älterer Besucher von Metrocentro wurde als Sandinist
erkannt und von mehreren Oppositionellen tätlich angegriffen. Er zog im Gemenge
seine Pistole, drei Oppositionelle erhielten glücklicherweise nur oberflächliche
Schussverletzungen, selber wurde er in kritischem Zustand hospitalisiert. Unterdrückung
der Demonstrationsfreiheit, paramilitarismus – die Allianz hatte den Vorwand,
die Verhandlungen zu „suspendieren“.
Heute
tagte der Permanente Rat der OAS. Zufrieden
zitieren die rechten Medien den OAS-Vertreter an den Verhandlungen, Luis Angel Rosadilla,
ehemaliger uruguayischer Verteidigungsminister, wonach man in wichtigen
Verhandlungspunkten „keinen Millimeter
weiter“ sei. Jetzt braucht es, betonen die rechten Kräfte, schärfere
Sanktionen.
Es ist
klar, dass die Rechte im Land zurzeit in der Defensive ist, gerade auch
aufgrund ihrer im Ausland (auch von „linken“ Kräften) widerspruchslos verdrängten
Verbrechen letztes Jahr. Ihre Stärke ist Washington, insbesondere, was die durch
Sanktionen zu verschärfende, letztes Jahr provozierte Wirtschaftskrise
betrifft. Die Schwäche des FSLN ist, dass er zum Präsidialpaar Ortega/Murillo
keine Alternative aufgebaut hat. Allerdings sind in der letzten Zeit oft kritisch-unorthodoxe
aussagen von Sandinistas zu hören, Resultat offenbar der vielen Diskussionen
unter den Mitgliedern nach den Ereignissen des letzten Jahrs. Tut sich da was im
FSLN?
Ob die
Verhandlungen wirklich auf Eis sind oder demnächst wieder aufgenommen werden,
scheint unklar. Es gäbe von links tatsächlich auch Fragezeichen dazu zu setzen,
nicht nur bedingungslose Unterstützung. Wie etwa soll verhindert werden, dass
dabei ein Règlement zwischen Regierung und Wirtschaftsbossen herauskommt und
die Motive, die im April viele Menschen auf die Strasse gebracht haben, ausgeklammert
bleiben? Andererseits ist der tiefe Wunsch der meisten Nicas angesichts der
Monate der Angst und der gravierenden Wirtschaftskrise nach einer halbwegs
gütlichen Regelung eindeutig; sie setzen auf die Verhandlungen.