Proteste von Landarbeitern in Venezuela, Festnahmen nach Razzia von Sicherheitskräften

Mittwoch, 24. Juli 2019

https://amerika21.de/2019/07/229043/venezuela-landarbeiter-wieder-frei
Prompte Mobilisierung der Bevölkerung sorgt für Freilassung. Seit drei Wochen "belagern" über 100 Kleinbauern den Sitz der Landbehörde

Die Kleinbauern José Pérez und Eulalio Esqueda kämpfen um ihr Grundstück Las Ventanas, das ihnen vom Staat zur Bearbeitung überlassen wurde
Die Kleinbauern José Pérez und Eulalio Esqueda kämpfen um ihr Grundstück Las Ventanas, das ihnen vom Staat zur Bearbeitung überlassen wurde
Caracas. Zwei Kleinbauern sind bei einem Einsatz von Sicherheitskräften gegen eine Kundgebung vor dem Nationalen Landinstitut (Instituto Nacional de Tierras, INTI) kurzzeitig festgesetzt worden. José Pérez und Eulalio Esqueda aus dem Bundesstaat Guarico wurden von einem Anti-Drogen-Kommando der Bolivarischen Nationalen Polizei festgenommen, wie später bekannt wurde. Aber eine rasche Mobilisierung der Bevölkerung sowohl vor Ort als auch über soziale Medien erreichte ihre Freilassung innerhalb von Stunden.
Nach Angaben von Kundgebungsteilnehmern kämpfen Pérez und Esqueda derzeit um das Grundstück Las Ventanas in Guarico. Das Landinstitut hatte es ihnen zur Bearbeitung übergeben. Dennoch vertrieb der frühere Grundbesitzer die Kleinbauern vergangene Woche, brannte ihre Häuser nieder, zerstörte die Ernte und reichte Strafanzeige gegen sie ein.
"Trotz der INTI-Entscheidung finden vermeintliche Landbesitzer immer noch Wege, die Kleinbauern anzugreifen", erklärte die Sprecherin der Landarbeiter, Nieves Ríos, in einem Radiointerview. Die beiden Männer seien am Tag zuvor bei einer öffentlichen Versammlung von Geheimdienstmitarbeitern identifiziert worden und dann bei der Razzia gezielt herausgegriffen worden. "Ihr einziges Vergehen ist, dass sie um ihr Land kämpfen", betonte Rios.
Mehr als 100 Kleinbauern der "Plataforma de Lucha Campesina" (Plattform für den Landarbeiterampf) führen seit über drei Wochen eine Mahnwache auf dem Gelände des INTI-Hauptquartiers im Süden von Caracas durch. Sie haben den Platz vor dem Gebäude besetzt und ein Lager eingerichtet, wo sie auch Versammlungen durchführen. Von den staatlichen Behörden fordern sie, sich mit der Vielzahl von Problemen auf dem Land zu befassen.

Jesús Osorio, ein Sprecher der Plataforma de Lucha Campesina, kritisierte in einem Video die Polizeiaktion scharf (Screenshot)
Jesús Osorio, ein Sprecher der Plataforma de Lucha Campesina, kritisierte in einem Video die Polizeiaktion scharf (Screenshot)
Auch Plattform-Sprecher Jésus Osorio verurteilte die Polizeiaktion gegen die friedliche Besetzung von Bauern aus allen Teilen des Landes und warf INTI-Präsident Luis Soteldo vor, dafür verantwortlich zu sein.
"Wir sind bereit, die Revolution mit allen Mitteln zu verteidigen", erklärte Osorio in einem Video. Darin rief  er auch die sozialen Bewegungen in Caracas zur Solidarität auf. Weitere Sprecher der Kleinbauern beklagten sich ebenfalls in den soziale Medien bei Präsident Nicolás Maduro und anderen ranghohen Staatsfunktionären über die Polizeigewalt. Bislang gibt es keine offizielle Stellungnahme über die Ereignisse am Dienstag.
Venezolanische Landarbeiter hatten im Juli und August 2018 für Schlagzeilen gesorgt, als sie zu Fuß zu einem über 400-Kilometer langen Marsch (Amerika21 berichtete) aus dem landwirtschaftlichen Kernland nach Caracas aufbrachen. Sie wollten damit Aufmerksamkeit auf die Notlage auf dem Land lenken und forderten eine Korrektur der Agrapolitik sowie ein Treffen mit Präsident Maduro. In Anlehnung an die Militäroperation "Bewundernswerte Kampagne" von Simón Bolívar 1813 im Unabhängigkeitskrieg bezeichneten sie ihre Aktion als "Bewundernswerten Marsch".
In einem per Fernsehen übertragenen Treffen mit den Bauern ordnete Maduro damals an, dass ihren Anliegen entsprochen wird. Arbeitstreffen in der Verfassunggebenden Versammlung und beim Vizepräsidenten wurden eingerichtet. Sprecher der Landarbeiter beklagen aber, dass wenig bis kein Fortschritt bei der Lösung der Probleme gemacht wurde. Dies betreffe auch Konflikte über Landeigentum, Gewalttätigkeit der Landbesitzer und fehlende Unterstützung von kleinen und mittleren Produzenten. Verschiedene Bauernorganisationen fordern nachdrücklich, dass Maduros Anweisungen erfüllt werden.

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Seit drei Wochen protestieren Kleinbauernfamilien auf dem Gelände der Landbehörde
Seit drei Wochen protestieren Kleinbauernfamilien auf dem Gelände der Landbehörde
Am Donnerstag zogen die Protestierenden von ihrer Mahnwache zu einer Kundgebung vor das Landwirtschaftsministerium im Zentrum der Hauptstadt. Es kam zunächst zu Spannungen zwischen Demonstranten und Polizei, bis schließlich eine Delegation Zutritt zum Gebäude erhielt, um Landwirtschaftsminister Wilmar Castro Soteldo zu treffen.
Mit der jüngsten Mobilisierung erreichten die Landarbeiter außerdem eine Reihe von Treffen und Versammlungen mit weiteren Regierungsfunktionären, darunter Vertreter der Landbehörde. Auch wurden die Arbeitstreffen mit der Vizepräsidentschaft reaktiviert. Einige der aktuellen Landkonflikte wurden in den vergangenen Tagen geregelt, den Kleinbauern wurden Landtitel übergeben.
Aktivisten beklagen jedoch, dass viele andere Fälle in der Schwebe bleiben, dass lokale Autoritäten und Regierungsstellen gemeinsame Sache mit Grundbesitzern machen und Zwangsräumungen, strafrechtliche Verfolgung und gezielte Tötungen unvermindert weitergehen.

Venezuela: Angriff auf Stromnetz

Dienstag, 23. Juli 2019

https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/359330.stromausfall-in-venezuela-angriff-auf-stromnetz.html

24.07.2019 / Ausland / Seite 6

Nach Ausfall der Energieversorgung in Venezuela: Regierung macht »elektromagnetische Attacke« auf Wasserkraftwerk für Unterbrechung verantwortlich

Frederic Schnatterer
Nachdem am Montag nachmittag (Ortszeit) in großen Teilen Venezuelas der Strom ausgefallen war, konnte die Versorgung im Laufe des Dienstags in der Hauptstadt Caracas wieder hergestellt werden. Das meldete die nationale Elektrizitätsgesellschaft »Corpoelec« über den Kurznachrichtendienst Twitter. Mehr als die Hälfte der Bundesstaaten des Landes war zeitweise von der Energieversorgung abgeschnitten gewesen. U-Bahn-Linien mussten den Verkehr einstellen, Geschäfte machten dicht und Flüge fielen aus. Am Dienstag gratulierte Energieminister Freddy Brito über Twitter »dem venezolanischen Volk«, das sich während des Ausfalls »zivilisiert« verhalten habe.
Zuvor hatte Informationsminister Jorge Rodríguez eine »elektromagnetische Attacke« auf das Wasserkraftwerk »Simón Bolívar« am Guri-Stausee im Süden des Landes als Grund für den Stromausfall bezeichnet. Dort wird ein Großteil der Elektroenergie für das Land generiert. Glücklicherweise habe die Regierung nach den früheren Aggressionen Schutz- und Sicherheitsprotokolle beschlossen, die eine schnelle Wiederherstellung der Stromversorgung erlauben würden, erklärte er am Montag im Staatsfernsehen. Auch die medizinische sowie die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung seien sichergestellt.
Insgesamt handelte es sich um den vierten Stromausfall in diesem Jahr. Wie auch schon im März sieht die Regierung von Präsident Nicolás Maduro die Verantwortlichen hinter den Attacken in Washington und bei der rechten Opposition. Im März war das Land nach einem Angriff auf die Zentrale desselben Wasserkraftwerks elf Tage ohne Elektrizität geblieben. Maduro hatte später davon gesprochen, dass die Cyberattacken vom US-amerikanischen Houston sowie von Chile und Kolumbien ausgegangen seien.
Unterdessen machte Juan Guaidó, der sich Anfang des Jahres selbst zum »Übergangspräsidenten« ernannt hatte, das »Missmanagement« sowie »verschleppte Investitionen« der Regierung für den Stromausfall verantwortlich. Maduro hingegen sprach ebenfalls auf Twitter von einem »kriminellen Angriff auf die Ruhe und den Frieden des Vaterlandes«.
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Die Unterirdischen der Freiheit
(zas, 23.7.19) Die folgenden Zeilen stammen von Jacobo Torres, dem Abgeordneten in der Verfassungsgebenden Versammlung und Leiter des Gewerkschaftsbundes Central Boliviariana Socialista de Trabajadores. Sie klingen in hiesigen Ohren etwas überschwänglich. Sie gelten den Angestellten der Stromgesellschaft und ihrer nach den Stromattacken von März neu lancierten Bewegung, dem Movimiento Obrero Alí Rodríguez, die in vergleichsweise kurzer Zeit die Stromversorgung in grossen Teilen der betroffenen Gebiete wiederherstellen konnten.
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Nie ist ein Volk mit soviel Ruhe, Umsicht und Mut den verschlagenen Attacken eines unmenschlichen Feindes begegnet.
Nie haben Arbeiter mit so viel Beharrlichkeit und Entschlossenheit unter solch widrigen Bedingungen einen Feind (zum zweiten Mal) bezwungen, der in seiner Arroganz und Ignoranz einfach nicht schnallt, dass das venezolanische Volk und seine Arbeiter, Erben von Bolívar und Chávez, unzähmbar und vor allem loyal bis zum Heroismus sind.
Brüder und Schwestern des Movimiento Obrero Revolucionario Alí Rodríguez – meine Grüsse, Bewunderung, Respekt und Zuneigung für diese Unterirdischen der Freiheit, die das kleine Licht der Hoffnung verteidigen, das uns den Sieg bringen wird.
Was für ein Stolz, mit euch zu kämpfen!
Jacobo Torres de León

Streik gegen neoliberale Politik in Ecuador

https://amerika21.de/2019/07/229032/ecuador-streik-gegen-neoliberale-politik
Proteste gegen rigide Kürzungspolitik und politische Verfolgung von Unterstützern der Bürgerrevolution
Landesweit protestieren Gewerkschaften und soziale Organisationen in Ecuador gegen die Regierung Moreno
Quito. Seit Dienstag protestieren soziale Organisationen und Gewerkschaften in Ecuador gegen die neoliberale Politik von Präsident Lenín Moreno. In der Hauptstadt Quito und anderen Landesteilen kommt es zu Demonstrationen und Straßenblockaden. Der Präsidentenpalast ist weiträumig abgesperrt.
Seit Monaten wächst die Unzufriedenheit mit dem anfangs populären Präsidenten. Auch seine Glaubwürdigkeitswerte sind im Keller. Statt der versprochenen Fortsetzung des unter seinem Vorgänger Rafael Correa begonnenen progressiven Reformprojekts, der Bürgerrevolution, setzt er klassisch neoliberale Strukturanpassungsmaßnahmen durch.
Im Februar hatte Moreno die Unterzeichnung eines IWF-Abkommens bekannt gegeben. Ecuador bekommt eine Kreditlinie in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt, die im Verlauf der nächsten drei Jahre ausgezahlt werden sollen, muss im Gegenzug aber eine rigide Kürzungspolitik durchsetzen. Damit verknüpft sind weitere Milliardenkredite von Weltbank und Interamerikanischer-Entwicklungsbank.
Die Proteste richten sich auch gegen die politische Verfolgung von Unterstützern der Bürgerrevolution und die mangelnde Rechtssicherheit. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht derzeit der Rat für Bürgerbeteiligung und soziale Kontrolle (CPCCS). Der autonome CPCCS war unter der Regierung Correa eingerichtet worden und hat die Aufgabe, in einem transparenten Prozess zentrale staatliche Ämter zu besetzen. Nach seinem Amtsantritt führte Moreno eine Volksbefragung durch, die unter anderem darauf abzielte, diesen Rat abzulösen. Seine Mitglieder sollten abgesetzt, ein Übergangsrat von der Exekutive bestimmt werden und anschließend die Wahl der Mitglieder durch direkte Wahlen erfolgen. Der nach dem Abstimmungserfolg ernannte Übergangsrat beschloss dann während seiner einjährigen Funktion die Neubesetzung wichtiger Ämter mit dem erklärten Ziel, die Vertreter der Bürgerrevolution zu entfernen.

In der Hauptstadt Quito und anderen Landesteilen kommt es zu Straßenblockaden
In der Hauptstadt Quito und anderen Landesteilen kommt es zu Straßenblockaden
Nachdem eine Kampagne für die Abgabe ungültiger Stimmen gescheitert ist und sich eine von der Regierung unabhängige Mehrheit von 4 von 7 Ratsmitgliedern abzeichnet, kämpfen Regierung, Parlamentarier, Machteliten und Privatmedien mit harten Bandagen gegen die erst neu gewählten Mitglieder des Rates. Parlamentarische Amtsenthebungsverfahren gegen regierungskritische Ratsmitglieder wurden eingeleitet und der Handlungsspielraum des Gremiums wird beschränkt. So erklärte es der Verfassungsgerichtshof für unzulässig, die Entscheidungen des handverlesenen Übergangs-Partizipationsrates (CPCCS-T) zu überpüfen. Wohlgemerkt waren die neuen Verfassungsrichter erst durch die Amtsanmaßung des CPCCS-T in ihre Ämter gelangt.
Die Regierung Moreno kann weiterhin auf die Unterstützung der Privatmedien bauen, von denen die Streiks und Proteste weitgehend ignoriert werden. Auch mit einzelnen Interessengruppen wie den Taxifahrern wurden hastig Abkommen ausgehandelt. Auf der parlamentarischen Ebene ist es der Regierung bisher stets gelungen, Mehrheiten zu gewinnen.
Anders ist es um die Unterstützung der Bevölkerung bestellt: Während Moreno im Oktober 2017 hohe Zustimmungswerte von 78 Prozent erzielte, äußerten sich im Juni 2019 nur noch 22 Prozent der Befragten positiv zu seiner Amtsführung. Eine Initiative ecuadorianischer Migranten, Unterschriften für ein Abwahlreferendum gegen Moreno zu sammeln, wurde durch den Obersten Wahlrat abgeschmettert.
Mit der Umsetzung des IWF-Abkommens drohen nun Massenentlassungen und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, regressive Steuerreformen und steigende Arbeitslosigkeit. Selbst die überoptimistischen Prognosen des IWF gehen bestenfalls von Jahren der Stagnation aus. Weitere Proteste sind zu erwarten.

USA/Migration: Gesprächskultur des Herrenmenschen

Freitag, 19. Juli 2019


(zas, 19.7.19) Nachdem er den MigrantInnenknast in McAllen, Texas, besichtigt hatte, teilte US-Vizepräsident Mike Pence mit: «Jede Familie, mit der ich sprach, sagte mir, für sie werde gut gesorgt. Und (..) unsere Customs and Border Protection (CBP, Zoll- und Grenzschutz) tun ihr Möglichstes, um diesen Familien mitfühlende Pflege zu gewähren, so wie es das amerikanische Volk erwartet.»
Hier ein kurzer Ausschnitt aus den Gesprächen:

Video (1 Min.): https://youtu.be/sZVJb1_nM8I
Und das beobachtete Washington Post-Journalist Josh Dawsey: «Der Vizepräsident sah, wie 384 Männer auf Beton schlafen, ohne Kissen/Matratzen. Sie sagten, sie haben seit Wochen nicht mehr geduscht, wollten Zahnbürsten, Essen. Gestank war überwältigend.»

USA/Migration: Stimmen gegen den Faschismus

Sonntag, 14. Juli 2019



(zas, 13.7.19) Während Monaten waren es migrantische und solidarische Organisationen, die die systematische Politik des «Leute-fertig-machen» in den US-MigrantInnenknästen thematisierten. Jetzt haben sie eine öffentliche Debatte durchsetzen können, trotzdem droht vorerst ein weiterer Ausbau des Polizeistaats.
Am 1. Juli veröffentlichte NBC einen Artikel über einen gleich mit veröffentlichten Bericht des Generalinspektorats des Department of Homeland Security (DHS) über menschenverachtende Bedingungen in einem MigrantInnengefängnis bei El Paso an der texanisch-mexikanischen Grenze. Das Generalinspektorat (eine nominell unabhängige Kontrollinstanz in den US-Ministerien) habe, so NBC, festgestellt, «dass für 756 MigrantInnen nur 4 Duschen zur Verfügung standen, dass mehr als die Hälfte der MigrantInnen im Freien waren und die MigrantInnen im Innern in mehr als fünffach überbelegten Zellen» lebten. Und weiter: «In einer für maximal 35 Insassen vorgesehenen Zelle waren 134 erwachsene Männer mit einem Waschbecken und einem WC. Die Zelle war so voll, dass die Männer sich nicht zum Schlafen hinlegen konnten. Die Temperaturen in der Zelle erreichten mehr als 80 ° Fahrenheit (27 ° Celsius).» 

Das Generalinspektorat berichtete von Ausbrüchen von Grippe, Windpocken und Krätze in dieser «Einrichtung». Geld für Nahrung war Mangelware. Insgesamt sei die Lage, so der Inspektoratsbericht, derart kritisch, dass die Agenten von Customs and Border Protection (CBP, Zoll- und Grenzschutzbehörde), die Gefangenenzonen nur noch bewaffnet beträten, was früher nicht der Fall gewesen sei. NBC vermerkte: «Diese spezifische El Paso-Einrichtung (…) hatte Babynahrung für Kinder, aber keine weichen Schlafmatten für sie.»
Am 1. Juli erlangte eine Gruppe Abgeordneter im RepräsentantInnenhaus, Mitglieder des progressiven und des hispanischen Flügels der Demokratischen Partei, Zutritt zu der oben erwähnten “Einrichtung” in El Paso und am 2. Juli zu einer weiteren in Clint, ebenfalls in Texas. Videos zeigen aufgewühlte Kongressabgeordnete nach Verlassen der Gefängnisse der Border Patrol, des operativen Arms der CBP. The Intercept schreibt zur Visite in El Paso: “Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wehrte sich gegen Versuche von CBP-Offiziellen, sie am Sprechen mit MigrantInnen zu hindern.” Ocasio-Cortez in einem Tweet: “Nachdem ich mir den Zutritt in eine Zelle mit Frauen zwang und mit ihnen redete, beschrieb eine ihre Behandlung durch die Agenten als ‘psychologischen Krieg’- sie werden zu irgendwelchen Uhrzeiten grundlos geweckt, Huren genannt etc. Sagt, was das mit ‘fehlender Finanzierung’ zu tun hat?” Die Zelle wies eine unterkühlte Temperatur auf. Weiter berichtet Intercept: “Ocasio-Cortez sagte der Presse, die Bedingungen in der Einrichtung seien inakzeptabel und verurteilte das Verhalten der Offiziellen vor Ort. Die festgenommenen Frauen erhielten keinen Zugang zu fliessendem Wasser. Ihnen wurde ‘von CBP-Offiziellen’, so Ocasio-Cortez, ‘gesagt, sie sollen Wasser aus der Toilette trinken.’”
Die Bemerkung zur «fehlenden Finanzierung» bezieht sich auf die Antwortschablone der Administration Trump, wonach “einzelne Missstände” in den MigrantInnenknästen mangelnder Kongressfinanzierung geschuldet sei.
Gleich nach der Abgeordnetenvisite liess CBP verlauten, die Beamten hätten sich von Ocasio-Cortez bedroht gefühlt, als Antwort darauf, dass die Frau nach der Knastvisite sagte: “Ich fühlte mich nicht sicher vor den Beamten” in Clint (id.). Andere Mitglieder der Gruppe bestätigten den Sachverhalt, z. B. Joe Kennedy III. Der fügte noch an: “CBP war sehr Anti-Kongressaufsicht. Sie versuchten zu bestimmen, was wir zu sehen bekommen, unsere Handys einzuziehen, Foto- und Videoaufnahmen zu verhindern. Die Stimmung war geladen und unkooperativ.” Es spricht Bände, dass es nötig war, ein Handy an der Kontrolle vorbei zu schmuggeln, Verdienst des Abgeordneten Joaquín Castro vom Hispanic Caucus.
In Clint trabte ein rechtsextremer Trump-Haufen zur Pressekonferenz der ParlamentarierInnen nach der Visite an und schrie übelste sexistische und rassistische Parolen gegen die meist hispanischen Abgeordneten (als etwa die US-palästinensische Repräsentantin Rashida Tlaib sprach: «Iss Schweinefleisch», oder, noch klüger: «We don’t care about sharia law. We care about Jesus Christ» (s. etwa dieses Kurzvideo).
Das Investigativportal ProPublica hatte am 1. Juli einen Bericht über eine geheime rechtsradikale Facebook-Gruppe mit rund 9500 aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der Border Patrol (gesamter Personalbestand dieser Behörde: rund 20'000) veröffentlicht. Darin ging es auch um die gerade bevorstehende Knastvisite der Abgeordneten, was die Machos (Border Patrol ist fast men only) zu Karikaturen animierte, etwa zu Oralsex einer unterwürfigen Ocasio-Cortez mit Trump. Die CBP-Führung hatte laut Politico seit drei Jahren Zugang zu dieser Gruppe, Kaderpersonal beteiligte sich aktiv darin. Viele Posts triefen vor Hass auf MigrantInnen (populär etwa der Vorschlag, im Grenzfluss Rio Grande Krokodile auszusetzen). «Trinkt aus der Toilette» oder eben die latente Bedrohung selbst von Kongressmitgliedern ergeben sich schlüssig aus dem in Facebook zelebrierten Mind.
Wenn das CBP-Personal Kongressmitglieder so angeht, wie wohl erst seine Gefahrenen? Diese Frage stellte sich auch die Kongressfrau Madeleine Dean: «Die Wachen begegneten uns feindlich, aber das ist nichts im Vergleich zur Behandlung der Gefangenen. Sie werden konstant missbraucht und verbal ohne Anlass belästigt…».
Zum ebenfalls von der Gruppe kontrollierten Gefängnis in Clint (Texas) berichtete Democracy Now am 2. Juli:
Associated Press veröffentlichte ein Video, in dem ein 12-jährigers Mädchen mit einer Anwältin über ihre Erlebnisse und die seiner 6-jährigen Schwester in der «Kindergefängnis» genannten Border Patrol-Einrichtung in Clint (Texas) spricht. Die beiden Mädchen wurden bei ihrer Ankunft in den USA im Mai von ihrer Tante getrennt. Hier ein Auszug aus dem Video:
12-jähriges Mädchen: «Sie gaben uns wenig zu essen. Einige Kinder konnten nicht baden. Sie haben sie nicht gewaschen. Sie haben uns schlecht behandelt. Sie waren gemein zu uns.»
Alison Griffith: «Und wo habt ihr geschlafen? In einem Bett?»
12-jähriges Mädchen: «Sie schliefen auf dem Boden.»
Alison Griffith: «Gaben sie euch Decken oder nicht?»
12-jähriges Mädchen: «Sie gaben uns nur eine Decke.»
Alison Griffith: «Und das reichte gegen die Kälte?»
12-jähriges Mädchen: «Nein. Einige Kinder waren krank. Sie sagten, sie würden sie ins Spital bringen, aber das haben sie nicht gemacht.»
Das Mädchen berichtete der Anwältin auch, dass Kinder weinend nach ihren Eltern und anderen Angehörigen riefen, von denen sie getrennt wurden.
Selbst in einem Artikel der New York Times vom 9. Juli, in dem primär gutmütige Agenten der Border Patrol zu Wort kommen, schimmert etwas vom Knasthorror durch. Etwa wenn anlässlich einer Medienbesichtigungstour in Clint, die ohne jeglichen Kontakt mit den Gefangenen stattfindet, folgende Beobachtung den Weg in das Blatt findet: «Kleinkinder konnten in einigen Zellen beobachtet werden, für die ältere Kinder sorgten … Drei Mitglieder des Clint-Personals berichteten, sie hätten unbegleitete, nur drei Jahre alte Kinder in der Einrichtung gehabt, und AnwältInnen, die kürzlich im Rahmen eines Rechtsverfahrens wegen Kinderrechten die Einrichtung besucht haben, sagten, sie hätten sogar 5 Monate alte Kinder gesehen … Eine der AnwältInnen, Warren Binford, Leiterin des Clinical Law Program an der Willamette University in Oregon, sagte, sie habe in all den Jahren ihrer Besuche in Gefängnissen und Heimen nie so schlimme Zustände gesehen – 351 Kinder, gepfercht in was sie als Umgebung wie ein Gefängnis beschrieb. Sie hatte Einblick in das Register genommen und war schockiert, mehr als 100 sehr junge Kinder darin zu finden: ‘Mein Gott, ich realisierte, das waren Babies.’» Die Times vermerkt auch: «Aufsichtspersonal in blauen T-Shirts gehen in der Anlage herum; sie sind von einem Privatunternehmen zwecks Aufsicht über die gefangenen Kinder angeworben worden.»
Der mit einem Gerichtsurteil ermöglichte AnwältInnen-Besuch in Yuma (Arizona) zeitigte weitere Ergebnisse. Die Washington Post berichtete am 10. Juli über die Aussage einer 15-jährigen Honduranerin über ihre Totalentblössung durch einen lachenden Beamten vor weiteren Wärtern und gefangenen MigrantInnen. Der Artikel gibt mehrere Aussagen gefangener Jugendlicher und Kinder über schikanöse Behandlung und verletzende Beschimpfungen wieder («Strichjunge»; Entzug der Matratzen als Strafe für Klagen über Essen und Wasser oder wegen Nichtigkeiten, Schläge, Drohung mit 25 Jahren Gefängnis, falls sie über ihre Behandlung berichteten etc.). In einem Gefängnis in McAllen (Texas) durfte eine gefangene jugendliche Person sich während drei Wochen nicht waschen, ein 12-jähriges Mädchen bezeichnete die Wärter als «gemein und angst-machend» und erzählte, dass diese die Kinder manchmal in den Bauch schlugen.
Eindrücklich das Zeugnis von Nanette Barragán, einer Kongressabgeordneten, die ebenfalls an der Inspektion in El Paso und Clint teilgenommen hatte. Zur Erfahrung in letzterem Gefängnis sagte sie: «Als wir dorthin kamen, machte man uns klar: ‘Sie dürfen nicht mit den Kindern reden. Es darf kein Gespräch geben.’ Wie wir in die Zone mit den Gefängniszellen kamen, gab es da eine Tür aus Plexiglas oder sowas, das ziemlich tief ging. Da rannte ein kleiner Junge, so drei oder 4 Jahre alt, zum Plexiglas, worauf einige von niederkauerten, um auf Augenhöhe des Knirps zu sein. Er langte ans Plexiglas, um zu versuchen, uns zu berühren, um zu grüssen, um mit uns zu kommunizieren. Man konnte sehen, dass er nach seinem Papá fragte. Es brach dir das Herz. Und wir durften nicht in diese Zellen gehen und mit den Kindern reden.»

Es gäbe noch viel zu sagen. Etwa, dass die schlimmen Zustände in El Paso, die die ParlamentarierInnen gesehen hatten, schon eine massive Verbesserung des Status darstellten, als Folge der angekündigten Visite. In einem Interview in Mother Jones gibt Alexandria Ocasio-Cortez Aussagen von Gefangenen wieder, wonach am Tag vor dem Besuch rund 300 andere Gefangene in Bussen in die benachbarte mexikanische Stadt Ciudad Juárez deportiert worden waren, eine hochgefährliche Stadt, erst recht für mittellose Menschen. Sie tweetete auch eine Antwort auf die Leier der US-Regierung und ihrer Supporters, wonach die dramatische Knastlage aufgrund des massiven «Ansturms illegaler MigrantInnen» ausgelöst worden sei: «Ein Refrain sagt, die Überbelegung in den CBP-Konzentrationslagern sei eine Folge davon, dass die migrantischen Unterkünfte (humane Orte, wo die Familien zusammen sein können) voll seien. Also gingen wir in so einen Schutzraum. Sie sagten, das stimme überhaupt nicht. Nur 150 von 500 Plätzen waren belegt.»
Dass Ocasio-Cortez wiederholt von Konzentrationslagern sprach, brachte ihr viel Schelte ein. Der Skandal sollten nicht die Zustände sein, sondern der Begriff dafür. Im o. e. Interview in Mother Jones sagte Ocasio-Cortez dazu auch: «Wir begannen diese langsame, chronische Entmenschlichung über die Jahre zu sehen, wenn Leute sagen: ‘Oh, [aber] Obama tat dies [auch]. Ich verteidige nicht die Politik Obamas. Auch er hatte keine gute Migrationspolitik und schuf in mancher Hinsicht die Grundlagen.»
Andere sehen das auch so. Zum Beispiel die #JewsAgainstICE, eine in vielen Orten der USA aktiv im Kampf gegen ICE, die Migrationsbehörde im Landesinneren, engagierte linke Organisation aus den jüdischen Communities.

Motto an dieser Blockadeaktion vor einem ICE-Gebäude am 30. Juni: «Never again means never again for anyone.» 35 AktivistInnen wurden verhaftet. Video hier.
So sieht das beispielsweise auch Tsuru for Solidarity, eine Organisation japanisch-stämmiger US-BürgerInnen (oder ihrer Kinder), die während des 2. Weltkriegs in von ihnen strikt Konzentrationslager genannten Militäranlagen gefangen waren (120'000 JapanerInnen und US-BürgerInnen). Democracy Now berichtete am 28. Juni über eine beeindruckende Protestaktion ehemaliger in diesen Lagern Gefangener oder ihrer Nachkommen. Eines der KZs befand sich damals in der Armeebase Fort Sill in Oklahoma. Heute will Trump da ein Langzeitgefängnis für 1400 Kinder von MigrantInnen bauen lassen.


Michael Ishii von Tsuru for Solidarity berichtet im Interview auch: «Es gibt einen Kontext, und wir sind sozusagen Teil dieses historischen Musters von Zwangsumsiedlung, Inhaftierung, unbeschränkter Inhaftierung und Familientrennung. Da gab es die Apache Nation, die 1894 als Kriegsgefangene aus dem Südwesten nach Fort Sill umgesiedelt wurde. Geronimo und seine Bande waren darunter. Geronimo starb hier 1909. Dann wurden während des 2. Weltkriegs Japanese Americans hierher gebracht.» Die Idee war also, dass einige der heute noch lebenden LagerinsassInnen vor dem Fort eine Protesterklärung gegen das neue Lager verlesen, unterstützt von anderen Tsuru-Mobilisierten. Das wurde verboten. Tsuru hatte dazu landesweit in japanese american Communities aufgerufen. Ishii: «Sie kommen also an und wir haben Freitag nachts dieses Gruppengespräch. Satsuki Ina, eine Überlebende, und ich erklärten ihnen das Szenario. Wir sagten: ‘Wenn ihr morgen bei Fort Sill auftaucht und wir kommen mit, dann gibt es die sehr reale Möglichkeit, dass ihr verhaftet werdet.’ Und alle diese alten Menschen schauten uns an und sagten bloss in dieser gefassten, ruhigen Art: ‘Nun, dann machen wir es’... Und, weisst du, das sind so 89 Jahre alte Ladies.»
Tsuru bedeutet Kranich. Michael Ishii erklärte: Wer in der japanischen Tradition tausend Kraniche faltet, kann einen Genesungswunsch äussern. Nach den Atomangriffen auf Hiroshima und Nagasaki begann ein radioaktiv verstrahltes kleines Mädchen tausend Kraniche zu falten, starb aber vorher. «Danach begannen Kinder in ganz Japan und später aus anderen Weltgegenden in ihrem Andenken Kraniche nach Hiroshima zu schicken. Und als wir im März in Texas vor dem Dilley-Gefängnis protestierten, riefen wir das Tsuru for Solidarity-Projekt aus. Wir sagten unserer Community im ganzen Land: 'Faltet Kraniche, die die 120'000 Menschen unserer Community repräsentieren, ihre Stimmen, damit wir jetzt aufstehen und sagen: 'Wir können keine Kinder in Haftanstalten einsperren.' Wir riefen zu 10'000 Kranichen auf und erhielten 30'000 zugeschickt.» Diese waren beim Dilleys-Gefängnis und jetzt bei Fort Sill dabei.
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(1) Die paar linken Abgeordneten der Demokratischen Partei werden vom Parteiestablishment zusehends aggressiver bekämpft. Vor wenigen Tagen nahm die überwiegende Mehrheit der DemokratInnen im RepräsentantInnenhaus für einen republikanischen Antrag auf eine $ 4.5-Milliardenspritze für Trump zwecks Lösung der migrantischen «Kinderkrise» an. Die vier Frauen, die dagegen stimmten (die üblichen «squad» genannten Verdächtigen) hatten das Umfallen ihrer Parteileitung zugunsten eines «humanitären» Antrags ohne bindende Vorgaben und Überprüfungsmechanismen kritisiert. (Real soll damit wohl z. B. der Bau neuer Kinderknäste finanziert werden.) Seither giftelt Nancy Pelosi, die demokratische Vorsitzende des RepräsentantInnenhauses, in den Medien offen gegen die vier (u. a. Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib).

Correos 194. Juni 2019

Dienstag, 9. Juli 2019


Correos 194
17. Juni 2019

oder die inzelnen Beiträge:


Venezuela/Schweiz

Nicaragua
Ein Reisebericht
Vivianne Luisier

Gérald Fioretta

Der Reisebericht eines  Mitarbeiters des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit in München.
Samuel Weber


Venezuela
Dieter Drüssel


Was macht den Sozialismus, was macht die Kommune aus? «Einander helfen», sagt der Sprecher der Comuna Socialista Altos de Lídice in Caracas.
Federico Simonetti befragt Gsus García

Die Kommunen sind chavistisch – aber was haben sie mit Staat und Regierung zu tun?
Federico Fuentes

Pasqualina Curcio

Dieter Drüssel

Argentinien
Cristina Kirchner kandidiert aus Gründen der Regierbarkeit bei den Präsidentschaftswahlen trotz ihrer Popularität nur als Vizepräsidentin. Die Feministin Marta Dillon schrieb ihr dazu einen Brief.
Marta Dillon
Brasilien
War es ein «Unfall», dass Jair Bolsonaro am 1. Januar an die Regierung kam? «Kein Unfall», sagt Miguel Enrique Stedile, 41, Mitglied der der Nationalen Koordination der Landlosenbewegung MST, sondern Ergebnis einer Strategie des Grosskapitals. Der Historiker ist Mitglied des für die Schulung der Bewegung verantwortlichen Kollektivs. Er kam im Rahmen einer Europarundreise auf Einladung der NGO É-Changer in die Schweiz. Das MST hat in den 35 Jahren seiner Existenz 350’000 Familien den Zugang zu Land verschafft. 100’000 weitere kämpfen darum.
Sergio Ferrari


El Salvador

Eine leider nach wie vor aktuelle Darstellung der Lage vor der krassen Wahlniederlage des FMLN und des klaren Siegs einer schillernden Figur..
Dieter Drüssel

Was ich hier sehe, habe ich gehofft, nie in meinem Leben sehen zu müssen.» Die Worte eines Compañero in einem Wahllokal. Sie gelten auch für Entwicklungen seither.
Dieter Drüssel