(zas, 13.7.19) Während
Monaten waren es migrantische und solidarische Organisationen, die die
systematische Politik des «Leute-fertig-machen» in den US-MigrantInnenknästen
thematisierten. Jetzt haben sie eine öffentliche Debatte durchsetzen können,
trotzdem droht vorerst ein weiterer Ausbau des Polizeistaats.
Am 1. Juli veröffentlichte
NBC einen Artikel über einen gleich mit veröffentlichten
Bericht des Generalinspektorats des Department of Homeland Security (DHS) über
menschenverachtende Bedingungen in einem MigrantInnengefängnis bei El Paso an
der texanisch-mexikanischen Grenze. Das Generalinspektorat (eine nominell unabhängige
Kontrollinstanz in den US-Ministerien) habe, so NBC, festgestellt, «dass für 756 MigrantInnen nur 4 Duschen zur
Verfügung standen, dass mehr als die Hälfte der MigrantInnen im Freien waren
und die MigrantInnen im Innern in mehr als fünffach überbelegten Zellen»
lebten. Und weiter: «In einer für maximal
35 Insassen vorgesehenen Zelle waren 134 erwachsene Männer mit einem Waschbecken
und einem WC. Die Zelle war so voll, dass die Männer sich nicht zum Schlafen
hinlegen konnten. Die Temperaturen in der Zelle erreichten mehr als 80 °
Fahrenheit (27 ° Celsius).»
Das
Generalinspektorat berichtete von Ausbrüchen von Grippe, Windpocken und Krätze
in dieser «Einrichtung». Geld für Nahrung war Mangelware. Insgesamt sei die
Lage, so der Inspektoratsbericht, derart kritisch, dass die Agenten von Customs and Border Protection (CBP,
Zoll- und Grenzschutzbehörde), die Gefangenenzonen nur noch bewaffnet beträten,
was früher nicht der Fall gewesen sei. NBC vermerkte: «Diese spezifische El Paso-Einrichtung (…) hatte Babynahrung für
Kinder, aber keine weichen Schlafmatten für sie.»
Am 1. Juli
erlangte eine Gruppe Abgeordneter im RepräsentantInnenhaus, Mitglieder des
progressiven und des hispanischen Flügels der Demokratischen Partei, Zutritt zu
der oben erwähnten “Einrichtung” in El Paso und am 2. Juli zu einer weiteren in
Clint, ebenfalls in Texas. Videos zeigen aufgewühlte Kongressabgeordnete nach
Verlassen der Gefängnisse der Border Patrol, des operativen Arms der CBP. The
Intercept schreibt zur Visite in El Paso: “Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez
wehrte sich gegen Versuche von CBP-Offiziellen, sie am Sprechen mit
MigrantInnen zu hindern.” Ocasio-Cortez in einem Tweet: “Nachdem ich mir den Zutritt in eine Zelle mit Frauen zwang und mit
ihnen redete, beschrieb eine ihre Behandlung durch die Agenten als ‘psychologischen
Krieg’- sie werden zu irgendwelchen Uhrzeiten grundlos geweckt, Huren genannt
etc. Sagt, was das mit ‘fehlender Finanzierung’ zu tun hat?” Die Zelle wies
eine unterkühlte Temperatur auf. Weiter berichtet Intercept: “Ocasio-Cortez sagte der Presse, die
Bedingungen in der Einrichtung seien inakzeptabel und verurteilte das Verhalten
der Offiziellen vor Ort. Die festgenommenen Frauen erhielten keinen Zugang zu
fliessendem Wasser. Ihnen wurde ‘von CBP-Offiziellen’, so Ocasio-Cortez, ‘gesagt, sie sollen Wasser aus der Toilette
trinken.’”
Die Bemerkung
zur «fehlenden Finanzierung» bezieht sich auf die Antwortschablone der
Administration Trump, wonach “einzelne Missstände” in den MigrantInnenknästen
mangelnder Kongressfinanzierung geschuldet sei.
Gleich nach der
Abgeordnetenvisite liess CBP verlauten, die Beamten hätten sich von
Ocasio-Cortez bedroht gefühlt, als Antwort darauf, dass die Frau nach der
Knastvisite sagte: “Ich fühlte mich nicht
sicher vor den Beamten” in Clint (id.). Andere Mitglieder der Gruppe bestätigten
den Sachverhalt, z. B. Joe Kennedy III. Der fügte noch an: “CBP war sehr Anti-Kongressaufsicht. Sie versuchten zu bestimmen, was
wir zu sehen bekommen, unsere Handys einzuziehen, Foto- und Videoaufnahmen zu
verhindern. Die Stimmung war geladen und unkooperativ.” Es spricht Bände,
dass es nötig war, ein Handy an der Kontrolle vorbei zu schmuggeln, Verdienst
des Abgeordneten Joaquín Castro vom Hispanic Caucus.
In Clint trabte
ein rechtsextremer Trump-Haufen zur Pressekonferenz der ParlamentarierInnen
nach der Visite an und schrie übelste sexistische und rassistische Parolen
gegen die meist hispanischen Abgeordneten (als etwa die US-palästinensische
Repräsentantin Rashida Tlaib sprach: «Iss Schweinefleisch», oder, noch klüger: «We
don’t care about sharia law. We care about Jesus Christ» (s. etwa dieses Kurzvideo).
Das
Investigativportal ProPublica hatte am 1. Juli einen Bericht über eine geheime rechtsradikale
Facebook-Gruppe mit rund 9500 aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der Border
Patrol (gesamter Personalbestand dieser Behörde: rund 20'000) veröffentlicht.
Darin ging es auch um die gerade bevorstehende Knastvisite der Abgeordneten,
was die Machos (Border Patrol ist fast men
only) zu Karikaturen animierte, etwa zu Oralsex einer unterwürfigen
Ocasio-Cortez mit Trump. Die CBP-Führung hatte laut Politico seit drei Jahren Zugang zu
dieser Gruppe, Kaderpersonal beteiligte sich aktiv darin. Viele Posts triefen
vor Hass auf MigrantInnen (populär etwa der Vorschlag, im Grenzfluss Rio Grande
Krokodile auszusetzen). «Trinkt aus der Toilette» oder eben die latente
Bedrohung selbst von Kongressmitgliedern ergeben sich schlüssig aus dem in Facebook
zelebrierten Mind.
Wenn das
CBP-Personal Kongressmitglieder so angeht, wie wohl erst seine Gefahrenen?
Diese Frage stellte sich auch die Kongressfrau Madeleine
Dean: «Die Wachen begegneten uns
feindlich, aber das ist nichts im Vergleich zur Behandlung der Gefangenen. Sie
werden konstant missbraucht und verbal ohne Anlass belästigt…».
Zum ebenfalls
von der Gruppe kontrollierten Gefängnis in Clint (Texas) berichtete Democracy Now am 2. Juli:
Associated Press veröffentlichte ein Video, in dem ein 12-jährigers
Mädchen mit einer Anwältin über ihre Erlebnisse und die seiner 6-jährigen
Schwester in der «Kindergefängnis» genannten Border Patrol-Einrichtung in Clint
(Texas) spricht. Die beiden Mädchen wurden bei ihrer Ankunft in den USA im Mai
von ihrer Tante getrennt. Hier ein Auszug aus dem Video:
12-jähriges Mädchen: «Sie
gaben uns wenig zu essen. Einige Kinder konnten nicht baden. Sie haben sie
nicht gewaschen. Sie haben uns schlecht behandelt. Sie waren gemein zu uns.»
Alison Griffith: «Und wo habt ihr geschlafen? In einem
Bett?»
12-jähriges Mädchen: «Sie schliefen auf dem Boden.»
Alison Griffith: «Gaben sie euch Decken oder nicht?»
12-jähriges Mädchen: «Sie gaben uns nur eine Decke.»
Alison Griffith: «Und das reichte gegen die Kälte?»
12-jähriges Mädchen: «Nein. Einige Kinder waren krank. Sie
sagten, sie würden sie ins Spital bringen, aber das haben sie nicht gemacht.»
Das Mädchen berichtete der Anwältin auch, dass Kinder
weinend nach ihren Eltern und anderen Angehörigen riefen, von denen sie
getrennt wurden.
Selbst in einem Artikel der New York Times vom 9. Juli,
in dem primär gutmütige Agenten der Border Patrol zu Wort kommen, schimmert
etwas vom Knasthorror durch. Etwa wenn anlässlich einer Medienbesichtigungstour
in Clint, die ohne jeglichen Kontakt mit den Gefangenen stattfindet, folgende
Beobachtung den Weg in das Blatt findet: «Kleinkinder
konnten in einigen Zellen beobachtet werden, für die ältere Kinder sorgten …
Drei Mitglieder des Clint-Personals berichteten, sie hätten unbegleitete, nur
drei Jahre alte Kinder in der Einrichtung gehabt, und AnwältInnen, die kürzlich
im Rahmen eines Rechtsverfahrens wegen Kinderrechten die Einrichtung besucht
haben, sagten, sie hätten sogar 5 Monate alte Kinder gesehen … Eine der AnwältInnen,
Warren Binford, Leiterin des Clinical Law Program an der Willamette University
in Oregon, sagte, sie habe in all den Jahren ihrer Besuche in Gefängnissen und
Heimen nie so schlimme Zustände gesehen – 351 Kinder, gepfercht in was sie als
Umgebung wie ein Gefängnis beschrieb. Sie hatte Einblick in das Register
genommen und war schockiert, mehr als 100 sehr junge Kinder darin zu finden: ‘Mein
Gott, ich realisierte, das waren Babies.’» Die Times vermerkt auch: «Aufsichtspersonal in blauen T-Shirts gehen
in der Anlage herum; sie sind von einem Privatunternehmen zwecks Aufsicht über
die gefangenen Kinder angeworben worden.»
Der mit einem
Gerichtsurteil ermöglichte AnwältInnen-Besuch in Yuma (Arizona) zeitigte weitere
Ergebnisse. Die Washington Post berichtete am 10. Juli über die Aussage
einer 15-jährigen Honduranerin über ihre Totalentblössung durch einen lachenden
Beamten vor weiteren Wärtern und gefangenen MigrantInnen. Der Artikel gibt
mehrere Aussagen gefangener Jugendlicher und Kinder über schikanöse Behandlung
und verletzende Beschimpfungen wieder («Strichjunge»; Entzug der Matratzen als
Strafe für Klagen über Essen und Wasser oder wegen Nichtigkeiten, Schläge,
Drohung mit 25 Jahren Gefängnis, falls sie über ihre Behandlung berichteten
etc.). In einem Gefängnis in McAllen (Texas) durfte eine gefangene jugendliche
Person sich während drei Wochen nicht waschen, ein 12-jähriges Mädchen
bezeichnete die Wärter als «gemein und
angst-machend» und erzählte, dass diese die Kinder manchmal in den Bauch
schlugen.
Eindrücklich das
Zeugnis von Nanette Barragán, einer Kongressabgeordneten, die ebenfalls an der
Inspektion in El Paso und Clint teilgenommen hatte. Zur Erfahrung in letzterem
Gefängnis sagte sie: «Als wir dorthin kamen, machte man uns klar: ‘Sie dürfen nicht mit den
Kindern reden. Es darf kein Gespräch geben.’ Wie wir in die Zone mit den Gefängniszellen
kamen, gab es da eine Tür aus Plexiglas oder sowas, das ziemlich tief ging. Da
rannte ein kleiner Junge, so drei oder 4 Jahre alt, zum Plexiglas, worauf
einige von niederkauerten, um auf Augenhöhe des Knirps zu sein. Er langte ans
Plexiglas, um zu versuchen, uns zu berühren, um zu grüssen, um mit uns zu
kommunizieren. Man konnte sehen, dass er nach seinem Papá fragte. Es brach dir
das Herz. Und wir durften nicht in diese Zellen gehen und mit den Kindern
reden.»
Es gäbe noch
viel zu sagen. Etwa, dass die schlimmen Zustände in El Paso, die die
ParlamentarierInnen gesehen hatten, schon eine massive Verbesserung des Status
darstellten, als Folge der angekündigten Visite. In einem Interview in Mother
Jones gibt Alexandria Ocasio-Cortez Aussagen
von Gefangenen wieder, wonach am Tag vor dem Besuch rund 300 andere Gefangene
in Bussen in die benachbarte mexikanische Stadt Ciudad Juárez deportiert worden
waren, eine hochgefährliche Stadt, erst recht für mittellose Menschen. Sie tweetete auch eine Antwort auf die Leier
der US-Regierung und ihrer Supporters, wonach die dramatische Knastlage
aufgrund des massiven «Ansturms illegaler MigrantInnen» ausgelöst worden sei: «Ein Refrain sagt, die Überbelegung in den
CBP-Konzentrationslagern sei eine Folge davon, dass die migrantischen Unterkünfte
(humane Orte, wo die Familien zusammen sein können) voll seien. Also gingen wir
in so einen Schutzraum. Sie sagten, das stimme überhaupt nicht. Nur 150 von 500
Plätzen waren belegt.»
Dass Ocasio-Cortez wiederholt von
Konzentrationslagern sprach, brachte ihr viel Schelte ein. Der Skandal sollten
nicht die Zustände sein, sondern der Begriff dafür. Im o. e. Interview in
Mother Jones sagte Ocasio-Cortez dazu auch: «Wir
begannen diese langsame, chronische Entmenschlichung über die Jahre zu sehen,
wenn Leute sagen: ‘Oh, [aber] Obama tat dies [auch]. Ich verteidige nicht die
Politik Obamas. Auch er hatte keine gute Migrationspolitik und schuf in mancher
Hinsicht die Grundlagen.»
Andere sehen das
auch so. Zum Beispiel die #JewsAgainstICE,
eine in vielen Orten der USA aktiv im Kampf gegen ICE, die Migrationsbehörde im
Landesinneren, engagierte linke Organisation aus den jüdischen Communities.
Motto an dieser
Blockadeaktion vor einem ICE-Gebäude am 30. Juni: «Never again means never
again for anyone.» 35 AktivistInnen wurden verhaftet. Video hier.
So sieht das
beispielsweise auch Tsuru for Solidarity, eine Organisation japanisch-stämmiger
US-BürgerInnen (oder ihrer Kinder), die während des 2. Weltkriegs in von ihnen
strikt Konzentrationslager genannten Militäranlagen gefangen waren (120'000
JapanerInnen und US-BürgerInnen). Democracy Now berichtete am 28. Juni über eine
beeindruckende Protestaktion ehemaliger in diesen Lagern Gefangener oder ihrer
Nachkommen. Eines der KZs befand sich damals in der Armeebase Fort Sill in
Oklahoma. Heute will Trump da ein Langzeitgefängnis für 1400 Kinder von
MigrantInnen bauen lassen.
Michael Ishii von Tsuru for Solidarity berichtet im
Interview auch: «Es gibt einen Kontext,
und wir sind sozusagen Teil dieses historischen Musters von Zwangsumsiedlung,
Inhaftierung, unbeschränkter Inhaftierung und Familientrennung. Da gab es die
Apache Nation, die 1894 als Kriegsgefangene aus dem Südwesten nach Fort Sill
umgesiedelt wurde. Geronimo und seine Bande waren darunter. Geronimo starb hier
1909. Dann wurden während des 2. Weltkriegs Japanese Americans hierher
gebracht.» Die Idee war also, dass einige der heute noch lebenden
LagerinsassInnen vor dem Fort eine Protesterklärung gegen das neue Lager
verlesen, unterstützt von anderen Tsuru-Mobilisierten. Das wurde verboten.
Tsuru hatte dazu landesweit in japanese american Communities aufgerufen. Ishii:
«Sie kommen also an und wir haben Freitag
nachts dieses Gruppengespräch. Satsuki Ina, eine Überlebende, und ich erklärten
ihnen das Szenario. Wir sagten: ‘Wenn ihr morgen bei Fort Sill auftaucht und
wir kommen mit, dann gibt es die sehr reale Möglichkeit, dass ihr verhaftet
werdet.’ Und alle diese alten Menschen schauten uns an und sagten bloss in
dieser gefassten, ruhigen Art: ‘Nun, dann machen wir es’... Und, weisst du, das
sind so 89 Jahre alte Ladies.»
Tsuru bedeutet
Kranich. Michael Ishii erklärte: Wer in der japanischen Tradition tausend
Kraniche faltet, kann einen Genesungswunsch äussern. Nach den Atomangriffen auf
Hiroshima und Nagasaki begann ein radioaktiv verstrahltes kleines Mädchen
tausend Kraniche zu falten, starb aber vorher. «Danach begannen Kinder in ganz Japan und später aus anderen
Weltgegenden in ihrem Andenken Kraniche nach Hiroshima zu schicken. Und als wir
im März in Texas vor dem Dilley-Gefängnis protestierten, riefen wir das Tsuru
for Solidarity-Projekt aus. Wir sagten unserer Community im ganzen Land:
'Faltet Kraniche, die die 120'000 Menschen unserer Community repräsentieren,
ihre Stimmen, damit wir jetzt aufstehen und sagen: 'Wir können keine Kinder in
Haftanstalten einsperren.' Wir riefen zu 10'000 Kranichen auf und erhielten
30'000 zugeschickt.» Diese waren beim Dilleys-Gefängnis und jetzt bei Fort
Sill dabei.
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(1) Die paar linken Abgeordneten der Demokratischen Partei werden vom
Parteiestablishment zusehends aggressiver bekämpft. Vor wenigen Tagen nahm die überwiegende
Mehrheit der DemokratInnen im RepräsentantInnenhaus für einen republikanischen
Antrag auf eine $ 4.5-Milliardenspritze für Trump zwecks Lösung der
migrantischen «Kinderkrise» an. Die vier Frauen, die dagegen stimmten (die üblichen
«squad» genannten Verdächtigen) hatten das Umfallen ihrer Parteileitung
zugunsten eines «humanitären» Antrags ohne bindende Vorgaben und Überprüfungsmechanismen
kritisiert. (Real soll damit wohl z. B. der Bau neuer Kinderknäste finanziert
werden.) Seither giftelt Nancy Pelosi, die demokratische Vorsitzende des RepräsentantInnenhauses,
in den Medien offen gegen die vier (u. a. Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib).