Die Jagd auf Julian Assange markiert eine Zeitenwende: Journalisten werden auch im »liberalen« Westen zum Feind erklärt. Mit allen Konsequenzen
Jürgen Heiser
In den USA löste eine Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei gerade »einen Feuersturm der Kritik aus«, wie das Onlinemagazin Counterpunch berichtete. Alexandria Ocasio-Cortez hatte Anfang voriger Woche US-Haftanstalten für sogenannte illegale Einwanderer als »Konzentrationslager« bezeichnet. Richtete sich die folgende Kritik etwa gegen die Migrationspolitik der Regierung? Nein, weit gefehlt! Im Fadenkreuz stand Ocasio-Cortez, die es gewagt hatte, Dinge beim Namen zu nennen, und sich obendrein weigert, ihr Mandat niederzulegen, wie es ihre Gegner fordern.
Diese Vorgänge sind bezeichnend für die sich nicht nur in den USA verschärfende Verfolgung von allen, die öffentlich die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisieren. Verfemt und verfolgt wird, wer in Medien berichtet, was Realität ist und Dokumente über kriminelle Machenschaften von Behörden und Unternehmen veröffentlicht. Im Brennpunkt dieser weltweiten Auseinandersetzung steht weiterhin der Wikileaks-Gründer Julian Assange.
Nach seinem siebenjährigen Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London hält ihn die britische Justiz aus fadenscheinigen Gründen weiter in Haft. Erst im Februar 2020 soll darüber verhandelt werden, ob der Whistleblower an die USA ausgeliefert wird. Dort halten Staatsanwälte eine Anklage mit 18 Vorwürfen parat, darunter 17 angebliche Verstöße gegen das US-Spionagegesetz. Allein die Tatsache, dass Wikileaks Dokumente über Kriegsverbrechen der USA in Irak und Afghanistan publizierte, die die Whistleblowerin Chelsea Manning der Öffentlichkeit zugänglich machen wollte, soll aus Assange einen Spion machen. Dafür drohen ihm nach Angaben der Ankläger bis zu 175 Jahre Haft.
Würde die US-Justiz seiner habhaft werden, wäre der Australier der erste Journalist, der wegen der Veröffentlichung von Fakten nach diesem Gesetz aus der Zeit des Ersten Weltkriegs vor Gericht gestellt wird. Assange erklärte deshalb kürzlich, sein Leben stünde »auf dem Spiel«, wenn das Vereinigte Königreich einem Auslieferungsersuchen der USA stattgeben würde.
Inzwischen haben sogar bürgerliche Zeitungen erkannt, dass es künftig auch ihnen an den Kragen gehen könnte. Darunter auch der britische Guardian und die New York Times (NYT), die zwar Wikileaks-Dokumente für ihre Zwecke nutzten, sich aber gleichzeitig nicht scheuten, »Fake News« über Assange zu kolportieren und ihm den Status als Journalist abzusprechen. Eine veränderte Haltung zeigen aktuelle Äußerungen von James Goo da le, dem ehemaligen Chefsyndikus der NYT. Sollte die US-Regierung mit ihrer Verfolgung von Assange Erfolg haben, bedeute dies, »dass der Prozess des Sammelns von Fakten zur Berichterstattung in der Presse unter Strafe gestellt wird«, warnte Goodale.
Im Interview mit dem US-Nachrichtensender Democracy Now schaute der Jurist kürzlich auf ganz andere Zeiten zurück. Denn 1971 hatte er die Redakteure seines Blattes ermuntert, die »Pentagon Papers« des Whistleblowers Daniel Ellsberg über den Vietnamkrieg zu veröffentlichen. Ellsberg und die Zeitung blieben damals straflos. Was jedoch jetzt gegen Assange laufe, so Goodale, bedeute, dass jeder, der heute Gleiches tue, »ins Gefängnis kommt«. Deshalb sei der »Fall Assange« aus journalistischer Sicht »von außerordentlicher Bedeutung«.
Der australische Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger brachte die Verfolgung seines Kollegen als »Krieg gegen Assange« auf den Punkt. In einem von der investigativen US-Onlineplattform Consortium News am 14. Juni veröffentlichten Radiointerview kommentierte Pilger die einleitende Bemerkung seiner Interviewpartner Dennis J. Bernstein und Randy Credico, die Verfolgung von Assange sei »der Beginn des Endes der modernen investigativen Berichterstattung, wie wir sie kennen«, mit der Feststellung, das geschehe gerade überall auf der Welt. »Und zwar gerade in dem Teil der Welt, der sich selbst als der »aufgeklärte« ansehe. Dieser »globale Krieg gegen den Journalismus« ziele auf »Whistleblower und Journalisten, die die Wahrheit sagen«, aber insgesamt »auf Andersdenkende«. Bemerkenswert sei die Geschwindigkeit, mit der sich das entwickle. Seit Assange am 11. April 2019 von der Polizei aus der ecuadorianischen Botschaft geschleppt wurde, sei die Polizei in den USA, in Australien und sehr spektakulär in Lateinamerika gegen Journalisten vorgegangen«, so Pilger. Das alles geschehe jetzt, »als hätte jemand grünes Licht gegeben«.
Der Präzedenzfall Assange sei »anders als alles, was wir erlebt haben«. Die USA wollten ihn nicht nur wegen der Enthüllungen in die Hände bekommen, sondern »weil er seine Quelle schützt«. Und die ursprünglich zu 35 Jahren Haft verurteilte Chelsea Manning sei jetzt wieder in Beugehaft genommen worden, »weil sie sich als Quelle geweigert hat, Lügen über Assange zu erzählen und ihn der Verschwörung zu beschuldigen«. Beider Handeln sei beispielhaft, und die Behörden befürchteten, »dass es da draußen noch einige Chelseas gibt«, auch wenn die vielleicht »nicht ganz so mutig wie Chelsea« seien, deren Enthüllungen »das gesamte System der Kriegführung« der USA geschwächt habe. Pilger schloss sein Plädoyer für Assange mit den Worten, er sei einem »unvorstellbaren Druck ausgesetzt«. Deshalb brauche er jede Unterstützung und Solidarität. »Mehr noch, er hat sie verdient!«