Neoputschismus in El Salvador: Schritt für Schritt

Mittwoch, 7. Oktober 2020

 

Sperren aus heiterem Himmel

(zas, 7. 10. 20) Am 8. Juni verbot die Verfassungskammer der Regierung von Präsident Nayib Bukele, weiter vom Parlament nicht abgesegnete Ausgangsperren u. ä. zu dekretieren. Bukeles Antwort: „Die Verfassungskammer befiehlt uns, (…) zehntausende von Salvadorianer zu ermorden“. Am 18. September dekretierte Bukele eine zweitägige Sperre über die Gemeinde Corinto im östlichen Departement Morazán. PCR-Tests hätten eine massive Zunahme von Covid-19-Ansteckungen ergeben. Polizei und Armee sollen die Ausganssperre und die Gemeindeisolation durchsetzen. Danach traf die gleiche Massnahme Gotera und Santa Rosa de Lima, zwei weitere Gemeinden im Osten des Landes. Bekanntlich manipuliert die Regierung Testergebnisse je nach politischer Opportunität. Gleich nach Verhängung der Sperre über Corinto verwiesen namhafte Epidemiespezialisten darauf, dass diese kleine rurale Gemeinde bisher weit weniger Fälle pro EinwohnerInnen aufwies als fast alle anderen Kommunen des Landes. Ähnliches gilt für Gotera. Und die Asociación Latinoamericana de Medicina Social (ALAMES) fragte nach angesichts der mehr als zwei Tage betragenden Inkubationszeit nach «anderen möglichen Absichten» hinter den Massnahmen.

 

Volksgesundheit à la Bukele.Quelle: El Mundo.

Massakerspuren verwedeln

Eine dieser «anderen Absichten» ist das Ziel, die Konkurrenzmacht der Verfassungskammer auszuschalten. Eine andere … abzulenken. Zum Beispiel davon:

Am 21. September verhinderten Militärs eine gerichtliche Inspektion auf der Suche nach Akten zum Massaker von El Mozote im Dezember 1981 in den Archiven des Generalstabes. Damals massakrierten aus den USA eingeflogene Eliteeinheiten der Streitkräfte tausend Menschen, die Mehrheit von ihnen Kinder. Nach Kriegsende 1992 scheiterten alle Aufklärungsversuche an einem Amnestiegesetz der Rechten, das erst 2016 von der damaligen Verfassungskammer für ungültig erklärt wurde, und danach an der schlichten Weigerung der Armee, sich untersuchen zu lassen. Im Rahmen eines nach der Aufhebung des Amnestiegesetzes aufgenommenen Verfahrens hatte Richter Jorge Guzmán deshalb für den 21. September eine Suche nach den entsprechenden Unterlagen, deren Aktenkennzeichen bekannt war, im Archiv des Generalstabs angeordnet. Doch ihm und seinen Begleitern, Apolonio Tobar, Chef des staatlichen Menschenrechtsbüros, und dessen Vorgänger und heutigem Kläger für Opferangehörige von El Mozote, David Morales, verweigerten die Militärs an diesem Tag den Zugang zum Archiv.

Mitte letzten November teilte das Präsidialamt mit, im Generalstab seien keine Unterlagen zum Massaker zu finden, worauf der Richter die jetzt verhinderte Untersuchung anordnete. Vier Tage nach dieser Sperre erklärte Bukele in einer obligatorisch von allen Sendern übertragenen Ansprache an die Nation (Cadena Nacional), der Ombudsmann für Menschenrechte sei ein FMLN-Komplize, der im Generalstab Geheimnisse laufender Operationen der nationalen Sicherheit ausspionieren wollte.

 

Ordnungskräfte

Am 3. September 2020 veröffentlichte das Portal El Faro brisante Dokumente der Gefängnisverwaltung.  Diese enthielten u. a. Berichte des Ermittlungsdienstes des Gefängniswesens zu zahlreichen Treffen von hochrangigen Regierungsfunktionären mit einsitzenden Bossen der Mara Salvatrucha (MS-13) sowie ihren Counterparts auf freiem Fuss in Hochsicherheitsgefängnissen. Von Regierungsseite waren zentral der landesweite Gefängnischef Osiris Luna und der Leiter der sogenannten Direktion für das Soziale Gefüge (Unidad de Reconstrucción del Tejido Social), Carlos Marroquín, beteiligt. Die Logeinträge in den Gefängnisregistern halten Details fest wie die Wagennummern der Ankommenden, die Identität eines Osiris Luna begleitenden MS-Bosses oder wie Luna und Marroquín mitkommende maskierte Männer an jeglicher Kontrolle vorbei in die Zellen führender MS-Gefangener schleusten. Zu den Unterlagen gehören auch Berichte von Inspektoren des Ermittlungsdienstes oder stellvertretender Gefängnisdirektoren zu Inhalten der Treffen: u. a. die Versetzung von «als aggressiv empfundenen Wärtern, die Abschaffung der letzten April ergriffenen Massnahme zur Zusammenlegung von Mitgliedern verschiedener Banden in Gemeinschaftszellen oder das von den Funktionären abgegebene Versprechen, den Bandenmitgliedern ‘Vorteile’ zu verschaffen, falls die Regierung in den Wahlen von Februar 2021 die Parlamentskontrolle erringe.»

Letzten April hatte Bukele nach 76 Morden in fünf Tagen (s. Viren, Maras, Viren…) angeordnet: “Ab sofort bleiben alle Zellen mit Bandenmitgliedern versiegelt.(…) Sie werden drinnen sein, im Dunkeln, mit ihren Freunden der anderen Banden.” El Faro berichtete, gestützt u. a. auf ein Memo des Vizedirektors des Hochsicherheitsgefängnisses von Zacatecoluca, dass diese Massnahme in allen Mara-Gefängnissen auf Anweisung von Osiris Luna aufgehoben worden sei. «Im Gegenzug verpflichtete sich die Bande mit der grössten Mitgliederzahl, das ‘Ventil’ der Morde zu schliessen und, wie es kürzlich wörtlich in Berichten des Gefängnisermittlungsdienstes heisst, in den kommenden Wahlen Nuevas Ideas[i] zu ‘unterstützen’. ‘Nächstes Jahr gibt es Wahlen und als Barrio[ii] (sagen die Anführer) werden wir diese neue Partei unterstützen’, ist einem der Berichte zu lesen.»[iii]

Regimefunktionäre kommentierten lachend den «Unsinn» von El Faro. Eine Pressetour in einem Gefängnis zeigte das Bild von Gefangenen, die aus überfüllten Zellen in die Kameras starrten. Einer antwortete auf eine Frage nach einer Verhandlung, davon wisse er nichts. Bukele gab dafür bekannt, dass er eine Untersuchung gegen El Faro wegen Geldwäscherei eingeleitet habe.

***

In einigen Unterklassenzonen patrouillieren nachts schwer bewaffnete Maragruppen. Während des Lockdowns setzten Maras in «ihren» Gebieten die Einhaltung der Ausgangssperre durch oder verteilten massenhaft identische Nahrungspakete (woher die Waren? Geheimnis.) Solche Dinge deuten auf das Entstehen einer paramilitärischen Ordnungsmacht, natürlich nicht alle Marasegmente einbeziehend. Nicht fremd dem, was wir aus Brasilien vernehmen: «In Rio de Janeiro ist die Miliz kein Parallelapparat. Sie ist der Staat.»

Am 20. September wurde ein Ex-Guerillero in Guarjila, einem Dorf in einer historischen FMLN-Hochburg, von Mara-Mitgliedern erschossen. Eine Compañera aus der Gegend teilte mit, in Guarjila existiere eine Mara-Gruppe im Sold von Nuevas Ideas. Einer der Gruppe, Sohn eines Ex-Guerilleros, sage, sie würden bezahlt, um in den Comunidades zu operieren. Ein mit der Materie Vertrauter hat folgende Einschätzung: «Mit den Maras wurde nicht nur eine Reduktion der Mordraten verhandelt, sondern auch die Kontrolle der Bevölkerung über den Mechanismus der Direktion für das Soziale Gefüge. Dort sitzen die Banden in den Vorständen, koordiniert von der Regierung, und sie haben das Programm Cubos, über das die Bedürfnisse der Banden gedeckt werden. Dies dient den Banden für die Kontrolle der Bevölkerung. Es wundert nicht, dass sie auch für politische Unterstützung von Nuevas Ideas sorgen. Ein Vorschlag ist, dass wir den Aufbau von lokaler Macht[iv] in der Comunidad wieder aufnehmen.»

Die Funktion der Direktion für Soziales Gefüge sei es, so Bukele, «den Zutritt des Rests des Kabinetts zu diesen [von den Maras kontrollierten] Zonen zu koordinieren». Marroquín, ein ehemaliger Anführer der Fankurve des FC Alianza von San Salvador, hatte zusammen mit dem heutigen Innenminister Mario Durán für Bürgermeister Bukele mit Mara-Chefs eine problemlose Durchführung von Prestigeprojekten Bukeles im Stadtzentrum ausgehandelt. 

Das auf «Verbrechensbekämpfung» in Lateinamerika ausgerichtete Portal InSight Crime (im Dunstkreis des State Departments und des US-Justizministerium) hat einen gleichwohl interessanten Artikel zum Verhältnis Maras/Bukeleregierung veröffentlicht. Nach Gesprächen mit anonym zitierten Insidern aus Polizei und Verwaltung kommt InSight Crime-Direktor Steven Dudley, ein bekannter Journalist, ebenfalls zum Schluss, dass Marroquín und sein «Soziales Gefüge» eine wichtige Rolle beim Ausbau der Mara-Macht spielen: «Die Bandenmitglieder vertrauen darauf, dass sie mit ihm soziale und wirtschaftliche Projekte in [ihre] Zonen bringen können, einschliesslich Hilfspakete zur Linderung der Not». Ein Polizeiberater vertraute dem Journalisten an, die April-Bilder von  zusammengepferchten Mareros in den Zellen seien Show gewesen, denn die Banden und die Regierung «hatten schon eine Übereinkunft vereinbart.» Und ein Regierungsberater zeigte sich besorgt wegen der Mara-Unterstützung von Nuevas Ideas: «Die Befürchtung ist, dass sie [die Maras] die Macht haben und nicht die Regierung – dass die kriminelle Governance offizialisiert wird.»

US-Botschafter Douglas Johnson segnete nach den Faro-Enthüllungen den Deal mit den Maras mit der Bemerkung ab, wichtig sei das Resultat, nämlich die Reduktion der Mordrate. Seine Bio: u. a. hoher CIA Paramilitary Operations Officer und CIA-Liaison zum Südkommando der US-Armee.

Nur brutale Show? Bild: InSight Crime.

 

BCR

Monatelang hatte Bukele behauptet, von den Abgeordneten nicht «einen halben Cent» für seinen aufopfernden Kampf gegen Covid-19 erhalten zu haben. Am 9. September legte aber Nicolás Martínez, Chef der Notenbank (BCR, Banco Central de Reserva), einem Parlamentsausschuss dar, dass dank internationaler Schulden und kurzfristiger Anleihen auf dem internen Markt von Januar bis August $ 3.25 Mrd. auf das Konto des Finanzministeriums beim BCR eingegangen waren. Zählt man die vom Finanzministerium ausgewiesenen $ 3.22 Mrd. Steuereinnahmen hinzu, ergibt das unter Einbezug weiterer Informationen des Finanzministeriums über $ 7 Mrd., höher als das vorgesehene Jahresbudget. Einen Tag nach seinen Aussagen war der Chef der Zentralbank seinen Job los.

Ein anderer Aspekt: Die Aussenschulden wurden zu horrenden Zinsen aufgenommen: Für eine Milliarde Dollars, vom 1. Juli 2020 zahlt das Land während 32 Jahren einen Jahreszins von 9.5%. Zu den Grossfinanciers zählt in diesem Fall die Vontobel Asset Management. Unter Bukele ebenfalls vorne mit dabei: die beiden privaten Pensionskassen des Landes. Fast 75'000 Jobs gingen im formellen Sektor schon verloren, im informellen Sektor sind es wohl hunderttausende (die Mehrzahl von Frauen). Gerade legte die Regierung einen Budgetantrag für 2021 zuhanden des Parlaments vor. Der Staatshaushalt soll um über $ 1 Mrd. auf $ 7.7.5 Mrd. steigen, dafür veranschlagt die Regierung Einnahmen von $ 2.6 Mrd. vor, im Budgetantrag 2020 waren es noch $ 2.3 Mrd. gewesen. Angesichts der aktuellen Krise gibt es dafür zwei Interpretationen: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um mehrere Prozent[v] und/oder der Budgetantrag mit seinen skurril optimistischen Annahmen ist nicht ernst gemeint, sondern soll dem «Volk» vor Augen führen, wie dringend die Abwahl eines «blockierenden» Parlaments doch sei.

 

Martínez bei Finanzkommission. Quelle: EdH

In Trump’schem Fahrwasser

In seiner Cadena Nacional zum Nationalfeiertag vom 15. September konzentrierte sich Bukele auf den inneren Feind. Der regiert das Land seit der Unabhängigkeit von der spanischen Krone 1821. Das ändert sich jetzt dank seiner Regierung. Der Feind agiert via «unsichtbare Regierung» in den Staatsorganen. Seine Präsidentschaft wird von der internationalen Gemeinschaft wegen des Einsatzes gegen Covid-19 beneidet. (Die Ansteckungsrate begann nicht, hatte er auf Twitter mitgeteilt, Ende Juli abzuflachen, wie das Spitalpersonal meint, sondern genau ab dem 10. August: Da »hatten wir den nationalen Gebetstag und von da an begannen die Ansteckungen zurückzugehen.») Und in seinem ersten Regierungsjahr hat sich die jahrhundertealte Mentalität der Leute fundamental geändert. Nicht mehr Egotrips, das Recht des Stärkeren, nein, Empathie und Hoffnung prägten nun das Ambiente. Beweis: Beim Einkauf tragen fast alle Masken.

24. September, nächste Cadena: Angriffe auf alles ihm nicht Gewogene: Menschenrechtsorganisationen, Academia, die Jesuiten, die unbotmässigen Teile der Rechtspartei ARENA, der FMLN sowieso, das ignorante Ausland … Medien wie El Faro? Von Soros gesteuert. Laufend wiederholt. Wie der Trump-Flügel in den USA.[vi]

Zu Beginn seiner Auslassungen gab Bukele zwei Ernennungen bekannt: Botschafterin in den USA wird die bisherige ARENA-Frau Milena Mayorga. Sie hält an ihrer Bewunderung für den Massakerchef von El Mozote fest und weiss: Gott hat sie auf diesen Posten bestellt, und die Regierung Bukele schafft die Möglichkeit für die Rückkehr aller in die USA Migrierten. Ein US-Bundesgericht hat Trump kürzlich die Ausweisung von 400'000 Menschen mit legalem provisorischen Status TPS (Temporary Status Protection) erlaubt, davon 300'000 aus El Salvador. Die Sache geht jetzt vor den Supreme Court. Am 1. Oktober protestierte die TPS Alliance vor der salvadorianischen Botschaft mit der Message: «Wir haben das Recht, hier zu bleiben.» Die zweite Ernennung betraf den neuen Chef der Wasserwerke und hatte Seltenheitswert. Denn Bukele spielte zur Begründung einfach ein Video von US-Botschafter Johnson des Inhalts ein, der neue Chef sei ein superfähiger Mann, er habe 12 Jahre für die USAID gearbeitet.

Mit diesem Rückenwind spielte Bukele anschliessend Protestnoten von Kongressabgeordneten der demokratischen Partei, von Human Right Watch oder von einem hohen Beamten der staatlichen US-Projektagentur Millenium Challenge Corporation wegen diktatorischer Tendenzen als insignifikant herunter. Zu einem ähnlich ausgerichteten Schreiben republikanischer Abgeordneten vom Vortag meinte er, das seien nur wenige Abgeordnete, die unterschrieben einfach, ohne zu schauen was. (Es ist das erste Mal, das auch aus Trump-nahen Zirkeln Kritik kommt.)

Für die kommenden Parlaments- und Gemeindewahlen weiss der der Bukele-Clan das Lager des christlichen Fundamentalismus und die neue soziale Ordnungsmacht Maras hinter sich und hofft so auf eine solide Mehrheit. Er kalkuliert mit der Not in den Unterklassen («Bukele hat keinen halben Cent bekommen, aber er hat uns trotzdem Nahrungspakete gegeben»). Natürlich funktioniert die Manipulation via «Wutbürgertum» mit seiner «Info»-Speisung aus Facebook- und Whatsapp-Chats mit ausschliesslich Gleichgesinnten. Kein Cyber-Zauber, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

 

Widerstand

Trotz dieser dominierenden Aufhetzung/Manipulation ist es in den letzten Wochen zu vielen Strassenprotesten gegen die Politik der Regierung gekommen. Seit längerem gehen KriegsveteranInnen sowohl der Guerilla wie der Armee für die Auszahlung ihrer Renten gemeinsam auf die Strasse.

Am 18. September blockierten ProduzentInnen von Reis und Bohnensaatgut gemeinsam in Zapotitán, der wichtigsten Agrarregion, die Panamericana-Strasse. Letzten April befreite die rechte Parlamentsmehrheit den Reisimport des Landwirtschaftsministeriums MAG von Mehrwert- und Importsteuern. Angeblich aus Gründen der Versorgungssicherheit haben das MAG und die Grossimporteure viel Reis importiert, aber nicht den einheimischen. Die Saatgutbauern- und -bäuerinnen warten seit vier Monaten auf die Bezahlung für das an das MAG gelieferte Saatgut. Ein Sprecher der BlockiererInnen sagte: «Allein für das Gebiet Zapotitán wissen wir von 65'000 bedrohten Arbeitsplätzen im Saatgutprojekt;(…) aber am schlimmsten ist es für die ViehzüchterInnen wegen all der ohne jegliche Kontrolle hereinströmenden Milchprodukte.» Am Tag nach den Blockaden sicherten die Reisimporteure Käufe im Inland zu. Bukele und MAG-Minister Pablo Anliker (ein Unternehmer im Agrarimport) hatten schon letztes Jahr die Absicht erkennen lassen, die unter den FMLN-Regierungen ermöglichte Abkehr von der Abhängigkeit von Bayer/Monsanto zugunsten eigener Produktion von Saatgut der Grundnahrungsmittel umzukehren. Mit der Begründung «kein halber Cent» soll jetzt die Produktion durch BäuerInnen, Kooperativen und KMU liquidiert werden.

Die Panamericana blockieren.
 

Forderung: "Sofort Bezahlung des Bohnensaatguts". Bild: LPG.
 

Laut Gesetz muss die Zentralregierung 10 % ihrer laufenden Einnahmen an den Gemeindefonds FODES abführen. Vor allem die kleineren Gemeinden kennen kaum eigene Steuern. Seit mittlerweile über vier Monaten fliesst – da «kein halber Cent» - dieses Geld nicht mehr. Dafür macht Nuevas Ideas mit «humanitären Missionen» (z. B. Verteilung von staatlichen Nahrungspaketen) Wahlpropaganda. Am 24. September hatten zahlreiche Gemeinderegierungen von links bis rechts zu einer beträchtlichen Manifestation in der Hauptstadt aufgerufen. Denn FODES finanziert Gemeindeprojekte und die Löhne der Gemeindeangestellten. Aus vielen Gemeinden brachten sie ihre eigenen Lautsprecher mit – so konnte man etwa die Frage an Bukele hören, ob er denn einen neuen Krieg wolle? Gestern früh blockierten Leute aus mindestens 50 Gemeinden landesweit wichtige Verkehrsknoten.

 

Straffreiheit

Seit Tagen weigert sich der Finanzminister, dessen Unternehmen lukrative Geschäfte mit den Pandemiegelder gemacht hatten, dem Parlament das Geld für die Lohnzahlungen für Angestellte und Abgeordnete zu überweisen. Er fordert vorgängig eine parlamentarische Absegnung eines weiteren Kreditantrags mit intransparenter Zielsetzung. Ein Erpressungsversuch. Der Minister weiss sich straffrei. Die parlamentarische Finanzkommission hatte ihn vier Mal zwecks Auskunftserteilung über angeblich getätigte Ausgaben und den neuen Kreditantrag einberufen. Er erschien nie, das letzte Mal mit der Begründung, er habe mit dem IWF telefoniert. Die Kommission liess ihn daraufhin im Rahmen ihrer Befugnisse polizeilich vorladen. Polizeichef Arriaza Chicas beschied dem Parlament, die Vorladung sei nicht rechtens, da der Minister verhindert gewesen sei. Er wies ferner einen Befehl des Generalstaatsanwalts zur Beendigung einer Blockade der Abfalldeponie von San Salvador ab. Die regierungsnahe, mafiöse «Gewerkschaft» der Gemeindeangestellten ASTRAM verhindert die Müllentsorgung der von ARENA regierten Hauptstadt als Beitrag zum Wahlkampf. Arriaza beschied dem Generalstaatsanwalt, die Polizei komme dem Auftrag nicht nach, da dieser politischen Interessen diene.

Man bekommt eine Ahnung von dem, was in Zukunft droht.

 

El Mozote, der FMLN und die «Gleichmacherei»

Der FMLN steht noch lange nicht wieder auf den Beinen. Nicht zuletzt wegen internen Problemen. Gerade hören wir aus Soyapango, der Vorstadt von San Salvador, dass jene «geschäftstüchtigen» Teile der Partei, die schon immer eine Allianz mit Bukele wollten, aktiv Mobilisierungsbestrebungen sabotieren. Und doch ist die beliebte These «Sie sind alle gleich» falsch, eine Lüge. Das wird aber von El Faro, anderen ähnlich ausgerichteten Medien, NGOs etc. verbreitet. Beispiel El Mozote. Kaum ein «kritischer» Bericht zum Vorgehen von Bukele und Armee, der nicht erwähnte, dass auch die FMLN-Regierungen nichts zu Aufklärung des Massakers beigetragen haben (die Guerillas haben nur ihr Leben im Kampf gegen diese Kräfte riskiert und oft geopfert). Das ist scharf an der Wahrheit vorbei. Das Detail des Unterschieds: Die FMLN-Regierungen hatten nie einen eigenen Fuss in der Armee, die Putschdrohung war immer latent – und real. Das kleinzureden, erst recht heute, wo die Armee laufend und offen Gesetz und Verfassung bricht, ist sehr naiv oder bewusst tendenziös. Für die Linke gibt es andere Fragen und Selbstkritik. Statt auf Schönfärberei und Verdrängung zu setzen, hätte der FMLN mehr nach Möglichkeiten suchen müssen, über die eigenen Reihen hinaus die wahre Problemlage zu skizzieren. Das wäre gefährlich gewesen (die gegenteilige Praxis erweist sich als verheerend), hätte aber auch eine beträchtliche Stärkung des Emanzipationsprozesses ermöglicht. «Auf das Volk vertrauen» heisst auch, den Leuten reinen Wein einzuschenken, damit sie sich ein eigenes Bild von der komplexen Lage machen können. Sonst spielt man den Konfusionsmeistern in die Hände.



[i] Partei Bukeles.

[ii] Bezeichnung für die Organisation, die ursprünglich den Charakter von Cliquen im Quartier, barrio, hatte.

[iii] Partei Bukeles.

[iv] Poder Popular Local, das alte Guerillakonzept zum Aufbau lokal organisierter Gegenmacht.

[v] Die Regierung hat sich im April gegenüber dem IWF zu einer rigorosen «Sparpolitik» inkl. einer Mehrwertsteuererhöhung verpflichtet (s. Der IWF «hilft»).

[vi] Tatsächlich, Medien wie El Faro oder Revista Factum erhalten Geld vom Open Society Institute. Das prägt ihre Linie. Die verschwörungstheoretische Totalverzerrung von Machtverhältnissen zu einzelnen Bösewichten verhindert ihre Bekämpfung. Sie tendiert immer, ob in Ungarn, USA oder El Salvador, zu dem, woran sich auch der Antisemitismus labt.