Venezuela: Destabilisierungsoptionen der USA

Samstag, 6. Oktober 2012



(zas, 6.10.12) Es hat es in sich, das Papier mit dem Titel „Political Unrest in Venezuela“, das der „überparteiliche“ Thinktank der US-Eliten für internationale Herrschaft, der Council on Foreign Relations, im September veröffentlicht hat. Verfasst wurde es von Patrick Duddy, dem US-Botschafter in Caracas von 2007 bis 2010. Es scheint vor September geschrieben worden zu sein. Duddy analysiert darin mehrere Szenarien für die morgige Präsidentschaftswahl in Venezuela. So hat sich etwa das Szenario eines möglichen Todes von Chávez vor den Wahlen mittlerweile doch etwas erübrigt. Seine Ausführungen kreisen primär um die Möglichkeit eines rechten Wahlsieges oder eines „strittigen“ Sieges von Chávez und die „erwarteten“ Reaktionen des chavistischen Lagers sowie die Antwort der USA darauf. Am wenigsten gibt ihm die die Möglichkeit eines klaren, nicht anfechtbaren Sieges von Chávez zu schreiben: den USA bliebe nichts anderes übrig, als diesen anzuerkennen. Wichtiger aber sind andere Szenarien, wie Duddy schreibt: „Falls das Wahlresultat betrügerisch scheint oder offenbar legitime Resultate annulliert werden, sollten die USA international Druck für die Wiederherstellung der Demokratie ausüben und das bilaterale business as usual suspendieren, bis eine legitime Regierung eingesetzt ist“. Einige Sätze weiter weiss er: „Obwohl Chávez angegeben hat, dass er das Wahlresultat respektieren werde, leiten sich die plausibelsten Szenarien für Instabilität  und Konflikt in Venezuela von der Voraussetzung ab, dass die Chavistas nicht bereit sein werden, die Macht abzugeben. Sie würden Gewalt provozieren, zivile Unrast orchestrieren oder verschiedene Formen bewaffneten Widerstandes“ gegen die Regierungsübergabe „praktizieren“.  Duddy verlängert diese Perspektive explizit auch für die Zukunft im Falle eines möglichen Krebstodes von Chávez nach der Wahl. (Ein Ausscheiden aus der Präsidentschaft in den ersten drei Amtsjahren bedingt automatisch Neuwahlen.) Und woher kommt keine solche Gefahr? Der US-Stratege weiss es: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Opposition den Willen, die nötigen Mittel oder die Waffen hat, die Chavistas mit Gewalt herauszufordern.“  (Wir werden gleich sehen, wie er dieses „Manko“ zu neutralisieren gedenkt.)
Falls ein rechter Sieg wahrscheinlich scheine, könnte Chávez die Wahlen verschieben, den Ausnahmezustand ausrufen und militärisch gegen die Opposition vorgehen. Ein ähnliches Notstandsszenarium sieht der Schreiber auch für den Fall eines realen oder nur „plausibel erscheinenden“ Sieges von Chávez, der aber kurz darauf verstirbt oder die Amtsgeschäfte abgeben muss. Es käme wohl zu einer Spaltung im Chavismus, eventuell auch in der Opposition, die vom Feindbild Chávez zusammengehalten werde. Weitere Option: Capriles gewinnt, Chavistas üben Gewalt aus, Chávez verhängt den Ausnahmezustand vor der Amtseinsetzung des Oppositionskandidaten Capriles. Oder Capriles gewinnt, wird eingesetzt, ArbeiterInnen mobilisieren gegen die Regierung, die Armee interveniert und die Rechte geht auf die Strasse. Weiteres Duddy-Szenarium: Knappes oder für die Regierung inakzeptables Resultat; Strassenmobilisierungen beider Seiten, Chávez oder ein Interimspräsident erklärt den Notstand.
Präventive Optionen dagegen sieht Duddy unter anderen darin, dass die USA Regierungen wie die von Kolumbien oder Brasilien, das kein Interesse an einem destabilisierten Venezuela haben könne, dazu ermuntert, bei Chávez vor den Wahlen auf Einhaltung der demokratischen Spielregeln zu drängen. Die EU, insbesondere Spanien, Japan und China könnten ähnlich intervenieren, kraft ihrer grossen Investitionen im Land (negative Aussichten bei China). „Wahlbehörden in demokratischen Hauptstädten könnten mit den Medien zusammen die Kriterien für die Qualitätsbeurteilung der Wahlverwaltung überprüfen.“ (Interessant… welche Medienhetze droht denn da?) Die USA könnten den UNO-Sicherheitsrat anrufen, Fact-finding-Missionen von AussenministerInnen nach Caracas pushen, Visa für gewaltbereite Individuen verweigern (Duddy erwähnt bei diesem letzten Punkt auch potenziell betroffene Oppositionelle, sei es der formalen Schönheit halber oder um „unkontrollierte“ Elemente auszuschalten). Weiter könnte Washington die Einnahmen des in den USA operierenden Raffinerie- und Tankstellenbetreibers Citgo, der zur staatlichen venezolanischen Erdölgesellschaft Pdvsa gehört, zuhanden einer „legitimen Regierung“ beschlagnahmen.
Im Punkt „Militäroptionen“ wird Duddy explosiv: „Die USA könnten andere lateinamerikanische Militärs, vielleicht auch die spanischen, dazu ermutigen, der venezolanischen Armee die Wichtigkeit zu kommunizieren, sich an ihr Verfassungsmandat zu halten, die Menschenrechte zu respektieren und die Demokratie zu bewahren. Während Chávez-Loyalisten den Generalstab dominieren, ist es unklar, wie weit sie die mittleren Ränge kontrollieren. Unklar ist auch, wieweit die Armeeloyalität zu Chávez’ bolivarischer Bewegung andere Überlegungen übertrumpft. Beim gescheiterten Putsch von 2002 entfernte die Armee Chávez temporär von der Macht, aber installierte ihn dann auch wieder.
Offen droht der US-Politiker hier mit der Möglichkeit, „dissidente“ Armeefraktionen für einen neuen Putsch nach vorausgegangenem gewalttätigen Destabilisierungsszenario auf den Strassen der venezolanischen Städte zu gewinnen und einzusetzen. Sei es jetzt oder in näherer Zukunft. Soviel zu der Darstellung der Opposition als machtlose Friedensengel. Dies vor dem Hintergrund einer tendenziösen Darstellung in den transnationalen Falschmedien der Lage in Venezuela, wonach angeblich die Meinungsumfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwarten lassen. Dazu mehr morgen.