(zas, 9.10.12) Sind sie aber alle überrascht, „unsere“
Medien! „Hugo Chávez ist in Venezuela
überraschend deutlich bestätigt worden“, klagt heute Nicoletta Wagner in
der „NZZ“
in ihrem Stück „Goliath besiegt David in Venezuela“. Welch wunderschönes Bild übrigens,
beeindruckend … es muss eine tiefere Wahrheit wiederspiegeln, die sich
Schreibenden eingibt. Denn ich habe den Rekurs auf genau diese Parabel mehrmals
gelesen, seit gestern früh „El País“ seinem Schmerz über die Ereignisse so Ausdruck
verlieh. So archetypisch wahr, dass sich das Bild David gegen Goliath nicht nur
den von der Muse berührten Schreibenden aufdrängt, sondern auch - staunt still
ob solcher sinnvoller Koinzidenz - seit Wochen schon in der Wahlkampfkampagne
des Bourgeoisevertreters und Wahlverlierers Henrique Capriles zirkuliert. Ihr
wisst, die arme, unterdrückte Oligarchie von Venezuela und Washington… jetzt
kam einer, David gleich, und forderte den Tyrannen heraus – allein, die Parzen
zertrümmerten unsere Hoffnungen.
Medium rauf, Medium runter, sie sind alle so überrascht.
Dabei, um bei der NZZ zu bleiben, sahen wir
doch den „verblassenden
Stern der bolivarischen Revolution“, wie das Wagner am 29. September
2012 formuliert hatte. Wir erfuhren, wie
knapp das Kopf-an-Kopfrennen laut „seriösen“ Umfrageinstituten war, die auf
jeden Fall das Rennen in den Köpfen „unserer“ Journis machten, im Gegensatz zu
den pro- und antichavistischen Instituten, die vom Wahlrat CNE als
professionell qualifiziert anerkannt waren und die übereinstimmend 10 oder mehr
Prozent Vorsprung für Chávez ermittelt hatten. Auf die waren unsere
WahrheitsheldInnen dummerweise grad nicht gestossen. Dafür auf andere, vom
„Wall Street Journal“ bis zu „deinem“ TV-Sender als „angesehen“ gepriesene
Institute, die bei vergangenen Wahlen relativ akkurat das Verhältnis von
chavistischen Siegen und rechten Niederlagen vorausgesagt hatten – nur
allerdings mit verwechselten Rollen fürs
Siegerpodest. Deshalb heute die Überraschung.
"Von hier sehe ich ein technisches 'Patt'". Quelle: venezuelanalysis.com |
Auch andere immanente Wahrheiten tun sich heute „unseren“
Medien kund. Zwar hat Chávez das Land gründlich ruiniert, allein, populistisch
gelang es ihm erneut, verblendete Seelen einzufangen. Während in Griechenland
dank kundiger wirtschaftsrationaler Anleitung die Selbstmordrate langsam auf
ein befriedigendes, sozial produktives Niveau steigt, tut dieser Chávez das
Ölgeld verschleudern und füttert faule Mäuler, die Selbstverantwortung scheuen!
Wo doch, von Gott und den Märkten gewollt, diese Einnahmen wie früher an die
transnationalen Börsen gehören! Da ist also mal diese Verblendung, die „uns“
überrascht hat. Und vielleicht haben
„wir“ die Dimension des Bösen nicht tief genug ausgelotet, die Pervertierung
der Demokratie. Wagner heute: „Auch wenn
das Regime formale demokratische Prinzipien hochhält, kann es nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die venezolanische Demokratie pervertiert und ausgehöhlt
ist“. Im Gegensatz, you know, als 1989 ein paar tausend gegen
Preiserhöhungen Antretende in Caracas mit IWF-Logik ins Jenseits weggeputzt
wurden, die Ölgelder alle nach New York flossen und Linke unterdrückt wurden.
Leider ungenügend war auch der Widerstand der Demokratie gegen den Autoritären –
während des dreitägigen Putsches im April 2002 unter der Leitung des Unternehmerchefs Carmona, der gleich alle
gewählten Körperschaften aufgelöst und die Mordkampagne gegen Chavistas in den
Quartieren eingeleitet hatte (was ihm das hieisige Medienprädikat „besonnen“
einbrachte). Vergeblich damals auch der Einsatz von Capriles, der an der Spitze
eines bewaffneten Mobs – pardon, besorgter Bürger - die kubanische Botschaft
stürmen wollte, um angeblicher geflohener Chavistas habhaft zu werden – er war dafür als Bürgermeister des
Bonzenstadtteils Baruta von Caracas hervorragend qualifiziert. Gleich wie grad
eben als demokratischer, sozialer Hoffnungsträger für ein Ende des Chavismus.
„Unsere“ Journis reagieren besonders sensibel auf medienterroristische
Einseitigkeit. Schon am Montag früh wusste DRS-Korrespondern Ulrich Ackermann
diese weitere Ursache für den Wahlsieg des Unguten zu nennen. Chávez schaltete
immer wieder alle nationalen Sender in eine obligatorische Kettenübertragung,
um faktisch Wahlkampagne zu betreiben, während die Capriles-Spots in den
staatlichen Sendern auf 3 Minuten beschränkt blieben. Der ganzen Weltfreipresse
ist dieser Punkt aufgefallen. Auch der in Venezuela, von der man sich ebenso
wie von den „angesehenen“ US-Medien leiten lassen kann. Weshalb denn auch sich
bei dem aufhalten, was die die BBC mitten in ihrer sonstigen Dauerhetze auf
ihrer Lateinamerika-Homepage vermeldet
hat, als absurde Spitze britischer Fairness vielleicht? Dass
nämlich, offiziellen angaben zufolge, 70 Prozent der venezolanischen Radio- und
TV-Sender in Händen des Privatkapitals und 5 Prozent in Staatseigentum sind.
(Der Rest sind Basissender). Und die privaten Kapitalmedien sind eigentlich
fest für die Freiheit und gegen Chávez.
Details, die so wenig zu interessieren brauchen wie unpassende
Umfragen, von denen dort, wo man abkupfert, ja auch nicht gross die Rede ist.
Lieber Weisheiten verbreiten wie die, dass Chávez womöglich die vor allem in
den Unterklassen Opfer fordernde Kriminalität fördere, um aus ideologischen
Gründen die Mittelschichten zu bestrafen. Statt, wie Ackermann vor einigen
Tagen in „DRS“ so beredt beklagte, endlich mit harter Hand vorzugehen – frag in
Zentralamerika und Mexiko nach deren Blutresultaten. Welche Brillianz in der
Analyse eines Ackermanns, der im Radio als klärenden Hinweis zur desaströsen chavistischen
Lage und dem Aufstieg des Sterns Capriles anbringt, was ihm ein venezolanischer
„Bekannter“ eingeflüstert hat: Chávez regiere 3 Tage die Woche und 4 Tage mache
er Revolution. Er und die vielen seinesgleichen geben eine Botschaft wider,
deren Sinn ihnen kaum sehr bewusst sein dürfte: Wäre die Distanz zwischen
Sieger und Verlierer nicht derart klar gewesen, hätte durchaus eine
unmittelbare gesteigerte Destabilisierungsoffensive gestartet werden können,
national und international in derartige Erklärungen eingebettet. Es sind
Medienschaffende, die sich über Zensur weit weg von ihnen empören; von der
Schere im eigenen Kopf haben sie vermutlich keinen Schimmer– vielleicht
allerdings ,al einen Alptraum.
Etwas anders liegt der Fall vielleicht bei Figuren wie
Wagner. Sie, NZZ-Redaktionsleitungsmitglied, liess etwa schon ihren Korrespondenten
Marti vom Kriminalitätsterror linker Guerillas und Narcos in Venezuela schwafeln.
Sie zumindest wird nicht ganz blind dafür sein, dass die Lunte am Dynamitfass
der Kriminalität in Venezuela seit Jahren systematisch von kolumbianischen
Paramilitärs, protegiert in den von den Rechten regierten Gliedstaaten, gelegt
worden ist. Sie, die in der späteren Phase der Präsidentschaft Uribes in
Kolumbien etwa alle Quartale einmal Distanz zum Massenmörder signalisierte,
liess gleichzeitig andauernd Beat Ammanns Lobgesänge auf Uribes Erfolge im
Kampf gegen den „Terrorismus“ erklingen – Erfolge, von denen schon damals klar
war, dass sie als Massaker bezeichnet werden mussten, nicht an den Guerillas,
sondern an deren angenommenen sozialen Basis. Bis heute kein Sterbenswörtchen
der Entschuldigung. Sie ist es denn, die im „Verblassenden Stern…“ gegen Chávez
schrieb: „Er brachte Kolumbien unter
dessen nicht weniger intransigenten Präsidenten Uribe sogar an den Rand eines
bewaffneten Konflikts.“ Chávez hat
also Uribe bis zur Weissglut gereizt, deshalb sagte letzterer ja auch kürzlich,
ihm habe leider die Zeit gefehlt, gegen Venezuela in den Krieg zu ziehen. Chávez‘ Plan, Uribe (gleich Washington) zu
seiner Ermordung zu provozieren, ging also irgendwie nicht auf.
In ihrem Vorwahlartikel noch voller Hoffnung auf einen Sieg
des Möchtegern-Erstürmers der kubanischen Botschaft, behandelte sie eingangs
Chávez‘ Krebskrankheit. Und schliesst ihre Meinungsäusserung so: „Verschwände Chávez demnächst von der
politischen Bühne, würde die Lücke, die er hinterlässt, (…) in Südamerika (…)
kaum lange spürbar sein.“
Was müsste sie in diesem Fall nach einer ersten Euphorie
wieder überrascht sein. Und weiss der Teufel, warum ich dieses Bild - „verschwände
Chávez von der Bildfläche“ - mit diesem obligaten Ende fast eines jeden
Venezuela-Artikels gestern und heute im Schweizer und internationalen
Mainstream in Verbindung bringe, mit diesem Stossgebet und Seufzer nach Trost,
dass Chávez vielleicht demnächst sterbe – an Krebs (oder was immer).