Der "Wirtschaftskrieg" und die Kommunalwahlen in Venezuela

Samstag, 7. Dezember 2013

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3. Dez 2013

Der "Wirtschaftskrieg" und die Kommunalwahlen in Venezuela

Einschätzung des argentinischen Politologen J.M. Karg zur Bedeutung der Abstimmung am 8. Dezember

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Am kommenden Sonntag finden die für Venezuela bedeutsamen Kommunalwahlen statt. Diese Wahlen werden zu einem Zeitpunt wirtschaftlicher Probleme in dem südamerikanischen Land abgehalten. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro versucht indes, die Spekulation und die Preiserhöhungen zu stoppen, die von Gruppen der Wirtschaftsmacht Venezuelas forciert werden. Die Rechte – die sich im Bündnis "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) zusammengeschlossen hat – versucht ihrerseits, die Regierungsführung von Maduro zur Abstimmung zu stellen, in dem sie die eigentlich dezentralisierten Wahlen (weil Bürgermeister und Stadtverordnete gewählt werden) "zentralisieren" will.
Ökonomischer Krieg: Spekulation, Unterversorgung und Preiserhöhungen
Venezuela erlebt einen wirtschaftlich sensiblen Moment, in dem die Regierung Maduro mit einem Chaos konfrontiert ist, das durch unternehmerische Spekulation und die unberechenbare Gier hervorgerufen wurde. Der Fall der Elektrowarenkette Daka ist modellhaft, denn er zeigt einen parasitären Mechanismus permanenten Wuchers, den es auch in anderen Unternehmen gibt: Die Elektrogeräte werden im Ausland zum offiziellen US-Dollarkurs eingekauft, den der Staat über die Behörde Cadivi gewährt. Die Unternehmen zeichnen die Produkte neu aus und erreichen astronomische Preiserhöhungen um bis zu 800 Prozent. Auf diese Art fahren sie kontinuierlich steigende Gewinne ein.
Die Regierung ging im Fall Daka gegen den Wucher vor. Sie ordnete Preissenkungen an, damit die Bevölkerung Zugang zu den Produkten bekommt, was zu unzähligen Schlangen vor diesen Geschäften führte, um die Produkte zu einem weit besseren Preis als zuvor zu kaufen. Hier zeigte sich ein weiteres mögliches Problem – unabhängig vom ersten – das in Prozessen sozialer Veränderung interessant zu analysieren ist: das Phänomen des grenzenlosen Konsumismus, das im zwanghaften Kauf von Elektrohaushaltsgeräten in diesen Geschäften nach den Preissenkungen zu sehen war. Ein wahres Konsumfieber brach aus. Maduro selbst sah dieses Problem – das zwar zweitrangig, aber real ist – und forderte die venezolanische Bevölkerung auf, eine Kultur des Sparens zu entwickeln und nicht diesen irrationalen Konsumismus zu fördern.
Die Stunde der Rechten und die Rolle Maduros
Die venezolanische Rechte versucht die Wahlen für ihre Zwecke zu nutzen. Sie sagt und wiederholt, sowohl in lokalen wie auch in internationalen Medien, immer wieder, dass ihre Zeit gekommen sei. Diese Analyse ist konkret und bezieht sich auf spezifische Punkte:

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a) Tatsächlich war sie im vergangenen April nah dran, ihre Ziel zu erreichen, als Capriles bei den Präsidentschaftswahlen nur 1,5 Prozent hinter Nicolás Maduro lag.
b) Der begonnene "ökonomische Krieg" hat Auswirkungen im Alltag. Er wird begleitet von einer medialen Konstruktion: “Mangel“ ist das Wort der Wahl, um die Unterversorgung zu beschreiben, die von den Unternehmern selbst herbeigeführt wurde um die Regierung dessen zu beschuldigen.
Nun gibt es jedoch einen interessanten Umstand: Maduro hat die Initiative mit einer staatlichen Intervention zurückerlangt, die von den sozialen und politischen Organisationen unterstützt wird. Er hat mit diesen Maßnahmen auch die venezolanische "politische Klasse" überrascht. Warum? Weil er zur Offensive übergegangen ist. Er baut mit diesen Maßnahmen seine Führung aus. Dies wird von der Regierung der Straße begleitet, einer politischen Initiative, bei der er "zu Fuß" durch alle Bundesstaaten zieht. Hinzu kommt die Reaktivierung und Verstärkung der kommunalen Räte und der Kommunen – was eine der letzten Forderungen des verstorbenen Chávez war, die er in seiner berühmten Rede "Das Steuer herumreißen" formuliert hatte. Maduro blieb nicht untätig und stellte die Rolle der venezolanischen Unternehmen in der produktiven Struktur des Landes zur Diskussion
Und die Wahlen vom 8. Dezember?
In diesem Kontext finden am 8. Dezember Kommunalwahlen im Land statt. Sie werden ein neues Kräftemessen zweier antagonistischer Modelle sein – jenseits des diskursiv-fortschrittlichen "Anstrichs" von Capriles.
Laut den aktuellsten Umfrageergebnissen von International Consulting Services (ICS) kämpfen die Kandidaten vom Großen Patriotischen Pol mit guten Chancen um die wichtigsten Bürgermeisterämter. Ein konkretes Beispiel: Ernesto Villegas, Ex-Minister für Kommunikation, könnte den MUD im Hauptstadtbezirk von Caracas schlagen. Hier könnte man von einem De-facto-Gleichstand mit dem aktuellen Bürgermeister Antonio Ledezma sprechen, mit einem leichten Vorsprung für Villegas (44 Prozent gegen 43 Prozent). Der Bürgermeister des Bezirks Libertador von Caracas, Jorge Rodríguez (GPP), erreicht seine Wiederwahl offenbar gegen Ismael García (52 Prozent gegen 45 Prozent für den MUD-Kandidaten). Und in Maracaibo gibt es laut der gleichen Umfrage auch einen leichten Vorteil für Pérez Pirela gegenüber Eveling Trejo (45 Prozent gegen 43 Prozent).
Auch wenn es Kommunalwahlen sind, wird ihr Ausgang minutiös von internationalen Analysten und großen Kommunikationsmedien beobachtet werden. Wie bereits bei früheren Gelegenheiten sind sie darauf aus, "den Anfang vom Ende" des Chavismus festzustellen, um in einer nahen Zukunft ein Abwahlreferendum gegen Maduro voranzutreiben. Andererseits werden die fortschrittlichen und revolutionären Kräfte der Welt diesen Prozess ebenfalls aufmerksam verfolgen. Auch wenn das Überleben eines der weltweit wichtigsten Projekte des sozialen Wandels nicht auf dem Spiel steht, wird der 8. Dezember als Gradmesser dienen. Er wird Gefahren und Chancen anzeigen und dazu dienen, das erste Jahr der Bolivarischen Revolution ohne Chávez zu bilanzieren.