Venezuela: Von Wirtschaft und Umsturz

Freitag, 27. Mai 2016



(zas, 27.5.16) Wer den Fehler macht, die Zeitung aufzuschlagen oder die Tagesschau zu konsumieren, bekommt, was Venezuela betrifft, die Botschaft von der „humanitären Krise“ vermittelt, von den enormen Warteschlangen für Artikel des Grundbedarfs und einem zusammenbrechenden Gesundheitssystem, erzeugt von chavistischer Misswirtschaft.  Gegen die sich an die Macht klammernden Chavistas regt sich demokratischer Widerstand, der zunehmend brutaler unterdrückt wird. Internationale Hilfe wird ein Thema. In der New York Times, im Guardian, im Wall Street Journal jagen sich Berichte, die eines klar machen: Auf der Erde gibt es eine Hölle, sie heisst Venezuela. Die Artikel haben ein gemeinsames Merkmal: Sie triefen von Hass. Die chavistische Ungeheuerlichkeit, für die Unterklassen ein gutes Leben anzustreben, soll ausgemerzt werden.


Wirtschaftskrieg

Kein Bier in der Hölle

Vor kurzem kam auf der halben Welt die Nachricht: Jetzt müssen die VenezolanerInnen selbst auf ihr Bier verzichten. Das Unternehmen Polar, das 80 % des nationalen Bierkonsums abdecke, sehe sich ausserstande, weiter zu produzieren. Denn, so Polar-Eigentümer Lorenzo Mendoza, die chavistische Regierung verkaufe ihm keine Dollars mehr, um die ausländischen Lieferanten zu bezahlen. (Die Deviseneinnahmen des Landes stammen fast zu hundert Prozent aus dem staatlichen Ölexport. Der Privatsektor erwirbt vom Staat für seine Importe sündhaft billige Dollars für 6.3 Bolívares pro Dollar, der auf dem Schwarzmarkt mehr als 1000 Bolívares kostet.) Nun, von Januar 2004 bis Dezember 2012 hatte Mendozas Polar-Gruppe (Alimentos Polar, Provencesa, Pepsico Venezuela, Cervecería Polar) vom Staat fast $ 3 Mrd. erhalten – für Importzwecke. Für die Periode von Januar 2014 bis September 2014 schüttete der Staat Polar über $ 450 Mio. für den gleichen Zweck aus. Allein Cervecería Polar (die Bierbrauerei) kommt auf $ 700 Mio. in den genannten Zeiträumen.
Im Herbst 2015 liess Mendoza einige Angestellte öffentlich von der Regierung verlangen, sie solle $ 18 Mio. Schulden begleichen, die Polar bei ausländischen Lieferanten habe, ansonsten seien ihre Arbeitsplätze gefährdet. Im Oktober 2015 kaufte er das grosse Migurt-Unternehmen des Pascual-Konglomerats in Spanien. Am 31. März 2016 schrieb die chavististische Noticias24: „Fran Quijada, Präsident der nationalen Gewerkschaft [im Getränkesektor] bestätigte am 10. März in einem Fernseh-Interview, dass das [Polar-] Konsortium ‚mit den Dollars, die es in Venezuela erhielt, in Tampa, USA, gerade ein Malz- und Gerstenunternehmen gegründet hat‘“.
Die staatlichen Importdollars sind jetzt zurückgegangen – die Ölpreiskrise lässt grüssen. Um 65 % im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr, sagen rechte venezolanische Medien, die sich auf (für mich unauffindbare) Berichte der Devisenbehörde Cencoex berufen. Doch Lorenzo Mendoza, Dauergast auf der Forbes-Liste der Superreichen und am WEF in Davos, der 2002 begeistert den Militärputsch gegen Chávez unterstützt hat, klagt schon lange über mangelnde Importdollars. Seine „Produktionsprobleme“ (nicht nur im Bierbereich) fallen seit Ende 2012 auffallend mit zugespitzten politischen Konfrontationsphasen zusammen. Das hat etwa die Zeitung Ciudad CCS beschrieben: „Laut Berichten des Unternehmens über seine Produktionsniveaus zwischen Januar 2012 und Januar 2016 lässt sich unerklärlicherweise darstellen, dass die Produktion jeweils [parallel zu Politereignissen] abrupt einbrach, etwa nachdem Hugo Chávez am 8. Dezember 2012 seine letzte Botschaft an die Nation richtete [eine faktische Todesankündigung]; Tage vor den Präsidentschaftswahlen vom 14. April 2012, während der guarimbas2014  [Strassenunruhen für Regierungssturz] und vor den Parlamentswahlen vom 6. Dezember 2015.“

Einbrüche bei der Nahrungsmittelproduktion von Polar bei Ankündigung Krebsleiden von Chávez, letzte Botschaft von Chávez, Präsidentschaftswahlen April 2013, Gemeindewahlen Dezember 2914, Strassenunruhen Februar 2014, Obama-Dekret: Venezuela ist Bedrohung, Parlamentswahlen Dezember 2015. Quelle: Ciudad CCS.