Notizen eines deutschen Anwalts in Guatemala (12)

Sonntag, 5. Juni 2016

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Guatemala Stadt, Ende Mai 2015
Ein guter Freund bemerkte kürzlich, dass die April--‐Notizen auf ihn pessimistisch wirkten; ich habe darüber nachgedacht, glaube aber, dass diese Wahrnehmung unseren verschiedenen Realitäten geschuldet ist. Aus europäischer Sicht, wo man an starke öffentliche Institutionen gewöhnt ist, versteht es sich nicht leicht, wie und warum sich hier Dinge bewegen. Leicht wirkt alles desaströs, und dabei sind wir aktuell vorsichtig optimistisch, obwohl wir das dünne Eis kennen, über das wir gehen. Es ist viel in Bewegung, nur nicht immer in die gleiche Richtung. Aber dass es aktuell einen nationalen Dialog gibt für eine Justizreform, macht im Gegensatz zur Lage in unseren Nachbarländern eher Hoffnung.
Einige Highlights aus dem Mai.
Fall „Aceros de Guatemala“: Im Februar war das Eisen- und Stahlmonopol aufgeflogen, weil es die Spitzen der Steuerbehörde SAT bestochen hatte, um Steuern von 255 Millio- nen Quetzales rückerstattet zu bekommen; 14 Personen sitzen in Haft und es ist das erste Grossunternehmen, dass beschuldigt wird. Die „neue“ SAT verlangte diese Zahlung zurück, plus Strafe und Zinsen insgesamt über 800 Millionen. Als am 5.5. dann die Intervenierung des Betriebes durch ein Gericht angeordnet wurde, überschlugen sich die Dinge. Erst gab es Gerüchte, dass Aceros die 800 Mio. mal so aus der Portokasse zahlen würde, und dann kam der Scheck am 9.5. wirklich; und mit ihm wurde das Haushaltsdefizit Guatemalas bis Mitte Mai ausgeglichen!!! Man stelle sich vor, wie dieses Land dastehen könnte, wenn solche Firmen entsprechend ihrer Gewinne Steuern zahlten; zudem empört die Lässigkeit der Zahlung in einem Moment, in dem Patienten sterben, weil es seit Monaten keine Medikamente mehr gibt in öffentlichen Krankenhäusern.
Fall TCQ: Im April schrieb ich von einem Grossbetrug im Hafen Quetzal, in den neben Pérez Molina, Baldetti und anderen auch zwei Richter des obersten Gerichts (CSJ) tief verwickelt sind. Beide versuchten sich zu retten, beide haben nun ihre Immunität verloren und stehen wohl kurz vor der Verhaftung. Vielleicht kommt es so endlich zur Säuberung der CSJ nach den skandalösen Richterernennungen in 2014.
Panama Papers: Fast nebenbei werden neue Fakten bekannt über die offshore Geschäfte unserer Eliten; mit dabei der Sohn des ex-Präsidenten Berger, ex--‐Präsident Portillo, ex-Aussenminister und Prasidentschaftskandidat Caballeros; der trug die Briefkastenfirma gleich auf den Namen seiner Shaddai Kirche ein, mit ihm und seiner Frau als Direktoren. Alles ganz legal und im Sinne des Herrn.
Der Widerstand der La Puya: Ich erwähne in den Notizen immer wieder die US – Goldmine „El Tambor“ in der Nähe der Hauptstadt, gegen die die Bevölkerung von San José del Golfo y San Pedro Ayampuc seit Jahren mit friedlichen Mitteln kämpft. Diese friedlichen, aber hartnäckigen Mittel haben zu 2 Strafverfahren und schwere Verletzungen bei Räumungsversuchen durch die Polizei geführt; aber die Bevölkerung ist immer noch da mit ihrem Camp am Mineneingang. Im Januar hatte der Bürgermeister von San Pedro die Schliessung der Mine verfügt wegen fehlender Baugenehmigung, drei Tage später war sie wieder offen. Mir und zwei Anwaltskollegen brachte diese Schliessung eine Anzeige durch die sog. ‚Stiftung gegen den Terrorismus’ ein, wegen krimineller Vereinigung und anderen 9 Delikten.
Und jetzt, nach drei Wochen Blockade des Energie-und Minenministeriums, hat auch dieses nachgegeben und die Schliessung verfügt; und dann ordnete auch noch das Verfassungsgericht am 6.5. die vorläufige Suspendierung des Ressourcen--‐Abbaus an, da die Genehmigung illegal erteilt worden war, ohne die Bevölkerung zu konsultieren. Der Staat schien endlich ernst zu machen, zumal am 9.5. dann auch noch vier Personen festgenommen wurden, die trotz des Abbauverbotes Gold und Silber abtransportierten. Von den 10 Pickup-Ladungen dieses Tages wurde nur eine beschlagnahmt...im Wert von 1,9 Millionen Dollar!! Pro Abbautag ca. 20 Millionen, das sind ca. 7 Milliarden im Jahr. Das ist Macht.
Am 10.5. war ich dann mit VertreterInnen von La Puya an einer Sitzung mit den Innen--‐, Minen und Energie- und Umweltministerien. Es war ein Trauerspiel. Die anwesenden Minister und hohen Beamten bestätigten, dass die Mine trotz richterlicher Suspendierung weiter illegal abbaut, dass sie aber nichts machen könnten. Natürlich lässt sich das mit Korruption erklären, aber wir nahmen auch den Eindruck mit, dass sie enorme Angst vor der wirtschaftlichen Macht der Mine haben. Sie schoben der Staatsanwaltschaft die Verantwortung zu, die Mine faktisch zu schliessen, wohl wissend – das aber verschweigend – dass diese am Tag vorher heimlich die Anklage geändert (aus illegalem Abbau wurde ein Umweltvergehen) und die Festgenommenen mit allem Gold und Silber freigelassen hatte. Sie mögen Geld bekommen haben, aber die Angst war spürbar.
Es deutet viel darauf hin, dass die CICIG noch genügend Munition gegen andere grosse Unternehmen hat; die Nervosität des CACIF spricht sehr dafür. Aber es ist auch klar, dass dieser Staat eine Kriegserklärung der Unternehmer nicht wird aushalten können. Und diese sind entschlossen ihre illegalen Privilegien nicht aufzugeben. Und stellen wir dann noch in Rechnung, dass die korrupten Politiker zusammen mit den verhafteten Militärs und dem Drogen-Klan der Mendozas im selben Militär(!!)gefängnis sitzen, während Lima, der Gerardi--‐Mörder, das Gefängnis Pavon kontrolliert und von dort aus mit Erpressungen Millionen macht und eine Wahlkampagne plant, kommen Ahnungen auf, zu welchen Terrorakten diese Banden fähig sind, wenn sie mit den bedrohten Unternehmen paktieren...
Und trotzdem sind wir eher optimistisch.
Miguel Mörth