Brasilien: Modernität, Jobs!

Dienstag, 31. Oktober 2017



(zas, 31.10.17) Für 1.40 Franken Lohn die Stunde können ArbeiterInnen in Brasilien am Aufschwung partizipieren. Dank der am 11. November in Kraft tretenden „Flexibilisierung“ des Arbeitsrechts. Das Unternehmen Sá Cavalcante, das Franchisen mehrerer im Food-Bereich operierender Firmen hat, offeriert diesen Lohn für fünf Stunden Arbeit an Samstagen und Sonntagen. Diese Art von nicht durchgehender Beschäftigung weist noch weitere Vorteile auf: nix Gewerkschaften, kaum Aufbau von Beziehungen mit wechselnden ArbeitskollegInnen. Die Fast-Food-Betriebe haben sich bei der Gesetzesrevision besonders stark für diese Beschäftigungsstruktur stark gemacht. Die Revision ist deshalb als „Vorschlag McDonald“ bekannt. Drei Tage vor Arbeitsbeginn muss das Unternehmen die ArbeiterInnen anfragen, ob sie Lust auf den Einsatz haben. Sagen sie zu und kommen aber nicht zur Maloche, müssen sie dem Unternehmen 50 % des „ausgehandelten“ Lohns zahlen. 
Stellenangebot. Quelle: Brasil de Fato.

Fast-Food. Quelle: Brasil de Fato.

»Die USA haben uns nicht geholfen«

https://www.jungewelt.de/artikel/320718.die-usa-haben-uns-nicht-geholfen.html
Aus: Ausgabe vom 28.10.2017, Seite 2 / Ausland

Hurrikan »Maria« verheerte Puerto Rico, die Situation ist weiter dramatisch. Viele Bewohner haben nicht mal Zugang zu sauberem Wasser. Gespräch mit Oscar López Rivera

Interview: Roland Zschächner
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Der Unabhängigkeitskämpfer Oscar Lópe Rivera bei der »Puerto Rican Day Parade« in New York (11. Juni)
Oscar López Rivera setzt sich seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit Puerto Ricos von den USA ein. Er war 35 Jahre eine politischer Gefangener in den USA
In Puerto Rico hat der Hurrikan »Maria« Ende September schwere Zerstörungen angerichtet. Seitdem ist gut ein Monat vergangen. Wie ist derzeit die Situation im Land? Die Verhältnisse sind schrecklich. Das Leben vieler Puertoricaner ist in Gefahr, denn das Wasser ist verschmutzt. In ihm treiben tote Ratten und andere Tierkadaver, dazu noch Fäkalien. Viele Menschen haben noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser; es könnte sogar eine Epidemie ausbrechen. Auch nachdem der Hurrikan vorbeigezogen war, hörte es lange nicht auf zu regnen. In der Folge ist in vielen Orten die Stromversorgung noch immer nicht wiederhergestellt, die Kommunikation zwischen den Landesteilen ist gestört oder zumindest erschwert.
Hat Puerto Rico humanitäre Hilfe erhalten?
Nicht von den USA, auch wenn offiziell anderes verlautbart wird. Die US-Katastrophenschutzbehörde ist in Puerto Rico eingetroffen. Doch ihre einzige Maßnahme war es, alle Hilfsgüter zu beschlagnahmen, die unser Land erreichen. Die Behörde erklärte, dass das notwendig sei. Die Güter müssten gesammelt und dann gezielt verteilt werden. Doch darüber reden sie nur, bei der Bevölkerung kommt nichts an.
Ich habe selbst gesehen, wie Doktoren Hilfsgruppen organisierten und wie die Bevölkerung versuchte, Schutt wegzuräumen. Es sind die Opfer der Katastrophe, die nun alles wieder aufbauen. Doch ihnen fehlt das dafür nötige Material, ihnen fehlt es an Nahrung und sauberem Wasser.
Welche Rolle spielt es dabei, dass Puerto Rico noch immer eine Kolonie der USA ist?
Konferenz Rosa-Luxemburg-Stiftung
Eine große. Der Kolonialismus hat es uns unmöglich gemacht, Puerto Rico eigenständig zu entwickeln. Am deutlichsten zeigt sich das an der schwachen Wirtschaft unseres Landes. Wir durften nie einen eigenen Binnenmarkt herausbilden. Dafür kommen US-Firmen in unser Land, bemächtigen sich der Arbeitskraft unserer Bevölkerung und entziehen dem Land das Geld, das dann zurück in die USA fließt. Wir sehen das jeden Tag.
Ein Beispiel: Will ein ausländischer Investor ein Projekt in Puerto Rico aufziehen, so wird er dazu noch mit Fördermitteln ermutigt. Möchte sich hingegen ein Puertoricaner ein Haus kaufen, so muss er hohe Steuern zahlen. Und so ist es bei allen anderen Dingen des täglichen Gebrauchs.
Sie erwähnten bereits, dass die Wirtschaft Ihres Landes unter der Situation leidet. Welche weiteren Auswirkungen hat der Kolonialstatus Puerto Ricos?
Die Bevölkerungszahl schwindet seit Jahren. Mittlerweile leben fünf Millionen Puertoricaner außerhalb des Landes, gegenüber nur 3,4 Millionen, die dort wohnen. Tausende sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die wirtschaftliche Situation lässt ihnen keine andere Wahl. Gerade für junge Menschen gibt es einfach keine Stellen. Die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt, ist das Auswandern. Auch daran sieht man: Der Kolonialismus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – wir sind dessen Opfer.
Wie kann sich Puerto Rico dagegen zur Wehr setzen?
Wir rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen unseres Falls anzunehmen – und den Kolonialismus endlich zu beenden. Wir wollen in Würde leben und nicht länger von einer fremden Macht beherrscht werden. Die UNO muss eingreifen und die USA dazu zwingen, uns als eigenständige Nation anzuerkennen. Wir können Puerto Rico allein entwickeln, dafür brauchen wir nicht die USA und erst recht nicht eine US-Regierung, die uns ihren Willen aufzwingt.
Hat die Präsidentschaft Donald Trumps die Situation beeinflusst?
Die Lage ist noch schlimmer geworden. Trump repräsentiert die schlimmsten Eigenschaften einer US-Regierung. Er ist ein Rassist, eine Person, die keinen Respekt gegenüber anderen Menschen zeigt. Nur sich selbst schätzt er – und das Kapital. Diese Regierung stellt eine Gefahr für die ganze Welt dar, keine Nation sollte dem tatenlos zusehen.
Können Sie etwas genauer werden?
Trump quetscht Puerto Rico weiter aus. Aktuell schlägt er vor, unserem Land einen Kredit über vier Milliarden US-Dollar zu gewähren. Aber wir sind bereits mit mehr als 70 Milliarden Dollar verschuldet. Dieses Darlehen würde keine Hilfe für uns bedeuten. Es würde nur die drückende Last, die auf Puerto Rico liegt, noch schwerer machen.

Venezuela, Mercosur, EU: Demokratie und so

Donnerstag, 26. Oktober 2017



(zas, 26.10.17) Warum hatten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay diesen Sommer die Mitgliedschaft Venezuelas im Mercosur „suspendiert“? Weil Venezuela gemeinsame Noprmen nicht eingehalten hat, weil es demokratisches missachtete? Das glaubte, wer es glauben wollte. Der brasilianische de-facto-Aussenminister Aloysio Nunes wusste es an einer Veranstaltung vor dem Verband von Handelskapitalisten von São Paulo (FecomercioSP)besser, wie Agencia Brasil am vorgestern berichtete: „Mehr als zwei Monate nach der Suspendierung, konstatiert  der Minister eine Minderung der „Hemmnisse in den Verhandlungen des Mercosur, die den vier Gründungsmitgliedern des Blocks mehr Handlungsfreiheit gebracht hat“. Und die argentinische Regierungsagentur Telam ergänzte gleichentags mit einem weiteren Zitat des Ministers: „ Venezuela war ein Hindernis für den Mercosur.“
Hinderniss für was denn? Agencia Brasil rezipiert  im Artikel die Zuversicht des Direktors des Departements für Handelsverhandlungen, Botschafter Ronaldo Costa Filho, dass das Zustandekommen des Freihandelsvertrags EU/Mercosur kommenden Dezember verkündet werde. Costa Filho: „Die Europäische Union hat ein grosses Interesse an der Firmierung des Vertrags. Die Verpflichtung ist irreversibel.“
Jetzt, wo Hemmschuh Venezuela aussen vor ist.
Der uruguayische Präsident verteidigte sein Mitmachen beim Rauswurf so:  «Was passiert mit Uruguay, wenn es sich im Mercosur weiter intransigent zeigte? Und wenn sie Uruguay vom Mercosur isolieren? [Sie] können von einem Handelsstandpunkt aus verschiedene Massnahmen ergreifen, die Uruguay schädigen. Und wie viele Arbeitsplätze können so verloren gehen? (...) Ah, ich muss das sehr gut bedenken. Mit dem Herzen in der Utopie, aber mit den Füssen auf dem Boden.» (Búsqueda, 10 de agosto de 2017: El gobierno temió represalias del Mercosur ...)
Schön, hat heute das Europaparlament den Sacharow-Preis dem venezolanischen reaktionären Parteienbündnis MUD verliehen, für seinen Einsatz für Demokratie und so.

Regierung militarisiert den Süden Kolumbiens nach Massaker im Kokagebiet


https://amerika21.de/2017/10/188095/santos-militarisiert-tumaco


Bauernorganisationen wollen Programme zur Ersetzung des Kokaanbaus statt Militärpräsenz. Gewaltsame Koka-Vernichtung entspricht Anweisungen aus Washington
Die Sicherheitskräfte in Kolumbien benähmen sich in der Regel wie eine repressive "Besetzungsmacht", sagen Regierungskritiker
Die Sicherheitskräfte in Kolumbien benähmen sich in der Regel wie eine repressive "Besetzungsmacht", sagen Regierungskritiker
Quelle: Telesur
Bogotá. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos hat die Entsendung von 6.500 Militärs und Polizisten in den südwestlichen Landkreis Tumaco angekündigt. Dort hatten mutmaßlich Antidrogen-Polizisten am 5. Oktober mindestens sieben Kleinbauern bei einem Protest gegen die Vernichtung von Kokafeldern erschossen. Diese Entsendung gehöre zu einem Bündel von Maßnahmen gegen die Armut, die Gewalt und den Drogenhandel in Tumaco, so Santos. Oppositionelle wie der Abgeordneten Alirio Uribe bezeichnen dies jedoch als eine "vollkommen verfehlte Politik", die zu mehr Massakern führen werde, denn die Sicherheitskräfte benähmen sich in der Regel wie eine "repressive Besetzungsmacht".
Auch Basisorganisationen haben die Militarisierung von Tumaco kritisiert. Problematisch sei außerdem, dass die Regierung die sozialen und Wirtschaftsprogramme des Friedensabkommens zur Ersetzung von Kokaanbau nicht umsetze, so die Sprecherin der Kokabauernorganisation Coccam, Luz Córdoba. Dies ist eine der Forderungen des am Montag gestarteten Streiks der Kleinbauern, Indigenen und Afrokolumbianer. Laut David Flórez, Sprecher der linken Basisorganisation "Marcha Patriótica" und Mitorganisator des Streiks, würden die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen nicht zulassen, dass man ihnen das einzige Produkt, das die Existenz ihrer Familien ermöglichte, ohne konkrete Alternativen wegnehme.
Die Regierung hält allerdings an der gewaltsamen Vernichtung von Kokafeldern fest. Dies könnte Folge von Anweisungen aus Washington sein. Im März, als das US-Außenministerium feststellte, dass der Kokaanbau in Kolumbien mit 188.000 Hektar wie noch nie gewachsen war, begann Washington die Zurückdrängung der Kokaplantagen zu verlangen. Der Verantwortliche für Drogenpolitik im US-Außenministerium, William Brownfield, drohte im August mit "bilateralen Problemen" zwischen den USA und Kolumbien, sollte der Rückgang des Kokaanbaus nicht klappen.
Der hohe US-Beamte empfahl außerdem, die freiwillige Ersetzung des Kokaanbaus durch alternative Produkte einzuschränken und mehr auf die forcierte Vernichtung von Kokafeldern zu setzen. Laut Brownfield unterstütze die USA die Ersetzungsprogramme der kolumbianischen Regierung derzeit nicht, weil die neue Farc-Partei "Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes" dabei einbezogen sei und mehrere US-Gesetze die Ex-Guerilla noch als Terrororganisation einstuften.
Seit März hat die Regierung die erzwungene Vernichtung der Kokapflanzungen sogar in Gebieten intensiviert, wo sie mit den Kleinbauern Vereinbarungen für die einvernehmliche Ersetzung durch legale Produkte unterzeichnet hatte. Diese Situation hat zu Empörung bei Kokabauern in circa zehn Departamentos geführt. Die Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften enden in der Regel mit schwerverletzten Bauern. Auch mehrere Anführer ihrer Bewegung sind landesweit in den letzten Wochen von Unbekannten ermordet worden. Allein in Nariño sind nach dem Massaker in Tumaco weitere neun Indigene, Aktivisten und Ex-Farc-Kämpfer in den letzten drei Wochen ermordet worden.
Bislang hat weder die Antidrogen-Polizei noch die Regierung für das Massaker in Tumaco eindeutig die Verantwortung übernommen. Laut Präsident Santos sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen und daher könne man nicht mit Sicherheit sagen, wer die Täter seien. Friedensorganisationen weisen allerdings darauf hin, dass es zahlreiche Videos, Fotos und Zeugenaussagen mit Beweisen zur Verantwortlichkeit der Sicherheitskräfte gebe. Auch der Ombudsmann hat die Antidrogen-Polizei für das Massaker verantwortlich gemacht.

Puerto Rico: „Die Welt wird nicht erfahren, was hier passiert“

Mittwoch, 25. Oktober 2017

(zas, 25.10.17) Kurznachricht auf Democracy Now vom 20. Oktober: „Einen Monat nachdem der Hurrikan Maria als ein Kategorie-4-Sturm Puerto Rico heimsuchte, haben ungefähr 3 [von 3.4] Millionen BewohnerInnen noch immer keinen Strom und mehr als ein Million immer noch kein sauberes Trinkwasser. Die offizielle Todeszahl lautet jetzt 48. Mindestens 113 Menschen werden noch vermisst. Auf der ganzen Insel sagen BewohnerInnen, dass sie Augenentzündungen und Magen-Darm-Krankheiten wegen kontaminiertem Wasser haben. Am Donnerstag sagte Präsident Trump, seine Administration verdiene die Bestnote 10 für ihre Reaktion auf die aktuelle humanitäre Krise in Puerto Rico.“
Einen Tag vor diesem Eigenlob brachte Democracy Now ein Interview mit der Community- und Hip-Hop-Aktivistin Rosa Clemente, die in Puerto Rico gerade mit anderen Medienarbeitenden ein unabhängiges Rechercheprojekt gestartet hatte. In der Einleitung zu Ausschnitten aus einer Videodok von Clemente sagte die Interviewerin Amy Goodman: Einen Monat nach Maria  „haben verzweifelte AnwohnerInnen begonnen, Wasser aus der Dorado Groundwater Contamination Site, einer Sondermülldeponie, zu pumpen. [Die US-Umweltbehörde] EPA warnt, dass das Wasser Chemikalien enthalte, die die Leber schädigen und das Krebsrisiko erhöhen.“ Als sie in der Sondermülldeponie filmten, sagte Clemente, „ kam ein Veteran zu uns und sagte: ‘Schaut, zieht eure Strümpfe hoch. Das sind Chemikalien.‘ Er sagte, er sei in Afghanistan und Irak gewesen und habe nie derart viel Inkompetenz von der Spitze bis runter zu den Gemeinden gesehen.“
Auf der Wassersuche. Quelle: Vox

Clemente weiter: „Schau, die Menschen in Puerto Rico sterben. Sie wollen ein Puerto Rico ohne Puerto-RicanerInnen. Von kontaminiertem Wasser zu Müttern, die keine Milch geben können, zu Babys, die zerstampfte Bananen essen müssen, weil keine Babynahrung erhältlich ist, zu Menschen, die von 3 h früh bis ein Uhr nachmittags für zwei Pack Eis Schlange stehen – das sind massive Menschenrechtsverletzungen. Dies ist ein Kolonialproblem. Und nach dem, was wir gesehen haben, ist die Regierung von Puerto Rico kollabiert. Und wir konnten mit einem Hyundai und einem Kia an Orte fahren, von denen die Armee sagt, sie könne sie nicht erreichen, nach Aguadilla, Moca, Utuado. Die Leute haben nicht ein Zehntel davon gesehen, was in all diesen Orten passiert.“
Die Compañera filmte in Puerto Rico auch Freiwillige der American Nurses United (KrankenpflegerInnen), von der eine sagte: „Wie sage ich einer Mutter, dass sie ihrer Zweijährigen, die Dauerdurchfall hat, kein Wasser geben soll, weil das die Kleine krank macht? Ich habe nichts, was ich anbieten könnte. Niemand kommt dorthin. Sie lebt auf dem Berg.“ 
Zu den Krankenschwestern meint Clemente: „Sie fürchteten einen Choleraausbruch, Leptospirose von all den Ratten, toten Tieren, im Wasser. Und sie teilten uns mit, dass die USS Confort [Spitalschiff der Navy], die dort  liegt, 3000 PatientInnen aufnehmen kann und zurzeit deren 16 hat. Eine persönliche Erfahrung: Meine Tante war im Spital in Bayamón. Sie liessen mich für zehn Minuten mit einem Schutzanzug zu ihr. Und die Schwester sagte: ‚Sogar wenn du eine möglicherweise tödliche Infektion hast, können wir nicht operieren, weil wir kein Wasser haben.‘ Die Leute müssen evakuiert werden, und die Condor liegt da einfach vor Anker mit weniger als 20 Leuten von 3000.“ (Nach dem Wirbelsturm Katrina 2005 ankerte das 600-Betten-Spitalschiff Bastian der Navy vor der Küste von New Orleans, untätig. Es wurde schliesslich abgezogen.)  
Blanca Matos pflegt ihre Mutter, die zum Essen eines strombetriebenen Schlauchs bedarf. Es hat keinen Strom. Quelle: Vox.
In der gleichen Sendung wurde ein Aufruf der Bürgermeisterin von San Juan, Carmen Yulín Cruz, an die puerto-ricanische Diaspora in den USA eingespielt: „Wenn man über 50 ist, darf man ein wenig emotional werden. Deshalb werde ich das so sagen, wie ich es sagen kann. An all die jungen Leute da draussen, an die Diaspora: Coño, no nos dejen solos. Usen su voz para que sean el eco de nuestras voces (Verdammt, lasst uns nicht allein. Erhebt eure Stimme, damit sie das Echo unserer Stimmen sei). Ohne euch sind wir geliefert. Die Welt wird nicht erfahren, was hier passiert, wegen der Verrenkungen eines Mannes, der nichts anderes kann, als seinen Hass herum zu tweeten. Aber wir dürfen das nicht zulassen. Also liegt es an uns, aber auch an euch, denn schliesslich sind wir eine Nation. Eine Nation.“ Rosa Clemente sagte zur Bürgermeisterin: „Carmen Yulín Cruz ist die De-facto-Leaderin von Puerto Rico geworden. Sie ist die Stimme der BürgermeisterInnen, die bis heute keine Walkie-Talkies erhalten haben.“ (S. auch „Etwas sehen, das einem Völkermord gleichkommt“.)
Ende September war in der Los Angeles Times zu lesen: „Ungefähr hundert Leute starben nach Angaben des lokalen Bestattungsdirektors in den drei Tagen nach dem Sturm in der Lajas-Region, doppelt so viel wie normal: ‚Wir wissen nicht, ob sie nicht genügend Medikamente oder Sauerstoff hatten – alle waren ohne Strom.‘“ (Das IT-Medienunternehmen Vox berichtete am 11. Oktober aufgrund einer Recherche via Google News  von möglichen 450 Sturmtoten, während die Regierung damals von 45 Toten ausging.)
Am 11. Oktober berichtete der Guardian dieses: „Offizielle der Federal Emergency Management Agency (FEMA) sagen, dass die Regierung und ihre Partner nur 200'000 Mahlzeiten pro Tag verteilen, um die Bedürfnisse von mehr als 2 Millionen Menschen abzudecken. Es fehlen pro Tag zwischen 1.8 Mio. und 5.8 Mio. Mahlzeiten. ‘Uns fehlen 1.8 Mio. Mahlzeiten’, sagte ein hoher FEMA-Offizieller.”
Am 24. September 2017 berichtete die New York Times: „Binnen Stunden löschte Wirbelsturm Maria 80 % der Ernteerträge aus.“
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Yarimar Bonilla ist Karibikspezialistin an der Rutgers University (New Jersey). In einem Beitrag in der Washington Post vom 22. September 2017 erinnert sie sich an ein Interview mit einer Fondsmanagerin in Puerto Rico vom letzten Sommer, die „das wirtschaftliche Klima extrem optimistisch“ einschätzte. Sie hatte, einen Zahlungsausfall der Insel vorwegnehmend, die Kundengelder in lukrative US-Aktien geleitet. Denn seit der Wahl von Trump seien die Kurse am Steigen. Die Finanzmanagerin machte in diesem Kontext noch folgende Aussage: „Das Einzige, was wir jetzt brauchen, ist ein Wirbelsturm.“ Bonilla erklärt: „Sie bezog sich darauf, dass solche Naturkatstrophen Bundesgelder mitbringen und sich oft als Segen für die Bauindustrie erweisen.“ Sie habe ihr, Bonilla, geraten, Aktien von Home Depot (grösstes US-Baumarktunternehmen) zu kaufen.

Die Stromversorgung liegt nach Maria wörtlich am Boden. Kein Wunder, das staatliche Elektrizitätswerk PREPA hatte zwar jahrelang Schulden gemacht, aber das Geld nicht in die Infrastruktur investiert. Die PREPA wurde auch bewusst heruntergewirtschaftet, um die „Notwendigkeit“ ihrer Privatisierung zu unterstreichen. Wie segensreich eine solche wäre, zeigt folgende Begebenheit, wie sie Berta Joubert-Ceci in Mundo Obrero, einem Blatt einer Linksgruppe in den USA, erwähnt: „Nach dem Sturm herrschte der Schaden wegen umgestürzter Leitungsmasten und niedergerissenen Kabeln vor. Aber das ist nicht alles. Der Mangel an Material im Inventar entblösste den gescheiterten Plan des US-Unternehmens AlixPartners, eines Plans, für den PREPA $ 45 Mio. zahlte. Er sah vor, das Elektrizitätswerk zu „restrukturieren“, so dass sie ihren Anteil von $ 9 Mrd. an den Staatschulden zahlen könne. Das bedeutete, ein Minimum an Inventar – von Brennstoff bis zu den Masten – um die Ausgaben zu drücken (…) Jetzt, nach dem Sturm, hat Gouverneur Ricardo Rosselló unter der Leitung des Army Corps of Engineers (ACE), das Puerto Rico zwecks Wiederherstellung des Energiesektors aufgezwungen wurde, eine Reihe US-Unternehmen unter Vertrag genommen, um PREPA gegen den Widerstand der Stromarbeitergewerkschaft UTIER zu privatisieren.“
AlixPartners: ursprünglich auf Unternehmenssanierungen spezialisierte Consulting-Bude im Besitz der Private-Equity-Firma CVC Capital Partners. ACE: Ingenieurabteilung der US-Armee, berüchtigt u. a. wegen ihrer Komplizenschaft bei milliardenschweren korrupten Aufträgen für führende US-Unternehmen wie Halliburton beim  „Wiederaufbau“ des Iraks nach seiner Besetzung. ACE hatte die mörderischen Dämme in New Orleans gebaut, die nach Katrina 2005 brachen. Für ihren „Wiederaufbau“ bedachte ACE, genauso wie FEMA,  die gleichen Multis – Bechtel, Halliburton, Fluor etc. – mit Grossaufträgen, die schon in Afghanistan und Irak abgesahnt hatten (Quelle: Vorwärts, 16.9.05).
Laut Berta Joubert-Ceci, die sich auf die Aussagen des ehemaligen UTIER-Präsidenten Ricardo Santos stützt, weigert sich die Regierung, die wichtige Palo Seco-Stromanlage in der Nähe der Hauptstadt San Juan wieder hochzufahren, um so die Bevölkerung für die Privatisierungspläne zu gewinnen. Santos zufolge ist die Anlage aber betriebsbereit. Doch Gouverneur Rosselló habe einen Vertrag mit Western Solutions angekündigt, wonach das Unternehmen einen Dieselgenerator installieren und für sechs Monate für $ 35 Mio. vermieten werde, um die Palo-Seco-Region mit 50 Megawatt zu versorgen. Palo Seco könne dagegen dreimal so viel Strom für wesentlich weniger Geld liefern. Laut Bloomberg vom 19. Oktober installiert das Unternehmen APR zwei Mietgeneratoren in „einer San-Juan-Anlage“. ACE gab am 16. Oktober bekannt, einen $ 240-Milliionen-Auftrag für die Reparatur des Stromnetzes an die von Irak und New Orleans her berüchtigte texanische Fluor Corporation vergeben zu haben.
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Das Pentagon-Medium DoD News am 16. Oktober 2017: „‚Als ich vor zwei Wochen hierher kam, hatten wir 25 Helikopter und 4‘500 Truppen‘, sagte der General [Jeffrey S. Buchanan] in einem Telefoninterview von der Insel. ‚Jetzt haben wir 68 Helikopter und 14‘300 Truppen.‘“
Das puerto-ricanische Recherchierteam des Centro de Periodismo Investigativo (CPI) veröffentlichte am 10. Oktober 2017 einen Artikel von Joel Cintrón Arbaseti über private Sicherheitsunternehmen, die jetzt auf der Insel aktiv wurden. Da wäre Ranger America, die mit FEMA zusammenarbeitet und etwa für Detailhändler, Supermärkte und die Regierung arbeitet. Academi, so der neue Name für Blackwater, die mit dem Pentagon- und US-Geheimdiensten verflochtene Söldnerorganisation, die in Irak massakrierte und in Katrina-New-Orleans gegen die Armutsbevölkerung operierte, „ist bereit [nach Puerto Rico] zu gehen“, wie Paul Donahue von der Academi-Besitzerin Constellis dem CPI bestätigte. Man warte nur noch auf das Regierungs-Okay für den Geschäftsvorschlag von Academi. Diese ist schon auf den Karibikinseln Dominica und Saint Martin aktiv. Eine weitere US-Sicherheitsfirma, die Whitestone Group, sucht für den Inseleinsatz „pensionierte Offizielle mit Waffenbewilligung für sofortige Reaktionen in Puerto Rico“ für einen Wochenlohn von $2400 plus Unterkunft und Ernährung. Auch Whitestone war schon in New Orleans aktiv gewesen. Der Journalist beschreibt das martialische Auftreten schwerbewaffneter und vermummter Mitglieder solcher Sicherheitsunternehmen rund um die Shopping Mall Ciudadela in San Juan.[1]
Oberst James DeLapp vom Army Corps of Engineers ist mit der Reparatur des Stomnetzes befasst und erinnert sich: “Wir hatten eine sehr ähnliche Situation nach der Eröffnung des Irakkrieges. Das erinnert sehr an jene Sorte von Effort“ zur Behebung der Schäden.

Private Sicherheit: in der Ciudadela, auf der Strasse, maskiert. Quelle: CPI.

Im oben erwähnten Interview erzählte Rosa Clemente auch von ihrem Besuch in der Stadt Utuado: Dort „gingen wir zum FEMA-Center [Notstandsbehörde der USA]. Sie waren nicht darauf aus zu sagen, wo es lag. Es gibt keinen Wegweiser dorthin. Ein National Guard wies uns off the record den Weg: ‘Da lang, dann da.‘ Wir gelangten dorthin. Es gab etwa 40‘000 Essensportionen, die nicht an die Leute verteilt worden sind. Aber es gab eine völlige militärische Besetzung der Stadt. Wir fragten die Leute: ‚Warum? Was meint ihr?‘ Sie sagten: ‚Es gibt Kupfer. Es gibt möglicherweise Uran in den Minen. Deswegen wollen sie diese Stadt nehmen, wisst ihr, diesen Teil der Insel.‘“  
Die oben erwähnte Berta Joubert-Ceci berichtete in einem weiteren Artikel von den Hilfesendungen aus der Diaspora nach Puerto Rico: „Aber einmal dort angekommen, macht sich FEMA verantwortlich für die Sendungen und erschwert ihre Verteilung. Tausende von Containern bleiben in den Häfen liegen.“ FEMA macht die Strassenverhältnisse und arbeitsfaule puerto-ricanische Camioneure für den Missstand verantwortlich. Doch die Fahrer beklagen sich, dass sie keine Arbeitsaufträge erhalten, obwohl sie, um kostbares Benzin zu sparen, tage- und nächtelang vor den Häfen ausgeharrt haben.




[1] DAS CPI hat auf seiner Homepage wichtige Artikel (spanisch und englisch) über die Eigentümer der puerto-ricanischen Schuldenpapiere veröffentlicht. Vorallem riesige Hedgefonds und die Banken Santander und UBS. UBS verlangt von Puerto Rico eine Zahlung von $ 1.2 Mrd. im Zusammenhang mit Gemeindeanleihen, die sie, als sie ihren Schrottcharakter erkannte, aus dem eigenen Portfolio abstiess – primär an RentnerInnen, die ihr bisschen Erspartes dabei verloren, weil sie sich von der UBS zum Kauf dieser „bombensicheren“ Papiere hatten überreden lassen. Die UBS ist für diese von ihre „sichere Landung“ genannte Operation schon mit $ 1.1 Mrd. gebüsst worden und gewärtigt eine weitere Bussmilliarde. Mehr dazu in einem späteren Beitrag. 

Brasilien: Für die Sklaverei

Donnerstag, 19. Oktober 2017



(zas, 19.10.17) Brasilien „ist nicht mehr weltweite Referenz für den Kampf gegen die Sklaverei und wird zum negativen Beispiel“. Sagt die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Grund: Putschpräsident Michel Bremer hat gerade eine „Prekarisierung“ der gesetzlichen Bestimmungen gegen die Sklavenarbeit beschlossen. Als Gegenleistung dafür, dass ihn die mächtige ruralistische Parlamentsfraktion, also die Vertretung des Grossgrundbesitzes, gegen eine neue Korruptionsklage verteidigen soll. Nur wenn der Patron „seine“ ArbeiterInnen mit Gewalt oder bewaffnet am Abhauen hindert, kann er oder sie fortan bestraft werden. Nicht mehr, wie bisher, wegen irgendwelchen Methoden, um jemanden daran zu hindern, aus  „erschöpfenden Arbeitszyklen unter erniedrigenden Bedingungen“ abzuhauen. Bisher verfasste ein technisches Team im Arbeitsministerium eine öffentliche Liste von VersklaverInnen. Neu entscheidet einzig der Arbeitsminister über eine Veröffentlichung. Bisher musste, wer auf der Liste stand, den Versklavten eine Entschädigung plus Lohn ausrichten. Neu ist das gestrichen. Erst müssten die Versklavten einen Prozess anstrengen – ein Ding der faktischen Unmöglichkeit.
Temer ist konsequent. Seit dem Sturz der Regierung von Dilma Rousseff bekämpfte er die Arbeit gegen die Sklaverei, mittels Budgetkürzung für die zuständige Behörde im Arbeitsministerium. Seit letztem August hat sie kein Geld mehr.
Der Grossgrundbesitz sah sich in letzter Zeit auch sonst begünstigt. Mit dem Erlass von Steuerschulden oder Schulden beim staatlichen „Fonds des Landarbeiters“ (Funrural). Im Budget 2018 hat die Regierung die Ausgaben für Agrarreform gegenüber dem laufenden Jahr um 83 % gestrichen. Grossangelegte Protestaktionen dagegen wie Besetzungen und Blockaden von einer Allianz um das MST (Bewegung der Landlosen) haben dieser Tage die Regierung etwas in die Defensive getrieben.
Wir verstehen, was Einige beim Putsch gegen Dilma gesagt haben. Die meisten Medien haben den eigentlich sowieso nicht mitbekommen. Ein paar schon. Ein notwendiges Übel, sagten sie, im Dienst unabdingbarer „Wirtschaftsreformen“.
A propos: Lúcio Funaro war ein Geldbeschaffer der  Partei des Putschpräsidenten, des PMDB. Heute ist er Kronzeuge. Eines seiner Aussagengebiete betrifft die „Absetzung“ Dilmas. Er habe dem damaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha umgerechnet rund 350‘000 Dollars für den Kauf von Stimmen von Abgeordneten für den Sturz Dilmas besorgt. 

Quellen:

Temer e Cunha tramavam "diariamente" queda de Dilma, diz Funaro em delação