(zas,
25.10.17) Kurznachricht
auf Democracy Now vom 20. Oktober: „Einen
Monat nachdem der Hurrikan Maria als ein Kategorie-4-Sturm Puerto Rico
heimsuchte, haben ungefähr 3 [von 3.4] Millionen BewohnerInnen noch immer
keinen Strom und mehr als ein Million immer noch kein sauberes Trinkwasser. Die
offizielle Todeszahl lautet jetzt 48. Mindestens 113 Menschen werden noch
vermisst. Auf der ganzen Insel sagen BewohnerInnen, dass sie Augenentzündungen
und Magen-Darm-Krankheiten wegen kontaminiertem Wasser haben. Am Donnerstag
sagte Präsident Trump, seine Administration verdiene die Bestnote 10 für ihre
Reaktion auf die aktuelle humanitäre Krise in Puerto Rico.“
Einen Tag
vor diesem Eigenlob brachte Democracy Now ein Interview
mit der Community- und Hip-Hop-Aktivistin Rosa Clemente, die in Puerto Rico
gerade mit anderen Medienarbeitenden ein unabhängiges Rechercheprojekt
gestartet hatte. In der Einleitung zu Ausschnitten aus einer Videodok von
Clemente sagte die Interviewerin Amy Goodman: Einen Monat nach Maria „haben
verzweifelte AnwohnerInnen begonnen, Wasser aus der Dorado Groundwater
Contamination Site, einer Sondermülldeponie, zu pumpen. [Die US-Umweltbehörde]
EPA warnt, dass das Wasser Chemikalien enthalte, die die Leber schädigen und
das Krebsrisiko erhöhen.“ Als sie in der Sondermülldeponie filmten, sagte Clemente,
„ kam ein Veteran zu uns und sagte:
‘Schaut, zieht eure Strümpfe hoch. Das sind Chemikalien.‘ Er sagte, er sei in
Afghanistan und Irak gewesen und habe nie derart viel Inkompetenz von der
Spitze bis runter zu den Gemeinden gesehen.“
Auf der Wassersuche. Quelle: Vox |
Clemente weiter:
„Schau, die Menschen in Puerto Rico
sterben. Sie wollen ein Puerto Rico ohne Puerto-RicanerInnen. Von
kontaminiertem Wasser zu Müttern, die keine Milch geben können, zu Babys, die
zerstampfte Bananen essen müssen, weil keine Babynahrung erhältlich ist, zu
Menschen, die von 3 h früh bis ein Uhr nachmittags für zwei Pack Eis Schlange
stehen – das sind massive Menschenrechtsverletzungen. Dies ist ein Kolonialproblem.
Und nach dem, was wir gesehen haben, ist die Regierung von Puerto Rico kollabiert.
Und wir konnten mit einem Hyundai und einem Kia an Orte fahren, von denen die
Armee sagt, sie könne sie nicht erreichen, nach Aguadilla, Moca, Utuado. Die
Leute haben nicht ein Zehntel davon gesehen, was in all diesen Orten passiert.“
Die
Compañera filmte in Puerto Rico auch Freiwillige der American Nurses United (KrankenpflegerInnen), von der eine sagte: „Wie sage ich einer Mutter, dass sie ihrer Zweijährigen,
die Dauerdurchfall hat, kein Wasser geben soll, weil das die Kleine krank macht?
Ich habe nichts, was ich anbieten könnte. Niemand kommt dorthin. Sie lebt auf
dem Berg.“
Zu den Krankenschwestern meint Clemente: „Sie fürchteten einen Choleraausbruch, Leptospirose von all den Ratten,
toten Tieren, im Wasser. Und sie teilten uns mit, dass die USS Confort
[Spitalschiff der Navy], die dort liegt,
3000 PatientInnen aufnehmen kann und zurzeit deren 16 hat. Eine persönliche
Erfahrung: Meine Tante war im Spital in Bayamón. Sie liessen mich für zehn
Minuten mit einem Schutzanzug zu ihr. Und die Schwester sagte: ‚Sogar wenn du
eine möglicherweise tödliche Infektion hast, können wir nicht operieren, weil
wir kein Wasser haben.‘ Die Leute müssen evakuiert werden, und die Condor liegt
da einfach vor Anker mit weniger als 20 Leuten von 3000.“ (Nach dem Wirbelsturm
Katrina 2005 ankerte
das 600-Betten-Spitalschiff Bastian der Navy vor der Küste von New Orleans,
untätig. Es wurde schliesslich abgezogen.)
Blanca Matos pflegt ihre Mutter, die zum Essen eines strombetriebenen Schlauchs bedarf. Es hat keinen Strom. Quelle: Vox. |
In der
gleichen Sendung wurde ein Aufruf der Bürgermeisterin von San Juan, Carmen
Yulín Cruz, an die puerto-ricanische Diaspora in den USA eingespielt: „Wenn man über 50 ist, darf man ein wenig
emotional werden. Deshalb werde ich das so sagen, wie ich es sagen kann. An all
die jungen Leute da draussen, an die Diaspora: Coño, no nos dejen solos. Usen su voz para que sean el eco de nuestras voces (Verdammt, lasst uns
nicht allein. Erhebt eure Stimme, damit sie das Echo
unserer Stimmen sei). Ohne euch sind wir geliefert. Die Welt wird nicht
erfahren, was hier passiert, wegen der Verrenkungen eines Mannes, der nichts
anderes kann, als seinen Hass herum zu tweeten. Aber wir dürfen das nicht
zulassen. Also liegt es an uns, aber auch an euch, denn schliesslich sind wir
eine Nation. Eine Nation.“ Rosa Clemente sagte zur Bürgermeisterin: „Carmen Yulín Cruz ist die De-facto-Leaderin von Puerto Rico geworden.
Sie ist die Stimme der BürgermeisterInnen, die bis heute keine Walkie-Talkies
erhalten haben.“ (S. auch „Etwas
sehen, das einem Völkermord gleichkommt“.)
Ende
September war in der Los
Angeles Times zu lesen: „Ungefähr
hundert Leute starben nach Angaben des lokalen Bestattungsdirektors in den drei
Tagen nach dem Sturm in der Lajas-Region, doppelt so viel wie normal: ‚Wir
wissen nicht, ob sie nicht genügend Medikamente oder Sauerstoff hatten – alle waren
ohne Strom.‘“ (Das IT-Medienunternehmen Vox berichtete am 11. Oktober aufgrund
einer Recherche
via Google News von möglichen 450
Sturmtoten, während die Regierung damals von 45 Toten ausging.)
Am 11.
Oktober berichtete der Guardian
dieses: „Offizielle der Federal Emergency
Management Agency (FEMA) sagen, dass die Regierung und ihre Partner nur 200'000
Mahlzeiten pro Tag verteilen, um die Bedürfnisse von mehr als 2 Millionen
Menschen abzudecken. Es fehlen
pro Tag zwischen 1.8 Mio. und 5.8 Mio. Mahlzeiten. ‘Uns fehlen 1.8 Mio.
Mahlzeiten’, sagte ein hoher FEMA-Offizieller.”
Am 24. September
2017 berichtete die New
York Times: „Binnen Stunden löschte
Wirbelsturm Maria 80 % der Ernteerträge aus.“
*****
Yarimar
Bonilla ist Karibikspezialistin an der Rutgers University (New Jersey). In
einem Beitrag
in der Washington Post vom 22. September 2017 erinnert sie sich an ein
Interview mit einer Fondsmanagerin in Puerto Rico vom letzten Sommer, die „das wirtschaftliche Klima extrem
optimistisch“ einschätzte. Sie hatte, einen Zahlungsausfall der Insel
vorwegnehmend, die Kundengelder in lukrative US-Aktien geleitet. Denn seit der
Wahl von Trump seien die Kurse am Steigen. Die Finanzmanagerin machte in diesem
Kontext noch folgende Aussage: „Das
Einzige, was wir jetzt brauchen, ist ein Wirbelsturm.“ Bonilla erklärt: „Sie bezog sich darauf, dass solche
Naturkatstrophen Bundesgelder mitbringen und sich oft als Segen für die
Bauindustrie erweisen.“ Sie habe ihr, Bonilla, geraten, Aktien von Home
Depot (grösstes US-Baumarktunternehmen) zu kaufen.
Die Stromversorgung
liegt nach Maria wörtlich am Boden. Kein Wunder, das staatliche
Elektrizitätswerk PREPA hatte zwar jahrelang Schulden gemacht, aber das Geld
nicht in die Infrastruktur investiert. Die PREPA wurde auch bewusst
heruntergewirtschaftet, um die „Notwendigkeit“ ihrer Privatisierung zu
unterstreichen. Wie segensreich eine solche wäre, zeigt folgende Begebenheit,
wie sie Berta Joubert-Ceci in Mundo
Obrero, einem Blatt einer Linksgruppe in den USA, erwähnt: „Nach dem Sturm herrschte der Schaden wegen umgestürzter
Leitungsmasten und niedergerissenen Kabeln vor. Aber das ist nicht alles. Der
Mangel an Material im Inventar entblösste den gescheiterten Plan des
US-Unternehmens AlixPartners, eines Plans, für den PREPA $ 45 Mio. zahlte. Er
sah vor, das Elektrizitätswerk zu „restrukturieren“, so dass sie ihren Anteil
von $ 9 Mrd. an den Staatschulden zahlen könne. Das bedeutete, ein Minimum an
Inventar – von Brennstoff bis zu den Masten – um die Ausgaben zu drücken (…)
Jetzt, nach dem Sturm, hat Gouverneur Ricardo Rosselló unter der Leitung des
Army Corps of Engineers (ACE), das Puerto Rico zwecks Wiederherstellung des Energiesektors
aufgezwungen wurde, eine Reihe US-Unternehmen unter Vertrag genommen, um PREPA gegen
den Widerstand der Stromarbeitergewerkschaft UTIER zu privatisieren.“
AlixPartners:
ursprünglich auf Unternehmenssanierungen spezialisierte Consulting-Bude im
Besitz der Private-Equity-Firma CVC Capital Partners. ACE: Ingenieurabteilung
der US-Armee, berüchtigt u. a. wegen ihrer Komplizenschaft bei
milliardenschweren korrupten Aufträgen für führende US-Unternehmen wie
Halliburton beim „Wiederaufbau“ des
Iraks nach seiner Besetzung. ACE hatte die mörderischen Dämme in New Orleans
gebaut, die nach Katrina 2005 brachen. Für ihren „Wiederaufbau“ bedachte ACE, genauso
wie FEMA, die gleichen Multis – Bechtel,
Halliburton, Fluor etc. – mit Grossaufträgen, die schon in Afghanistan und Irak
abgesahnt hatten (Quelle: Vorwärts, 16.9.05).
Laut Berta
Joubert-Ceci, die sich auf die Aussagen des ehemaligen UTIER-Präsidenten
Ricardo Santos stützt, weigert sich die Regierung, die wichtige Palo
Seco-Stromanlage in der Nähe der Hauptstadt San Juan wieder hochzufahren, um so
die Bevölkerung für die Privatisierungspläne zu gewinnen. Santos zufolge ist
die Anlage aber betriebsbereit. Doch Gouverneur Rosselló habe einen Vertrag mit
Western Solutions angekündigt, wonach das Unternehmen einen Dieselgenerator
installieren und für sechs Monate für $ 35 Mio. vermieten werde, um die
Palo-Seco-Region mit 50 Megawatt zu versorgen. Palo Seco könne dagegen dreimal
so viel Strom für wesentlich weniger Geld liefern. Laut Bloomberg
vom 19. Oktober installiert das Unternehmen APR zwei Mietgeneratoren in „einer San-Juan-Anlage“. ACE gab am 16.
Oktober bekannt,
einen $ 240-Milliionen-Auftrag für die Reparatur des Stromnetzes an die von
Irak und New Orleans her berüchtigte texanische Fluor Corporation vergeben zu
haben.
*****
Das
Pentagon-Medium DoD
News am 16. Oktober 2017: „‚Als ich vor
zwei Wochen hierher kam, hatten wir 25 Helikopter und 4‘500 Truppen‘, sagte der
General [Jeffrey S. Buchanan] in einem Telefoninterview von der Insel. ‚Jetzt
haben wir 68 Helikopter und 14‘300 Truppen.‘“
Das puerto-ricanische
Recherchierteam des Centro de Periodismo
Investigativo (CPI) veröffentlichte am 10. Oktober 2017 einen Artikel
von Joel Cintrón Arbaseti über private Sicherheitsunternehmen, die jetzt auf
der Insel aktiv wurden. Da wäre Ranger America, die mit FEMA zusammenarbeitet
und etwa für Detailhändler, Supermärkte und die Regierung arbeitet. Academi, so
der neue Name für Blackwater, die mit dem Pentagon- und US-Geheimdiensten
verflochtene Söldnerorganisation, die in Irak massakrierte und in
Katrina-New-Orleans gegen die Armutsbevölkerung operierte, „ist bereit [nach Puerto Rico] zu gehen“, wie Paul Donahue von der
Academi-Besitzerin Constellis dem CPI bestätigte. Man warte nur noch auf das
Regierungs-Okay für den Geschäftsvorschlag von Academi. Diese ist schon auf den
Karibikinseln Dominica und Saint Martin aktiv. Eine weitere
US-Sicherheitsfirma, die Whitestone Group, sucht für den Inseleinsatz „pensionierte Offizielle mit Waffenbewilligung
für sofortige Reaktionen in Puerto Rico“ für einen Wochenlohn von $2400
plus Unterkunft und Ernährung. Auch Whitestone war schon in New Orleans aktiv
gewesen. Der Journalist beschreibt das martialische Auftreten schwerbewaffneter
und vermummter Mitglieder solcher Sicherheitsunternehmen rund um die Shopping
Mall Ciudadela in San Juan.[1]
Oberst James
DeLapp vom Army Corps of Engineers ist mit der Reparatur des Stomnetzes befasst
und erinnert sich: “Wir
hatten eine sehr ähnliche Situation nach der Eröffnung des Irakkrieges. Das
erinnert sehr an jene Sorte von Effort“ zur Behebung der Schäden.
Private Sicherheit: in der Ciudadela, auf der Strasse, maskiert. Quelle: CPI. |
Im oben
erwähnten Interview erzählte Rosa Clemente auch von ihrem Besuch in der Stadt
Utuado: Dort „gingen wir zum FEMA-Center [Notstandsbehörde
der USA]. Sie waren nicht darauf aus zu sagen, wo es lag. Es gibt keinen
Wegweiser dorthin. Ein National Guard wies uns off the record den Weg: ‘Da
lang, dann da.‘ Wir gelangten dorthin. Es gab etwa 40‘000 Essensportionen, die
nicht an die Leute verteilt worden sind. Aber es gab eine völlige militärische
Besetzung der Stadt. Wir fragten die Leute: ‚Warum? Was meint ihr?‘ Sie sagten:
‚Es gibt Kupfer. Es gibt möglicherweise Uran in den Minen. Deswegen wollen sie
diese Stadt nehmen, wisst ihr, diesen Teil der Insel.‘“
Die oben
erwähnte Berta Joubert-Ceci berichtete in einem weiteren
Artikel von den Hilfesendungen aus der Diaspora nach Puerto Rico: „Aber einmal dort angekommen, macht sich
FEMA verantwortlich für die Sendungen und erschwert ihre Verteilung. Tausende
von Containern bleiben in den Häfen liegen.“ FEMA macht die
Strassenverhältnisse und arbeitsfaule puerto-ricanische Camioneure für den
Missstand verantwortlich. Doch die Fahrer beklagen sich, dass sie keine
Arbeitsaufträge erhalten, obwohl sie, um kostbares Benzin zu sparen, tage- und nächtelang
vor den Häfen ausgeharrt haben.
[1] DAS CPI hat auf seiner
Homepage wichtige Artikel (spanisch und englisch) über die Eigentümer der
puerto-ricanischen Schuldenpapiere veröffentlicht. Vorallem riesige Hedgefonds und
die Banken Santander und UBS. UBS verlangt von Puerto Rico eine Zahlung von $
1.2 Mrd. im Zusammenhang mit Gemeindeanleihen, die sie, als sie ihren
Schrottcharakter erkannte, aus dem eigenen Portfolio abstiess – primär an RentnerInnen,
die ihr bisschen Erspartes dabei verloren, weil sie sich von der UBS zum Kauf
dieser „bombensicheren“ Papiere hatten überreden lassen. Die UBS ist für diese
von ihre „sichere Landung“ genannte Operation schon mit $ 1.1 Mrd. gebüsst
worden und gewärtigt eine weitere Bussmilliarde. Mehr dazu in einem späteren
Beitrag.