Schweizer Munition für die Gewalt in Brasilien

Samstag, 31. März 2018

Publiziert von Beat Wehrle 

am 28. März 2018 

 Abend des vergangenen 14. März wurde die brasilianische Menschenrechtsaktivistin und Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco in ihrem Auto auf offener Strasse ermordet. Auch ihr Fahrer Anderson Gomes wurde Opfer des akribisch vorbereiteten Verbrechens.
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Bild: Kundgebung in São Paulo zu Ehren von Marielle Franco: «Marielle, du bleibst gegenwärtig!». Foto: Yuri Salvador – UNE. (fotospublicas.com)
Marielle lebte ihr Leben lang in der Favela da Maré, eines der grössten Elendsviertel von Rio de Janeiro. Die 38 jährige Soziologin verstand sich als Sprachrohr der Kinder und Jugendlichen der Favelas, welche privilegierte Opfer der willkürlich agierenden Militärpolizei, ihrer Todesschwadrone und der Drogenhändler sind. Sie engagierte sich für die Rechte der Frauen und setzte sich für die mehrheitlich schwarze Bevölkerung der Favelas ein. Seit dem Sturz der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff (August 2016) denunzierte sie wiederholt den wachsenden Autoritarismus in Brasilien und kritisierte die militärische Intervention in Rio de Janeiro, die durch den amtierenden Putsch-Präsidenten Michel Temer im Februar in Rio gestartet wurde.
Am 28. Februar wird Marielle zur Vorsitzenden der Menschenrechtskommission nominiert, welche die Intervention des Militärs überwachen soll. Am 10. März denunziert sie die perverse Gewalt der Militärpolizei in der Favela Acari und am 14. März wird sie durch ein Killerkomando ausgelöscht.
Der Tod von Marielle ist aber nur die Spitze des riesigen Eisberges der Gewalt in Brasilien. Gemäss einer im vergangenen Dezember durch die Organisation Small Arms Survey mit Sitz in Genf veröffentlichten Studie sind im Jahr 2016 weltweit 560.000 Menschen durch Gewaltverbrechen getötet worden. 99.000 (18%) in den verschiedenen Kriegsherden der Welt. Die Mehrheit der Opfer verlor ihr Leben jedoch ausserhalb der Kriegszonen (82%), über 70.000 Menschen (12%) alleine in Brasilien. Der Anteil Brasiliens an der Weltbevölkerung beträgt aber weniger als 3%. Mit über 190 Morden pro Tag steht Brasilien in absoluten Zahlen weltweit an erster Stelle und übertrifft jede der aktuellen Kriegsregionen der Welt, selbst Syrien.
Gemäss Analyse der Vereinten Nationen (UNODC – United Nations Office on Drugs and Crimes) ist nicht nur die absolute Zahl brasilianischer Opfer von Gewaltsverbrechen erschreckend. Noch erschüttender ist die Tatsache, dass 45% der Opfer Kinder und Jugendliche sind und 66% afrobrasilianische Herkunft haben.
Das Bild des Schreckens wird durch eine anfangs März publizierten Studie der mexikanischen Organisation Seguridad, Justicia y Paz vervollständigt. Jährlich produziert sie ein Ranking der Gewalt in Städten mit über 300.000 Einwohner ausserhalb der weltweiten Kriegszonen. Innerhalb der weltweit 50 gewalttätigsten Städte liegen 43 in Lateinamerika und 17 alleine in Brasilien. Bezeichnend ist, dass Rio de Janeiro nicht zu diesen 17 Städten gehört. Dies zeigt klar, dass die Gewalt kein auf Rio fokussiertes Problem ist, sondern längst zu einer nationalen Herausforderung geworden ist.
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Bild: Militärintervention in Rio de Janeiro. Foto: Fernando Frazão – Agência Brasil (fotospublicas.com)
Trotz dieser gewaltigen Wirklichkeit Brasiliens kommunizierte im vergangenen Dezember der Schweizer Rüstungskonzern RUAG sein Vorhaben, 2018 eine Munitionsfabrik im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco aufbauen zu wollen. Im Nordosten Brasiliens also, wo sich der Grossteil der 17 gewaltigsten Städte Brasiliens konzentriert. Im Versuch diese absurde Millioneninvestition zu rechtfertigen, gibt RUAG sehr schnell an, die produzierte Munition werde selbstverständlich nur an den offiziellen Sicherheitsapparat Brasiliens verkauft.
Die Munition, welche Marielle ermordete, wurde 2006 an die brasilianische Bundespolizei (Polícia Federal) verkauft und wurde ebenfalls beim grössten Massaker in São Paulo im vergangenen Jahr gefunden. Wer Brasilien auch nur ein klein wenig kennt, weiss ganz genau, wie stark der offizielle (Un)Sicherheitsapparat mit dem organisierten Verbrechen verfilzt ist.
Wer sich also trotz dieser überwältigenden Daten und Fakten für eine Munitionsfabrik in Brasilien entscheidet, stützt sich entweder auf eine oberflächliche, die Realität ignorierende Analyse, oder orientiert sich ausschliesslich am Kriterium des potenziellen Profites. Beide Szenarien sind ethisch unhaltbar und sind für einen gänzlich bundeseigenen Konzern nie und nimmer zu rechtfertigen.
Die Möglichkeit einer Schweizer Munitionsfabrik in Brasilien entstand nur, weil RUAG mit dem brasilianischen Putsch-Präsidenten Michel Temer die Aufhebung des Jahrzehnte alten Staatsmonopols verhandelte. Michel Temer ist derselbe, der die grossen Erfolge der Armutsreduktion vergangener Jahr durch Kürzung und Auflösung strategischer Sozialpolitik wieder rückgängig macht.
Kurz vor ihrem Tod hat Marielle Franco in einem Artikel gefragt, wieviele Menschen noch sterben müssen, bis dieser Krieg endlich ein Ende findet. Angesichts der aktuellen Lage Brasiliens werden es noch viele sein. Und in Zukuft durch Munition aus der Schweiz.
Beat Wehrle (53) ist Sozialarbeiter und Theologe. Zwischen 1985 und 2016 arbeitete er in sozialen Projekten in São Paulo, Brasilien. Seit Oktober 2016 lebt er mit seiner Familie in Bogotá (Kolumbien) und koordiniert die Projektarbeit von terre des hommes Deutschland in Lateinamerika. Kontakt: b.wehrle@tdh-latinoamerica.de

Schweiz/Venezuela: Melde gehorsamst Vollzug!

Donnerstag, 29. März 2018


(zas, 28.3.18) Ab heute, 28. März 2018, hat der Bundesrat gegen sieben venezolanische FunktionärInnen Sanktionen verhängt. Das zuständige Seco schreibt: «Damit schloss sich die Schweiz den Sanktionsmassnahmen an, welche die Europäische Union am 13. November 2017 und am 22. Januar 2018 gegen Venezuela verhängt hatte.» Die EU wiederum hatte sich an den Angriffsbestimmungen der US-Behörden orientiert. Begründet wird der Aggressionsakt mit «Verletzung der Menschenrechte und Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit». Die sieben ins Visier genommenen Personen sind der Vizechef der Regierungspartei PSUV, die Leiterin der Wahlbehörde, der Präsident des Obersten Gerichts, der Generalstaatsanwalt, der Innenminister, der frühere Kommandant der Guardia Bolivariana und der Geheimdienstchef. Gegen sie und – darum geht es – von ihnen kontrollierte «Personen, Unternehmen und Organisationen» verhängt die von Berset firmierte Verordnung das Verbot des Erwerbs von Rüstungs- und Repressionsgütern inkl. Überwachungstechnologie, ihre Vermögen werden beschlagnahmt und sie erhalten ein Einreiseverbot.

Der Finanzplatz Schweiz spielte eine bedeutende Rolle in Korruptions- und Sabotagehandlungen reaktionärer Seilschaften in höchsten Ämtern (insbesondere im Bereich der staatlichen Erdölwirtschaft). Jetzt, wo der sanktionierte neue Generalstaatsanwalt William Saab dagegen endlich durchgreift (seine Vorgängerin, die im Westen gelobte Luisa Ortega, hatte sich damit begnügt, die Korrupten ihrerseits zu erpressen und so die Strafffreiheit während Jahren abzusichern), ergreift auch der Schweizer Finanzplatz via Bundesrat Retorsionsmassnahmen. Das Racket ist international.
Es hat keinen Sinn zu kotzen. Die Regierung des Landes, dessen Handgranaten gegen den Freiheitskampf in Nordsyrien von türkischen und alliierten Kräften der Kaida und des IS eingesetzt werden, und die sich vehement für mehr Rüstungsexporte in Kriegsländer einsetzt, schreibt von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und meint das Kommando aus USA. Nichts Neues. Neuer ist bloss, wie ostentativ die Pose der Neutralität abgelegt wird. Als nächstes droht wohl, dass die Schweiz auch offiziell, nicht mehr nur «diskret», bei Massnahmen der «humanitären Intervention» mitmachen wird.
Berset als Bundespräsident durfte unterschreiben. Natürlich war der Sozialdemokrat willig. Er und seine Partei, sofern sie sich nicht distanziert, gehören ins Lager jener, die sich nicht beirren lassen, weil ihre demokratischen Kohorten in Venezuela Menschen mit Öl übergossen und angezündet haben, weil sie dunkelhäutig waren und halt chavistisch aussahen. Halt's Maul, Berset!
Als Auskunftspersonen werden zwei Leute des Seco genannt. Wer Genaueres wissen will, wende sich an die EU-Kommission oder direkt an die US-Botschaft in Bern.

USA/MigrantInnen: Bullen stellen Ordnung herstor und Gattin

Dienstag, 27. März 2018


(zas, 27.3.18) Eine hispanische Mutter avisierte die Polizei von Lilburn (Grossraum Atlanta, Georgia), ihre davon gelaufene Tochter befinde sich in einer lokalen hispanischen Kirche. Als eine Patrouille eine Jugendliche während des Gottesdienstes festnehmen wollte, intervenierte das salvadorianische Pastoren-Ehepaar. Ein Video von Mundo Hispánico zeigt, was folgte. Das Ehepaar plus zwei seiner Söhne wurden „festgenommen“. Die Bullen setzten Taser uind Tränengas gegen die Gewaltbereiten ein – weinende Kinder, die Frau am Rande eines Zusammenbruchs, ein sehr besonnener Pastor, der seinem Sohn beistand, Söhne, die nicht zuschauen wollten, wie die Autorität ihre Mutter drangsalierte. Eine Kaution wurde später verweigert. Mundo Hispánico befürchtet, die law breakers könnten ausgewiesen werden. 

Die Zeit der Monster

Montag, 26. März 2018

https://www.heise.de/tp/features/Die-Zeit-der-Monster-3998517.html
Vor den Türken fliehendende Bewohner von Afrin. Bild: Screenshot NRT-Video
Ein Kommentar zu den Ursachen und Folgen des Falls der nordsyrischen Stadt Afrin an das Erdogan-Regime
Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.
Antonio Gramsci
Der fundamentale Unterschied zwischen der basisdemokratischen kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien und den sonstigen Kriegspartien wurde am vergangenen Wochenende evident. Während jene islamistischen Mordmilizen, die das türkische Regime bei seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg als Kanonenfutter nutzte, niemals zögerten, eine Stadt zum Kampffeld und die Zivilbevölkerung zu Geiseln zu machen, entschieden sich die kurdischen Volksverteidigungskräfte für die Evakuierung der Zivilbevölkerung Afrins. Während der Islamismus den Tod sucht, versucht die kurdische Linke, Leben zu retten.
Damit stehen die Kurden Syriens ziemlich allein da in dem geschundenen Bürgerkriegsland, das zum Kampffeld von Monstern wurde, die nun ihre große Zeit gekommen sehen. Eine unheilige regionale Allianz autoritärer Regime sieht in Rojava eine politische Bedrohung entstehen, die ihre theokratischen Regime und Kleptokratien destabilisieren könnte.
Rojava steht folglich nicht nur das faschistische Regime der Türkei feindlich gegenüber, das europäischen Nationalismus und Chauvinismus mit sunnitischen Islamismus amalgamiert und auf den Trümmern Syriens und des Irak sein Neo-Ottomanisches Imperium errichten will.
Was wäre das Monster Erdogan ohne Wladimir Putin, in dessen syrischer Einflusssphäre Afrin liegt (Afrin: Erdogans Werk und Putins Beitrag)? Die Annäherung zwischen Ankara und Moskau, die mit Waffen- und Energiedeals einhergeht, findet auf Grundlage der ethnischen Säuberungen und der Massaker in Afrin statt.
Wladimir Putin hat Erdogan in einem klassisch imperialistischen Deal die Kurden Afrins und weite Teile Idlibs zum Fraß vorgeworfen, um die Türkei aus dem westlichen Bündnissystem zu lösen. Putin benutzt Syrien als Verhandlungsmasse, er verscherbelt Teile des Landes an die Türkei, um geopolitische Ziele zu erreichen. Annäherung durch ethnische Säuberung - dies ist das Motto russisch-türkischer Politik.
Das Machtmonster im Kreml hat aber in den Monstrositäten, die die abgetakelte westliche Wertegemeinschaft hervorbringt, seine Meister gefunden. Der Westen tat alles, um die Strategie des Kremls scheitern zu lassen - indem er nichts tat und Erdogan gewähren ließ. Von den selbsternannten liberalen Menschenrechtlern, bis zu den rechtspopulistischen Ismlamistenjägern wie Donald Trump - alle hielten den Mund, als türkische Islamisten die letzte unversehrte Region Syriens verwüsteten und ethnisch säuberten.
Die Kurden Syriens fanden sich somit zwischen den Fronten zunehmender geopolitischer Spannungen. Sie waren das Opfer, das der Westen wie Russland dem türkischen Faschismus zu bringen bereit waren. In den vergangenen zwei Monaten übte sich die westliche Öffentlichkeit und Politik folglich vor allem im angestrengten Wegschauen, in Verharmlosung, oder in der Skandalisierung dubioser Giftmorde.
Unter dem, was der deutsche Medienbetrieb zu Afrin produzierte, ragt der Bericht des Türkeikorrespondenten von Spiegel Online (SPON), Maximilian Popp, noch weit hervor. Popp schaffte es tatsächlich, mit viel Phantasie die kurdische YPG für Erdogans Kriegsverbrechen in Afrin verantwortlich zu machen - indem er behauptete, kurdische Milizen würden die Zivilisten an der Flucht aus Afrin hindern. Dies zu einer Zeit, als die Evakuierung Afrins bereits lief.
Hinzu kam, vor allem in Deutschland, die staatliche Repression der verzweifelten kurdischen Community, die in ihrer Servilität gegenüber dem Erdogan-Regime schon postdemokratische Züge annahm. Während Deutschland Mordgerät an die Türkei lieferte, wurden in reinster Schikane sogar kurdische Nationalfarben bei Demos verboten. Großbritannien beispielsweise machte mit Erdogan ebenfalls seine dreckigen Deals und ließ ihn gewähren, doch konnten dort die Menschen ihre Wut wenigstens frei artikulieren. In Deutschlands Staatsapparat scheinen hingegen Erdogans repressive Methoden, zuerst an kurdischen "Ausländern" erprobt, als ein modernes Zukunftskonzept gehandelt zu werden.
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El Salvador: Sie können’s nicht lassen

Sonntag, 25. März 2018



(zas, 25.3.18) Zwei Beispiele, wie die Rechte im Land das grosse Rollback anstrebt. Eines aus dem Wahlbereich, das andere aus der Landwirtschaft.

Eingewöhnung an neue Machtverhältnisse
Das Wahlgesetz sieht vor, dass die 5 MagistratInnen des Wahlgerichts TSE bei der definitiven Auszählung allfällige «Inkonsistenzen» (Rechenfehler, falsch ausgefüllt u. ä.) in den einzelnen Akten der Wahltische lösen und in einem präzisen Fall die Urnen öffnen sollen, wenn nämlich die Stimmendifferenz kleiner ist als die Zahl der als «angefochten» verzeichneten Wahlzettel. Nur dann würde das TSE einzig und allein die angefochtenen Wahlzettel begutachten und darauf gestützt die Schlussresultate bekannt geben. Doch das ist bloss Gesetz – die Realität ist anders. Der Hintergrund dieses Gesetzes: Einer der Hauptgründe für den Bürgerkrieg 1980-1992 war der permanente Wahlbetrug zugunsten der Militärs und der Oligarchie gewesen. Der Betrug wurde immer zentral organisiert, damals in den Kasernen. Und heute? Im Computer des TSE (s. dazu eine kleine „Anekdote“) oder in seiner Machtanmassung.
Seit die Verfassungskammer einen der beiden fortschrittlichen Magistraten durch eine rechte Exponentin ersetzt hat (s. „merkwürdige“ Vorwahlsituation), nimmt sich die rechte Vierer-Mehrheit manche «Freiheiten» heraus, so auch bei der Auszählung. Sie spielte so nach den Wahlen während fast zwei Wochen mit dem Gedanken, die Wahlen im Department San Miguel, wo der FMLN am meisten Stimmen machte und die Departementshauptstadt mit einem ansehnlichen Vorsprung gewann, wiederholen zu lassen. Begründung: in den Sternen, nirgends im Wahlgesetz. Im Departement Sonsonate liess sich nur mit Mühe davon abhalten, einen Parlamentssitz des Frente per Mehrheitsbeschluss zu annullieren, ohne irgendeinen rechtlichen Grund für dieses Vorhaben anzuführen. Es waren die Aussagen von FMLN-ExponentInnen über militante Mobilisierungen, die zur Einsicht bewegten.
Im Departement San Vicente schliesslich hat die gleiche Vierergruppe einen Parlamentssitz von der kleineren, manchmal mit dem FMLN paktierenden Rechtspartei GANA zum treuen ARENA-Verbündeten PCN rübergeschoben. Vorwand: In der kleinen Gemeinde Guadalupe wurden von einem Wahltisch bloss die Wahlakte mit den Resultaten, nach Presseberichten mit den erforderlichen Unterschriften der ParteivertreterInnen an besagter Urne, an das Wahlgericht geliefert, nicht aber die einzelnen Wahlzettel. Doch das Glück half nach: Zwei Tage nach dem Wahlgang fanden sich 180 Wahlzettel für die Parlamentswahlen in einem Abfallkorb der zum Wahllokal umfunktionierten Schule. Laut dem „Fund“ wäre das Reststimmenglück nicht mehr GANA, sondern dem PCN hold. Ein kleines Problem: Die Papiere waren zwei Tage lang unkontrolliert. Konnte man ihnen glauben? Die Vierergruppe im TSE wusste Rat: Frag den Generalstaatsanwalt (ARENA-Mann). Er konnte bestätigen: Die Papiere sind echt, keine Fotokopien, mit der Unterschrift des Urnenpräsidenten versehen. (Die Rechte kontrolliert im TSE auch die Logistik-Abteilung.) Also sputete sich das TSE mit der Auszählung der gefundenen Papiere. Und GANA verlor so von seinen elf Abgeordneten einen, der PCN hat nun neu 9 Sitze. Pikantes Detail: Der TSE-Magistrat Cardoza, ein Mann von GANA, trägt den Entscheid mit. Kein Indiz für demokratische Rechtsstaatlichkeit, sondern dafür, dass er gekauft oder erpresst wurde. Denn von Rechts wegen durfte das TSE „Wahlzettel“, die zwei Tage unkontrolliert waren, nie und nimmer zählen. GANA will nun an die Verfassungskammer gelangen, mit geringen Aussichten auf Erfolg. Die Frage ist bloss, was ARENA & Co. jetzt GANA zur Besänftigung offerieren, um zu verhindern, dass sie bei Beschlüssen, die einer 2/3-Mehrheit bedürfen, nicht mit dem FMLN zusammenspannt. Den Parlamentsvorsitz? Oder doch die Justizguillotine, als Strafe für ihre Abspaltung von ARENA? Etwas anderes?
Mitglieder der kleinen sozialdemokratischen Partei PSD verhüllten gestern in San Salvador die Statue der nackten Justitia, bekannt als La Chulona. Als Protest dagegen, dass das Vierer-TSE beschlossen hatte, die Stimmen der vier als Parteilose angetretenen Kandidaten zu summieren. Damit machte einer der ihren (ein „parteiloser“ ARENA-Mann) das Rennen bei den Reststimmen und nicht der Sohn des PSD-Parteichefs. Die Einführung der Kandidatur von „Parteilosen“ war auf Geheiss der Verfassungskammer erfolgt, die damit das Verfassungsgebot, die parlamentarische Volksvertretung müsse über die Parteien laufen, als verfassungswidrig ausgehebelt hatte. „Der Bürger“ sollte jede erdenkliche Wahlfreiheit erhalten. Der aber scherte sich nicht darum und vergab seine Stimme im Nullkomma-Bereich an angeblich Parteilose. Die Vierer-Gruppe des TSE beendete nun solchen Missstand. Gestützt auf was? Verfassung, Wahlgesetz, oder auch nur Verfassungskammer? Nee. Gestützt auf ihre Machtfülle. Der PSD will nun auch an die Verfassungskammer gelangen, die noch vor dem Zusammentreten des neuen Parlaments am 1. Mai entscheiden müsste. Die Kammer könnte in einen Loyalitätskonflikt kommen. Stets ARENA-treu, müsste sie die TSE-Willkür absegnen, damit aber ihrer eigenen Doktrin abtrünnig werden, wonach Parteilose eben individuelle Optionen, fern des „Parteienklüngels“, darstellten, wie von ihren Stichwortgebern in der US-Botschaft suggeriert. Dass nun „Parteilose“ zur neuen Partei zusammengerechnet werden – jener der Parteilosen eben – entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 
Verhüllte Justitia. Bild: El Mundo

 Kampf gegen die Ernährungssouveränität
CENTA – so heisst das staatliche Agrarinstitut. Es entwickelte in Kooperation mit LandwirtInnen und Agrargenossenschaften eine Reihe von (an den Klimawandel möglichst angepassten) Saaten für die im Land konsumierten Grundnahrungsmittel. Eine Erfolgsgeschichte. Monsanto, die über lokale Franchisen das Business beherrschte, flog aus dem Bewerbungsrennen: Die neuen Saaten waren besser und billiger. Eine Rekordernte jagt seither die andere, die Selbstversorgung mit landeseigenem, gentech-freiem und möglichst pestitzid-armem Saatgut ist in einigen Bereichen bereits Tatsache. 
Bild: Centa.   
Allerdings: Trotz ausreichenden Ernten kauft das Landwirtschaftsministerium weiter Maisreserven im Ausland, als nicht lange haltbarer Notvorrat. Die Vorräte kommen vor ihrem Verfallsdatum auf den Markt. Die Folge, wie mir ein compañero campesino im Departement Chalatenango jüngst erklärt hatte: Die Bauern und Bäuerinnen pflanzen fast nur noch für den Eigenkonsum an. Denn der Verkaufspreis liegt dank der Importe bei $ 30, früher erreichte er $ 60. Die Hoffnung ist, dass das Ministerium schleunigst die Balance zwischen Vorsorge und Verkaufspreis findet, sonst drohen wieder Importzustände von früher.   
Aber da gibt es noch ein anderes Problem: Am 20. März berichtete Centa über eine Besetzung von 63 Ha seiner Ländereien, wo die Saatgut entwickelt wird. Am 11. März waren hier Ex-Angehörige der Armee eingedrungen. Ein „Landkampf“ im Stil von ARENA, ähnlich wie etwa Aktionen einer kleinen Gruppe von Ex-KämpferInnen des „historischen FMLN“, die zusammen mit Ex-Soldaten für ARENA auf die Strasse geht.
Im Fall dieser Besetzung gibt es schwere Probleme: Die Produktion für Originalsaatgut für Mais, Bohnen, Reis und Sorghum wird durch das Vorgehen der Besetzer akut gefährdet. Sie brennen Stoppeläcker ab, zerstören Bewässerungssysteme, holzen schattenspendende Bäume ab. Sie drohten damit, die Besetzung massiv auszuweiten. Eigenartigerweise hat es die Regierung bisher unterlassen, auf die Situation auch nur aufmerksam zu machen (bis auf den von den Medien ignorierten Bericht auf der Homepage des Ministeriums). Vielleicht laufen Verhandlungen – eine Räumung könnte eventuell noch grösseren Schaden anrichten.
Die Aktion erhält den Geschmack einer Bayer/Monsanto-genehmen Botschaft über das, was das neu gewählte Parlament anrichten könnte: die Rückkehr von Monsanto (Bayer), die erneute Zerstörung der langsam wiederaufgebauten bäuerischen Landwirtschaft.