El Salvador: Sie können’s nicht lassen

Sonntag, 25. März 2018



(zas, 25.3.18) Zwei Beispiele, wie die Rechte im Land das grosse Rollback anstrebt. Eines aus dem Wahlbereich, das andere aus der Landwirtschaft.

Eingewöhnung an neue Machtverhältnisse
Das Wahlgesetz sieht vor, dass die 5 MagistratInnen des Wahlgerichts TSE bei der definitiven Auszählung allfällige «Inkonsistenzen» (Rechenfehler, falsch ausgefüllt u. ä.) in den einzelnen Akten der Wahltische lösen und in einem präzisen Fall die Urnen öffnen sollen, wenn nämlich die Stimmendifferenz kleiner ist als die Zahl der als «angefochten» verzeichneten Wahlzettel. Nur dann würde das TSE einzig und allein die angefochtenen Wahlzettel begutachten und darauf gestützt die Schlussresultate bekannt geben. Doch das ist bloss Gesetz – die Realität ist anders. Der Hintergrund dieses Gesetzes: Einer der Hauptgründe für den Bürgerkrieg 1980-1992 war der permanente Wahlbetrug zugunsten der Militärs und der Oligarchie gewesen. Der Betrug wurde immer zentral organisiert, damals in den Kasernen. Und heute? Im Computer des TSE (s. dazu eine kleine „Anekdote“) oder in seiner Machtanmassung.
Seit die Verfassungskammer einen der beiden fortschrittlichen Magistraten durch eine rechte Exponentin ersetzt hat (s. „merkwürdige“ Vorwahlsituation), nimmt sich die rechte Vierer-Mehrheit manche «Freiheiten» heraus, so auch bei der Auszählung. Sie spielte so nach den Wahlen während fast zwei Wochen mit dem Gedanken, die Wahlen im Department San Miguel, wo der FMLN am meisten Stimmen machte und die Departementshauptstadt mit einem ansehnlichen Vorsprung gewann, wiederholen zu lassen. Begründung: in den Sternen, nirgends im Wahlgesetz. Im Departement Sonsonate liess sich nur mit Mühe davon abhalten, einen Parlamentssitz des Frente per Mehrheitsbeschluss zu annullieren, ohne irgendeinen rechtlichen Grund für dieses Vorhaben anzuführen. Es waren die Aussagen von FMLN-ExponentInnen über militante Mobilisierungen, die zur Einsicht bewegten.
Im Departement San Vicente schliesslich hat die gleiche Vierergruppe einen Parlamentssitz von der kleineren, manchmal mit dem FMLN paktierenden Rechtspartei GANA zum treuen ARENA-Verbündeten PCN rübergeschoben. Vorwand: In der kleinen Gemeinde Guadalupe wurden von einem Wahltisch bloss die Wahlakte mit den Resultaten, nach Presseberichten mit den erforderlichen Unterschriften der ParteivertreterInnen an besagter Urne, an das Wahlgericht geliefert, nicht aber die einzelnen Wahlzettel. Doch das Glück half nach: Zwei Tage nach dem Wahlgang fanden sich 180 Wahlzettel für die Parlamentswahlen in einem Abfallkorb der zum Wahllokal umfunktionierten Schule. Laut dem „Fund“ wäre das Reststimmenglück nicht mehr GANA, sondern dem PCN hold. Ein kleines Problem: Die Papiere waren zwei Tage lang unkontrolliert. Konnte man ihnen glauben? Die Vierergruppe im TSE wusste Rat: Frag den Generalstaatsanwalt (ARENA-Mann). Er konnte bestätigen: Die Papiere sind echt, keine Fotokopien, mit der Unterschrift des Urnenpräsidenten versehen. (Die Rechte kontrolliert im TSE auch die Logistik-Abteilung.) Also sputete sich das TSE mit der Auszählung der gefundenen Papiere. Und GANA verlor so von seinen elf Abgeordneten einen, der PCN hat nun neu 9 Sitze. Pikantes Detail: Der TSE-Magistrat Cardoza, ein Mann von GANA, trägt den Entscheid mit. Kein Indiz für demokratische Rechtsstaatlichkeit, sondern dafür, dass er gekauft oder erpresst wurde. Denn von Rechts wegen durfte das TSE „Wahlzettel“, die zwei Tage unkontrolliert waren, nie und nimmer zählen. GANA will nun an die Verfassungskammer gelangen, mit geringen Aussichten auf Erfolg. Die Frage ist bloss, was ARENA & Co. jetzt GANA zur Besänftigung offerieren, um zu verhindern, dass sie bei Beschlüssen, die einer 2/3-Mehrheit bedürfen, nicht mit dem FMLN zusammenspannt. Den Parlamentsvorsitz? Oder doch die Justizguillotine, als Strafe für ihre Abspaltung von ARENA? Etwas anderes?
Mitglieder der kleinen sozialdemokratischen Partei PSD verhüllten gestern in San Salvador die Statue der nackten Justitia, bekannt als La Chulona. Als Protest dagegen, dass das Vierer-TSE beschlossen hatte, die Stimmen der vier als Parteilose angetretenen Kandidaten zu summieren. Damit machte einer der ihren (ein „parteiloser“ ARENA-Mann) das Rennen bei den Reststimmen und nicht der Sohn des PSD-Parteichefs. Die Einführung der Kandidatur von „Parteilosen“ war auf Geheiss der Verfassungskammer erfolgt, die damit das Verfassungsgebot, die parlamentarische Volksvertretung müsse über die Parteien laufen, als verfassungswidrig ausgehebelt hatte. „Der Bürger“ sollte jede erdenkliche Wahlfreiheit erhalten. Der aber scherte sich nicht darum und vergab seine Stimme im Nullkomma-Bereich an angeblich Parteilose. Die Vierer-Gruppe des TSE beendete nun solchen Missstand. Gestützt auf was? Verfassung, Wahlgesetz, oder auch nur Verfassungskammer? Nee. Gestützt auf ihre Machtfülle. Der PSD will nun auch an die Verfassungskammer gelangen, die noch vor dem Zusammentreten des neuen Parlaments am 1. Mai entscheiden müsste. Die Kammer könnte in einen Loyalitätskonflikt kommen. Stets ARENA-treu, müsste sie die TSE-Willkür absegnen, damit aber ihrer eigenen Doktrin abtrünnig werden, wonach Parteilose eben individuelle Optionen, fern des „Parteienklüngels“, darstellten, wie von ihren Stichwortgebern in der US-Botschaft suggeriert. Dass nun „Parteilose“ zur neuen Partei zusammengerechnet werden – jener der Parteilosen eben – entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 
Verhüllte Justitia. Bild: El Mundo

 Kampf gegen die Ernährungssouveränität
CENTA – so heisst das staatliche Agrarinstitut. Es entwickelte in Kooperation mit LandwirtInnen und Agrargenossenschaften eine Reihe von (an den Klimawandel möglichst angepassten) Saaten für die im Land konsumierten Grundnahrungsmittel. Eine Erfolgsgeschichte. Monsanto, die über lokale Franchisen das Business beherrschte, flog aus dem Bewerbungsrennen: Die neuen Saaten waren besser und billiger. Eine Rekordernte jagt seither die andere, die Selbstversorgung mit landeseigenem, gentech-freiem und möglichst pestitzid-armem Saatgut ist in einigen Bereichen bereits Tatsache. 
Bild: Centa.   
Allerdings: Trotz ausreichenden Ernten kauft das Landwirtschaftsministerium weiter Maisreserven im Ausland, als nicht lange haltbarer Notvorrat. Die Vorräte kommen vor ihrem Verfallsdatum auf den Markt. Die Folge, wie mir ein compañero campesino im Departement Chalatenango jüngst erklärt hatte: Die Bauern und Bäuerinnen pflanzen fast nur noch für den Eigenkonsum an. Denn der Verkaufspreis liegt dank der Importe bei $ 30, früher erreichte er $ 60. Die Hoffnung ist, dass das Ministerium schleunigst die Balance zwischen Vorsorge und Verkaufspreis findet, sonst drohen wieder Importzustände von früher.   
Aber da gibt es noch ein anderes Problem: Am 20. März berichtete Centa über eine Besetzung von 63 Ha seiner Ländereien, wo die Saatgut entwickelt wird. Am 11. März waren hier Ex-Angehörige der Armee eingedrungen. Ein „Landkampf“ im Stil von ARENA, ähnlich wie etwa Aktionen einer kleinen Gruppe von Ex-KämpferInnen des „historischen FMLN“, die zusammen mit Ex-Soldaten für ARENA auf die Strasse geht.
Im Fall dieser Besetzung gibt es schwere Probleme: Die Produktion für Originalsaatgut für Mais, Bohnen, Reis und Sorghum wird durch das Vorgehen der Besetzer akut gefährdet. Sie brennen Stoppeläcker ab, zerstören Bewässerungssysteme, holzen schattenspendende Bäume ab. Sie drohten damit, die Besetzung massiv auszuweiten. Eigenartigerweise hat es die Regierung bisher unterlassen, auf die Situation auch nur aufmerksam zu machen (bis auf den von den Medien ignorierten Bericht auf der Homepage des Ministeriums). Vielleicht laufen Verhandlungen – eine Räumung könnte eventuell noch grösseren Schaden anrichten.
Die Aktion erhält den Geschmack einer Bayer/Monsanto-genehmen Botschaft über das, was das neu gewählte Parlament anrichten könnte: die Rückkehr von Monsanto (Bayer), die erneute Zerstörung der langsam wiederaufgebauten bäuerischen Landwirtschaft.