(zas, 9.3.18) Die Ergebnisse der Gemeinde- und Parlamentswahlen
in El Salvador lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Ein massiver
Stimmenverlust der linken Regierungspartei FMLN ermöglichtz. B. eine fast uneingeschränkte Dominanz der
Rechten und insbesondere der früheren Regierungspartei ARENA im Parlament bei
gleichzeitigen beträchtlichen Gewinnen auf Gemeindeebene (z. B. in der
Hauptstadt).
Zunächst die Zahlen: Bei den letzten Kommunal- und Parlamentswahlen
2015 gewann ARENA (auch dank Koalitionen) mit 885'373 Stimmen (38.9 %)
insgesamt 35 Sitze im 84-köpfigen Parlament. Dieses Jahr errang sie einer
ersten Auszählung aller Wahlakten zufolge mit 823'197 Stimmen (42.6 %) 37
Parlamentssitze, davon einige wenige wieder in Allianzen. Der FMLN seinerseits erzielte
vor drei Jahren 847'289 Stimmen (37.23 %), dieses Mal aber nur 475'265 (24.61),
ohne Koalitionsstimmen, die das Bild aber nicht gross aufhellen. Reichte es
damals für 31 Sitze, so dieses Mal bloss für 23 oder, mit Reststimmenglück, 24
Abgeordnete.
Dies bedeutet, der FMLN hat sein Minimalziel von 29
Abgeordneten (ein Drittel plus 1) klar verfehlt. Diese wären aber nötig, um in
wichtigen Fragen wie Budget, Wahlen 2. Grades (parlamentarische Wahl von
Mitgliedern des Wahlgerichts, des Rechnungshofs, des Obersten Gerichts und des
Generalstaatsanwalts) eine institutionelle Verhandlungsmasse zu haben. Vetos
des noch bis Mai nächsten Jahres amtierenden Staatspräsidenten etwa gegen
Massenentlassungen von Staatspersonal oder Annullierung von Fortschritten in
der Steuergesetzgebung kann ARENA zusammen mit den anderen Rechtsparteien
überstimmen.
ARENA selber hat trotz ihres Siegs ein wenig Stimmen
verloren. Wahlentscheidend war der enorme Einbruch von rund 370'000 Stimmen
beim FMLN. Die Gründe dafür werden in der Linken kontrovers diskutiert. Am
Wochenende wird der FMLN landesweit Diskussionstreffen organisieren. Einige
Punkte lassen sich schon skizzieren. Darunter fallen etwa die deutliche
Rechtsentwicklung in der Nachbarschaft (Guatemala, Honduras, Costa Rica) und
generell in Lateinamerika sowie die permanenten Attacken Trumps gegen El
Salvador (salvadorianische MigrantInnen = Mara-Mitglieder). Doch zweifellos stehen
die Politik des FMLN und die seiner Regierung im Zentrum.
Einer in den FMLN-Reihen seit längerem verbreiteten
Einschätzung zufolge haben sich Regierung und Teile der Partei von der Basis
entfremdet. So leben die wichtigsten FMLN-Kader entweder von ihrem Partei- oder
ihrem Staatslohn. Insbesondere die Regierung steht in der Kritik. Viel zu reden
gibt ihre «schlechte Kommunikation», die es nicht schaffe, wichtige Veränderungn
in der Bevölkerung zu vermitteln. Stellvertretend für letztere sei auf eine kürzlich
publizierte Untersuchung des Gesundheitsministeriums mit Unicef, WFP und
anderen hingewiesen, wonach die Schulkinder seit 2009 im Schnitt gesünder sind
und um über zwei Zentimeter mehr wachsen als zuvor. Ursache: Das Gratisessen in
der Schule und eine unvergleichlich bessere medizinische Versorgung.
Marketing gegen Kommunikation
Und doch hört man allenthalben, dass sich im Land nichts wirklich
verbessert habe. Diese «Wahrnehmung» ist nicht einfach auf mangelndes Marketing
zurückzuführen – «die Regierung verkauft ihre Erfolge schlecht». Da gibt es
andere Gründe. Beispiel: Vor den Wahlen explodierten die Rechnungen des
staatlichen Wasserwerks ANDA in manchen bescheidenen Haushalten trotz gleichbleibendem
Konsum; in den Unterklassenbezirken der Hauptstadt sollte sogar die
Wasserversorgung auf ein Minimum reduziert werden. Gleiches erreignete sich
seit 2009 stets vor Wahlen. Verantwortliche dafür bleiben im Amt – bis heute,
mutmasslich aus Gründen des Politschachers mit kleineren Rechtsparteien, deren
Stimmen der FMLN brauchte, um im Parlament überhaupt Sozialreformen durchzubringen.
Das nährt den (falschen) Verdacht auf Komplizenschaft. Anderes Beispiel: Das staatliche
Jugendinstitut Injuve betreibt unter Einsatz von engagierten StudentInnen u. a.
ein Programm, das SchulabgängerInnen erlaubt, ihren Bildungsstand in kurzer
Zeit zu verbessern. Die Freiwilligen erhalten eine Kostenentschädigung von 250
Dollar. Doch nicht so im Januar und Februar. Zuerst, weil das Finanzministerium
aufgrund der systematischen Fiskalblockade durch die parlamentarische Mehrheit
und die Verfassungskammer des Obersten Gerichts wieder Liquiditätsprobleme
hatte. Als der Finanzminister endlich den Zahlungsauftrag erteilte, fand ein
untergeordneter Funktionär keine Zeit, seine Unterschrift unter den
Zahlungsauftrag zu setzen. Letztes Beispiel: Immer wieder kommt es vor, dass
Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen, weil sie die 20 Dollar für die Köchin
des «Gratisessens», die ein lokaler Funktionär illegalerweise einfordert, nicht
aufwerfen können. Der Funktionär
bereichert sich und sabotiert das
Programm. Alltag!
Statt dass nun RegierungsexponentInnen hinstehen und sagen:
«O.k., Leute, einiges läuft schlecht», wird la vie en rose gemalt. Resultat:
Glaubwürdigkeit im Eimer. Das rächt sich, wenn die gleichen FunktionärInnen von
der Finanzblockade durch die Rechte reden. Die Hälfte hört dann schon nicht
mehr hin und «weiss»: «Die sind alle gleich.» Eine Botschaft, der sich die
hegemonialen Medien und eine Reihe von Thinktanks seit Beginn der ersten
FMLN-Regierung hingebungsvoll widmen, unterstützt von einer Schar unglaublicher
cooler Mittelstands-Kids in den Social Media.
Als Reaktion auf die Ankündigung der Administration Trump,
bis zu 190'000 SalvadorianerInnen, die seit vielen Jahren dank eines
provisorischen Spezialstatuts in den USA legal lebten, auszuweisen, wusste der
Präsidentensprecher freudig mitzuteilen, der Emir von Katar habe dem salvadorianischen
Aussenminister Interesse an den «freigestellten Arbeitskräften» signalisiert.
Der einzige Trost angesichts dieser sozialtechnokratischen Ungeheuerlichkeit:
die Empörung in manchen FMLN-Zirkeln (nicht nur in den USA). Es gibt in der
Regierung minoritäre Elemente, die es darauf abgelegt zu haben scheinen, zu
beweisen, dass «alle gleich» sind. Was die Partei betrifft, gibt es auch her
Leichen im Keller. Wenn z. B. FMLN-Strukturen Gelder aus einer Joint Venture
mit der früheren (korrupten und kriminellen) Leitung der venezolanischen Erdölgesellschaft
Pdvsa mutmasslich in Offshore-Kanälen Riesenbeträge … verloren haben, wird die
Partei nicht umhin können, auch zum Preis innerer Verwerfungen, die Sache aufzuklären
und damit ihre moralische Autorität, die sie bei einem Teil der Bevölkerung verloren
hat, wieder zu erlangen.
«Sie sind alle gleich» und Nullstimmen
«Sie sind alle gleich» - der Schlachtruf, mit dem der noch
amtierende, unter FMLN-Flagge gewählte Bürgermeister der Hauptstadt San
Salvador, der Unternehmer Nayib Bukele, seit Monaten eine erfolgreiche Kampagne
gegen den FMLN führt. Als letztes Jahr klar wurde, dass die FMLN-Leitung ihn
nicht als Präsidentschaftskandidaten 2019 portieren würde, machte er sich mit
Unterstützung der hegemonialen Medien und der Social Media-Empörten zum
Bannerträger der Erneuerung ggen Parteienwillkür. Eine gewisse Diskreditierung
der rechten Parteien ist für di oligarchischen Eliten und die Botschaft des
Imperiums durchaus verträglich – ihre eigentlichen Machtinstrumente sind z. B.
ökonomischer Art. (ARENA erhält ihre deklarierten Einkünfte zu über 90 % von Grossunternehmen,
der FMLN von individuellen BürgerInnen). Für eine linke Kraft aber ist
moralische Diskreditierung tödlich.
Bürgermeister Bukele, der seine eigene Partei - Nuevas Ideas
– formiert, hatte zur ungültigen Stimmabgabe gegen den «Parteiklüngel»
aufgerufen. Nach den vorläufigen Resultaten sind beinah 180'000 Stimmzettel
ungültig (besudelt etc.) eingelegt worden, rund 130'000 mehr als 2015. Dieses
Plus ist grossenteils der medial zelebrierten Bukele-Kampagne zuzuschreiben.
Das Resultat: Die Rechte dominiert in ungeahnten Ausmass. Für die Bukele-Gruppe
ist klar, dass sie, um sich als Alternative zu ARENA darstellen zu können, den
FMLN möglichst klein machen muss. Möglich, dass ihr dabei Geschäftemacher aus
dem FMLN und klassische «moderate» ExponentInnen wie der Vizepräsident zur Hand
gehen wollen.
Eine mögliche Stossrichtung
Der FMLN will nun abgesprungene WählerInnen zurückgewinnen. Er
bekundet, übr die Bücher gehen und eine entschlosnere Linie pro Unterklassrn
und Mittelschichten befolgen zu wollen. Was die Parteispitze zurzeit diskutiert
– die Aufforderung an Präsident Sánchez Cerén, einige unfähige oder unwillige
Minister etc. umgehend zu entlassen – könnte dabei als erster Schritt dienen.
Einiges wird von den Versammlungen des FMLN abhängen. Forderungen wie die medial
verbreitete nach sofortigem Abgang der Parteispitze, vorgetragen meist von
«Analysten» diverser Couleur – ein Aufruf zur Köpfung des FMLN mitten in der
Schlacht – werden kaum genügrnd fassen. Entscheidend aber wird sein, ob der
FMLN und die Regierung sehr bald weitreichendere Schritte unternehmen.
Maras und Smartmatic
Zwei Dinge noch zu den Wahlen: In San Salvador ist mit
Ernesto Muyshondt ein Mann zum Bürgermeister gewählt worden, der bei den
letzten Präsidentschaftswahlen mit den Maras Verhandlungen für ihren Support
für ARENA geführt hat, dokumentiert und ungestraft. «Support» meint massive Einschüchterung
grosser Segmente der Unterklassen. Wohin diese Reise führen kann, zeigt ein
Beispiel vom Wahltag aus dem Städtchen San Martín nahe der Hauptstadt. Die ganze
offizielle ARENA-Vertretung an den Wahltischen kam uniformiert daher: mit einem
T-Shirt mit der Aufschrift: «Comandos El Tigre». Wer war El Tigre? Ein Anführer
der Mara-Bande 18, der letztes Jahr einen Polizisten umlegte und später von der
Polizei erschossen wurde. Als die Polizei samt Staatsanwaltschaft anrückte, drängten
sich die «Comandos» an den Ausgängen. Gestern wurde die Verhaftung des am
Sonntag wieder gewählten ARENA-Bürgermeisters von San Antonio La Cruz im
Department Chalatenango bekannt, wegen Frauen- und Drogenhandels.
Und zum Schluss noch das auf Wahlauszählung spezialisierte
Unternehmen Smartmatic. Gegen den Widerstand des einzigen fortschrittlichen Magistraten
in der obersten Wahlbehörde entschieden die vier rechten MagistratInnen dieses
Organs, das US-Unternehmen unter Vertrag zu nehmen. Schon am Dienstag war klar
geworden, dass mit einer Auszählung der Präferenzstimmen, basierend auf einem
privaten, unkontrollierten Programmcode, etwas nicht stimmen konnte – auch von
ARENA-Seite hagelte es auf Akten gestützte Beschwerden von KandidatInnen, die
gegen andere Parteimitglieder den Kürzeren gezogen hatten. Dass es sich dabei
nicht einfach um Fehler handelte, macht ein Blick auf die Parteilisten von
ARENA und FMLN für die Hauptstadt klar, mit je 24 KandidatInnen in der von der
Parteileitung gewünschten Reihenfolge. Dabei zeigte sich, dass auf beiden
Listen genau die gleichen Positionen der KandidatInnen auf genau die gleichen neuen
Positionen verschoben wurden; also etwa
die KandidatInnen von Rang 8-13 fanden sich nun wbei beiden Parteien in den
Rängen 13-18 wieder, während Poition 1 und 2 unverändert, aber 4 und 6 . drei
Positionen schön parallel runterrutschten. Heute nun sickert durch, dass es
auch in anderen Auszählungsbereichen zu «Unstimmigkeiten» gekommen ist, die z.
B. klare Vergleiche mit den Wahlen von 2015 erschweren.