Luis Hernández Navarro*
Der Süden von Peru steht in Flammen. Voller Wut über die Usurpation des Volkswillens und die Repression haben die Demonstrierenden Banken in Yunguyo im Departement Puno in Brand gesetzt. Das gleiche machten sie mit dem Polizeikommissariat von Triunfo, Arequipa. In der Mine Antapaccay[1] in Cusco hat die Bevölkerung Eigentum des Unternehmens geplündert und Installationen in Brand gesetzt. Feuer hat in anderen Städten auch TV-Kanäle und Residenzen von Politikern zerstört.
Angehörige des Volkes der Awajun besetzen die Station 5 der Ölleitung Norperuano. Bild: Rebelión. |
Die Liste der dokumentierten Proteste ist endlos. In der Mehrheit sind sie friedlich, was die Polizei nicht hindert, sich an ihnen zu weiden. Laut der Defensoría del Pueblo[2] gab es am 22. Januar 78 Strassenblockaden in 23 Provinzen und Flughafenbesetzungen, Streikposten auf Strassen, Brücken und Eisenbahnlinien sowie den Versuch, die Polizeikaserne des Distrikts Llave (Departement Cuno) zu besetzen. Denn Behörden zufolge gab es 14 Angriffe auf Gerichtsgebäude, davon sieben in Brand gesetzt, sowie 34 Proteste vor Polizeikommissariaten, von denen vier in Flammen aufgingen.
Die Wut des Volkes ist in vielen Regionen am Kochen. Abgeordnete wie die fujimoristische Tania Tajamarca werden mit Steinen aus ihrer Wahlgegend vertrieben, wenn sie diese aufsuchen. Die Wut unterscheidet nicht zwischen den Parteien. «Sind Sie zufrieden mit den Resultaten, Frau Susel? Wie fühlt es sich an, jeden Tag mit 52 Toten schlafen zu gehen?», hielt eine Frau der Parlamentarierin Susel Paredes, einer LGBTQI-Aktivistin, entgegen.
Die Feuer sind nicht von kleinen radikalen Gruppen gelegt worden. Sie sind wie die Blockaden von Verbindungsstrassen, die Zusammenstösse mit der Polizei und die Besetzungen öffentlicher Gebäude das Werk einer Volkserhebung. Es geht um eine moderne Fuente Ovejuna[3], die jenseits der Parteien wächst, alimentiert von Rondas Campesinas[4], Volksgruppen mit dem Territorium als Identität, Kleinhändlern, Lehrerinnen, Chauffeuren, Gremien und studentischen Gruppen. Es ist die Rückkehr der Vier Gemeinsamen Regionen (Tawatinsuyo[5] auf Quechua).
Die heterogene und diverse Volksbewegung, die sich wie Vulkanmagna durch das Land ergiesst, stellt keine spezifischen Forderungen. Die ProtagonistInnen haben ihre jeweiligen Anliegen zur Seite gestellt. Sie sind von Beginn weg eine das alte politische Regime absetzende Bewegung, die den Rücktritt der usurpatorischen De-facto-Regierung, ihrer Präsidentin Dina Boluarte und des Kongresses verlangt. Sie wollen Neuwahlen und ein Referendum über eine neue Verfassung sowie Freiheit für Pedro Castillo. In der jüngsten Erhebung des Instituto de Estudios Peruanos befürworten 69 Prozent der Befragten eine Verfassungsgebende Versammlung.
In einem strukturell rassistischen und klassistischen Land wie Peru mit einer Oligarchie von Lima, die sich der Provinzen bemächtigt, einem enormen Heer von prekarisierten ArbeiterInnen, einem systematischen Mangel an Werken und Dienstleistungen und einer endemischen Unterdrückung von sozialen KämpferInnen basiert die aktuelle Volksrevolte auch auf altem Unrecht, das heute unerträglich wird.
Der peruanische Staat, schreibt Héctor Bellida, eine der grossen ethisch-moralischen intellektuellen Referenzen dieser Nation, ist «ein Schiff voller Löcher, das ohne Kompass und Kapitän fährt. Die Kapitäne gehen vorüber. Sie kommen mit dem Gedanken, was sie mitnehmen können. Es ist ein Staat der Unfähigkeit, er kann nichts machen, denn alles muss mit privaten Unternehmen ausgehandelt werden». Ein Staat, Macht im Kupferbereich, der aber nicht verhindern konnte, dass 41 grosse Bergbaukontrakte vom Widerstand der Comunidades blockiert sind. Er hat auch nicht die Kraft, die von Fujimori unterzeichneten Verträge, die 2023 auslaufen, neu zu verhandeln.
Die Bewegung hat ein Anfangsdatum, den 7. Dezember, aber ihr Ende bleibt im Dunkeln. Überraschend ist ihr Andauern trotz der brutalen Repression der zivil-militärischen De-facto-Regierung, die die Verfassungsgarantien suspendiert und mehr als 60 Personen ermordet hat; ihr Vorankommen in Wellen; ihre Intelligenz, sich über Weihnachten zurückzuziehen und nach deren Ende mit gewachsener Kraft und Mobilisierungskapazität wieder neu aufzuflammen; ihre Potenz, in Anlehnung an die Marcha de los Cuatro Suyos[6], die den Anfang vom Ende des Fujimorismo signalisierte, eine neue zu organisieren, während sie gleichzeitig den Süden kontrolliert; die Solidaritätsnetze, die sie nähren, beherbergen, mit Wasser versorgen, transportieren, heilen und schützen.
Die absetzende peruanische Erhebung schliesst sich mit all ihren spezifischen Eigenheiten dem Zyklus von Volksmobilisierungen von unten, die in den letzten Jahren Ecuador, Chile, Kolumbien und Bolivien erschüttert haben, an. Diese südamerikanischen Erfahrungen zeigen auch, dass das Resultat ungewiss ist. Die Geschichte schreitet nicht geradlinig fort.
Das transnationale Minenkapital verlangt Stabilität und Garantien für seine Investitionen und wird all seine Ressourcen und seinen Einfluss für deren Aufrechthaltung einsetzen. Auch wenn der Entscheid, die Volksbewegung zu unterdrücken, in der peruanischen Rechten breit mitgetragen wird, hat die usurpatorische Regierung von Dina Boluarte mittelfristig keine Überlebenschance. Aber die Dimension der Gewalt gegen die Aufständischen kann diesen absetzenden Vorstoss des Peru von unten kurzfristig in Blut ertränken. Das peruanische Volk hat sich in das Subjekt seines eigenen Schicksals gewandelt. Alle Solidarität für dieses Epos!
· La Jornada, 24. 01. 23: Perú: movimiento popular destituyente
[1] Glencore-Filiale. Alle Fussnoten vom Übersetzer.
[2] Behörde zur Unterstützung elementarer Rechte der unterprivilegierten Schichten und zur Kontrolle des staatlichen Handelns.
[3] Bekanntes spanisches Theaterstück von López de Vega aus dem 17. Jahrhundert über eine bäuerische Revolte gegen die Obrigkeit.
[4] Dorfzusammenschlüsse für Recht und Sicherheit nach eigenen, alten Gesetzen.
[5] Die alte Inkagesellschaft.
[6] Marsch auf Lima.