(zas, 22.11.14) Im Juni letzten Jahres schuf
der Supreme Court der USA Sektion 4
des US-Wahlrechtsgesetzes von 1965 ab (s. Elections
– American Style). Seither müssen 16 Staaten, die berüchtigt
waren und sind dafür, schwarzen und anderen minority-
Angehörigen Hindernisse für die Ausübung ihres Wahlrechts in den Weg zu legen,
die entsprechenden Regulierungen nicht mehr dem US-Justizministerium zur
Genehmigung vorlegen. Dieses hatte etwa Florida bei den letzten
Präsidentschaftswahlen gezwungen, 180‘000 US-BürgerInnen, „illegale
AusländerInnen“ mit meist mexikanischen Namen, wieder in sein
WählerInnenregister aufzunehmen.
Damals hatten der Recherchierjournalist
Greg Palast und Joseph Kennedy Jr. diverse Wahlbehinderungsmechanismen publik
gemacht, die Millionen von Unterklassenmenschen betrafen. „Publik“ meint natürlich
nicht, dass die Mainstreammedien davon Notiz genommen hätten. Genau so wenig
wie aktuelle Innovationen der Wahlbeteiligungsverhinderung in den USA (ich habe bloss in Daniel Sterns WoZ-Artikel Die
grosse Unzufriedenheit einen Hinweis darauf gesehen).
Dieser Tage hat Greg Plast einen
weiteren Bericht in seiner Serie zu neuen Modalitäten der Verhinderung von Wahlbeteiligung
primär von Unterklassensegmenten in den USA veröffentlicht (The Secret
Lists that Swiped the Senate). Er kommt zum Schluss, dass die
Republikaner einzig dank dieser Art von Wahlbetrug bei den Midterm-Wahlen von
Beginn dieses Monats die Mehrheit im US-Senat errungen haben. Paranoide Verschwörungstheorie? Wer 2000 bei Bushs
Wahl zum Präsidenten nichts bemerkt hat, wer den bis in die 1960er Jahre
selbstverständlichen Wahlausschluss von Schwarzen in - vorallem, aber nicht nur
- den Südstaaten in vorgeschichtlicher Zeit datiert, wird eine solche Aussage unbesehen als
Verschwörungsstory verwerfen und
vergessen.
Der Hype
der Ultras
27 meist republikanisch regierte Bundesstaaten
bedienen sich des Softwareprogramms Crosscheck, um „mutmassliche“
DoppelwählerInnen dingfest zu machen, also Leute, die bei der gleichen Wahl in
zwei Staaten ihre Stimme abgeben haben. Es ist der grosse Hype der republikanischen
Ultras, dass die Demokraten nur dank solchem Wahlbetrug überhaupt Siegeschancen
haben. Crosscheck eruiere mögliche DoppelwählerInnen, so die Behauptung der beteiligen
Wahlbehörden, dank des Vergleichs der WählerInnenregister der beteiligten
Staaten in Bezug auf Vornamen, Mittelnamen, Geschlechtsnamen, Namensuffix (etwa
das an den Namen angehängte „Jr.“), Geburtsdatum und social
security-Nummer. Ergebnis: fast 7 Millionen eventuelle DoppelwählerInnen in den ursprünglich 28
beteiligten Staaten (Washington ist nach Vorliegen der Crosscheck-Resultate aus
dem Unternehmen ausgestiegen), von einer Gesamtzahl von 110 Millionen Wahlregistereinträgen.
Palast und sein Team haben lange vergeblich um die Herausgabe der
Verdachtslisten ersucht: Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der
mutmasslichen GesetzesbrecherInnen bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung sei
dies unmöglich, so die zuständigen staatlichen Wahlbehörden.
Millionen
DoppelwählerInnen?
Aber dank sogenannter open ressource requests gelangte Palast im Namen von Al Jazeera
America letzten Oktober in den Besitz der Listen der drei Staaten Georgia,
Virginia und Washington mit über 2 Millionen Hits und zur Erkenntnis:
Verglichen wurden nur Vor- und Nachnamen, „nicht
einmal Geburtsdaten scheinen in Betracht gezogen worden zu sein“, wie
Palast am 29. Oktober 2014 in seinem ersten Crosscheck-Beitrag Jim Crow
Returns festhält. Palast dort weiter: „“Die Listen der drei Staaten enthalten schwergewichtig Namen wie
Jackson, García, Patel und Kim – Namen, die einst unter den Minderheiten, die
überwiegend demokratisch wählen, verbreitet waren. Tatsächlich wird 1 von 7
AfroamerikanerInnen als DoppelwählerIn verdächtigt. Dies gilt auch für 1 von 8
Asian Americans und 1 von 8 Hispanics. Auch
weise WählerInnen haben im Verhältnis von 1 zu 11 das Risiko, aus dem
Wahlregister entfernt zu werden, allerdings ist es weniger hoch als bei den Minderheiten.“
Helen Butler arbeitet für die Georgia Coalition for the Peoples‘ Agenda als
Organisatorin der Wahlbeteiligung. Jede auf Namen basierende „Säuberung“ der
Wahlregister ist implizit anti-afroamerikanisch, da, wie Palast sie zitiert: „Wir [AfroamerikanerInnen] den Namen unseres
Sklavenhalters angenommen haben“. (53 % der „Jacksons“ sind schwarz). Helen Ho von Asian Americans Advancing Justice in Atlanta: „Ich denke, alle, die mal auf die Asian American Namen und Vornamen
geachtet haben, müssten wissen, dass das
eine unverhältnismässige Wirkung zeitigt. Ich bin sicher, das gilt auch für die
Latino-Community.“ „Tatsächlich“, fügt Palast an, „teilt sich ein Sechstel der Asian Americans
30 Nachnamen und 50 Prozent der Minderheiten haben gemeinsame Nachnamen, im
Gegensatz zu 30 Prozent der Weissen.“
Kris Kobach, Innenminister von Kansas
und Crosscheck-Promoter, gibt stolz an, 14 WählerInnen wegen Doppelwählen angezeigt
zu haben. In North Carolina haben die Behörden einen Ex-FBI-Agenten zum Überprüfen
„ihrer“ 192‘207 Crosscheck-Verdächtigen angeheuert. Nach fünf Monaten
Schnüffeln hat der Mann nicht einen Fall erhärten können.
Der Rechtsstaat geht natürlich auch bei
Crosscheck vor. So erhalten alle „Verdächtigen“ eine Postkarte, in der sie
aufgefordert werden, Namen und Adresse zu verifizieren. Nur „sieht sie“, so Helen Butler über die in
Georgia verschickte Karte, „aus wie ein
Stück Trashpost, die du jeden Tag erhältst und fortschmeisst“ (id.). Zur
gleichen Karte hält direct-mail-Experte
Michael Wychocki erstens fest, dass sowieso 4 bis 20 Prozent aller Post verloren
geht, und betont zweitens „den
Unterschied zwischen Arm und Reich“ (Palast), wenn er sagt : „Die afroamerikanische Familie Williams –
sie mietet – zieht möglicherweise jedes Jahr um, während die Whitehall-Familie
im Einemillionhaus wird kaum je umzieht“ (id.). Wychoki weiter: „Es sieht so aus, dass sie jede direct-marketing-Regel
verletzt haben“, indem sie, so
Palast Wychoki resümierend, „eine Karte
entworfen haben, für die es garantiert scheint, dass sie nicht beantwortet
wird. Er erklärt, dass Marketingprofis wissen, dass die Leute unerbetene Post
nur zwei Sekunden lang anschauen, und dieser Einmal-Approach – keine folgende
Telefonanrufe, Emails, Radiokampagnen oder anderes –garantiert eine tiefe
Antwortquote.“
Wahlen
gewinnen
In
seinem neuesten Beitrag (The Secret
Lists that Swiped the Senate) geht Palast erst auf den in den
USA berühmten Wahlstatistiker Nate Silver ein, der nicht versteht, dass die
Demokraten bei den Midtermwahlen vom 4. November 2014 nicht mit 4 Prozent Stimmenvorsprung
gewonnen haben. „Crosscheck“, erklärt Palast. So gab es knappe republikanische
Sitzgewinne in North Carolina (48‘511 Stimmen Vorsprung, 589‘393 Crosscheck-Namen)
und Colorado (49‘729 Stimmen Vorsprung, 300‘842 Crosscheck-Namen). Palast: „Die Crosscheck-Säuberung liess auch Wahlen
in Alaska und Georgia kentern und verschaffte vermutlich die Siegesmargen für
die republikanischen Gouverneurskandidaten in Kansas und Massachusetts. Typisch
ist Virginia, das stolz 64‘581 ‚Duplikate’
aus seinem Wahlregister von 2013 strich, was 19 Prozent seiner Crosscheckliste
entspricht. Andere Staaten verweigern Zahlenangaben, aber ihre Schrubbmethoden
sind wie die von Virginia oder noch aggressiver. Wir können konservativ annehmen,
dass die Säuberung von 19 Prozent der Crosschecklisten bei mindestens drei
republikanischen Senatsgewinnen und damit der Kontrolle des Senats den
Ausschlag gab.“
Zu Nate Silvers Statistikkofpweh hat
sich auch der bekannte Wahlrechtsblogger Brad Friedman geäussert, der zur
Erklärung nebst Crosscheck auch auf bestandene Methoden der Wahlbeteiligungverhinderung
hinweist: „von ID-Fotorestriktionen über
fehlende Wahlregistereinträge zum geplanten Papiermangel in den Wahlkreisen der
Minderheiten. Allein in Georgia sind 56‘000, von einer Koalition von Minderheitenwahlrechtsgruppen
gesammelte Registeranträge schlicht nicht aufgenommen
worden“ (Palast).
Was Wunder, sagt einer, der Bescheid
weiss: „Es ist wieder ganz Jim Crow“
(Jim Crow
Returns). (Nach der
Bürgerkriegs-Schlachterei von 1861-65 erhielten die Schwarzen die juristische
Gleichberechtigung mit Weissen und das
Wahlrecht. Beides wurde ihnen in den Südstaaten standa pede, abgesegnet vom Supreme Court, via
Diskriminierungsgesetzte und -massnahmen unter dem Motto von equal but separate wieder verwehrt. Als
Propaganda diente die Figur des unterbelichteten Schwarzen Jim Crow, damals „populär“
gemacht in den minstrel shows, in
denen Weisse Schwarze verhunzten.) Die Jim-Crow-Periode gilt ab 1965 als beendet.
Der jetzt wieder Jim Crow sieht, ist Rev. Joseph Lowery. In den USA ein bekannter
Mann: Er hatte mit Martin Luther King Jr. die in den civil rights-Kämpfen berühmt gewordene Southern Christian Leadership Conference gegründet.
4.11.14: Protest gegen elektorale Reaktion. Quelle: gregpalast.com |
Zeitgenösssischer
Faschismus?
Zwei Dinge noch: Es ist unbezweifelbar,
dass die neue Jim-Crow-Periode primär von der Republikanischen Partei als
Mittel für ihre Wahlsiege promoviert wird. Palast betont in seinen Recherchen diesen
Strang. Allerdings machen bei Crosscheck auch von der anderen Partei regierte Staaten
mit. Jim Crow zielt vielleicht auf das Ende einer in den 60er Jahren angefangenen
Periode, ähnlich wie der heutige Workfare-und Krisenterrorismus auch das
Umdrehen aller unter dem Eindruck der sowjetischen Bedrohung gemachten sozialen
Zugeständnisse des Kapitals anstrebt und dabei einen neuen Faschismus
aktiviert.
Und natürlich stellt sich die Frage
nach dem Sinn einer Wahlbeteiligung unter Bedingungen, wie sie etwa in den USA
herrschen. Dass aber diese Frage einzig die potenziellen WählerInnen
beantworten können, sollte klar sein.