(zas,
7.12.17) Die Lage in Honduras ist verworren. Die Beweise für den Wahlbetrug vor
bald zwei Wochen sind derart erdrückend, dass sich gestern auch das OAS-Generalsekretariat
unter Luis Almagro hinter die Forderung der Antidiktaturallianz nach
Verifizierung der vom Wahlgericht TSE benutzten 5174 Wahlakten stellte, die bei
der offiziellen Auszählung den Sieg des amtierenden Präsidenten Juan Orlando
Hernández (allgemein JOH genannt) erbrachten. Zum Verständnis: Noch in der
Nacht des Wahlsonntags vom 26. November 2017 hatten das TSE und die Parteien
elektronisch 71 % der Wahlakten landesweit erhalten. Mit einem klaren Vorsprung
des Oppositionskandidaten Salvador Nasralla. Dann brach, so das TSE, das
Computersystem zusammen, der Server war ausgestiegen und musste neu formatiert
werden! Wobei, was Marlon Ochoa, Wahlkampfleiter der Allianz, nicht zu
erwähnen vergass, die TSE-Techniker freimütig mitteilten, dass alle Daten
manuell neu eingegeben wurden. Ebenso frei von Beobachtung durch die Parteien
wie die Eingabe der vorher nicht übermittelten über 5000 restlichen Wahlakten. Resultat:
Die zuvor linear ansteigende Kurve des Vorsprungs von Nasralla auf Hernández
fand genau ab diesem Moment der „neuen Auszählung“ ihren Absturzpunkt – das TSE
ernannte Hernández zum Sieger. Zwecks „Glaubwürdigkeit“ hatte das Wahlgericht zuvor
noch die Zettel von 1006 Akten nachgezählt, die es unter „umstritten“ geführt
hatte – wobei nicht klar, woher diese Materialien überhaupt kamen. Geradezu
surreal: Der TV-Sender HCH übertrug diese „Nachzählung“ live (Ausschnitte
auf der Nasralla-Seite), dabei zeigte sich, dass die Wahlzettel nicht
gefaltet in der Urne lagen. Nur, Kreti und Pleti faltet den Wahlzettel vor dem
Einwurf in die Urne. Ein weiteres Indiz, dass die Rechte tatsächlich vom Sieg
der Opposition überrumpelt wurde und in der Eile zu groben „Bastelfehlern“
greifen musste.
In ihrem vorläufigen
Bericht vom 4. Dezember hielt die OAS-Mission andere offenkundige Brüche
des Wahlgesetzes fest, etwas, was wir im Eilpost von Sonntagnacht nicht
berücksichtigt haben. So hatten ihre BeobachterInnen etwa bei der Anlieferung
der Wahlunterlagen im TSE festgestellt, dass manche der Urnen geöffnet ankamen,
andere ohne Akten oder andere obligatorische Materialien, und nicht eine
entsprechend den Sicherheitsmechanismen. Infolgedessen sprach sich die Mission etwa
für eine Überprüfung der 5174 Akten unter Beteiligung der Parteien und der Resultate
aus den Departementen Lempira, La Paz und Intibucá aus, mit einer angeblichen
Teilnahme von 70% bis 75% der Wahlberechtigten im Gegensatz zu den rund 50%
überall sonst. Hier soll JOH seinen Vorsprung geholt haben. (Dies spricht nicht
für eine tiefe Wahlbeteiligung, sondern für die Notwendigkeit, das Wahlregister
mit seinen unzähligen Toten, DoppelgängerInnen, Ausgewanderten etc. endlich zu
bereinigen.) OAS-Boss Almagro schloss sich nun diesen „Empfehlungen“ an und setzte
mit folgender Bemerkung
gleich noch eins drauf: „… ohne die Möglichkeit einer Empfehlung für
eine neue Ansetzung von Wahlen mit Garantien auszuschliessen, dass alle
identifizierten Schwächen korrigiert werden, die zu den schwerwiegenden
Unregelmässigkeiten…“ geführt haben.
OAS als Gesetzgeberin?
Neuland,
gelinde gesagt. Das Wahlgesetz kennt diese Möglichkeit offenbar nicht. Ist nun die
OAS die Gesetzgeberin? Die Allianz freut sich über Rückenstärkung der OAS, doch
ist grösste Vorsicht angesagt. Wäre etwa eine „Empfehlung“ der OAS zur strikten
Kontrolle durch die Parteien der Urnen für ihre allfällige „Öffnung“ (soweit
eben nicht schon eh geöffnet angeliefert) nicht adäquater gewesen? Denn wenn die OAS nun eine gesetzgeberische Rolle
übernehmen würde, käme eine „Wahlreform“ heraus, die genau das Mittel, das
jetzt zur Aufdeckung des Wahlbetrugs verholfen hat, nämlich die Kontrolle der
Wahlakten durch die Parteien, mit grosser Wahrscheinlichkeit ausradieren würde.
Sowohl die OAS wie auch die EU insistieren seit Jahren auf einer „technischen“
Wahlorganisation in Honduras durch nicht-parteigebundene Kräfte. Das klingt
gut, gerade angesichts solch evidenter Machenschaften wie der aktuellen des
regierenden Partido Nacional oder
etwa der rechten Parteien in Mexiko. Doch wohin das führt, zeigt uns das Extrembeispiel
El Salvador, wo dank eines entsprechenden permanenten Verfassungsbruchs der
Verfassungskammer des Obersten Gerichts die letzten Wahlen schon zu enormen
Schwierigkeiten geführt haben und die Bedingungen für die nächsten März
anstehenden Parlaments- und Gemeindewahlen so festgelegt sind, dass die Linke,
unabhängig von anderen Faktoren, mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen haben
wird („Entparteilichung“ der Wahlbehörden strikt gegen links; Einsatz privater,
also unkontrollierter Auszählsoftware u. a. Der Linken verbleiben einzig noch
die Akten – was aber, wenn diese morgen von ihr nicht mitkontrolliert zustande
kommen?) Tatsache ist, dass die „Entparteilichung“ im konkreten
lateinamerikanischen Kontext einer direkten Machtstärkung der US-Botschaften
und der transnational angebundenen Oligarchien im Wahlbereich entspricht. Die oft
bemühte „Zivilgesellschaft“ erweist sich hier als von diesen Kräften
okkupiertes Terrain (da lag Gramsci nicht falsch).
Derweil die USA …
Die Allianz
tappt vielleicht, um JOH loszuwerden, in diese Falle. So jedenfalls liesse sich
die Forderung Nasrallas nach einem internationalen Gericht statt des TSE als
Schiedsrichter bei der Weiterentwicklung des Wahlgeschehens interpretieren. Auf
der anderen Seite scheint trotz der Positionen von OAS und EU der Ausgang noch
ungewiss. Das Regime zählt auf Unterstützung in Washington. Schon am 4.
Dezember zeigte
sich die US-Geschäftsführerin in Honduras „zufrieden“ mit der oben geschilderten „Nachprüfung“ der 1000 Akten.
Und vorgestern machte Reuters
bekannt, dass US-Aussenminister Rex Tillerson nach der Wahl etwa zertifiziert
hat, dass JOH u. a. die Rechte der Oppositionsparteien respektiere und die
Korruption bekämpfe und dass deshalb das Land weiter US-Gelder empfangen dürfe.
„Was für eine Botschaft ist das?“, zitierte
Reuters einen Kongressmitarbeiter.
Das TSE hat
sich seinerseits nun zur “Nachzählung” aller Akten bereit erklärt.
Interessanterweise sind es die weit rechts stehenden Regierungen von Argentinien,
Kolumbien, Guatemala, Paraguay, Peru sowie jene von Chile, die sich zack hinter
dieses „Angebot“ stellen.
Und die Lage sonst?
Seine Ausgangsspere
hat JOH für acht Departemente „suspendiert“,
angeblich aus Gründen der Tourismusförderung. Sie gilt aber weiterhin für
Gebiete wie die beiden grossen Städte Tegucigalpa und San Pedro Sula. Nach
Angaben der Menschenrechtsorganisation COFADEH von gestern sind bis dato 12
DemonstrantInnen ermordet worden. Die streikenden Poizeieinheiten arbeiten
wieder, wobei sie versichern, keine DemonstrantInnen anzugreifen. Es ist zu
befürchten, dass fieberhaft an der „Bereinigung“ von Wahlzetteln und Urnen
gearbeitet wird, um sie bei einer „Nachprüfung“ präsentieren zu können. Den uns
vorliegenden Angaben zufolge befinden sich die Wahlunterlagen in der alleinigen
Verfügungsgewalt des TSE, also des Regimes – unklar ist jedoch, ob insbesondere
die OAS-Mission, evl. auch jene der EU, nicht eine gewisse Kontrollpräsenz
ausüben können (und wollen).
Die Allianz
hat gestern nicht, wie zuvor von Libre angekündigt, einen Generalstreik
ausgerufen. Einer genaueren Strategiediskussion zuliebe oder aus „Rücksicht“
auf internationale Organisationen, ist offen. Allerdings ist die Kraft der Hunderttausenden
(Nasralla spricht von einer Million), die letzten Sonntag im ganzen Land gegen
die Diktatur auf die Strasse gegangen sind, icht zu vernachlässigen.