(zas, 20.12.17) Für heute Mittwochnachmittag hat die
Antidiktatur-Allianz zu einem «energischen»
Grossprotest vor dem Generalstab der Armee aufgerufen. Für morgen
Nachmittag zu einer Mobilisierung vor die US-Botschaft, gegen «die Unterstützung für den Betrug und die Finanzierung
der Repressionskräfte, die die Menschenrechte verletzen». Für Freitag
schliesslich zu allgemeinen Protesten landesweit.Das Regime schickt unterdessen noch mehr Militär für den Einsatz gegen Strassensperren in den
Norden, die wichtigste Wirtschaftszone des Landes.
Militärtransporter auf der Fahrt in den Norden. Quelle: twitter.com/GildateleSUR/ |
Obwohl schon am Montag drei Protestierende erschossen worden sind,
gehen die Leute immer noch auf die Strasse. In den Social Media zirkulieren
viele Videos mit erschreckenden Szenen, etwa wenn die Leute entsetzt sagen hörst,
dass jetzt im Park (gefilmt aus der Distanz mit Handy), grad welche erschossen
worden sind. Oder «Jagdszenen» mit Scharfschüssen auf den Strassen. Dennoch ist
es nicht richtig, nur die Opfererzählung zu verbreiten. Die Führung der Alianza ruft zu strikt friedlichen
Protesten auf, aber in der Resistencia
trifft das nicht unbedingt die Stimmung. (Eine andere Sache ist der erwiesene
Einsatz von Provokateuren bei Plünderungen.) Im folgenden Video etwa sehen wir
auch einen Studenten, der ruft, sie hätten keine Angst zu sterben und würden
die Bullen packen.
Der gewählte, aber vom Regime nicht anerkannte Oppositionskandidat
Salvador Nasralla ist derzeit in Washington. Hier hat er sich schon mit OAS-Chef
Luis Almagro ins Einvernehmen für die Ausrufung von Neuwahlen gesetzt; ein Treffen
im State Department steht an. Er sagte
nach dem OAS-Besuch, die Lage im Land sei «unhaltbar;
wir befinden uns am Rand eines Bürgerkriegs.»
Es scheint drei grundsätzliche Stossrichtungen in Honduras zu
geben. Die eine verkörpert das Regime, das darauf setzt, über Weihnachten/Neujahr
die Proteste unter Kontrolle zu kriegen, um die Präsidentschaft von Juan
Orlando Hernández weiterführen zu können. Diese Tendenz wird vorderhand vom
State Department unterstützt, etwa wenn die Departmentsprecherin Heather Hauert
nach der Verkündung des «Wahlsiegs» vom Juan Orlando Hernández (JOH) erklärt, jetzt
beginne eine 5-Tages-Frist für allfällige Einsprachen, die Parteien sollten «allfällige Bedenken» hier kanalisieren –
in ein evident verlogenes Wahlgericht.
Eine zweite Tendenz ist jene von OAS, Nasralla, verschiedenen
Strukturen der «Zivilgesellschaft», wie dem jesuitischen Radio Progreso, die
eine Neuwahl unter OAS-Regie anpeilen. Hauptargument ist, dass die Institutionalität
des Landes zerbrochen sei und keine Lösungsmöglichkeit biete, weshalb die in Verfassung
und Gesetzen nicht vorgesehene Neuwahl sich aufdränge. Radio Progreso, Nasralla
etc. betonen, Neuwahlen könnten nicht unter dem bisherigen Wahlgericht laufen,
sondern müssten von einer «unparteiischen, objektiven» Instanz oder, wie
Nasralla mehrmals sagte, von einem solcherart qualifizierten «internationalen
Richter» ausgerichtet werden. Aus einer linken Ecke der führenden
Oppositionspartei Libre erhielten wir die Einschätzung, diese Lösung müsse als «taktisches Ziel» unterstützt werden,
als Station also im Prozess der Unterklassenorganisierung. Eine «Ecke», die
natürlich bestens Bescheid weiss über die Rolle der OAS gegen die links regierten
Länder im Kontinent. Diese Kräfte sprechen sich so faktisch für eine Ermächtigung
der OAS aus, die über derzeit offenbar bestehende Differenzen mit einem Teil der
US-Politeliten hinaus eindeutig deren Werkzeug ist. Dass etwa die progressiven
Jesuiten diese Lösung unterstützen, ist weniger überraschend. Sie haben in
Zentralamerika oft gezeigt, dass sie mehrheitlich ein möglichst «cleanes» formaldemokratisches
Politmanagement den Wirren und Dynamiken einer Politik von unten vorziehen. Die
Orientierung auf Neuwahlen, zu denen es nur mit dem Plazet Washingtons als
Resultat eines elite-internen policiy
finding kommen kann, könnte je nach dem für viele Leute in Honduras ein Ausweg
sein aus einer Lage sein, die viele schlimme Opfer androht. Gleichzeitig aber
wird sie im Fall ihrer Durchsetzung zulasten der Dynamik von unten jene Kräfte
ins Zentrum stellen, die wie vermutlich Nasralla gesellschaftliche Mobilisierungen
bloss als Mittel zum Zweck sehen, nicht als Teil des strategischen Ziels.
Und damit wären wir bei einer dritten Tendenz, wie sie sich
in den Strassenkämpfen ausdrückt. Sie will die Diktatur (nicht nur auf der
politischen Ebene) weghaben und hat mit OAS-Strategien und dgl. kaum viel am
Hut. Dafür stehen nicht nur Organisationen wie die indigene Copinh, die Ofraneh
der Garífunas an der Karibikküste oder die vielen Kerne der studentischen
Bewegung. Das geht in undefinierte Gewässer wie die spontanen Strukturen der
Kollektivität in den Barrios und Dörfern, von denen wir immer wieder «en
passant» Zeugnisse erhalten, also in die Seele der Resistencia. Diese operieren nicht entlang von mehr oder weniger edlen
Politkalkülen, sondern direkt aus der Revolte gegen untragbare Zustände im
Alltag, die mit dem Wahlbetrug einen Overkill erfahren haben. Sollte hier ein «Ja»
für Neuwahlen zum Konsens tendieren – weil eben die Perspektive enormer Schmerzen
wegen der Repression als übermächtig wahrgenommen wird –gäbe es von aussen nichts
zu meckern.
Die Linke wäre dann ein weiteres Mal damit konfrontiert, dass
der Imperialismus nicht nur offen völkermörderisch, sondern auch auf samten
Pfoten daherkommen kann. (Wie etwa in Guatemala, wo viel Wut über Willkür und
Korruption der Mächtigen bisher in Kanäle unter Kontrolle der US-Botschaft etc.
geleitet werden konnte.) Die OAS hat sich in der letzten Zeit wegen ihrer
schamlosen Dienstbarkeit für die Angriffe auf linke Regierungen in
Lateinamerika immer mehr diskreditiert. Almagro und seine Organisation werden den
ungewohnten Glanz an «demokratischem Engagement» neue Imperiumsdienste einzusetzen
wissen. In diesem Punkt ist der nach Brüssel zurückgekehrten Leiterin der EU-Wahlmission
in Honduras, Marisa Matías, Recht zu geben, wenn sie im Interview mit dem
Regimeblatt El Heraldo mit Blick auf die OAS meint:
«Eine Wahlwiederholung vorzuschlagen ist
eine Form der Einmischung.» Ansonsten stellt sich die eigentlich linke portugiesische
Europarlamentarierin hinter das den Wahlbetrug politisch und praktisch
schluckende Statement ihrer Mission – s. Post von gestern - und stellt erst für
den Abschlussbericht Äusserungen zu «eventuellen» Mechanismen der
Wahlmanipulation in Aussicht. Die kritische Predigt gibt’s sonntags, wenn die
Woche gelaufen ist. Nicht jetzt, wo sie Leben retten könnte.)
Solidarität auf der salvadorianischen Seite eines Grenzübergangs. Quelle: twitter.com/GildateleSUR/
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