(zas, 26.2.20) Am Dienstag vergangene Woche donnerten am
Nachmittag wiederholt Flugstaffeln der Luftwaffe über San Salvador. Wenige
Leute dürften die Botschaft von Präsident Nayib Bukele nicht getickt haben:
«Ich bin der Boss, die Armee tut, was ich ihr sage.»
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Bukele führt seinen Herrschaftsanspruch vor. Quelle: Twitter Bukele. |
Zum Hintergrund dieses
«Events» – militärische Besetzung des
Parlamentsgebäudes am 9. Februar bei gleichzeitig markant verstärkter
Armeepräsenz in Teilen der Hauptstadt – siehe
El
Salvador: Ein Putsch in process (8.2.20) und
El
Salvador: Putschversuch erstmal gescheitert (10.2.20). Es ging Bukele damals
nicht um den als Anlass für den Selbstputsch und den einen imaginierten «Aufstand»
des Volkes gehandelten undurchsichtigen Kreditantrag ($ 109 Mio. angeblich für
die Verbrechensbekämpfung), sondern darum, den noch widerstrebenden Teil der
Rechten an die Leine zu nehmen. Dann wäre die Bahn frei für den Grossangriff
auf den den linken FMLN. Dabei vergriff sich der Clan um Bukele in der Wahl der
Mittel. Sie verwechselte ihre Aspiration, die traditionelle Oligarchie (und
deren politischen Apparate) als
favourite
business partner der US-Investoren zu ersetzen, mit dem Ist-Zustand. Es hagelte
Kritik an der Armeebesetzung des Parlaments von Seiten zahlreicher
salvadorianischer und zentralamerikanischer Handelskammern oder Sozialorganisationen.
Grosse US-Medien riefen «Pfui», die US-Botschaft und Mitglieder des
US-Kongresses verurteilten das Geschehen. Bukele musste zurückkrebsen. Im Gebet
im militarisierten Parlamentssaal habe ihm Gott «Geduld» angeraten. Er gebe dem
Parlament noch genau eine Woche, den Kredit zu sprechen, ansonsten werde er sich
am nächsten Sonntag vor dem «Volk» nicht mehr um eine Gnadenfrist für die
kriminellen Abgeordneten verwenden. Die Verfassungskammer des Obersten Gerichts
suspendierte tags darauf mit grünem Licht aus Washington Bukeles neue
(verfassungswidrige) Einberufung des Parlaments zur Sondersession samt
angedrohter «Volksmobilisierung».
Rattendiskurs
Vorübergehend sprang nun Bukele-Intimus Walter Araujo in die
Bresche. Der frühere Chef der traditionellen Rechtspartei ARENA veröffentlichte
auf Youtube und Facebook Geiferorgien gegen die ausschliesslich als Ratten titulierten
unbotmässigen ParlamentarierInnen. Er kündigte an, an dem von Bukele als letzte
Schonfrist genannten Sonntag, dem 16. Februar, an der Spitze des Volkes den
Rattenpalast auszuräuchern. 50'000 seien seinem Aufruf gefolgt, liess der Möchtegern-Tribun
dann nach dem 15-Minuten-Anlass mit Ankündigung einer verlängerten Schonfrist verlauten.
Gekommen waren um die 300-500 LoyalistInnen aus Bukeles Partei Nuevas Ideas.
Am Dienstag danach also donnerten die Flugstaffeln während
einer Stunde immer wieder über San Salvador hinweg. Sie feierten so eine erneute
Bukele- Vergrösserung der Streitkräfte – der laut Eigenwerbung «populärste» und
«coolste» Präsident der Welt nahm gerade vor dem Nationalpalast weiteren 1400
neuen SoldatInnen den Amtseid ab. «Unsere Helden», wie Bukele und sein Lager
die Militärs bezeichnen, hatten sich schwer bewaffnet, mit martialischem
Getrampel und mit Tarnfarben aufgemotzten Gesichter aufgestellt, um
diesen
Worten des Präsidenten zu lauschen:
«Ich
will euch grüssen, nicht als Oberkommandant der Streitkräfte, sondern als
Salvadoreño, und euch danken, denn ihr habt euch dafür entschieden, die
Salvadorianer vor inneren und äusseren Feinden zu schützen … Es sind schwere
Zeiten, in denen wir wissen, dass die Mehrheit der Politiker Kriminelle
beschützen. Zeiten, in denen wir wissen, dass
Abgeordnete und Ex-Minister die Kriminellen finanzierten, die ihr verfolgen und
fangen werdet. Zeiten, in denen wir wissen, dass Abgeordnete Skandal schreien,
wenn sie einen Militär sehen, aber keinen Skandal sahen, als Bandenmitglieder
das Parlament betraten, um über das Leben der Salvadoreños zu verhandeln.»
Etwas Faktenlage
Das Bukele-Lager vertritt die von der Staatsanwaltschaft und
fast allen Medien vertretene These, sowohl führende ExponentInnen der
Rechtspartei ARENA wie des linken FMLN hätten den Maras, den früheren
Strassenbanden zwecks Wahlhilfe massiv Geld geschoben. Bei führenden
ARENA-Kadern liegen entsprechende Beweise vor. Bei Mitgliedern des FMLN dagegen
gibt es bis jetzt nur extrem wacklige Handyaufnahmen, ohne Möglichkeit,
Stimmen, Sätze oder Gesichter zu erkennen. Nur in einem Fall existiert eine
besser erkennbare Szene: Ein späterer Innenminister des FMLN wird von Mareros
beim Zutritt zu einer Wahlveranstaltung in einer Comunidad «abgefangen» und versichert
ihnen im folgenden Gespräch, eine künftige FMLN-Regierung werde
Rotationskredite für produktive Projekte für ihre Integration sprechen. Ist ein
Hilfswerk-Diskurs schon illegal in einer Situation, in der zahlreiche
Gesundheitsposten in Unterklassenquartieren für ihr Funktionieren erst die
«Erlaubnis» der örtlichen Gang einholen müssen? Die erste
FMLN-Koalitionsregierung (2009-2014) hatte mit OAS-Segen faktisch eine Art
Waffenstillstand mit den Maras geschlossen. Das Resultat: eine gefährliche Ausweitung
der Territorialmacht der weitgehend unbehelligten Maras, die dafür auf das Abschlachten
der Mitglieder der konkurrierenden Gruppe verzichtet hatten. Danach und erst
recht unter der zweiten FMLN-Regierung (2014-2019) wurde der Kampf gegen die
professionellen, mit dem Drogenhandel verbundenen Gewaltstrukturen eindeutig
verschärft, verbunden mit Sozialprogrammen v. a. für sehr junge Mara-Mitglieder
und ausstiegswillige Gefangene. (Dabei kam es entgegen der Regierungslinie
wiederholt zu Massakern an realen oder angeblichen Mareros, der Korpsgeist in
Polizei und Armee war stärker als die politische Leitung.)
Dennoch sind sich die Generalstaatsanwaltschaft und die
Medien, auch die sogenannt investigativen wie El Faro, seit Jahr und Tag einig:
links wie rechts hat mit den Maras paktiert. Als «Beweise» gegen den FMLN
werden anonyme Kronzeugenaussagen angeführt… Ein Detail noch: Bukeles
Innenminister und ein weiteres prominentes Kabinettsmitglied hatten für Bukele,
damals noch Bürgermeister von San Salvador, mit den Maras laut präziser
polizeilicher Observation einen Nichtangriffsdeal ausgehandelt.
Rattendiskurs und
Applaus
Letzten Donnerstag eröffnete Bukele das Gouverneurstreffen
der Interamerikanischen Entwicklungsbank (span. Kürzel: BID) in San Salvador.
Indirekt bezugnehmend auf das negative Echo des internationalen
Medienmainstreams auf die Okkupation des Parlaments
sagte der Typ in
seiner Ansprache:
«Würden Sie einen Tag
in El Salvador leben, glauben Sie mir, Sie würden alle Politiker zusammen
verbrennen.»
Und wie reagierte Luis Alberto Moreno, Chef des
internationalen Finanzinstituts darauf?
So:
«Der BID unterstützt den Weg des
Wirtschaftswachstums, den Präsident Bukele eingeschlagen hat. Dafür mein
Glückwunsch an Sie, denn Sie konzentrieren sich darauf, mehr Investitionen
anzulocken, einen ‘Schock’ zu erzeugen, und das wollen wir entschlossen
verteidigen.» Der Washington-Insider Moreno hatte sich als kolumbianischer
Botschafter der beiden rechtsextremen Regierungen Pastrana und Uribe in
Washington der massgeblichen Beteiligung an der Entwicklung des verheerenden Plan
Colombia schuldig gemacht.
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Moreno (l) lauscht angetan. |
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Der FMLN
Es war ein Zufall, doch der FMLN hatte gut reagiert: Am 9.
Februar, dem angekündigten Tag des Selbstputsches, war in San Marcos bei San
Salvador eine Konvention des FMLN angesagt. In grösserer Zahl als üblich waren
die Delegierten aus dem ganzen Land gekommen. Als sich die Kunde verbreitete,
dass Armee und Polizei die Konventionshalle grossräumig umzingelt hatten,
begann die Mobilisierung zur Unterstützung aus vielen Gemeinden. Der FMLN hatte
als einzige Kraft an diesem Tag praktisch gehandelt und sich nicht auf ein Communiqué
beschränkt. Intern war, so berichteten manche AktivistInnen, zum ersten Mal
wieder wieder Stolz auf den Frente zu spüren – und die Bereitschaft, gemeinsam
zu kämpfen. Das wurde auch ausserhalb des FMLN registriert. Leider ist es bis
heute dabei geblieben. Nach Bukeles Aufgeben in Sachen zweite
Parlamentsbesetzung wurde die angekündigte Gegenmobilisierung des FMLN vor das
Parlament hinfällig, ohne z. B. durch eine Welle von dezentralen Kleinmobilisierungen
gegen den Putsch ersetzt zu werden. Einige wenige Ansätze in den folgenden
Tagen zum Strassenprotest gegen den Putschversuch aus sog. zivilgesellschaftlichen
Strukturen heraus verhallten bald.
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"Wir haben es schon gesagt: Nie wieder!". An einem Protest gegen den Putsch am 10. Februar 2020. Foto: Gato Encerrado. |
Cyber – kein Ersatz
Dafür konzentrierte sich der FMLN – in seiner
Handlungsfähigkeit auch durch interne Differenzen eingeschränkt – auf
parlamentarische Vorstösse und das «Cyber-Kriegertum». Beides natürlich
notwendig, aber als zentrale Achse das Rezept für eine Niederlage. Was die
Priorisierung institutioneller Politik zulasten der Mobilisierung in den realen
sozialen Räumen für Konsequenzen bringt, hatte sich nach Jahren einer solchen
Politik mit den massiven Wahlniederlagen des FMLN zur Genüge erwiesen. Frente-ExponentInnen
verwenden viel Zeit und Energie für Präsenz in den Social Media. Klar, pro
EinwohnerIn im Land gibt es anderthalb Handyabos. Und, «hey, die Leute kommen
immer weniger an die Treffen, aber im Chat sind sie dabei. Wohlan denn, wir
sind heute Cyber-Guerillas.» Und bestätigt nicht die wenige Tage nach dem
Selbstputschversuch durchgeführte, offenbar seriöse Analyse von Twitter, Face
etc., dass Bukele erstmals Punkte einbüsst und der Frente welche gewinnt? Nun,
möglicherweise wird die Ablehnung von Militarismus und
Hardcore-Neoliberalismus, unterstützt durch linke Cyber-Präsenz, bei einem Teil
jener Leute, die früher FMLN gewählt und dann zu Bukele gewechselt haben, eine
reale Korrektur bewirken. Doch vermutlich wird das bei Vielen, die heute auf
Bukele schwören, keine Wirkung erzeugen. Aus einem einfachen Grund: Wer trotz
neoliberaler Raserei, Neoputschismus, überbordender Kleptokratie und
«Vetternwirtschaft», permanenter Lüge, Totalunterwerfung unter das
AntimigrantInnendiktat Trumps, ekelerregender Verherrlichung des Präsidenten,
katastrophalen Fehlleistungen bei der Wasserversorgung oder
Katastrophenprävention etc. pp. weiter am Glauben an die Lichtgestalt festhält,
funktioniert wie ein Sektenmitglied. Diese Leute scheinen wie «geimpft» gegen «Ratten»-Kritik
zu sein und konsumieren einzig die sie darin bestätigenden Social Media-Posts.
In der kultivierten Mittelklasse, hyperaktiv in den Social Media, bröckelt der
Glanz Bukeles beträchtlich. In einer ziemlich kleinen Minderheit also. Unten im
kommunen Volk wird weiter an den schizophrenen Folgen der Konfusion gelitten,
die eine systematische Kampagne der Herrschenden gegen eine gefährlich
gewordene Linke entfesselt hat: «Die sind alle gleich». Die nicht auf das Konto
der Linken geht, aber teilweise von ihr mit «unethischem» Verhalten und Gefasel
mit alimentiert worden ist.
Vorderhand, so der ungute Schluss, scheinen die Chancen des
Bukele-Lagers intakt, bei den Parlaments- und Gemeindewahlen im Februar 2021
sich auch die Legislative unterzuordnen. Irgendwann wird auch dieser im
Vergleich zum argentinischen Mafioso noch aufgeblasenere zweite «Macri» zu Fall
kommen, nach viel Leiden und Zerstörung. Besser wäre, der FMLN entwickelte
jetzt wieder Handlungsfähigkeit im gesellschaftlichen Raum – bevor sich der
Autoritarismus zur neuen Diktatur gefestigt hat.
Nochmals etwas
Faktenlage
Die wohl wichtigste Triebkraft für Bukeles Popularität
dürfte in seinen behaupteten Erfolgen gegen die Gewaltkriminalität liegen. Die
landesweite Mordrate ist klar zurückgegangen, auch wenn an den offiziellen
Zählmethoden Zweifel angebracht sind. Doch die Stimmen aus den von den
Gewaltorgien hauptsächlich betroffenen Unterklassen-Comunidades sprechen eine
klare Sprache (s. dazu
El
Salvador: Gewalt, Lügen, Gehirnwäsche). Dass der Rückgang der Mordrate ein
Erfolg des «energischen Armeeeinsatzes» sei, ist falsch. Letzte Woche etwa
berichtete La Prensa Gráfica aufgrund von Daten der Gerichtsmedizin, dass es in
den vom Regierungplan Territorialkontrolle erfassten Gemeinden mit den höchsten
Mordraten während der Regierung Bukele zwar tatsächlich zu einer beträchtlichen
Reduktion der Morde gekommen war, aber diese prozentual in Gemeinden ohne Plan
Territorialkontrolle sogar noch etwas deutlicher ausgefallen war.
(Zu erwähnen wäre zudem, dass die Mordrate
schon in den letzten Jahren der FMLN-Regierung stetig zurückgegangen war.) Vermutlich
geht der jetzige massive Rückgang der Mordrate auf ein Stillhalteabkommen
zwischen Bukele-Regierung und Gewaltverbrechen zurück. Und vergessen wir auch
dieses
nicht:
«Unter der neuen Regierung wurde
kaum Kokain auf dem Weg in die USA beschlagnahmt, ganz im Gegensatz zu den
Rekorden unter der FMLN-Regierung.» Daran hat sich nichts geändert. Sowohl
aus den von der Gewaltkriminalität heimgesuchten Comunidades wie von mit Sicherheitsfragen
Beschäftigten ist zu hören, dass die immer mehr von den Drogenkartellen
kontrollierten Maras die neue Waffenruhe für den Ausbau ihrer
Territorialkontrolle und eine massive Bereicherung (fast immer dank Erpressung
mit Morddrohung) ausnutzen. Die rechte Prensa Gráfica
tweetete am 20.
Februar diese Grafik:
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«Die Erpressungen gehen nicht zurück. Die
Generalstaatsanwaltschaft erhielt im Januar 2020 196 Anzeigen wegen Erpressung,
eine Zahl, die höher ist als jene von letztem Dezember und die von Januar
letzten Jahres. In den Gemeinden ohne Plan Territorialkontrolle gab es einen
Rückgang, in jenen mit dem Plan eine Zunahme.» |
Wie lange wird es gehen, bis sich solche Erkenntnisse auch
in Zonen durchsetzen, in denen die organisierte Gewaltkriminalität relativ
schwach entwickelt ist? Und wie lange wird es gehen, bis selbst in den
betroffenen Comunidades die grosse Mehrheit ihre Schlüsse aus den Tatsachen
ziehen und die Bukelistas vertreiben wird? Der Fakt, dass fundamentalistische
Sekten, die Armut als eine Bestrafung Gottes für Sünden und Reichtum als eine
Belohnung für Tugendhaftigkeit anpreisen, gerade auch in diesen Comunidades spriessen,
lässt kaum heitere Zuversicht aufkommen.