(zas, 10.2.20) Gestern Sonntag gab es hier einen trotz Operettenaspekte
sehr ernst zu nehmenden Putschversuch, der im Verlauf seiner Entwicklung
(vorerst) abgebrochen wurde. So sah etwa eine Compañera auf der Strecke von
Suchitoto nach San Salvador (Fahrzeit zwischen einer und anderthalb Stunden) jede
Menge Militär. Andere AugenzeugInnen berichteten Ähnliches für die Strecke von
Sal Salvador in die Nachbarstadt Santa Tecla.
In der Hauptstadt selber waren in etlichen Zonen neben viel Polizei auch
Militärpatrouillen inkl. gepanzerte Fahrzeuge zu beobachten. Im
Parlamentsgebäude hatten sich schwerbewaffnete Soldaten und Eliteeinheiten der
Polizei breit gemacht. In der näheren Umgebung der schon früher geplanten
Konvention des FMLN in einer Sporthalle in San Marcos bei San Salvador waren
zeitweise grössere Armee- und Polizeitrupps stationiert. In mehreren
Landesteilen wie Gotera, Usulután, La Unión, Sonsonate oder Cojutepeque umzingelten
Sicherheitskräfte die Wohnhäuser von
Abgeordneten des FMLN und von ARENA.
Auslöser der Ereignisse, wie hier schon skizziert (Ein
Putsch in process), war die Weigerung im Parlament, Präsident Nayib Bukele einen
weiteren Blankocheck, jetzt für einen $ 109-Mio.-Kredit auszustellen für eine
sog. 3. Phase seines weitgehend geheim gehaltenen Plans der
Territorialkontrolle im angeblichen Kampf gegen die Maras (für einige reale
Hinweise auf die Realität dieses Plans s. El
Salvador: Gewalt, Lügen, Gehirnwäsche). Der FMLN hatte von Beginn weg seine
Stimmen von genauen Infos abhängig gemacht, während die dominierende Rechte im
Januar zustimmen wollte. Doch seit einer kurz darauf gerichtlich verfügten Untersuchung
einer Gallionsfigur der früher dominierenden Rechtspartei ARENA wegen Wahlhilfe
dank Mara-Terror verweigert ARENA in der ziemlich logischen Annahme, dahinter
stecke Bukele, ihre Stimme. Worauf Bukele unter Berufung auf einen laut Meinung
von ExpertInnen nur für Situationen wie grosse Umweltkatastrophen, Krieg o. ä. geltenden
Verfassungsartikel das Parlament zu einer Sondersession gestern Sonntagnachmittag
beorderte und gleichzeitig das «Volk» zur Anwesenheit vor dem Parlament
aufforderte. Drückten sich die Parlis vor «ihrer
verfassungsmässigen Verantwortung, würden wir Massnahmen ergreifen», so die
Drohung.
Dann stünde dem Volk das Recht auf Aufstand zu, so der
Präsident wiederholt. Seine Entourage «verdeutschte» das umgehend zur Aussage, am
Sonntag das Parlament zu stürmen, unfolgsame Abgeordnete zu stürzen und durch
geeignetes Personal zu «ersetzen». Das war gepaart mit Aktionen wie offensichtliche
Observation von FMLN-Kadern u. ä.
Wenig Massen, Schlüssel weg – aber Gott wusste Rat
So kam es dann zum Sonntag. Mitten in der oben skizzierten
Militarisierung nicht nur von Teilen der Hauptstadt, sondern weiter Landesteile
erreichte eine Unzahl meist staatlicher Busse die Hauptstadt, um das «empörte
Volk» herbeizufahren. Bukele sprach von 50'000 Menschen, nach kundigen
Schätzungen dürften es zwischen 3000 und maximal 5000 Leute gewesen sein inkl.
der unter ziemlich offenem Druck mobilisierten Staatsangestellten. Damit
bestätigte sich das seltsame Phänomen, dass das Bukele-Lager kaum fähig ist, die
Leute auf die Strasse zu bringen, aber vermutlich immer noch sehr viele
Wahlstimmen einheimsen kann. Dieser Reinfall wurde ergänzt durch teilweise absurde
Vorkommnisse im Parlament. Hier stellte sich klar weniger als ein Drittel der
Abgeordneten ein, die in einem Gang rumstanden. Denn die Tür zum Blauen Salon,
dem Sessionssaal, war verschlossen. Später war zu hören, der Schlüsselchef sei
in Suchitoto – waiting was. Vermutlich
Ausdruck von Unzufriedenheit mit dem neuen Diktator.
In der Zwischenzeit war Bukele bei seinen UnterstützerInnen
draussen angekommen. Die bat
er um die Erlaubnis, «im Blauen Saal beten
zu gehen und von Weisheit für die nächsten Schritte zu erbitten.» Gesagt,
getan. Im mittlerweile aufgebrochenen Blauen Saal, in dem mehr Soldaten als
ParlamentarierInnen waren, setzte er sich hin und bemerkte: «Jetzt ist wohl sehr klar, wer die Lage
beherrscht.» Dann vergoss er ein paar Tränen und verharrte ein paar Minuten
in stiller Zwiesprache mit dem Allmächtigen.
Bukele (L) konversiert mit Gott |
Ohne die Anwesenden weiter zu
beachten, eilte er danach zu seinen «Massen», denen er, umringt von schwer
bewaffneten Soldaten, den Inhalt seiner Konsultation mit dem oben enthüllte,
der ihm «Geduld» geraten habe. Bis
Februar nächstes Jahr, dann nämlich werden diese «Kriminellen», diese «Ruchlosen»
in Wahlen weggefegt. Hätte er gewollt, hätte er einfach «den Knopf gedrückt», «das Parlament eingenommen». Nun hatten seine
Fans ohne den direkten Draht nach oben erst protestiert: «Aufstand, Aufstand». Aber
also sprach der Prophet: «Kein Volk, das
gegen den Willen Gottes geht, hat je triumphiert.» Da mussten sich auch die Ungestümen geschlagen
geben, denen er aber versprach: Sollte das Parlament in der kommenden Wochen
den Kredit nicht sprechen, werde er es erneut zur Sondersession befehlen und
dann gäbe es kein Halten mehr. Dennoch zottelten die Fans frustriert in
Richtung ihrer Busse ab, laut Berichten von Anwesenden fühlten sie sich
ziemlich verarscht. Irgendwie war das anders, als viele Likes anzutippen, und
dann macht el hombre ein neues El
Salvador.
Nayib verschiebt den Aufstand. |
Der Putschist als
Opfer
Es war klar, die Luft war draussen, das «Versprechen» vom
folgenden Sonntag hohl. Ob der Mann, wie Viele vermuten, an kognitiver Dissoziation
oder an den Folgen übermässigen Kokainkonsums leidet, sei dahingestellt. Sein
Auftreten, seine Körpersprache weisen auf solche Probleme hin. Aber was Mister
Cool gestern zutiefst niedergeschlagen erscheinen liess, dürfte mehr damit zu tun
haben, dass sein Putschvorhaben gestoppt wurde. US-Botschafter Ronald Johnson
riet schon gestern Vormittag per Twitter «allen
Staatsgewalten, einen Konsens zu suchen und die Ruhe zu bewahren.» Heute teilte er
mit: «Ich stimme der Präsenz der Armee im
Parlament nicht zu.» Entweder hat sich Bukele nicht an Putschvorgaben
gehalten, zu denen wohl ein zivileres Auftreten im Parlament gehört hätte, oder
Washington registrierte die Pressionen gegen das Vorgehen, wie sie sich in
zahlreichen Distanzierungen – seitens der EU-Vertretung im Land, des Grossunternehmerverbands
ANEP, ARENAs oder von Human Rights Watch und Amnesty etc. – ausdrückten. (Vor der Fangemeinde
meinte Bukele übrigens, er habe einem befreundeten Botschafter eines EU-Landes Spanischkurse
angeraten, damit er die Vorgänge besser verstehe. Gemeint war offenbar der
deutsche Botschafter.)
Heute hat die Verfassungskammer des Obersten Gerichts, die
sich die ganzen Tage hindurch in Schweigen gehüllt hatte, ihre Sprache
wiedergefunden und vorerst Bukele die Show vom nächsten Sonntag verboten.
Die Chefs von Armee und Polizei werden angewiesen, nur verfassungskonforme zu
handeln. Es ist klar: Weder die Oligarchie im Land, an deren Stelle sich das
ganovenhafte Kapital um Bukele stellen will, noch ihre Parteiemanationen, noch
die sog. internationale Gemeinschaft wollen eine die «Entwicklung», also die
Geschäfte, lähmende Konkurrenz zwischen den Staatsgewalten, wie manche
Kommuniqués der Wirtschaftsverbände deutlich machen.
Die Antwort des Präsidenten und seines Propagandaapparates
auf die Verfassungskammer und die heutige Ankündigung des Parlamentspräsidenten,
nach den Ereignissen von gestern werde der $ 109-Mio.-Antrag diese Woche nicht abgesegnet:
«Die ewig Gleichen verteidigen ihr System».
Darauf läuft seit gestern die Schadensbekämpfung hinaus: Die Armee im Parlament
war gewöhnlicher Schutz für den Präsidenten, völlig aufgeblasen von jenen, die
mit den Maras paktieren, um ihn, das Opfer, das sich für den Schutz des Volkes
gegen die Maras einsetzt, zu Fall zu bringen. Seit Monaten hämmert die Regierungspropaganda
den Leuten ein, die beiden «Systemparteien» ARENA und FMLN, rechts und links, seien
mit der Gewaltkriminalität engstens verknüpft. Was im Fall von ARENA auch mit
Videos gesagt werden kann, beruht beim FMLN offenbar primär auf wenigen
Gesprächen, in denen Frente-Kader den Maras obernormale produktive Hilfswerkprojekte
für ihre «Reintegration» angeboten haben, ergänzt von Aussagen von Kronzeugen,
die wie üblich ihre Haut retten wollen und alles Geforderte bekräftigen. Umgekehrt
gibt es bei Bukele starke Anhaltspunkte, dass er als Bürgermeister von San
Salvador ein Stillhalteabkommen mit den Maras aushandeln liess, um ein paar
renditenträchtige Entwicklungsprojekte in der Stadt durchziehen zu können. Die heutige
Situation von einem Mordrückgang in verschiedenen Landesteilen gleicht der
Erfahrung eines früheren, unter OAS-Schirmherrschaft abgewickelten «Waffenstillstandes»
Maras/Sicherheitskräfte, ob heute formell beschlossen oder informell umgesetzt.
Diese relative Stillhaltesituation ermöglicht den Maras eine beunruhigende, unter
der FMLN-Regierung 2014-2019 weitgehend gekappte Möglichkeit, sich weiter in
Richtung Paramilitarismus zu entwickeln (s. ein Beispiel dazu in El
Salvador: Gewalt, Lügen, Gehirnwäsche).
FMLN: Widerstand
Ungut ist ferner die fast ausschliessliche Fokussierung auf
die putschistische Militarisierung des Parlaments unter
Ausklammerung des Fakts, dass gestern in klarem politischen Kontext grössere Landesteile
weitgehend militarisiert waren. An der FMLN-Konvention gab es sehr angespannte
Stunden, da der Beschluss war, die anwesende Parlamentsfraktion gegen erwartete
Angriffe der Sicherheitskräfte möglichst zu verteidigen. Im Lauf des Tages schlossen
sich organisierte Frente-Kontingente den zeitweise Eingeschlossenen an – Ausdruck
einer realen Kampfbereitschaft. Heute früh kündigte der FMLN-Generalsekretär
eine Gegenmobilisierung für die angekündigte Machtdemonstration Bukeles von
nächstem Sonntag an. Er unterliess dabei den Hinweis nicht, dass der FMLN für
die seit den Friedensabkommen langsam wirksame Demokratisierung gegen eine
andere Diktatur gekämpft habe, und er, werde seine Gegenmobilisierung von den
Sicherheitskräften angegriffen, eine «proportionale
Antwort» geben würde. Klar ist, während die nicht-bukelistische Rechte
gestern von der Bildfläche verschwunden war, der FMLN beim Anlaufen des
faktischen Militärputsches die Stellung gehalten hatte. Gestern habe ich von Bekannten
gehört: Falls diese Geradlinigkeit keine Eintagsfliege sei, würden sie sich
wieder am Frente orientieren. So oder so, die ausschliessliche Thematisierung
des Konflikts zwischen Staatsgewalten dient der Verschleierung der realen
Entwicklung «hinten im Land».
Fonvention in San Marcos |