(zas, 19.4.20) In El Salvador kommt es zu
immer diktatorischeren Vorkommnissen, jetzt im Zeichen der Covid-19-Epidemie.
Im Folgenden Teil I eines Beitrags dazu. Darin geht es um Realitäten der «gesundheitspolitischen
Bekämpfung» der Epidemie. Teil II geht dann ein auf eine entstehende schwere Staatskrise
und auf fast täglich gesteigerte
Repression - aktuell etwa setzt die Armee im Städtchen Puerto La Libertad eine
drakonische Ausgangsperre durch.
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Am 26. März veröffentlichte der
Lateinamerika-Arm des US-Meinungsforschungsinstituts Mitofsky eine in 11
Ländern durchgeführte Umfrage, wonach 97 % der SalvadorianerInnen (!) das
Vorgehen ihres Präsidenten Nayib Bukeles in Sachen Covid-19-Epidemie echt cool
finden – 89 % wären es im zweitplatzierten Guatemala (cómo no) und ganze 14 %
im Schlusslicht Ecuador, wo sich in der Wirtschaftsmetropole Guayaquil Szenen mit Leichen auf der Strasse
wie im Horrorfilm abspielten. Danach waren Medien wie BBC Mundo voll des
Staunens ob des Tausendsassas im kleinen Land, der den Grossen vormacht, wie
die Sache angepackt wird. Dass auch Linke für die Massnahmen Bukeles im
Epidemiekontext schwärmen, belegt die Stärke der Propaganda und zeigt, wie auch
unsereins anfällig für Manipulationen ist.
Der Doktor der Nation
erklärt
Kommen wir zuerst auf das missionarische Sendungsbewusstsein
hinter den Epidemiemassnahmen:
Bukele liebt die cadena
nacional, also die Parallelschaltung sämtlicher Radio- und Fernsehsender
zur Übertragung einer präsidialen Ansprache wie jene vom 6. April. Er betonte darin die
Anweisung an Polizei und Armee, Leute, die das Ausgehverbot missachten, noch
härter anzufassen. Und natürlich: Wenn es ein Land schafft, die Corona-Pandemie
im Zaum zu halten, dann El Salvador. Drittens: SalvadorianerInnen im Ausland
werden fortan nicht mehr ins Land gelassen. «Manche
Länder sagen, sie hätten das tun müssen, was El Salvador tat», teilt der Presi mit. Dafür gab es «viel Applaus von der internationalen Gemeinschaft.»
Und er zählte auf: Schon am 31. Januar hat El Salvador als erstes Land Einreisen
aus China, danach aus Korea, Italien, Deutschland und Spanien verboten. Als
zweites Land nach Italien hat es seine Grenzen generell dicht gemacht (aber,
betont Bukele, Italien erst mitten in der Grossepidemie, nicht zu ihrer
Verhinderung). Das war in der Phase 1, die Ansteckungen wurden importiert. Jetzt,
in der Phase 2, erfolgen die Ansteckungen auch landesintern. El Salvador startet
darin mit einem grossen Vorteil: mit
viel weniger Fällen als fast überall sonst, dank der bewunderten Massnahmen.
In der Phase 2 machen, weiss der Bescheidene, die anderen
Regierungen nichts. Denn sie sagen: «Jetzt
können wir das Virus nicht mehr stoppen, bloss seine
Ausbreitungsgeschwindigkeit solange etwas reduzieren, bis 60-70 % der
Bevölkerung immun sind.» Für El Salvador hiesse das, Hunderttausende von Tote
in Kauf zu nehmen, «mehr als in den 12
Jahren Bürgerkrieg und den drei Jahrzehnten Bandenkriminalität zusammen» (für
die Welt mehr Todesfälle als «in den
beiden Weltkriegen zusammen».) Aber Bukele hat Besseres im Sinn: In jedem
Einzelfall sämtliche Kontakte der kranken Person eruieren und in
Quarantänelager zu stecken, bis der Test sinnvollerweise gemacht werden kann.
Sind sie infiziert, gibt es bei ihnen wiederum das contact tracing und so weiter. Infizierte kommen in spezielle medizinische
«Behandlungshäuser» und je nach Lage in gut vorbereitete Spitalpflege.
Quarantäneeinrichtungen gibt es im Land rund 100 Stück – er erwähnt ehemalige
oder leerstehende Hotels mit Einzelzimmer, Privatbad, TV, Internet etc.
Phase 3: Da gibt es nur noch eine generalisierte
Ausgangssperre und medizinische Behandlung. «Darauf
bereiten wir uns vor, sehr viel mehr als Länder mit vergleichbaren
Gesundheitssystemen. Aber wir wollen etwas Neues machen und die Phase 2
stoppen, oder zumindest so sehr, wie wir es mit der Phase 1 gemacht haben.»
Er widerlegt en passant «berühmte
Virologen und Epidemiologen» und «Think
Tanks», die sagen, die Ansteckungskurve werde in einem bestimmten Moment
flacher werden. Wie macht er das? «Mit
gesundem Menschenverstand». Was sagt ihm der? Je weniger Infizierte, desto
weniger Ansteckungen. Also betritt er mit social
tracing Neuland für die Phase 2,
um den Kollabs des Gesundheitswesens in der Phase 3 möglichst zu vermeiden. Mit
den Kurven der internationalen Experten muss man ihm nicht kommen: Wenn 60'000
Infizierte rumlaufen, stecken sie weitere 60'000 an und diese wiederum 60’000,
unabhängig davon, was die Kurven sagen. Jedenfalls: «Die einzige Möglichkeit, dass wir das einzige Land sein können, das
die Phase 2 stoppt, ist mit der Kollaboration von Ihnen allen.»
Massnahmen
Die erwähnten Einreisesperren gehören, unabhängig von der
Frage ihrer Effizienz, ins repressive Repertorium. Das Problem: Auch die
medizinischen Massnahmen sind repressiv ausgerichtet, so was wie freiwilliges Verhalten
auf informierter Basis kommt dem Regime nicht in die Tüte. Ab dem 11. März kamen
alle auf dem Land- oder dem Luftweg Einreisenden (eh nur noch BürgerInnen und
andere mit Niederlassungsbewilligung) für 30 Tage in Quarantänezentren (die
sind laut Gesundheitsminister und Cousin des Präsidenten, Francisco Alabi, viel
besser als anderswo). Und hier begann ein grosses Problem, das sich seither
verschärft hat. Schon am 11. März zirkulierten Handyaufnahmen vom «Quarantänezentrum»
beim Flughafen: fast kein Wasser, keine Seife, viele Betten auf engstem Raum,
zu wenige, dafür verdreckte WCs etc.
Quarantänezentrum beim Flughafen. Quelle: EdH, 11.3.20 |
Nachdem Mitte März das Spital Saldaña in San Salvador zur
Behandlungszentrale für mutmassliche oder reale Covid-19-Erkrankte gemacht
wurde, werden immer mehr schockierende Berichte über Lagerhaltung und fehlende
medizinische Betreuung bekannt.).
Massiv verschärft hatte sich die Lage mit der von Bukele
betriebenen und von der rechten Parlamentsmehrheit (aber nicht vom FMLN) am 14.
März angenommenen Ausrufung des Ausnahmezustands. Gestützt auf die darin
enthaltenen Vollmachten zur Aushebelung von Grundrechten wie freie Wahl des
Wohnorts oder Bewegungsfreiheit verhängte die Regierung ab Sonntag, den 22.
März, eine landesweite Ausgangssperre für die immense Mehrheit der Bevölkerung.
Ausgenommen sind nur gewisse Berufsgruppen im Gesundheitsbereich, den
Supermärkten und anderen unabdingbaren Sparten wie der Landwirtschaft. Pro
Haushalt darf eine Person einmal am Tag einkaufen gehen (mit Personalausweis, einer
Eigenbewilligung mit Angabe des Zeitpunkts des Verlassen der Wohnstätte und
einem Einkaufszettel). Auch Ärztin- oder Tierarztbesuche sind erlaubt. Bukele
hatte dies am 21. März per Twitter angeordnet. Schon am ersten Tag des
Ausgehverbots zirkulierte
ein Video mit der Anweisung eines hohen Polizeioffiziers an das Korps: «Wir müssen bei diesen Leuten für Ordnung
sorgen.» Polizei und Armee taten dies mit der Verhaftung gleichentags von 269
Leute, die das Ausgehverbot missachtet haben sollen.
Das Parlament hatte am Tag vor seinem Segen zum
Ausnahmezustand einstimmig, also mit den Stimmen des FMLN, ein Regierungsdekret
zum Notstand genehmigt. Das gibt der
Regierung weitreichende Vollmachten für den Kampf gegen die Virusausbreitung,
etwa das Verbot öffentlicher Anlässe und Ansammlungen, zur Beschränkung der
Bewegungsfreiheit möglicher Infizierter (aber unter Zuständigkeit einer zivilen
Instanz, des Zivilschutzes, nicht von Polizei/Armee) oder zur Anordnung einer
Quarantäne von Covid-19-Infizierten (aber unter Beachtung internationaler
Gesundheitsstandards) u. a. Die juristische Berechtigung für
gesundheitspolitische Massnahmen wäre also gegeben gewesen. Aber unter
Kontrolle ziviler Instanzen – unerwünscht!
«Espejitos con brillo»
Für die Verhängung einer Ausgangssperre braucht es auch in
El Salvador mit seiner Mehrheit der Bevölkerung, die von der Hand zum Mund
lebt, gewisser lindernder Massnahmen. Hier dürfte einer der Gründe liegen,
warum auch progressive Menschen wieder mal espejitos
con brillo, glänzende Spiegelchen, für segensreich halten. Ein dem
Parlament vorgelegtes Regierungsdekret
beinhaltete nämlich u. a. die Suspendierung der Rechnungen für Strom, Wasser
und Telefon (inkl. Kabel und Internet) während dreier Monate, die in den
folgenden zwei Jahren zu begleichen wären. Viele Regierungen in Lateinamerika
haben solche Massnahmen bei meist viel sanfteren Einsperrungen der Bevölkerung
ergriffen, andere kamen erst spät zur Einsicht (sogar der honduranische
De-facto-Präsident Juan Orlando Hernández verkündete kürzlich, niemandem werde
während der Epidemie der Strom abgeschaltet). Zudem gab Bukele bekannt, während
dreier Monate rund 1.5 Millionen Haushalten, also etwa drei Viertel der
Bevölkerung, pro Monat $ 300 auszuzahlen, damit sie Nahrungsmittel und
Medikamente kaufen können. Die für die Information, ob man bezugsberechtigt sei
oder nicht, aufgeschaltete Homepage versagte ihre Dienste von Anfang an. Also tweetete
Bukele spät nachts am Sonntag, dem 29. März: Man wende sich an das nächste
Cenade, eine spezielle Dépendance des Wirtschaftsministeriums, um sich über die
allfällige Bezugsberechtigung zu informieren. Resultat: Vielleicht Zehntausende
standen am folgenden Tag mitten in der Ausgangssperre landesweit vor den
Cenades. Diese waren dem Ansturm natürlich nicht gewachsen, Bukele liess sie
umgehend schliessen.
Vor dem Cenade von San Salvador. |
In vielen Haushalten hatte die weitgehende Stilllegung
Existenznöte verursacht. $ 300 haben oder nicht haben war eine Schicksalsfrage.
Es kam da und dort zu tumultartigen Szenen, die Sicherheitskräfte schafften
«Remedur». Was wusste das Regime zu kommentieren? «Politische Drahtzieher»
haben die Menschen für Chaosaktionen bezahlt. Beweis: Whatsapp-Einträge in
Handys von Verhafteten (die alle von der Staatsanwaltschaft bald auf freien
Fuss gesetzt worden waren), so Sicherheitsminister Rogelio Rivas. Rivas hat der
ermittelnden Staatsanwaltschaft nicht einen solchen Eintrag vorgelegt. Aber
dafür tweetete
er gerade wieder: «Nach und nach werden
die Agitatoren und möglichen Financiers» der Unruhen klar, «die mitten in einem Notstand das Leben der
Personen gefährden. Man darf von diesen Feiglingen nichts anderes erwarten,
denen es gleich ist, mit dem salvadorianischen Volk zu spielen.»
Politgerangel um die
Beute
Nicht etwa Bukele also habe die Leute vor die Cenades
bestellt und damit das Risiko von Massenansteckungen deutlich erhöht (was sich
in diesen Tagen zu bewahrheiten scheint), nein, die Schuldigen sind die
üblichen Ruchlosen. In dieser Frage weiss das Regime zu differenzieren. Gemeint
sind sowieso die Leute des FMLN, aber je nach Lage auch jene Teile der
traditionellen Rechtsparteien, die sich nicht einfach unterordnen. Dahinter
steckt ein Konflikt zwischen einer alten, aber jetzt gespaltenen Oligarchie und
einer auf Oligarchie-Status aspirierenden Fraktion der Bourgeoisie mit Bukele
als Galionsfigur, die sich mit Staatsgeldern stark machen will. Das hatte schon
früher ein Teil von ARENA und Financiers um den Ex-Präsidenten Tony Saca
vorgemacht, jener Teil, der die Gründung der GANA-Partei betrieb, die letztes
Jahr dann Bukele als Präsidentschaftskandidat portierte.
Jetzt geht es um eine $ 2 Milliarden-Beute. Bukele hatte
parallel zur Verhängung der Ausgangssperre vom 22. März einen Covid-19-Notfonds
in dieser Höhe angeregt (zwischendurch sollte der Betrag auf $ 5 Mrd. erhöht
werden). Eine erkleckliche Summe angesichts eines Staatsbudgets von rund $ 6
Mrd. Um diese Schulden bei Internationalen Finanzinstituten oder Privatbanken
aufzunehmen, bedurfte die Regierung einer 2/3-Mehrheit im Parlament, womit die Faktion
der Rechtspartei ARENA matchentscheiden war.
Eine Mehrheit im Parlament wollte Kontrollmechanismen für
den Notfonds anbringen (dies nach schamlosen Budgetbetrügereien, während
gleichzeitig von 45 Sozialprogrammen ein Drittel gestrichen und weitere 5
gekürzt wurden, darunter im Bereich der Primärmedizin). Das mochte der
Verhandlungsleiter der Regierungsequipe, Bukeles Privatsekretär Ernesto Castro,
nicht leiden. Er meinte
am 23. März, im Parlament wolle man «einen
Bericht mit allen Details jede Woche, alle drei Tage … Mann, es reicht mit
dieser Haltung!» Drei Tage später steig weisser Rauch auf: ARENA und die
Regierung hatten sich auf einen Schlüssel für die Verteilung der Summe geeinigt
(30 % für die Gemeinderegierungen, 70 &% für die Zentralregierung). Ein
11-köpfiges Verwaltungskomitee beschliesst und prüft die Verwendung der $ 2
Milliarden (die wegen der damit steigenden Verschuldung bei gleichzeitigem
Wirtschaftseinbruch jetzt offenbar über teure kurzfristige Schuldscheine
aufgenommen werden müssen). Das Komitee, geleitet von Castro, besteht aus einer
entscheidungsbefugten Mehrheit von 6 RegierungsvertreterInnen, weiter 4
VertreterInnen des Kapitals (Unternehmerverband ANEP, Unternehmerthinktank
Fusades, Handelskammer, neoliberale Businessuni ESEN) und zur Zierde einem
Delegierten der Jesuitenuniversität UCA. Der FMLN-Vorschlag des Einbezugs der
staatlichen Uni UES und der KMU-Vereinigungen hatte keine Chancen. Ob etwa die
Gemeinden überhaupt Geld sehen vor dem «Ende» der Pandemie, scheint ebenso
unklar wie wofür genauer das Geld ausgegeben werden soll, ausser den erwähnten
Beiträgen an notleidende Haushalte (deren Auswahl nach dem Kriterium ihres
Stromverbrauchs erwiesenermassen nur bedingt tauglich ist). Zusammengefasst:
Die Beute wird zwischen eingesessener Oligarchie (ANEP etc.) und den am
Staatsschoss hängenden «Nouveaux Riches» aufgeteilt. Als Bukele am 21. März die
Ausgangsperre bekanntgab, sassen US-Botschafter Ronald Johnson und
Oligarchieexponent Roberto Murray Meza, ein früherer ARENA-Parteichef,
prominent an seiner Seite und ergriffen danach das Wort zur Unterstützung der
Sache.
Bukele und Murray Meza bei Bekanntgabe der Ausgangssperre. |
Ansteckungslager
Seit einiger Zeit sind die
salvadorianischen Medien (nicht nur die «sozialen») voll von Geschichten über
Willkür der Sicherheitskräfte und die erbärmlichen Zustände in den «Quarantäne-
und Behandlungszentren». (Dass jetzt auch traditionelle Oligarchieblätter wie
El Diario de Hoy darüber berichten, widerspiegelt den erwähnten Konflikt
innerhalb des neoliberalen Lagers.) Da wäre die Geschichte von María und ihrer
10-jährigen Tochter. Zuerst im absolut überfüllten «Quarantäne»-Zentrum von
Jiquilisco eingesperrt, kamen sie gegen Ende März in das Spital Saldaña bei der
Hauptstadt, der offiziellen damaligen Covid-19-Zentrale. «Dort sahen die Mutter und das Kind, wie zwei junge Hospitalisierte
halfen, ein mit Kaiserschnitt zur Welt gebrachtes Bebé zu reinigen und wie ein Alter, der wegen
einer Nicht-Covid-Diagnose hospitalisiert war, an sein Bett angebunden war ‘und
sie kamen bloss, um ihm das Essen hinzustellen (…) Da, wo sie uns halten, gibt
es nichts, kein WC-Papier, keine Seife, keinen Alkohol.’ Das WC hat keine Tür,
die Dusche keinen Vorhang.» (Quelle: EdH,
29.3.20).
"Quarantäne" in Jiquilisco. Quelle: EdH, 27.3.20 |
Óscar Méndez war Handelsreisender für Arzneimittel
gewesen. Am 13. März kehrte er von einem Businesstrip nach Panamá zurück und
kam in die total überfüllte «Quarantäne»-Anlage Villa Olímpica und danach ins
umfunktionierte Hotel Beverly Hills in einer noblen Gegend am Rand von San Salvador.
In der Olímpica wurden Reisende aus vielen Ländern, darunter z. B. Italien,
konzentriert. Hier bekam Méndez Fieber und starke Kopfschmerzen und wurde mit
einem für leichte Infektionen tauglichen Antibiotikum gegen Blasenentzündung
behandelt. Sein Zustand verschlimmerte sich auch im Hotel. Als er am 1. April
keinen Anruf mehr beantwortete, begab sich seine Frau Dina zum Hotel, wo sie
vergeblich Auskunft verlangte. Polizisten, die sich, als sie sich als Gattin
von Óscar Méndez vorstellte, bloss ansahen, hinderten sie am Betreten des
Hotels. Zur Stelle gelangte wegen des schon zirkulierenden Gerüchts eines Toten
im Hotel auch Personal der staatlichen, aber regierungsunabhängigen
Ombudsstelle für Menschenrechte (Procuradoría para la Defensa de los Derechos
Humanos, PDDH). Ihnen versicherten Polizei und medizinisches Personal, es sei
alles in Ordnung. Nachdem Dina Méndez drohte, die Medien einzuschalten, teilte
ihr eine Funktionärin des Gesundheitsministeriums das Ableben ihres Gatten ohne
Angabe von Ursachen mit. Die Familie erhielt die Habseligkeiten des
Verstorbenen, darunter sein Handy, auf dem er einen erschütternden Anruf an den diensthabenden Offizier
gespeichert hatte, den er anflehte, dafür zu sorgen, dass ein Arzt zu ihm
komme. Einer kam anderthalb Stunden später und fand Méndez tot auf. Der Anruf ging
viral. Nachträglich gab das Gesundheitsministerium einen Herz- und
Atemstillstand als Todesursache bekannt. Dina Méndez gab später im Beisein des
Menschenrechtsombudsman eine Pressekonferenz zum tragischen Geschehen. Sie versicherte
u. a., ihr kerngesunder Mann sei in der Ólimpica angesteckt worden. Diese
Öffentlichkeit verdross den Präsidenten: «Warum das Leiden einer Frau wegen des
Verlusts ihres Gatten instrumentalisieren? Diese Familie leidet und wird jetzt
von der Opposition instrumentalisiert.»
Dian de Méndez vor dem Saldaña. |
Zwei nur mit Pseudonymen zitierte Frauen berichten über
die Zustände im Saldaña. Denn, so Felipa: «Ich
will weder das Leben noch meine Stelle verlieren. Hier kommen sie und sagen mir
nichts, dir nichts: ‘XY, Sie gehen in LUCHA 1 [die Eintrittsstation für
mögliche Covid-Infizierte] zurück, wo ich mich anstecken kann. Ich schwöre,
dazu sind sie fähig.’» Eine andere Frau, Lana, berichtet über Verlegungen
in andere Stationen des Saldaña, «alle
ekelerregend»): «Sie machen alles in
der Nacht. Sie stecken uns in fensterlose Krankenwagen. Wir wissen, dass wir
noch im Saldaña sind, weil die Fahrten extrem kurz sind und wir von hier aus
das andere Gebäude sehen können.» (Die permanente Desinformation der
InsassInnen scheint nach vielen Berichten System zu sein. Es scheint
willkürlich, ob du getestet wirst oder nicht. Und wenn, ob du das Resultat
mitgeteilt bekommst oder nicht. Wie schlimm das sein kann, zeigt dieses
Beispiel aus dem gleichen Artikel:) Zwei Söhne brachten ihren 86-jährigen,
chronisch lungenkranken Vater ins Saldaña. Er wurde dort hospitalisiert, die
Söhne kamen in einer anderen Abteilung in Quarantäne. Der Vater starb auf der
Station LUCHA 1. Jemand von dort telefonierte in eine andere Abteilung und so
erfuhren die Söhne vom Tod ihres Vaters. Eine Person, die weder Geschlecht noch
Namen genannt haben will, berichtet: «Als
wir davon erfuhren, standen wir auf und begannen zu schreien und die Zustände
zu verfluchen. Dabei bekamen wir mit, dass die Haupttüre mit Schloss und Ketten
gesichert war. So halten sie uns, eingesperrt mit Ketten und Schloss.» (Quelle: LPG, 28.3.20).
Rolando Cedillos, im Spital Rosales, dem grössten im
Land, seit vielen Jahren zuständig für den Bereich Infektiologie, meinte: «Die Mehrheit der Ärzte kennt die
Schutzkleidung nur aus den Tagesschauen (...) Das gilt auch für die
Spezialisten.» Dass ein Bukele ihn nur als Kurvenzeichner wahrnehmen kann,
zeigt er auch mit folgenden Aussagen im Zusammenhang mit Ratschlägen, wie im
Alltag mit Covid-Kranken umgegangen werden soll: «Wir brauchen die Kooperation der Bevölkerung, nicht ihre Angst.» Und
er fordert den Präsidenten auf, eine Conora-Strategie mit Fachleuten zusammen
zu entwickeln. (Diese Forderung ist breit getragen, doch scheitert sie am «gesunden
Menschenverstand» des Regimes.) (Quelle : El Faro, 8.4.20).
Seit Tagen berichten die Medien von Zwangsquarantänen
für medizinisches Personal verschiedener Spitäler, das sich bei der Arbeit
angesteckt hat. Und seit einigen Tagen protestieren InsassInnen von Quarantänezentren,
die nach teilweise schon 39 Tagen ihre Freilassung erflehen oder fordern. Bekannt
wurde etwa der Protest vom letzten Freitag im Hotel Beverly Hills, wo die Leute
wie in anderen umfunktionierten Hotels 24 Stunden am Tag in ihren Zimmer
eingeschlossen sind. In einem Video hört man sie rufen, dass
sie Familie haben, gesund seien und ihre Freilassung fordern. Man sieht, wie
sie Papiere mit handgeschriebenen Botschaften, eines als Papierflugzeug, zu den
Fenstern rauswerfen. Und wie antwortete Bukele? So: «Glaubt jemand, wir wollen sie zum Plausch in 4-Sterne-Hotels zurückhalten?
Nein, einige sind möglicherweise positiv. Andere hatten Kontakt mit Positiven.
Sie rauszulassen hiesse, das Virus zu verbreiten. Zudem mache ich mir um die
Leute Sorge, die dieses Video [ausgestrahlt auch im grössten Fernsehsender]
editiert haben. Die Papiere und das «Flugzeug» waren sehr wahrscheinlich mit Covid-19
verseucht. Damit haben wir einen potentiell Infizierten, der weitere Leute
anstecken könnte und diese ihre Familien.»
Papierflieger aus dem Beverly Hills. |
4-Sterne-Hotel für privilegierte Unverantwortliche, die
eventuell ihre Viren verbreiten – nicht das erste Mal ein Diskurs der «Aussätzigen»,
für die eine nicht enden wollende Quarantäne angesagt ist.