(zas, 25.4.20) Teil
I dieses Artikels beleuchtete die Realität der Coronavirus-Massnahmen der
Regierung Bukele und wie sich die alte und neue aufwärts mobile neue Kleptokratie
auf Krisengewinnlertum vorbereiten. Die «gesundheitspolitischen» Massnahmen der
Regierung basieren auf Repression, ob in Quarantänelagern, Spital oder auf der
Strasse.
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Die Faschisten
der Zukunft werden nicht das Stereotyp von Hitler oder Mussolini haben. Sie
werden keine harten militärischen Gesten machen. Es werden Männer sein, die
über alles reden, was die meisten Leute hören wollen. Über Güte, Familie, gute
Bräuche, Religion und Ethik. In dieser Stunde wird der neue Dämon auftauchen,
und nur wenige werden erkennen, dass sich die Geschichte wiederholt.
Diese Linien werden meist Saramago zugeschrieben, zu
Unrecht, wie die Fundação José Saramago sagt. Sie treffen aber einige aktuelle
Tendenzen, zum Beispiel in El Salvador, nicht schlecht.
Polizei und Armee nahmen nach amtlichen
Angaben bis am 16. April wegen Missachtung der Ausgangssperre rund 2500
Menschen fest. Nach welchen Kriterien? Keine, die festgelegt wären.
Verteidigungsminister Merino weiss
Besseres: «Man merkt, wenn sie lügen.»
Viele Geschichte zirkulieren von Zwangsquarantänen für Leute, weil sie am
ersten Tag der weitgehenden Ausgangssperre keine Bescheinigung des
Arbeitsgebers dabei hatten (von der im Dekret nicht die Rede war) oder etwa neben
Nahrungsmittel auch ein Bier in der Einkaufstasche hatten. Oder da ist die
Geschichte vom zusammengeschlagenen alten Campesino, der seit Jahrzehnten immer
seine ein bis zwei Kühe versorgen geht; vom wegen Quarantäne-Widersetzlichkeit Jungen,
der die bei seiner Mutter bestellten Pupúsas ordnungsgemäss im Quartier
austrug; vom Mann mit geistiger Behinderung, der Polizeiprügel bezog; von den
Menschen, die sich vor dem Haus mal mit den Nachbars austauschen wollten etc.
pp.
Usulután: Uniformierter traktiert Mann mit geistiger Behinderung. Quelle: Arpas. |
Die alte, seit den Friedensabkommen von
1992 eingedämmte Selbstherrlichkeit der Sicherheitskräften kehrt zurück.
Gefördert von oben. So machte Sicherheitsminister
Rogelio Rivas am 2. April klar, dass es um Bestrafung geht, nicht um Gesundheit: “Wir bitten [die Leute, bei der
Ausgangssperre] mit zumachen, sonst werden sie in ein Quarantänezentrum
gebracht, wo sie das Risiko eingehen, sich mit dem Virus anzustecken.” Der
gleiche Täter twitterte am 21. März: “Ich betone: Versuchen Sie nicht, den
Sanitätskontrollen über die grüne Grenze auszuweichen, denn wir werden den
Aufenthaltsort dieser Personen ausmachen und sie in Quarantäne setzen.” Untermalt
vom folgenden Bild des Rektors Roger Arías von der links geprägten Universidad de El
Salvador (UES) im Quarantänezentrum.
Das gefiel Bukele, der eine halbe Stunde später den
Tweet von Rivas so kommentierte: “Der Rektor der Universidad de El Salvador
verletzt den Gesundheitsschutz und reist über die grüne Grenze ein. Wir selber
bringen unserem Volk den Tod.” Und noch einer fand Gefallen: US-Botschafter
Ronald Johnson versah den Tweet Bukele/Rivas mit einem Like. Tatsache ist:
Arias kam, wie die UES im Detail darlegte, Stunden vor Inkrafttreten des Quarantänedekrets
für alle Einreisenden unter Vorweisung seines Passes am Grenzposten Las
Chinamas von einem Rektorentreffen in Guatemala zurück und meldete sich
nachträglich beim Gesundheitsministerium für eine freiwillige Einweisung in ein
Quarantänezentrum. Die UES ist eher links geprägte Universität und ihr Rektor
engagiert im Kampf gegen die Wasserprivatisierung.
Freiheitsrechte u.dgl.
Am 26. März ordnete die Verfassungskammer des
Obersten Gerichts provisorisch die Freilassung dreier in den Lagern
inhaftierter Personen an. Hauptgrund: Die Parlamentsdekrete zum Notstand und
zum Ausnahmezustand (s. Teil 1) lieferten für
Verhaftungen durch Polizei oder Militär keine Rechtsgrundlage, ausser in Fällen
von medizinischem begründeten Corona-Verdacht. Dies unter der Voraussetzung einer
adäquaten medizinischen Betreuung und der Einhaltung der verfassungsmässig
garantierten Menschenrechte. Die Kammer ordnete über die drei konkret
involvierten Personen hinaus explizit die Freilassung aller nicht nach den
angegebenen Kriterien Verhafteten aus.
Am 8. April erklärte die Kammer in einem weiteren Urteil zum gleichen Thema:
“... alle Behörden müssen sich
vergegenwärtigen, dass die Verletzung
der Verfassungsbestimmungen sanktioniert wird und besonders, dass die
Verantwortung für eine solche Rechtsverletzung persönlich ist (...); zu
erinnern ist auch daran, dass bei Verletzungen von Grund- oder Menschenrechten
die Gehorsamspflicht nicht gilt; dass für jede solche Verletzung sowohl die,
die den Befehl dazu erteilt haben, wie die, die ihn ausführen oder das zulassen,
gerade stehen müssen.”
Nun, Bukele hatte schon in seiner cadena nacional vom 6. April (s. Teil I)
klar gemacht, was er von der Sache hält: “Ich
habe dem Verteidigungsminister, dem Polizeidirektor und dem Sicherheitsminister
Anweisungen gegeben, härter gegen die die Leute auf der Strasse vorzugehen ...
Mir wird das ‘au, sie haben mir das Handgelenk umgedreht’ in den Social Media
nicht wichtig sein”.
Auch eine Reihe nach dem 26. März erlassener
weiterer Kammerurteile wie die obligatorische Information von Internierten über
die Resultate ihrer Covid-19-Tests ignoriert das Regime. Immerhin gilt die
Verfassungskammer als oberste Instanz der drei Staatsgewalten für alle
Verfassungsfragen. Als eine frühere Kammer eine ganze Serie eindeutig politisch
motivierter Urteile gegen die FMLN-Regierungen (und damalige
Parlamentsmehrheiten) fällte, gab es kein rechtliches Mittel des Widerstands
dagegen.
Am 14.4. lief das Ausnahmezustandsdekret aus, weil
die Parlamentsmehrheit einer nochmaligen Verlängerung die Zustimmung
verweigerte. Mit diesem Ausnahmezustand legitimierte die Regierung die
Verletzungen der verfassungsmässigen Rechte der wegen Nichteinhaltung der
Quarantäne Verhafteten. Am 16. April verlängerte das Parlament einstimmig das
bisherige Dekret zum Notzustand bis Ende Monat, schob aber tags darauf ein
weiteres, an die Urteile der Verfassungskammer angelehntes Dekret nach, das die
Beachtung der Menschenrechte und der gesundheitspolitischen Standards zur
Bedingung für das staatliche Agieren in diesem Kontext machte.
Kein Parlamentsdekret für den Ausnahmezustand? No problem. Ab dem 14. April gilt Exekutivdekret 19. Inhalt laut Bukele: “Grundsätzlich die gleiche Quarantäne mit den gleichen Sanktionen plus
den in den letzten Tagen angekündigten.” Neu ist mit diesem Dekret u. a,
dass jetzt “alle Personen verpflichtet
sind, den (...) Delegierten des Gesundheitsministeriums den Zutritt zwecks
Inspektion zu Wohnungen, Lokalen, öffentlichem oder privatem Grund zu gewähren,
um sanitäre Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie des Covid-19 zu evaluieren.”
Wer ohne gültigen Grund auf der Strasse festgenommen wird, kommt für 30 Tage in
ein Quarantänelager.
Alles rechtens. Nur die Richter und die Menschenrechtsorganisationen
kapieren das nicht. Dabei hat es Javier Argueta, Rechtsberater des Präsidenten
und zuvor Chef der Rechtsabteilung des Grossunternehmerverbandes ANEP, am 8.
April erklärt: Nur medizinisch
indizierte Personen kommen in die “Betreuung”. Und das sind auch alle auf der
Strasse Aufgegriffenen, da potentielle “Ansteckungsvehikel”
(im Gegensatz etwa zu den vielen risikoarmen
VerkäuferInnen auf den Märkten und im Supermarkt.)
In einer weiteren Resolution legte die Verfassungskammer am 15. April die
Untrennbarkeit der durch die Verfassung garantierten Freiheitsrechte dar, die
nicht einzeln zum Nachteil der anderen priorisiert werden können. Das Recht auf
Gesundheit etwa heble nicht das Habeas Corpus aus (das Recht auf richterliche
Überprüfung einer Haft). Eine Einschränkung von Grundrechten in Notlagen müsse
begründet und verhältnismässig sein. Die Resolutionen der Verfassungskammer
seien im Übrigen nicht einfach interpretierbare Vorschläge, sondern von den
anderen Staatsgewalten zu befolgen. Das Verbot der Kammer, Leute ohne eine
klare, vom Parlament zu beschliessende gesetzliche Grundlage zu verhaften und
in die Quarantänelager zu stecken, gelte auch für den Präsidenten. Dessen
Dekrete können die parlamentarische Gesetzgebung nicht ersetzen. Infolgedessen diktiert
die Kammer die strikte Befolgung ihrer einschlägigen Resolutionen (Freilassung
der Leute in den Quarantänezentren, sofern nicht belegbar medizinische Gründe
dagegen sprechen), und verlangt, dass
die Handhabung z. B. des Exekutivdekrets 19 oder von Artikeln des
Gesundheitsgesetzes sich “strikt an die
Interpretation” der Kammer halte. Notwendig sei ein zwischen Parlament und
Gesundheitsministerium abgestimmtes Gesetz unter Beachtung der von der Kammer
gesetzten Eckpfeiler. Schliesslich müsse der (staatliche, aber
regierungsunabhängige) Ombudsmann für Menschenrechte alle fünf Tage die Kammer
über die Befolgung ihrer Anordnungen orientieren.
Gegen die «Virus-Fraktion»
Soweit ist das der übliche rechtsstaatliche Diskurs.
Politische Ideologie? Klar, wie es solchen abstrakten Postulaten zu eigen ist.
Nicht unähnlich dem gesundheitspolitischen Aufruf, sich fleissig die Hände zu
waschen. Richtig, wo das möglich ist; zynisch dort, wo nicht. Wie im
hauptstädtischen Vorort Apopa, wo vor wenigen Tagen BewohnerInnen von zahlreichen
dichtbevölkerten Stadtteilen protestiert haben, weil bei
ihnen seit 3 Wochen kein Wasser mehr fliesst. (Dafür kontrollieren Polizei und
Armee die Einhaltung der Ausgangssperre.) In El Salvador haben wir die letzten
Jahre gesehen, wie die vorherige Verfassungskammer die FMLN-Regierung
finanziell erwürgte. Umgekehrt sehen wir jetzt, dass sich die Kammer (vorderhand)
quer stellt. Das trägt ihr Angriffe und Lob ein.
Für die Angriffe steht Bukele in gewohnter
Manier: “Die Verfassungskammer delegiert
den verfassungswidrigen Ombudsmann, um die Quarantäne zu überwachen und zu
versuchen, uns alle Instrumente zu nehmen, um sie durchzusetzen? Ein schlechter
Witz. KEINE Resolution steht über dem Verfassungsrecht auf das Leben und die
Gesundheit des salvadorianischen Volkes. Ich verstehe ihr morbides Verlangen
nicht, dass unsere Leute sterben, aber ich schwor, die Verfassung zu befolgen
und befolgen zu lassen. So wie ich eine Resolution, die mir befiehlt,
Salvadorianer zu töten, nicht befolgen würde, kann ich auch eine Resolution,
die mir befiehlt, sie sterben zu lassen, nicht befolgen. 5 Personen werden
nicht den Tod von hundertausenden Salvadorianern beschliessen. Egal, wie viel Tinte
und Siegel sie haben.”
Lob kommt auch aus internationalen Gefilden: vom deutschen Botschafter in
El Salvador etwa, von der UNO-Menschenrechtskommissarin
Michelle Bachelet, vereinzelt von US-Abgeordneten, von einem Medium wie die New
York Times oder etwa von der internationalen AnwältInnenvereinigung IBAR. Sie protestieren
gegen die Aufhebung der Gewaltentrennung. De Americas-Direktor von Human Rights
Watch, José Miguel Vivanco, eher bekannt für seine Treue zur strategischen
Linie des State Departments, hatte Bukele wegen einer Kritik in seinem
Twitter-Account blockiert. Kürzlich griff HRW die Epidemie-Politik Bukeles in scharfen Worten an. Den von
Vivanco beanstandeten Tweet hatte Bukele am 29. März als Antwort auf die Kritik
von Menschenrechtsorganisationen veröffentlicht: “Manchmal scheint es, dass einige
“Menschenrechtsorganisationen” nur dafür arbeiten, dass mehr Menschen sterben.
Als es um die Verbrechensbekämpfung ging, dachte ich, das sei was
Ideologisches. Aber jetzt sind sie auch auf der Seite des Virus.”
«La Libertad»
Spät in der Nacht von Freitag, dem 17. April verhängte Bukele eine
radikale Ausganssperre über das Städtchen Puerto La Libertad. Wie üblich per Twitter. Angegebener Grund: zuviel
Bewegung auf den Strassen. Bukele an den Armeeminister: «Minister Merino, verhängen Sie über Puerto La Libertad eine sanitäre
Sperre. Bis zu einer neuen Avisierung müssen alle Personen zuhause bleiben und
100 % aller Geschäfte geschlossen sein. Auch [bisherige] Ausgangsbewilligungen
sind nicht mehr gültig..» Merino twitterte seinem Chef keine halbe Stunde
später: Befehl werde ausgeführt. Kein Samstageinkauf, kein Wasser für Viele? So
lernt man gehorchen. Als in einer benachbarten Gemeinde zwei Wassertechniker
wie gewohnt an einem Wassertank einer Basisorganisation für Haushalte mehrerer
Gemeinden, darunter Puerto La Libertad, die Wasserzufuhr regulieren wollten,
wurden sie von einer Armeepatrouille wegen Verletzung der Quarantäne verprügelt. Energisch auch der
Minister himself: Er überprüfte bewaffnet mit einem M-16 die
Durchsetzung der «Sanitätsmassnahme». Als er bei einer Tankstelle einen
Angestellten erspähte, liess er sich dabei filmen, wie er dem sagte: «Ich zähle bis 5» und du bist weg.
Quelle Twitter Merino. |
Nach 48 Stunden hob Bukele seine offiziell mit contact tracing begründete Massnahme auf. Im Puerto gab es nicht einen
offiziellen Fall von möglicher Covid-19-Ansteckung. Es wurde auch kein einziger
Test durchgeführt. Gesundheitspersonal war schlicht nicht involviert, keine
Spur von contact tracing. Der Infektiologie-Chef
des grössten Spitals im Land, Rolando Cedillos (s. auch Teil I), meinte denn auch: «Dies eine sanitäre Sperre zu nennen,
überdehnt den Begriff. Der Befehl dazu hat nichts damit zu tun, sondern mit dem
Ärger des Präsidenten wegen dem, was er in den Nachrichten sah.» Oder
vielleicht weniger individualpsychologisch: mit Gehorsamserzeugung in der
Bevölkerung.
La Libertad. 2 Fischer und 2 Bäcker dingfest gemacht. Quelle: El Faro. |
Panchimalco. |
In anderen Zusammenhängen bringt Bukele Sympathien für BügermeisterInnen
auf. Am gleichen Tag, an dem er Puerto La Libertad militarisierte, meldeten
sich einige solcher Figuren (alle von Rechtsparteien) mit der Bitte, das auch
in ihren Gemeinden zu tun. Am 18. April erlaubte er den BürgermeisterInnen des
Landes, zusätzlich zu seinem Dekret 19 weitere «Zirkulationsmassnahmen» zu ergreifen. Er empfahl auch gleich, die
Gemeindepolizeien dafür einzusetzen. Denn «es ist klar, dass es an der Ausweitung der Ansteckungen interessierte
Sektoren der formalen und faktischen Macht gibt. Sie opfern nicht zum ersten
Mal Menschenleben für die Erreichung ihrer politischen Ziele.»
Einer, der sofort anbiss, war der ARENA-Bürgermeister von San Salvador,
Ernesto Muyshondt, ein früher Vertreter der Allianz mit Bukele. Er verhängte im
Stadtzentrum in Kooperation mit Bukele eine von Militär, National- und
Gemeindepolizei durchgesetzte Sperre, die nur durchlässig für Menschen sein
sollte, die in Sektoren wie Spitälern oder Banken arbeiteten oder glaubwürdig
auf dem Grossmarkt einkaufen wollten. Die ursprünglich nur für zwei Tage
angekündigte, schon mal bis zum 28. April verlängerte Sperre soll der
Virusverbreitung in der normalerweise stark frequentierten Zone entgegenwirken.
Die Leute sollen sich wieder daran gewöhnen, dass die Armee sagt, wo’s lang
geht. Und die Regierung könnte allfällige negative Konsequenzen abschieben und
gleichzeitig indirekt weitere Radikalisierungsschritte forcieren. Oder zeigen,
wie breit abgestützt ihre Politik ist.
San Salvador: Armeeschutz vor Ansteckung. |
Einige BürgermeisterInnen hatten schon angekündigt, verschärfte
Ausgangssperren zu verhängen. Sie liessen das für den Moment bleiben, nachdem
Generalstaatsanwalt Melara – ein ARENA-Mann, der kaum zum Bukele-Lager zählt –
sie vor einem Strafverfahren warnte, wenn sie ihre Befugnisse überschritten.
Dafür zeigte sich einer über die
Kooperation Bukele/Muyshondt erfreut, von dem in der letzten Zeit inhaltlich wenig
zu hören war: US-Botschafter Ronald Johnson: Dass die beiden «zusammenarbeiten, um die Massnahmen zum
Schutz der Hauptstadt zu koordinieren, verdient Achtung.» Der Trumpismus
erkennt die Seinen. (Gestern twitterte Trump, er werde Bukele Beatmungsgeräte
liefern, denn «sie haben an der Südgrenze
gut mit uns zusammengearbeitet». Gemeint ist die Jagd der salvadorianischen
Behörde auf MigrantInnen an der nach Zentralamerika verlegten US-«Grenze».)
Parlament ab
in die Quarantäne?
Seit vorgestern liefert der Bukelismo eine gravierende Probe seines Könnens.
Einer 2/3-Mehrheit im Parlament war es gerade gelungen, ein Veto des
Präsidenten zu einem vor wenigen Tagen verabschiedeten Gesetz zu überstimmen.
Das Gesetz will, dass die Regierung für das Spitalpersonal Schutzkleidung bereitstellen
und eine Lebensversicherung abschliessen muss. (Laut Medienberichten sind schon
über 100 Pflegende inkl. ÄrztInnen infiziert.) Eine gleich gelagerte Abstimmung
sollte ein Veto des Präsidenten gegen ein Parlamentsdekret überstimmen, das die
Regierung verpflichtete, die Rückkehr von im Ausland gestrandeten
SalvadorianerInnen zu organisieren. (Aus Italien etwa hören wir regelmässig von
Leuten ohne Geld und Rückkehrmöglichkeit, die nur dank der Solidarität der
Community überhaupt was zu essen und ein prekäres Obdach haben.) Doch halt! Die
FMLN-Abgeordnete Yanci Urbina hatte in der Debatte vorher einen Hustenanfall
gehabt. Die ARENA Abgeordnete Milena Mayorga, hardcore bukelista, versandte
sofort einen Tweet mit dem Bild der hustenden Yanci und einem Hinweis auf
Covid-19. Bukele nahm die Vorgabe auf und twitterte (mit Verweis auf die
Epidemiekommission EICE der Regierung): «Die
EICE hat im Tagungssalon des Parlaments bedeutenden Verdacht auf Covid-19
entdeckt. Es wird die Beendigung der Plenarversammlung und die Selbstisolation
aller Abgeordneter und des Personals empfohlen, bis die verdächtigen Fälle und
ihre Kontakte» abgeklärt sind. Die
Abgeordneten zweier mit dem Bukelismo alliierter Rechtsparteien verliessen
darauf in grosser Eile das Parlament, das Quorum war damit nicht mehr gegeben,
die Session war abgebrochen, weitere Veto-Überstimmungen vom Tisch. Gestern
erschienen diese Parlis erst gar nicht zur Weiterführung der Session. Ohnehin
hat das Parlament wichtigeres zu tun als zu meckern. Im Moment gerade einem von
der Regierung und dem Unternehmerverband ANEP ausgeheckten Plan für die
«Ankurbelung» der Wirtschaft und Sozialleistungen zuzustimmen. Kostenpunkt:
eine weitere Milliarde Dollars (s. Teil I und Der IWF «hilft») Um den
ParlamentarierInnen die Dringlichkeit dieses Vorhabens näher zu bringen, versuchten gestern Teams der
EICE, das Parlament auf Infektionen zu untersuchen. Am 9. Februar liess Bukele
im Zusammenhang mit einem Kreditwunsch das Parlament von Armeeeinheiten
besetzen – und dieses Mal per Virus räumen. Natürlich hinderte ihn das gestern nicht
daran, dem Parlament vorzuwerfen, seinen $ 1-Milliarden-Antrag nicht zügig zu
behandeln.
Sie wusste schon bvorher von der Show. |
Ein EICE-Wagen verfolgte Yanci Urbina auf den Nachhauseweg. Die
FMLN-Abgeordnete Dina Araujo befürchtet, dass Bukele, gestützt auf sein Dekret
19, ParlamentarierInnen zwangsweise auf das Virus untersuchen lassen und danach
in Quarantänezentren entsorgen will.
Die Compas in El Salvador berichten weiter von einer grossen Popularität Bukeles.
Seit Februar verbreitet er erfolgreich Panik unter den Leuten und präsentiert
sich als einzige Alternative zu einem apokalyptischen Massensterben. Gleichzeitig
schürt er Hass gegen die jetzt mit dem Virus, gestern und morgen wieder mit den
Maras verbündete Opposition, insbesondere den FMLN. Natürlich, die Leute in den
Ansteckungslagern werden nicht Spalier für den Präsidenten stehen. Offen
höhnisch teilen Funktionäre mit, ihre Haftdauer könne deutlich mehr als 30 Tage
betragen, Bukele twitterte kürzlich, es habe keine Eile, ihnen (allfällige)
Testergebnisse mitzuteilen. Doch sie und die Oppositionellen sind die
Aussätzigen, die «unser aller» Leben gefährden. So funktioniert das immer noch.
Wenn Bukele sich mit der Justiz anlegt, wenn er die parlamentarische
Opposition einschüchtern will, wenn er (auch nur leicht) kritische Medien
reihenweise ignoriert oder finanziell stranguliert, wenn er viel besser
Bescheid über Epidemisches weiss als all die Doktoren und sonstigen
Kurvenzeichner (s. Teil I), wenn El Salvador unter seiner Führung zum Leuchtturm
der Welt wird, wenn sich Paranoid-Apokalyptisches mit Messianismus paart, dann
ist die psychologische Interpretation schnell zur Hand. Sie kann richtig sein
oder nicht, sie greift auf jeden Fall zu kurz.
Medardo González, der ehemalige FMLN-Chef, analysierte Anfang April das
Phänomen der Popularität Bukeles, der «im
Notstand fast als einziger nationaler Sprecher fungiert. Aber das hat seine
Grenzen», z. B. in den kommenden gigantischen Wirtschaftsproblemen und der nicht
verhüllbaren Korruption bei den angeblich für soziale Transfers und Ankurbelung
bestimmten Milliarden, die im Zentrum von Deals zwischen einer Fraktion der
traditionellen Oligarchie und der staatlich gespiesenen Bourgeoisie um Bukele
stehen. «Das weiss Bukele und deshalb
versucht er die Opposition zu schlagen. Er wird mit seiner Logik der
Viktimisierung fortfahren. Er hat keine wirksamere Politik. Aber der Teil der
betrogenen Bevölkerung wird ihre Stimme erheben und andere politische
Referenten suchen (…) Wir müssen Vorschläge vor allem für die Verletzbarsten entwickeln
und dafür sorgen, dass diese Vorschläge im Volk bekannt und aufgenommen werden.
Der FMLN ist eine politische (elektorale) Partei, aber darüber hinaus auch eine
Partei der Volks - und sozialen Bewegungen, eine in der territorialen Basis der
Comunidad verankerte Partei.»
Bleibt zu hoffen, dass der FMLN diesem Ziel etwas
gerecht werden kann. Und Bukele bis dann nicht die Grundlagen für einen neuen
langen Krieg geschaffen haben wird.
"Hilf auch du: Zahle, um zu helfen." Quelle: Fianzministerium. |