(zas, 30.6.13) Es ist ja kaum
mehr verhüllt, aber es schadet dennoch nichts, es noch einmal
klarzustellen: Bei der von Barack Obama
angestossenen „Reform“ der Migrationsgesetze handelt es sich in Tat und
Wahrheit um ein Projekt der national security, wie Antonio González
meint. González ist nicht irgendwer. Der Sohn mexikanischer EinwanderInnen
wurde von „Time Magazine“ als einer der einflussreichsten Latinos in den USA
bezeichnet, wie uns Antonio Cano am 19.6.13 in seinem Interview mit González in der
mexikanischen Tageszeitung La Jornada mitteilt. González leitet u. a. ein
Projekt zur Einschreibung hispanischer Wahlberechtigter in das US-Wahlregister.
Er sagt: „Die Medien und das Establishment in den USA versuchen“ , die
Veränderungen der Migrationsgesetze „als integrale Migrationsreform zu
verkaufen, was nicht stimmt. Die Migranten sind völlig verwirrt, denn sie
erhalten nur Informationen von Televisa und Univisión, wonach angeblich das
Paradies ansteht, in dem Milch und Honig fliessen, ihre Legalisierung: Es
handelt sich um eine totale Desinformationskampagne.“ (Televisa: grösster
mexikanischer TV-Sender; Univisión: spanisch-sprachiges US-TV.)
Neben einer Verschärfung der Lage an der mexikanischen Grenze führe die
Reform zum peonaje, einer neuen Agrarknechtschaft für die 20 bis 30% der
Sans-Papiers, die überhaupt qualifizieren, und zur Kriminalisierung des Restes.
Einzig die Legalisierung der dreamers – StudentInnen, die als Kinder in
die USA kamen – und das beschränkte GastarbeiterInnenprogramm im Agrarsektor
haben mit der Agenda der MigrantInnen zu tun.
Bei einer Legalisierung 1986 haben 3 Millionen Personen 3 Jahre Zeit
gehabt für ihren Antrag, heute haben 11 Millionen 1 Jahr Zeit. Damals
investierte die Bundesregierung $5 Mio. für Integrationsschritte, heute keinen
Cent. „Deshalb sage ich“, so González, „dass es sich um eine für ihr
Scheitern geplante Legalisierung handelt. Wer nicht qualifiziert, wird als
kriminell klassiert und sofort deportiert.“
Kommt diese Reform durch, „werden die Deportationen zunehmen“. (Obama, fügt „La Jornada“ an, hält mit 1.4
Millionen Deportationen in seiner Amtszeit eh schon den Rekord).
Als letzten Donnerstag der Senat die „Reform“ verabschiedete,
verschärfte er insbesondere die Grenzkriegsvorbereitungen. Die Mitglieder der Border
Patrol werden auf rund 40‘000 verdoppelt, der Drohneneinsatz wird
intensiviert und weitere 1000 km
Hitech-Grenzzaun werden errichtet; Kostenpunkt je nach Quelle $ 30 oder $46
Mrd. Was im Mainstream als Mittel
verkauft wird, um republikanische Stimmen für die „Reform“ zu gewinnen, sieht für die bei einer
Protestaktion in Austin, Texas verhaftete Karen Díaz Morales anders aus: „Der
Senat hat soeben ein Gesetz verabschiedet, das unsere Neighborhoods und unsdere
Grenzen in eine Kriegszone verwandeln wird“. (Democracy
Now, 28.6.13). Fernando García vom Border Network for Human
Rights, einer Organisation, die sich seit über 15 Jahren für MigrantInnenrechte
wie Familiennachzug einsetzt, sagt in der gleichen Sendung: Dieses Gesetz
bedeutet, "die Militarisierung unser Grenzcommunities zu akzeptieren.
Wir reden hier davon, die Mitglieder der Border Patrol auf 40'000 zu
verdoppeln. Um das in den Zusammenhang zu setzen: Die einzige andere Grenze mit
rund 40'000 bewaffneten SoldatInnen ist die Grenze zwischen Nord- und
Südkorea."
Senator Bob Corker hatte die letzten Gesetzverschärfungen miteingeführt.
Stolz fasste er sie zusammen: "Die Mitglieder der Border Patrol an
unserer Südgrenze verdoppelt. Zusätzliche Technologie im Wert von $ 4.5 Mrd.,
die der Chef der Grenzkontrolle während Jahren zu erhalten versucht hat. Ein
Eintritt-/Austritt-Visaprogramm, das voll funktionierten muss. Eine
E-Verifizierung für alle ArbeitsgeberInnen in diesem Land. Zusätzliche 350
Meilen Zaun. Einige Leute sagen: 'Schön und recht, aber wir wissen nicht, ob
das jemals kommt.' Aber man muss die triggers lesen [Voraussetzungen für das
Inkrafttreten der Migrationsbestimmungen]. Wenn das nicht kommt, kriegt niemand
eine Aufenthaltsbewilligung. OK?"
Lorella Praelli von der Unite We
Dream Coalition hatte die Senatsdebatte live mitverfolgt und in den
Sprechchor nach der Gesetzesverabschiedung auf der Tribüne eingestimmt: „Yes, we can!“. Sie argumentiert in der
Democracy-Now-Sendung, „harte triggers“ wie etwa eine diskutierte
Verhaftungsrate „Illegaler“ seien vermieden worden. Die Gefahr, dass das RepräsentantInnenhaus
die Vorlage nochmals verschärfen kann, ist ihr natürlich bewusst. Doch sie
setzt darauf, dass die Abgeordneten die hispanischen WählerInnen nicht
vergraulen wollen. Diese Hoffnung wird sich sehr wahrscheinlich als illusorisch
herausstellen. Zwar ist die Zahl hispanischer Wahlberechtigter beträchtlich
gewachsen, doch dürfte die klassisch fremdenfeindliche Stimmenzahl immer noch
beträchtlich grösser sein. Zudem hat die extrem rechte Supreme Court-Mehrheit gerade
der jahrelangen Praxis gliedstaatlicher Behörden, insbesondere
afroamerikanischen und hispanischen Bevölkerungssegmenten ihr Wahlrecht zu
nehmen, neue Möglichkeiten eröffnet. Das aus der Civil-Rights-Bewegung entstandene Wahlrechtsgesetz von 1975 zwang
nämlich 16 für ihre rassistische Wahlorganisation berüchtigte Staaten, ihre
Wahlbestimmungen dem US-Justizdepartement vorzulegen. Das Oberste US-Gericht
schaffte jetzt diese Bestimmung als obsolet ab; Unannehmlichkeiten wie jene bei
den letzten Wahlen, als das US-Justizdepartment eine Reihe von Wahlrechtsentzügen
in manchen Staaten ausser Kraft setzte, bleiben somit in Zukunft erspart,
zulasten einiger Millionen Wahlberechtigter (s. Elections - American Style).
Es scheint, dass es in der progressiven MigrantInnencommunity zu einer
Spaltung gekommen ist zwischen jenen, die von der „Reform“ zu profitieren
hoffen, und jenen, die sich davon ausgeschlossen wissen. Hoffen wir, dass die
Leute gegen die enormen kommenden Verschärfungen wieder zusammenfinden!