http://www.heise.de/tp/artikel/40/40379/1.html
Harald Neuber
22.11.2013
Der Einsatz unbemannter Flugkörper könnte massiv zunehmen. Drohnen sind Teil einer smarten Remilitarisierungspolitik der USA
Angesicht anhaltender Spannungen zwischen den USA und Staaten Lateinamerikas sowie der Karibik hat US-Außenminister John Kerry Reformen in der Regionalpolitik angekündigt. Die USA und Lateinamerika sollten "wie gleichberechtigte Partner" miteinander umgehen, sagte er vor Vertretern der Mitgliedsländer der Organisation Amerikanischer Staaten in Washington. "Die Monroe-Doktrin ist Vergangenheit", fügte der Politiker der regierenden Demokratischen Partei in Anspielung auf den US-Interventionismus in der Region an. Die USA seien heute nicht an alten Doktrinen interessiert, sondern an der Entwicklung gemeinsamer Interessen und Werte, so Kerry weiter.
BIld: US Air Force |
Die Realpolitik der USA spricht jedoch eine andere
Sprache. Angesichts des politischen und militärischen Einflussverlustes
in der Region mehreren sich die Anzeichen für eine versteckte
Re-Militarisierung. Rüstungsexperten verweisen auf Pläne, militärische
Drohnen in Lateinamerika und der Karibik einzusetzen. Doch auch
unabhängig von den USA gewinnt diese Technologie in der Region massiv an
Einfluss.
Zurzeit sind die rund 7.500 militärischen Drohnen der US-Armee fast ausschließlich im Mittleren und Nahen Osten in Verwendung, schrieb
unlängst Patricio Barnuevo vom Council on Hemispheric Affairs, einem
Washingtoner Think-Tank aus dem Umfeld der Demokratischen Partei. Es sei
aber davon auszugehen, "dass das Südkommando der US-Armee einer
extremen Steigerung seiner militärischen Drohnenflotte in Lateinamerika
entgegensieht".
Das "SOUTHCOM" ist das regionale Kommandozentrum für die
Koordination und Führung aller militärischen Operationen der USA in
Süd- und Mittelamerika. In dem Maße, wie die Ressourcen in Mittleren und
Nahen Osten sowie in Zentralasien frei werden, könnten die unbemannten
Flugkörper zur Überwachung sowie für etwaige Militäroperationen in
Ländern südlich des Rio Grande eingesetzt werden. Nach Angaben von
Militärexperten existieren die entsprechenden Kontrollzentren bereits. Noch aber sind die zur Verfügung stehenden Drohnen sind in die laufenden Kriegs- und Militäreinsätze eingebunden.
Drohnen sollen schwindende Truppenpräsenz kompensieren
Nach Angaben von Barnuevo waren zuletzt lediglich neun Drohnen zur Überwachung der US-mexikanischen Grenze
in Einsatz . In Mexiko habe das dort zuständige "Nordkommando" der
US-Armee bereits seit 2009 unbemannte Flugobjekte eingesetzt.
Allerdings fielen die Ergebnisse
bescheiden aus: Gerade einmal zwei Prozent der festgesetzten
Einwanderer ohne Papiere seien mit Hilfe von Überwachungsdrohnen
aufgespürt worden. Dennoch haben das US-Heimatschutzministerium und das
Südkommando der US-Armee nach einem Bericht der Los Angeles Times 2011
und 2012 binnen 18 Monaten Drohnen in Gebiet der Bahamas getestet. Die Ergebnisse
waren auch hier wenig zufriedenstellend, die Kosten mit 3.000 US-Dollar
pro Stunde hoch. Dessen ungeachtet halten die US-Militärs an der
Ausweitung des Einsatzes fest, vordergründig zur Bekämpfung des
Drogenhandels. Mit dieser Begründung laufen seit zwei Jahrzehnten fast
alle bi- oder multilateralen Militärprogramme der USA in Lateinamerika
und der Karibik.
Doch die traditionelle Militärpräsenz der USA in
Lateinamerika ist – vor allem vor dem Hintergrund zahlreicher
Interventionen – zuletzt auf zunehmenden Widerstand gestoßen. Vor allem
linksregierte Staaten wie Venezuela, Bolivien und Ecuador haben das
US-Militär in den vergangenen Jahren ihrer Länder verwiesen.
Der Einsatz militärischer Drohnen könnte diesen
verlorenen Spielraum wieder wettmachen, meinen Barnuevo und andere
Beobachter. Tatsächlich können die unbemannten Flugkörper weite Strecken
zurücklegen, ohne auf lokale Militärstützpunkte angewiesen zu sein. Auf
diese Weise bliebe die US-Armee in Aufklärung und Aktion
handlungsfähig. Als Ausgangsbasis reichen die Stützpunkte in den wenigen
verbliebenen Partnerstaaten wie Kolumbien, Panama oder Honduras aus.
Auch die Reaktivierung der Vierten Flotte der US-Marine passt in dieses
Schema, zumal der Drohnen-Einsatz von US-Flugzeugträgern intensiv erprobt wird.
Kaum rechtliche Regelwerke zum Einsatz der neuen Technologie
Allerdings geht nicht nur von der US-Drohnentechnologie eine Gefahr für die Sicherheit der Region aus. Inzwischen nutzen
mindestens 14 Staaten Lateinamerikas und der Karibik die Flugkörper. In
wenigen Fällen dienen sie zivilen Zwecken wie der Landvermessung, meist
dafür militärischen Zielen. Die Flugkörper stammen aus den USA, aus Israel und dem IranY – je nach außenpolitischer Orientierung der jeweiligen Staaten.
Eine gesetzliche Regelung zum Einsatz der Flugkörper
existiert neben den USA und Kanada aber lediglich in Brasilien, sagte
Anfang des Monats der argentinische Jurist und ehemalige Vorsitzender
Interamerikanischen Menschenrechtskommission, Santiago A. Canton. Die
fehlenden Regeln erhöhten das Risiko von bilateralen Komflikten.
Die politische Brisanz dieser neuen Militärtechnologie
wurde zuletzt Ende 2009 deutlich, als Venezuela das mit den USA
alliierte Kolumbien bezichtigte, Spionagedrohnen im venezolanischen
Luftraum eingesetzt
zu haben. Der Zwischenfall verschärfte die ohnehin schwelende Krise
zwischen beiden Staaten weiter und wies auf das völker- und
kriegsrechtliche Problem fehlender Regelungen hin.
Im Fall der USA sorgt die mögliche Entsendung der
Drohnen derzeit für Aufsehen, weil sich ein solcher Schritt in die
ohnehin laufende Remilitarisierung einreihen würde. Unter Präsident
Obama wurden Lateinamerika und die Karibik von den US-Militärstrategen
wieder stärker in den Fokus genommen. Und vor wenigen Wochen erst warnte
die Menschenrechtsorganisation "Washington Office on Latin America" vor
der Verlegung US-amerikanischer Elitesoldaten der "U.S. Navy Seals" von
Irak und Afghanistan nach Lateinamerika.
Nach dem Kolumbienexperten und Mitautor einer Studie zum
Thema, Adam Isacson, hatte der Kommandeur der Einheit, Admiral William
McRaven, erst im Sommer dieses Jahres versucht, ein Abkommen mit
Kolumbien auszuhandeln, um in dem südamerikanischen Land ein regionales
Kommandozentrum einzurichten. Solche Militärvereinbarungen unter der
Ägide des US-Verteidigungsministeriums würden sich
Menschenrechtsstandards und der Kontrolle des Parlaments entziehen,
warnte Isacson.