Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Honduras-Interessierte
Hier
eine kurze Zusammenfassung meiner Eindrücke und Beobachtungen des
Wahlprozesses vom 24. November 2013 im Wahlzentrum Jesus Milla Selva in
Tegucigalpa. Ich habe dort von der Öffnung des Wahllokals um 5h30 bis
zur Übermittlung der Resultate ungefähr um Mitternacht etwa sieben
Wahltische begleitet:
Späte Öffnung der Wahltische:
das Wahlmaterial kommt spät und die Mitglieder der verschiedenen
Wahltische haben Mühe, die Wahlen korrekt vorzubereiten. So werden z.B.
viele Urnen nicht wie vorgeschrieben mit Klebeband versiegelt (Foto) und
es gibt erste Diskussionen über Vorgehen, Verantwortlichkeiten, etc.
Dadurch öffnen sämtliche Wahltische, die ich beobachtet habe, erst
zwischen 7h15 und 7h30, was erste negative Reaktionen der Wählenden
hervorruft, die seit 6h00 vor den Wahllokalen warten. Die späte Öffnung
der Wahllokale ist insofern relevant, als dass die "Partei Libertad y
Refundación" (Libre) ihre Mitglieder öffentlich dazu aufgerufen hat,
ihre Stimme möglichst früh morgens abzugeben.
Fälschung von Akkreditierungen:
Es gibt kaum Wahltische, an denen VertreterInnen aller Parteien
anwesend sind. Zudem wird im Laufe des Tages und insbesondere bei der
Auszählung der Resultate deutlich, dass viele Mitglieder der Wahltische,
die kleine Parteien vertreten, in Wirklichkeit zur Regierungspartei
"Partido Nacional" gehören. Sie haben ihre Akkreditierung verkauft und
de facto sitzen deshalb an vielen Tischen zwei Vertreter von "Libre" und
etwa acht VertreterInnen des "Partido Nacional". Insbesondere für die
Auszählung ist diese Zusammensetzung problematisch.
Anwesenheit von Parteimitgliedern und Militär im Wahllokal:
Trotz striktem Verbot halten sich währen mehreren Stunden am Vormittag
Mitglieder der Regierungspartei "Partido Nacional" im Wahllokal auf
(Foto). Sie sprechen mit Wählenden und legen dabei ein ziemlich
agressives Verhalten an den Tag. Auch das Militär hält sich im Wahllokal
auf und betritt teilweise sogar die Räume mit den Urnen, was auf viele
Wählende gemäss deren Aussagen einen irritierenden und einschüchternden
Eindruck macht. Allerdings muss auch gesagt werden, dass einzelne
Militärs bei der Beschaffung von notwendigem Material wie Papier und
Stifte behilflich ist, das nicht wie vorgesehen vom Wahltribunal
geliefert wurde.
Auszählung und Übermittlung der Resultate:
Bei der Auszählung der Stimmen sind einzelne Mitglieder der Wahltische
bereits abgereist und überlassen die Auszählung der Stimmen den anderen
Parteien. Obwohl die Auszählung öffentlich ist, wollen mich einzelne
Mitglieder der Wahltische aus dem Raum weisen. Erst nach längeren
Diskussionen erlauben sie uns BeobachterInnen und den BürgerInnen das
Zuschauen (Foto). Stimmzettel, die den obligatorischen Stempel nicht
haben, werden nicht etwa als ungültig erklärt, sondern einfach
nachträglich noch gestempelt. Die Auszählung dauert mehrere Stunden. Als
um 20h00 die Resultate der ersten Wahltische übermittelt werden sollen,
fällt das technische System aus. Um 23h00 sind die Resultate von drei
der sieben beobachteten Urnen übermittelt. Das Wahltribunal (TSE)
erklärt jedoch kurz darauf Juan Orlando Hernández zum Wahlsieger, was im
Lichte der Schwierigkeiten bei der Übermittlung von Resultaten und in
Anbetracht der Tatsache, dass 20% der Urnen zur speziellen Auszählung
aussortiert wurden, Fragen aufkommen lässt. Nichts desto trotz senden
die politisch rechts orientierten Präsidenten von Guatemala, Panama und
Kolumbien kurz darauf Glückwünsche zur Wahl von Juan Orlando Hernández.
Die Tage danach:
Am Morgen des 25. November 2013 wird das Ministerio Publico, wo
Beschwerden zum Wahlprozess eingereicht werden können, unter dem Vorwand
geschlossen, die Partei Libre habe Proteste angekündigt. Bis zu diesem
Zeitpunkt habe ich jedoch keinen öffentlichen Aufruf zum Protest gehört,
im Gegenteil: die Parteileitung kündigt an, sie wolle erst ihre Akten
auswerten und auf diesem Weg beweisen, dass Xiomara Castro de Zelaya
gewählte Präsidentin sei. Libre hat auf 11h00 eine Pressekonferenz
angekündigt. Just um 11h00 tritt dann jedoch das Wahltribunal an die
Öffentlichkeit; die Übertragung dieses Auftritts ist für sämtliche
nationale Fernsehsender obligatorisch. Die Stimmung unter den Leuten
schwankt zwischen Unsicherheit, Frustration, Resignation und Wut. Aus
Angst vor Zusammenstössen sammelt die nationale Polizei mit Pick-ups in
den Strassen frei herumliegende Steine ein… Am 26. November 2013
besetzen Studierende aus Protest die Universität, was mit einem massiven
Einsatz der Militärpolizei beantwortet wird.
Zum Schluss:
Die Unsicherheit und Frustration in der Bevölkerung über den
undurchsichtigen Prozess ist gross. Während einige den Weg über die
Urnen als gescheitert betrachten und zu Protesten auf der Strasse
aufrufen, mahnen andere zur Ruhe bis der mögliche Wahlbetrug durch
erneute Auszählungen der Akten bewiesen werden kann. Klar ist, dass die
Wahlen unter problematischen und enorm ungleichen Bedingungen
stattgefunden haben: Auf der einen Seite die Regierungspartei mit der
Macht über sämtliche nationale Institutionen (Wahltribunal,
Staatsanwaltschaft, Polizei und Militär, Medien, etc.) und der
Möglichkeit, ihre Kampagne über das Staatsbudget zu finanzieren, auf der
anderen Seite die Partei Libre, die mehrheitlich aus der Bevölkerung
hervorgegangen ist und über ein deutlich tieferes Budget verfügt. Die
Frage, ob es in einem solchen Kontext überhaupt möglich ist, durch
Wahlen den so dringend notwendigen und lange ersehnten Wandel zu
erlangen, bleibt offen.
Bitte an weitere interessierte Kreise und Medien weiterleiten, Danke!
Herzlich,