Wahlbeobachtung in Honduras

Donnerstag, 28. November 2013


Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Honduras-Interessierte
 
Hier eine kurze Zusammenfassung meiner Eindrücke und Beobachtungen des Wahlprozesses vom 24. November 2013 im Wahlzentrum Jesus Milla Selva in Tegucigalpa. Ich habe dort von der Öffnung des Wahllokals um 5h30 bis zur Übermittlung der Resultate ungefähr um Mitternacht etwa sieben Wahltische begleitet:
 
Späte Öffnung der Wahltische: das Wahlmaterial kommt spät und die Mitglieder der verschiedenen Wahltische haben Mühe, die Wahlen korrekt vorzubereiten. So werden z.B. viele Urnen nicht wie vorgeschrieben mit Klebeband versiegelt (Foto) und es gibt erste Diskussionen über Vorgehen, Verantwortlichkeiten, etc. Dadurch öffnen sämtliche Wahltische, die ich beobachtet habe, erst zwischen 7h15 und 7h30, was erste negative Reaktionen der Wählenden hervorruft, die seit 6h00 vor den Wahllokalen warten. Die späte Öffnung der Wahllokale ist insofern relevant, als dass die "Partei Libertad y Refundación" (Libre) ihre Mitglieder öffentlich dazu aufgerufen hat, ihre Stimme möglichst früh morgens abzugeben.
 
Fälschung von Akkreditierungen: Es gibt kaum Wahltische, an denen VertreterInnen aller Parteien anwesend sind. Zudem wird im Laufe des Tages und insbesondere bei der Auszählung der Resultate deutlich, dass viele Mitglieder der Wahltische, die kleine Parteien vertreten, in Wirklichkeit zur Regierungspartei "Partido Nacional" gehören. Sie haben ihre Akkreditierung verkauft und de facto sitzen deshalb an vielen Tischen zwei Vertreter von "Libre" und etwa acht VertreterInnen des "Partido Nacional". Insbesondere für die Auszählung ist diese Zusammensetzung problematisch.
 
Anwesenheit von Parteimitgliedern und Militär im Wahllokal: Trotz striktem Verbot halten sich währen mehreren Stunden am Vormittag Mitglieder der Regierungspartei "Partido Nacional" im Wahllokal auf (Foto). Sie sprechen mit Wählenden und legen dabei ein ziemlich agressives Verhalten an den Tag. Auch das Militär hält sich im Wahllokal auf und betritt teilweise sogar die Räume mit den Urnen, was auf viele Wählende gemäss deren Aussagen einen irritierenden und einschüchternden Eindruck macht. Allerdings muss auch gesagt werden, dass einzelne Militärs bei der Beschaffung von notwendigem Material wie Papier und Stifte behilflich ist, das nicht wie vorgesehen vom Wahltribunal geliefert wurde.
 
Auszählung und Übermittlung der Resultate: Bei der Auszählung der Stimmen sind einzelne Mitglieder der Wahltische bereits abgereist und überlassen die Auszählung der Stimmen den anderen Parteien. Obwohl die Auszählung öffentlich ist, wollen mich einzelne Mitglieder der Wahltische aus dem Raum weisen. Erst nach längeren Diskussionen erlauben sie uns BeobachterInnen und den BürgerInnen das Zuschauen (Foto). Stimmzettel, die den obligatorischen Stempel nicht haben, werden nicht etwa als ungültig erklärt, sondern einfach nachträglich noch gestempelt. Die Auszählung dauert mehrere Stunden. Als um 20h00 die Resultate der ersten Wahltische übermittelt werden sollen, fällt das technische System aus. Um 23h00 sind die Resultate von drei der sieben beobachteten Urnen übermittelt. Das Wahltribunal (TSE) erklärt jedoch kurz darauf Juan Orlando Hernández zum Wahlsieger, was im Lichte der Schwierigkeiten bei der Übermittlung von Resultaten und in Anbetracht der Tatsache, dass 20% der Urnen zur speziellen Auszählung aussortiert wurden, Fragen aufkommen lässt. Nichts desto trotz senden die politisch rechts orientierten Präsidenten von Guatemala, Panama und Kolumbien kurz darauf Glückwünsche zur Wahl von Juan Orlando Hernández.
 
Die Tage danach: Am Morgen des 25. November 2013 wird das Ministerio Publico, wo Beschwerden zum Wahlprozess eingereicht werden können, unter dem Vorwand geschlossen, die Partei Libre habe Proteste angekündigt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich jedoch keinen öffentlichen Aufruf zum Protest gehört, im Gegenteil: die Parteileitung kündigt an, sie wolle erst ihre Akten auswerten und auf diesem Weg beweisen, dass Xiomara Castro de Zelaya gewählte Präsidentin sei. Libre hat auf 11h00 eine Pressekonferenz angekündigt. Just um 11h00 tritt dann jedoch das Wahltribunal an die Öffentlichkeit; die Übertragung dieses Auftritts ist für sämtliche nationale Fernsehsender obligatorisch. Die Stimmung unter den Leuten schwankt zwischen Unsicherheit, Frustration, Resignation und Wut. Aus Angst vor Zusammenstössen sammelt die nationale Polizei mit Pick-ups in den Strassen frei herumliegende Steine ein… Am 26. November 2013 besetzen Studierende aus Protest die Universität, was mit einem massiven Einsatz der Militärpolizei beantwortet wird.
 
Zum Schluss: Die Unsicherheit und Frustration in der Bevölkerung über den undurchsichtigen Prozess ist gross. Während einige den Weg über die Urnen als gescheitert betrachten und zu Protesten auf der Strasse aufrufen, mahnen andere zur Ruhe bis der mögliche Wahlbetrug durch erneute Auszählungen der Akten bewiesen werden kann. Klar ist, dass die Wahlen unter problematischen und enorm ungleichen Bedingungen stattgefunden haben: Auf der einen Seite die Regierungspartei mit der Macht über sämtliche nationale Institutionen (Wahltribunal, Staatsanwaltschaft, Polizei und Militär, Medien, etc.) und der Möglichkeit, ihre Kampagne über das Staatsbudget zu finanzieren, auf der anderen Seite die Partei Libre, die mehrheitlich aus der Bevölkerung hervorgegangen ist und über ein deutlich tieferes Budget verfügt. Die Frage, ob es in einem solchen Kontext überhaupt möglich ist, durch Wahlen den so dringend notwendigen und lange ersehnten Wandel zu erlangen, bleibt offen.   

Bitte an weitere interessierte Kreise und Medien weiterleiten, Danke!

Herzlich, 
Anna Leissing, Koordinatorin
 
Guatemalanetz Bern / Red Guatemala-Suiza
c/o RefBeJuSo / Bereich OeME-Migration
Altenbergstrasse 66
Postfach 511
3000 Bern 25
Tel.: 031 340 26 15 (Mittwochs)