Honduras: vor der Wahl

Samstag, 23. November 2013


(zas, 23.11.13) Ginge es nach den meisten Umfragen, würde die Siegerin der Präsidentschaftswahlen von morgen Sonntag wohl Xiomara Castro de Zelaya heissen. Sie ist die Kandidatin der Partei Libre (Libertad y Refundación), die mit der Widerstandsfront gegen den Putsch von 2009 (FNPR) verbunden ist. Das Wahlprogramm von Libre (es finden allgemeine Wahlen, also auch für das Parlament und die Gemeinderegierungen statt) basiert auf den vom 2009 weggeputschten Sozialprogrammen unter Präsident Mel Zelaya, ihrem Ehemann. Es sieht auch die Rücknahme von nationalen Ausverkäufen wie dem kürzlich verabschiedeten Minengesetz inkl. der damit verbundenen faktischen Privatisierung von Flüssen und der "Sonderentwicklungsregimes" vor (in künstlichen "Modellstädten" soll die Bevölkerung nicht mehr einer honduranischen, sondern einer Investoren-Gesetzgebung ausgesetzt sein). International will Xiomara "die Beziehungen mit aller Welt beibehalten, basierend auf Respekt und Nicht-Einmischung, aber insbesondere mit den verschwisterten Ländern Zentral- und Südamerikas". Zentral ist das Vorhaben, eine breit abgestützte Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Dieser letzte Punkt war 2009 der Auslöser für den Militärputsch, den das Pentagon aktiv mitgetragen hat. Die EU segnete die neuen Machthaber ab, indem sie deren Wahlinszenierung vom November 2009 (mit Bajonetten und anderen einschlägigen Essentials) zum Anlass nahm, ihr Freihandelsdiktat sofort auch mit der neuen Putschregierung voranzutreiben.


Das Programm der Rechten
Heute sieht es nicht nach halbwegs fairen Wahlen und einem Linkssieg aus. Ernsthafter Gegenkandidat zu Xiomara ist der ultrareaktionäre Juan Orlando Hernández vom regierenden Partido Nacional. Der bisherige Parlamentspräsident setzte im August 2013 die Schaffung einer "Militärpolizei für die Öffentliche Ordnung" durch; deren 5000 Mitglieder – seit dem Putsch sind die Streitkräfte um mindestens 7000 Männer und Frauen gewachsen – militarisierten seither den ganzen Bereich der inneren Sicherheit und tun sich vor allem mit verschärfter Repression gegen Mitglieder von Libre hervor. 
21 KandidatInnen für Parlaments- und Gemeindeposten der verschiedenen Parteien sind während des Wahlkampfes ermordet worden, davon 10 allein von Libre.  Hernández droht damit, unter seiner Regierung werde an jeder Strassenecke ein Soldat stehen – als Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität. Honduras gilt als das Land mit der höchsten Mordrate ausserhalb von Kriegsgebieten (86 auf 100'000 EinwohnerInnen);  so gut wie alle Morde werden den sogenannten Strassenbanden oder maras angehängt. Hernández will die Anbauflächen für Agrosprit (Ölpalme und Zuckerrohr) verdoppeln. Seit 2010 sind im Gebiet des Bajo Aguán, gegen die Karibikküste des Landes zu, 131 Menschen ermordet worden, davon 18 Mitglieder von Sicherheitspersonal der drei grossen Palmölbarone, der "Rest" alles BäuerInnen. Hintergrund: In den 80er Jahren ist dieses Land im Rahmen von US-Aufstandsverhütungsprogrammen an BäuerInnen verteilt worden; eine neoliberale Konterreform 1992 ermöglichte es, dass Kooperativenchefs hinter dem Rücken ihrer Basis die Ländereien für einen Spottpreis an die drei Barone, darunter den führenden Putsch-Financier Miguel Facussé, der auch in den Drogenhandel verwickelt ist (s. Correos 170), verkaufen konnten. Unter der Regierung von Mel Zelaya tat sich den tausenden zuvor vertriebenen und später ihr Land besetzenden Familien eine Perspektive auf. Seit 2010 nutzen Facussé & Co. den Putsch zur Wahrung ihrer auch von der Weltbank und dem WWF (s. Der Pakt mit dem Panda) gesponserten Geschäftsinteressen - seither kommt es zum anhaltenden Morden.  (Ein Teil der 18 umgekommenen Mitglieder des paramilitärischen Werkschutzes von Facussé etc. hat möglicherweise in Auseinandersetzungen mit sich bewaffnenden Campesinos den Tod gefunden, etliche aber scheinen bei internen Streitigkeiten zwischen Drogenhandelsringen gefallen zu sein.)
Es ist dieser Hernández, den das Oberste Wahlgericht (TSE) wahrscheinlich zum Sieger ausrufen wird.

Die Freude am Betrug
Laut mehreren Umfragen führt Xiomara mit wenigen bis sieben Punkten vor Hernández. Ihr Vorsprung ist relativ konstant, und zwar pikanterweise seit den vom TSE geleiteten obligatorischen Primärwahlen, bei denen Xiomaras Partei Libre anteilmässig weit abgeschlagen hinter den beiden traditionellen Regimestützen, der liberalen und der nationalen Partei, zu liegen kam. Die Hinweise und Belege auf einen massiven, vom TSE nicht nur gedeckten, sondern mitorganisierten  Wahlbetrug, haben sich gehäuft. Bei den Primärwahlen von Libre schnitt übrigens die Widerstandsfront FNPR schlechter ab jene Ex-Liberale, die sich nach dem Putsch gegen "ihren" Mel Zelaya von ihrer Mutterpartei abspalteten und Libre mitgründeten. Maf sein, dass das TSE auch bei diesem Resultat seine Finger mit im Spiel hatte. Allerdings ist klar, dass die Ex-Liberalen um Mel wesentlich mehr Finanzmittel und Wahlerfahrung als der aus den sozialen und ausserparlamentarischen Organisationen hervorgegangene FNPR vorzeigen konnten. So oder so, das aus drei Regime-treuen Parteien bestückte TSE hatte erneut, wie schon bei den Putschwahlen im November 2009, seine Manipulationsfreude manifestiert. Eine Freude, die ihm nicht vergangen ist.
Am 20. November 2013 beklagte Xiomara Castro "gravierende Unregelmässigkeiten" im System der Resultatübermittlung, das das TSE gebraucht. Dabei ging es u. a. um die Rolle der sogenannten custodios, Wächter. Den mit ParteivertreterInnen bestückten Wahltischen wird ein/e custodio/a  zugeteilt, in Vertretung des TSE, der/dem u. a. die Aufgabe zufällt, nach Schliessung der ländlichen Wahlzentren und Auszählung der Stimmen die Akten mit den Resultaten des Wahlzentrums einzuscannen und via Modem zu übermitteln. In den grossen Städten sollen die custodios vom TSE ernannte technische OperateurInnen bei dieser Aufgabe begleiten. Custodios und OperateurInnen werden unter den StudentInnen der staatlichen und privaten Universitäten sowie in den Kirchen rekrutiert. Vorgestern nun schrieb Libre in einem Communiqué: "Die Unparteilichkeit der custodios konnte [bei Proben der Resultatübermittlung] aufgrund der verschiedenen Fehler nicht verifiziert werden, dies zeigt  das Fehlen von Garantien dafür auf, dass via Scanner eine angemessene und gerechte Übermittlung der Wahlresultate erfolgt."(Telesur, 21.11.13). Das Communiqué kritisiert auch, dass "'das Reglement des Übermittlungssystems', das noch keinen Monat in Kraft ist, reformiert worden ist, was die Improvisation und den Mangel an Umsetzung der Akte der Minimalgarantien aufzeigt". Nun, Mitte September hatten die Wahlbehörden der Dominikanischen Republik ein Abkommen mit dem honduranischen TSE beendet, das die kostenlose Zurverfügungstellung von Scannern mit der Software für intelligent caracter recognition vorgesehen hatte. Die honduranischen Rechtsparteien und das TSE hatten den Gebrauch dieser Technologie abgelehnt. Die dominikanischen Scanner hatten zuvor bei der Übermittlung von Wahlresultaten in Guatemala, Ecuador und Paraguay anerkanntermassen gute Dienste geleistet.
Eben.
StudentInnen der staatlichen Universität UNAH, bei denen ein Grundverdacht auf Linksorientierung gegeben ist, die als custodios/as angestellt sind, erhalten anonyme Anrufe und SMS, um sie dazu zu bewegen, morgen zuhause zu bleiben. Gegen eine kritische internationale Wahlbeobachtung im Land fährt das TSE schweres Geschütz auf, indem es sie wiederholt dazu aufruft, sich nicht in honduranische Belange "einzumischen". Heute Samstag durchsuchten schwerbewaffnete Männer (mutmasslich der Migrationsbehörde) die Zimmer eines Hotels, die von akkreditierten internationalen WahlbeobachterInnen aus den USA und El Salvador gemietet sind. 
Aufnahme von Globo TV während der heutigen Hoteldurchsuchung. Quelle: hondulibre.blogspot,ch
Woher der Wind weht, zeigt auch, dass das TSE der guatemaltekischen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, dem spanischen Ex-Richter Baltasar Garzón, einem ehemaligen panamaischen Vizepräsidenten sowie Angehörigen von Mitgliedsparteien im progressiven lateinamerikanischen Foro de Sao Paolo die Akkreditierung als WahlbeobachterInnen verweigert hat, da parteiisch, und ihnen nur einen Status als "BegleiterInnen" von Libre zugesteht; dito verbot es die Ausstrahlung einer Grussbotschaft des brasilianischen Ex-Präsidenten Lula an Libre. Mitglieder der rechten Parteieninternationale oder die US-Botschafterin Lisa Kubiske, die andauernd kaum verhüllt gegen eine Stimmabgabe für Libre "wirbt", fallen selbstverständlich nicht unter diese Kriterien. Selbst die Regimemedien berichten, dass auf den WählerInnenlisten Tote als stimmberechtigt aufgeführt werden und umgekehrt Lebende als "Verstorbene" daraus gestrichen wurden. Generell herrscht in Details eine Tendenz vor, dass heute nicht mehr gilt, was gestern angesagt war: So sind dieser Tage hunderte von custodios/as in Wahllokale umgeteilt worden, wo sie bei den in ihren Verantwortungsbereich fallenden Übermittlungsversuchen nicht zugegen waren. Solche "Kleinigkeiten" pflegen System zu haben: Sie schaffen ein Klima der Ungewissheit, des "Chaos", Heute zitieren Agenturen den Ex-Präsidenten Mel Zelaya mit diesen Worten: "Sie [das TSE] kündigen an, dass sie eine Intervention bei den Wahlakten machen werden, dass sie die Akten hinter dem Rücken der Parteien klassifizieren … Sie ändern hinter unserem Rücken die Spielregeln". Solche "Überraschungen", Ungewissheiten sind erprobte Hilfsmittel für eine von zentraler Stelle aus ausgeübte "Ausrichtung" der Resultate.

Militarisierung
Ins gleiche Horn, wenn auch etwas grob, stösst der Präsident des TSE, David Matamoros, wenn er heute bekannt gibt, die Streitkräfte hätten einen nicht weiter spezifizierten Plan zur Sabotage der Resultatübermittlungen aufgedeckt und zerschlagen. Die laut Matamoros als "Garanten des Wahlprozesses" fungierenden Streitkräfte würden dafür sorgen, dass die "fiesta cívica" von morgen nirgends im Land gestört würde. Besagte Granten "operieren im ganzen Land in jenen Sektoren mit der grössten Konfliktivität, um den Frieden zu garantieren" (El Heraldo, 23.11.13). Das soll ein Hinweis auf angebliche Mara-Aktivitäten sein, real aber ist es, im Kontext der letzten Zeit, als die Militärs verstärkt gegen Libre vorgegangen sind, eine klare Drohung an diese Adresse. Ebenfalls heute erfahren wir in diesem Zusammenhang: Libre "denunziert, dass die zu Libre neigenden Mediensender militarisiert werden"  (La Tribuna, 23.11.13). Das Stadtbild von Tegucigalpa ist heute schon spürbar geprägt von den Militärs.
 
Die Onlineausgabe der La Tribuna begleitet ihren heutigen Artikel über die Armeemobilisierung auf den Stassen der Städte mit diesem Bild.

Gespaltene Bourgeoisie
Ein Aspekt spricht womöglich gegen einen groben Wahlbetrug. Seit dem Putsch ist das Land derart heruntergewirtschaftet worden (selbst offiziell steigen die Armutszahlen beträchtlich), dass ein Teil jener Bourgeoisie, die primär am nationalen Markt orientiert ist, keine andere Möglichkeit mehr sieht, als zur Wahl von Xiomara Castro aufzurufen. Prominentestes Beispiel dafür ist Adolfo Facussé, Präsident der auf den Binnenmarkt konzentrierten Unternehmervereinigung ANDI. Er hatte den Putsch 2009 fröhlich unterstützt und dabei übersehen, dass das grosse Geld der folgenden "Marktreformen" an die Multis gehen würde (neben angemessenen "lokalen" Bestechungskommissionen), weniger an seinesgleichen. Folgerichtig fragt er heute aus der nationalen Perspektive: "Was nützt uns eine an Hunger sterbende Bevölkerung?" Besser ein an Ecuador oder Brasilien angelehntes Modell einer Verständigung zwischen Linken und Privatsektor, "solange es nicht zur Konfrontation aufruft" (La Jornada, 21.11.13). Allerdings ist einzuschränken, dass Facussé eben nicht für den an die Transnationalen angehängten Unternehmerverband COHEP spricht, mitunter beträchtlich an Gewicht verloren haben dürfte.

Ungewisse Perspektiven
Falls sich in der Libre-Basis der Eindruck durchstzen sollte, dass ihr der Wahlsieg mit betrügerischen Mitteln vorenthalten wird, kann sich die Lage sehr rasch massiv verschärfen. Verschiedentlich geistert das grosse Wort von Aufstand herum, das wohl definitiv zu hoch greift, aber eine neue Phase der Konvulsion und blutiger Zusammenstösse könnte anstehen. Deshalb marschiert die Armee auf, eine Armee, die schon in den letzten Monaten indigene Protestierende gegen Staudammprojekte umgelegt hat oder die Wohnungen von Gewerkschaftsmitgliedern oder Familienangehörigen von bekannten Feministinnen durch ihre Militärpolizei militärisch stürmen lässt mit der Begründung, sie seien Libre-Mitglieder und hätten Waffen versteckt.
___
Für Berichte zu sozialen Konflikten siehe http://hondurasdelegation.blogspot.de