Bolivien – Es hat nicht gereicht

Mittwoch, 24. Februar 2016



(zas, 24.2.16) Es hat nicht gereicht in Bolivien, die Verfassung wird nicht reformiert, Evo Morales und Álvaro García Linares werden kein weiteres Mal mehr antreten können. Zwar hat, wie voraussehbar war, die Auszählung der fehlenden Stimmen aus ländlichen Gegenden die Position des „Ja“ im Referendum von letztem Sonntag gestärkt, aber nicht in derart überwältigenden Ausmass, dass die Tendenz definitiv gekippt worden wäre. Nach Auszählung von 99.49 % der Wahlakten siegt Angaben des Obersten Wahlgerichts TSE zufolge die Opposition mit 51.31 % der Stimmen gegenüber 48.69 5 für die Verfassungsänderung.
Wir hoffen, bald gesicherte Einschätzungen zu den Hintergründen dieses Resultats und seiner Auswirkung auf die Zukunft des Veränderungsprozesses in Bolivien zu erhalten.

Argentinien: Finanzkriminalität – der Bock wird Gärtner

(zas, 24.2.16)

Die Finanzinformationseinheit (UIF) hatte die Aufgabe, Geldwaschaktivitäten aufzudecken. Dafür hatte sie 200 Arbeitskräfte – bisher. Die Regierung Macri hat nun 60 MitarbeiterInnen knall fall vor die Türgestellt, weitere 40 sollen folgen, vermeldete gestern Página 12 (Otra buena noticia para los bancos). Bisher hat die Regierung rund 25‘000 Staatsangestellte auf die Strasse gestellt und unterdrückt Proteste zunehmend härter (amerika21.de, 23.2.16: Regierung in Argentinien beschneidet Demonstrationsrecht). Auch bei den UIF-Entlassungen kam es zum gewohnten Prozedere: Zu Beginn des Arbeitstages finden die Angestellten am Eingang zum Arbeitsplatz Listen der Entlassenen; ihnen ist ab sofort der Zutritt verboten.
Bei der UIF sind verschiedene Zweige betroffen, so ihre Abteilung in der Zentralbank. Die hat nun keine Aufgaben mehr in Sachen Vorbeugung und Verfolgung von Finanzkriminalität. Dafür gibt es neue ChefInnen: Mariano Federico (Präsident) und María Eugenia Tealerico (Vize). Die beiden sind vom Fach, sozusagen: Beide waren prominent in die Verteidigung der HSBC-Grossbank (und im Fall des Señors weiterer Geldwäschereiangeklagter) involviert.

Página 12 schreibt zusammenfassend: „Das Resultat dieser Wechsel ist eine geschwächte UIF, deren einzige Raison d’être darin besteht, das Justizministerium in Fällen von Terrorismus und Drogenhandel zu informieren. Die Kontrolle von Finanzdelikten bleibt in einer Grauzone. … Der vorherigen Administration war es gelungen, Geldwäschereidelikte unabhängig von der Herkunft der Gelder zu verfolgen, was den Kampf gegen illegale Handlungen der Banken selbst ermöglichte.“
 Tempi passati.

Die Regierung begründet ihre Entlassungspolitik gemeinhin mit der Behauptung, es seien nur kirchneristische „künstliche Arbeitsplätze“ betroffen (die sie danach oft mit eigenen Leuten auffüllt).Nun, die entlassene Leiterin der Rechtsabteilung der UIF ist anerkannt parteilos, hat aber den Makel, gegen HSBC und das dominierende Pressimperium der Gruppe Clarín Ermittlungen betrieben zu haben.
Ein entlassener Techniker der UIF, der auch seine persönlichen Dinge am Arbeitsplatz nicht abholen durfte, wurde beim Verlassen der Zone über mehrere Strassenzüge von einem Mann „in Anzug ohne Krawatte“, so seine Aussage, verfolgt.

HSBC-Liierte übernehmen den Vorsitz. Als Zuarbeitende für die globale Drogenhandelbank (HSBC: too big to fail, too big to jail) können sie zweifellos kompetent darüber entscheiden, wann Ermittlungen dienlich sind und wann nicht.

Überhaupt und generell: Kein Wunder, ist die Schweizer Presse von der Regierung Macri so angetan.

Bolivien: Die Stimmen von hinten im Land

Dienstag, 23. Februar 2016



(zas, 23.2.16) Laut dem bolivianischen Wahltribunal hat die rechte Opposition mit ihrem „Nein“ zur Einleitung einer Verfassungsreform, die Evo Morales die Möglichkeit einer Wiederwahl ermöglichen könnte, einen Vorsprung von 8.2 %. Dies bei einem derzeitigen Stand von 82 % der Wahlakten. Die Sache scheint klar, so klar, dass „unsere“ Medien schon gestern über den Sieg der Rechten berichteten. Doch sie ist nicht so klar, wie sie scheint. Denn es scheinen Wahlakten vor allem aus ländlichen, entlegenen Gegenden zu fehlen, in denen das MAS (Movimiento al Socialismo), die Partei von Morales, über einen soliden Rückhalt verfügt.  Vizepräsident Álvaro García Linera spricht heute denn auch von einem Wahlbetrugsversuch der Rechten, die versuche, in diesen Gebieten die Wahlbehörden bei der Auszählung einzuschüchtern. „Die Transparenzgarantie“, so García Linera, „ist absolut. Aber in einem Akt politischer Verzweiflung versucht die Rechte, diese bäuerischen und indigenen Stimmen zu annullieren“

Álvaro García Linera
 Evo Morales seinerseits machte auf eine Episode im Verlauf der ersten Wahl, bei der er für die Präsidentschaft angetreten war, aufmerksam: „Ich glaube, während zwei Wochen waren wir auf Platz 3, weil es damals schneite und die Stimmen aus den ruralen Gebieten nicht ankamen“. Und, fügte er weiter an, „2014 gaben ‚conteos‘ (Hochrechnungen? erste Auszählungen?) dem MAS 50 %, am Schluss hatten wir 60%.“

Bis Sicherheit über die Resultate vorliegt, dürfte es noch eine Weile gehen. Denn höchstwahrscheinlich wird es zu einer Überprüfung kommen. Die Darstellungen, dass die Sache schon gelaufen sei, sind im besseren Fall verantwortungslos und inkompetent. Sogar falls das Schlussresultat zugunsten der Rechten ausfiele.
 (Quelle: Berichte der staatlichen Nachrichtenagentur ABI).

Wiederwahl-Referendum in Bolivien

Sonntag, 21. Februar 2016

 
21.02.2016 Bolivien / Politik

Verfassungsänderung soll erneute Kandidatur von Präsident Morales ermöglichen. Linksregierung zuversichtlich. Laut Umfragen ist der Ausgang völlig offen
Pro-Morales-Demonstration für das "Sí" in Cochabamba
Pro-Morales-Demonstration für das "Sí" in Cochabamba, eine Woche vor dem Referendum
Quelle: Amerika21
Lizenz: CC-BY-SA-3.0
La Paz. Am heutigen Sonntag findet in Bolivien ein Verfassungsreferendum statt, bei dem die Bürger des südamerikanischen Landes darüber entscheiden, ob die mögliche Amtszeit von Präsident und Vizepräsident von zwei auf drei Wahlperioden verlängert werden soll. Bei einem Erfolg der Befürworter der Verfassungsänderung könnten der seit 2006 amtierende linksgerichtete Präsident Evo Morales und sein Vize Álvaro García Linera bei den Präsidentschaftswahlen 2019 erneut antreten.
Das Straßenbild in weiten Teilen Boliviens ist geprägt von Wahlwerbung für das "Sí" und das "No". In den letzten zwei Wochen zogen zudem fast täglich Gruppen beider Lager durch die Straßen der großen Städte, um die große Anzahl Unentschiedener für sich zu gewinnen. Die letzten repräsentativen Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Mori und Ipsos ergaben ein Patt mit je 40 Prozent und noch knapp 20 Prozent Unentschlossenen. Im Oktober hatte das "Sí" noch eine deutliche Mehrheit.
Präsident Morales reiste zuletzt tagelang durch das Land und hielt große Kundgebungen ab, zum offiziellen Kampagnenabschluss am vergangenen Mittwoch trat er sogar am selben Tag in den Metropolen Santa Cruz de la Sierra und La Paz auf. Überschattet wurde der letzte Tag der Wahlkampagne von einem Brandanschlag auf das Rathaus der Millionenstadt El Alto nahe La Paz, bei dem sechs Menschen starben (Amerika21 berichtete).
Die Linksregierung gibt sich zuversichtlich, durch ihr energisches Werben und die an sich breite Anerkennung für die erfolgreiche Politik von Morales in den vergangenen Jahren die Abstimmung für sich zu entscheiden. Mit dem Apparat der Regierungspartei MAS hat sie außerdem eine einheitliche Kampagne in ganz Bolivien realisieren können, während die Gegner der Verfassungsänderung es nicht schafften, ein landesweites Bündnis zu schmieden.
Banner der "No"-Kampagne von "Súmate" in Cochabamba
Banner der "No"-Kampagne von "Súmate" in Cochabamba. Ob es Zufall ist, dass diese Organisation den gleichen Namen trägt wie eine aus den USA-finanzierte Kampagnen-NGO in Venezuela?
Quelle: Amerika21
Lizenz: CC-BY-SA-3.0
Das Problem der Linken aber ist die Skepsis bei großen Teilen der städtischen Bevölkerung, dass sich durch die Möglichkeit einer noch längeren Amtszeit von Morales Korruption und Vetternwirtschaft wesentlich verschlimmern könnten. Darauf setzen Opposition und private Medien: Sie versuchten in den vergangenen Wochen zunehmend, Morales und García Linera zu diskreditieren. So musste Morales eingestehen, dass er 2007 ein uneheliches, aber früh verstorbenes Kind mit seiner damaligen Freundin Gabriela Zapata Montaño hatte. Diese wurde zudem Jahre später Managerin bei der chinesischen Firma CAMC, die lukrative Staatsaufträge erhielt. Morales bestritt vehement einen Zusammenhang. Trotzdem wurde ihm erfolgreich Vorteilnahme vorgeworfen, zumindest in den sozialen Netzwerken wie Facebook verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer und reduzierte die Glaubwürdigkeit des Präsidenten in den städtischen Mittelschichten laut einer Umfrage im Auftrag der regierungskritischen Zeitung Página Siete enorm. Die sofortige Ankündigung von Untersuchungen scheint Morales hier wenig zu nützen.
Ein weiterer Nachteil für die MAS-Regierung ist der Rückgang des Wirtschaftswachstums in den letzten Monaten, der auch die ambitionierten Sozialprojekte der Regierung ausbremst. Dadurch ist der Wahlspruch "Mit dem Ja für Kontinuität, Entwicklung und Stabilität – für Deine Zukunft" weniger wirkungsmächtig. Dass Morales die versprochene Stabilität nur bedingt garantieren kann, demonstrierten Anfang Februar die Transportarbeiter: mit in diesem Ausmaß lange nicht da gewesenen tagelangen Straßenblockaden, die das ganze Land ausgerechnet vor der Karnevalszeit mit normalerweise starkem Reiseverkehr für eine Woche lahmlegten.
Ein Erfolg der bolivianischen Linken beim Referendum heute scheint also alles andere als sicher. Am Ende wird es wohl davon abhängen, ob es ihnen gelingt, die breite Masse der Landbevölkerung zu mobilisieren und in den Städten nicht hoch zu verlieren.

Venezuela: Wirtschaft als Fiction und als Realität

Samstag, 20. Februar 2016



Venezuela: Wirtschaft als Fiction und als Realität
(zas, 20.2.16) Die Szene spielte sich vor wenigen Tagen an einer Veranstaltung des Solinetzwerks Alba Suiza in Basel ab. Mitten in den Ausführungen des Referenten Carolus Wimmer von der venezolanischen KP über manipulative Hintergründe der chavistischen Niederlage bei den Parlamentswahlen letzten Dezember verlangte ein Herr ungehalten, die „beschissenen Warteschlangen“  zur Sprache zu bringen,  im Ton von „Schluss mit billigen Ausflüchten“! 

Der Mann folgte damit brav dem im Mainstream verbreiteten Muster, Schein und Sein zu verwechseln. Die tatsächlich extrem beschissenen Warteschlangen seien Schuld der Regierung. Ein Mantra, wie es gerade gestern wieder die NZZ runter betete (In Venezuela zerrinnt die Zeit): „Laut dem Harvard-Ökonomen Ricardo Hausman schlittere Venezuela in diesem Jahr nicht nur in den wirtschaftlichen Kollaps, sondern auch in eine humanitäre Krise. Verstaatlichungen, ein kompliziertes Wechselkursregime sowie rigorose Kapital- und Preiskontrollen haben den produktiven Sektor zum Erliegen gebracht. Heute ist Venezuela von Importen abhängig, um die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten zu gewährleisten. Da die Dollars fehlen, herrscht ein akuter Engpass. Davon zeugen nicht nur die Menschenmengen, die vor Supermärkten Schlange stehen, sondern auch die steigenden Todesfälle in Spitälern, wo Medikamente und Ausrüstung fehlen.“ (Den  gefährlichen Diskurs von der „humanitären Krise“ in Venezuela hatte letzten Oktober John Kelly, Chef des Südkommandos der US-Streitkräfte, eingeführt, als er sagte, im Fall einer durch einen wirtschaftlichen Kollaps provozierten „humanitären Krise […] könnten wir reagieren und täten dies via Organisationen wie die UNO, die OAS oder die FAO.“)

Die an der venezolanischen Universidad Simón Bolívar lehrende Ökonomin Pasqualina Curcio Curcio hat letzten Dezember mit eine Desabastecimiento e inflación en Venezuela schlagende Widerlegung solcher Propagandalügen publiziert.  
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Pasqualina Curcio

Venezuela/Argentinien: Woher ihr Wind weht



(zas, 18.2.16) Als sich das neue, rechts dominierte Parlament in Venezuela konstituierte, liess Ramos Allup, neuer Parlamentspräsident und alter Politiker des pro-imperialen Status Quo, alle Bilder von Chávez und dem Libertador Simón Bolívar aus dem Parlament entfernen. Chávez – nun ja, nachvollziehbar. Aber den Nationalhelden Bolívar? Weil vor einigen Jahren unter Chávez ein venezolanisches/internationales ExpertInnenteam mit den Techniken der modernen Forensik (DNA-Analysen u.v.m.) die Gebeine des verstorbenen Rebellen gegen die Kolonialherrschaft untersuchte und ein neues „Gemälde“ von Bolívar erstellte. Das übrigens einem der ganz wenigen Bildnisse des Libertadors entspricht, das zu seinen Lebzeiten geschaffen wurde. Dieses eine Bildnis war aber nicht das, das in allen Schulbüchern und an den amtlichen Anlässen zirkulierte. Und nicht das, das Ramos Allup schätzt. In einem Video gibt Ramos Allup den Parlamentsarbeitern folgende Anweisung: „Ich will kein Bild hier sehen, das nicht die klassische Darstellung des Libertadors ist. Ich will weder Chávez noch Maduro sehen. Nehm all dieses Zeugs nach Miraflores (Präsidentenpalast) mit oder werft es in den Abfall.“

Die Erklärung des Vorgangs liegt im Wort „klassisch“. Denn im forensisch erstellten Gemälde weist Bolívar, obwohl aus der Oberschicht kommend, ganz leichte negroide Züge auf. In der „klassischen“ Darstellung ist er ein purer spanischer Noble. Eine Urgrossmutter des Libertadors scheint Mulattin gewesen zu sein.
Das "nicht-klassiche" Bild.

Soviel zu der in den hiesigen Medien immer wieder gefeierten Läuterung der venezolanischen Rechten, die sich heute den Armen, in der grossen Mehrheit keine reinen Ladinos/as, zuwende (und diese nicht mehr wie den mulattischen Züge aufweisenden Chávez als Affen tituliere).

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Seit der Militärdiktatur 1976-83 versammeln sich jeden Donnerstag die Madres de la Plaza de Mayo auf eben dieser Plaza in Buenos Aires. Selbst die Militärgorillas mussten sich damals damit abfinden, obwohl sie einige der Mütter umlegten. Gestern versuchten ein paar Bundespolizisten den Madres den Zugang zur Plaza zu verwehren. 

Nun waren die Madres, darunter die bekannten Mariana Moyano und Hebe de Bonafini, nicht allein. Viele Leute kamen zur Unterstützung an. Als Anwälte der Madres den Polizisten das Recht vorbuchstabierten, krebsten diese schliesslich zurück.

Madres auf der Plaza de Mayo
Mag sein, dass die Aktion kein Versuchsballon seitens der neuen Regierung war. Nur Ausdruck des Klimas, das ihr militant autoritärer Kurs im Versuch schafft, die „Wende“ festzuklopfen.