Notizen eines deutschen Anwalts in Guatemala (9)

Dienstag, 2. Februar 2016




Guatemala Stadt, Ende Januar 2016

Das Jahr 2016 hat turbulent angefangen. Für den 1. Februar ist der Prozess Sepur Zarco1, angesetzt und vorher, für den 11. Januar, die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Ríos Montt und Rodríguez Sánchez wegen Völkermords. Nur fünf Tage zuvor, am 6.1 verhaftete dann die Staatsanwaltschaft 18 hohe Offiziere und beantragte die Aufhebung der Immunität gegen einen 19., Edgar Ovalle, der am 14.1. sein Abgeordnetenmandat in der Regierungspartei antreten würde. Er wurde als neuer Innenminister, aber auch als Fraktions--‐ und Parteivorsitzender gehandelt.

 In dieser Situation fragte sich die Öffentlichkeit, wieso die Staatsanwaltschaft gerade jetzt zu einem solchen Schlag ausholt, war doch vor drei Jahren der Volkermord--‐prozess allein genug, die politische Konjunktur zu „kippen“ und eine Allianz der Militärs und Unternehmer für die Straf--‐freiheit zu schmieden. Die aktuellen Festnahmen erfolgten nicht etwa in einem, sondern in zwei verschiedenen Prozessen: CREOMPAZ und Molina Theissen2. Sehen wir uns allerdings die Verhafteten an, wird der strategische Hintergrund dieser Aktion deutlich. Der guatemaltekische Staat wird seit 40 Jahren von zwei (kriminellen) Strukturen kontrolliert, die aus Militär und Geheimdienst 1 Frauen wurden in einer Militärkaserne als Sex--‐Sklavinnen gehalten 2 In einer Kaserne in Cobán, die heute zur Vorbereitung der Friedensmissionen (!) Guatemala’s Blauhelme genutzt wird, wurden Knochenreste von 558 verschwundenen Personen gefunden. Der 2. Fall bezieht sich auf das Verschwindenlassen eines 14 jährigen, der 1982 vom Militär entführt wurde. stammen und noch heute vor allem Zoll, Migration und Steuerbehörden kontrollieren und somit Vorläufer der korrupten Struktur „La Línea“ sind, über die Otto Pérez Molina im letzten Jahr stürzte. Er selber war Mitglied des „Síndicato“, eines Bundes von Geheimdienst--‐ offizieren. Einige der jetzt Verhafteten gehören zur zweiten Struktur, der „Cofradía“, zu deren Hauptfiguren der jetzt verhaftete General Callejas gehört; auch Ríos Montt war Teil der Cofradía.

 Mit diesem Panorama ist klar, dass es sich nicht einfach um Verhaftungen wegen Menschen--‐ rechtsverletzungen sondern auch um einen Schlag gegen strategisch angeordnete, aktuelle kriminelle Strukturen handelt. Deswegen hat der Immunitätsaufhebungsantrag gegen Edgar Ovalle eine so grosse Bedeutung. Die Botschaft, die der US--‐Vizepräsident Biden im Gepäck hatte, als er am 14.1. zur Machtübernahme von Morales anreiste, war wohl: „Wir dulden keine organisierte Kriminalität im Kabinett unseres Hinterhofes!“ ...was auch einige Änderungen im Kabinett kurz vor seiner Anreise erklärt, wie die Ernennung von Innenminister Rivas, der unbelastet ist.

 Mit dieser Interpretation und dem Wissen um die Verhaftung eines wichtigen Teils der führenden Militärs der 80er Jahre verstehen wir schnell, dass dieser Sektor jetzt noch weit mehr unter Druck steht als noch 2013 mit dem Völkermordprozess.

 In den auf die Verhaftungen folgenden Tagen wurde viel konspiriert; es zirkulierten falsche Schreiben der Staatsanwaltschaft, die angeblich weitere 84 Verhaftungen andeuteten; der aktuelle Chef des General--‐ stabs legte eine Verfassungsbeschwerde vor, 2 die bezweckte, die Ausnahmeregelung des Amnestiegesetzes für schwere Menschen--‐ rechtsverletzungen für verfassungswidrig zu erklären. Der klare Zweck dieser Aktionen war vor allem, den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Militärs zu erzwingen, aktive und pensionierte Offiziere eingeschlossen: „Wir sitzen in einem Boot und morgen kannst Du dran sein.“

 Am 24.1. wurde dann der Stabschef abgesetzt, weil er mit der Beschwerde seine Befugnisse überschritten habe; dieser zeigte dann den Verteidigungsminister an: Das Militär stand unter Hochdruck, aber es scheint, dass die aktiven Sektoren (Verteidigungsminister und Präsident) die „Reissleine“ zogen, um nicht in eventuelle Gewaltakte der pensionierten Dinosaurier (AVEMILGUA3) gezogen zu werden.

 Parallel dazu wurde die Kampagne gegen MenschenrechtsaktivistInnen intensiviert, die von der sog. Stiftung gegen den Terrorismus geführt wird; ihr Vorsitzender ist Ricardo Méndez Ruíz, dessen Vater 5 Tage vor seiner Verhaftung im Rahmen der CREOMPAZ--‐ Ermittlungen verstarb. So wurde ich selbst z.B. erneut als Hauptfigur hinter den Prozessen gegen die Militärs genannt und meine Ausweisung wurde gefordert. Am 26.1. wurden dann drei Menschenrechtsanwälte, Ramón Cadena, Rafael Maldonaldo und ich angezeigt, weil wir einer kriminellen Vereinigung der organisierten Kriminalität angehören sollen; der Hintergrund dafür ist unsere anwaltliche Arbeit für den Widerstand gegen die Goldmine in „La Puya“. Schon kurz vorher eskalierte die Situation, so dass wir direkte Angriffe auf einige Staatsanwälte befürchteten, zumal diese 3 Die Vereinigung der Militärveteranen „Stiftung“ eine ständige Kampagne gegen den leitenden Staatsanwalt für Menschenrechte führt.

 In diesen Tagen geschahen aber auch andere Dinge, die Mut machen, wie z.B. die Verhaftungen mehrerer Bürgermeister wegen Korruption, darunter derjenige von Antigua. Dazu lüftete der neue Präsident des Kongresses das lange gehütete Geheimnis der Zahl seiner Angestellten und ihrer Gehälter, was jetzt ermöglicht, das Ausmass der Korruption zu erforschen, zumal viele dieser Arbeiter wahrscheinlich gar nicht existieren.

Aber heute, am 28.1. ereilt uns auch die Nachricht, dass das oberste Gericht die Auf--‐ hebung der Immunität des Abgeordneten Ovalle abgelehnt hat: wegen ungenügender Indizien. Hunderte von Leichen in einer Kaserne sind nicht genug, um gegen den Kommandanten ermitteln zu dürfen. Und so bleiben wir trotz aller Fortschritte letztlich Spielball der politischen Konjunktur, weil der „Rechtsstaat“ eben nicht garantiert, dass seine Regeln auch eingehalten werden.