Guatemala Stadt, Ende Januar 2016
In dieser Situation fragte sich
die Öffentlichkeit, wieso die Staatsanwaltschaft gerade jetzt zu einem solchen Schlag
ausholt, war doch vor drei Jahren der Volkermord--‐prozess allein genug, die politische
Konjunktur zu „kippen“ und eine Allianz der Militärs und Unternehmer für die Straf--‐freiheit
zu schmieden. Die aktuellen Festnahmen erfolgten nicht etwa in einem, sondern in
zwei verschiedenen Prozessen: CREOMPAZ und Molina Theissen2. Sehen wir uns allerdings
die Verhafteten an, wird der strategische Hintergrund dieser Aktion deutlich. Der
guatemaltekische Staat wird seit 40 Jahren von zwei (kriminellen) Strukturen kontrolliert,
die aus Militär und Geheimdienst 1 Frauen wurden in einer Militärkaserne als Sex--‐Sklavinnen
gehalten 2 In einer Kaserne in Cobán, die heute zur Vorbereitung der Friedensmissionen
(!) Guatemala’s Blauhelme genutzt wird, wurden Knochenreste von 558 verschwundenen
Personen gefunden. Der 2. Fall bezieht sich auf das Verschwindenlassen eines 14
jährigen, der 1982 vom Militär entführt wurde. stammen und noch heute vor allem
Zoll, Migration und Steuerbehörden kontrollieren und somit Vorläufer der korrupten
Struktur „La Línea“ sind, über die Otto Pérez Molina im letzten Jahr stürzte. Er
selber war Mitglied des „Síndicato“, eines Bundes von Geheimdienst--‐ offizieren.
Einige der jetzt Verhafteten gehören zur zweiten Struktur, der „Cofradía“, zu deren
Hauptfiguren der jetzt verhaftete General Callejas gehört; auch Ríos Montt war Teil
der Cofradía.
Mit diesem Panorama ist klar,
dass es sich nicht einfach um Verhaftungen wegen Menschen--‐ rechtsverletzungen
sondern auch um einen Schlag gegen strategisch angeordnete, aktuelle kriminelle
Strukturen handelt. Deswegen hat der Immunitätsaufhebungsantrag gegen Edgar Ovalle
eine so grosse Bedeutung. Die Botschaft, die der US--‐Vizepräsident Biden im Gepäck
hatte, als er am 14.1. zur Machtübernahme von Morales anreiste, war wohl: „Wir dulden
keine organisierte Kriminalität im Kabinett unseres Hinterhofes!“ ...was auch einige
Änderungen im Kabinett kurz vor seiner Anreise erklärt, wie die Ernennung von Innenminister
Rivas, der unbelastet ist.
Mit dieser Interpretation und
dem Wissen um die Verhaftung eines wichtigen Teils der führenden Militärs der 80er
Jahre verstehen wir schnell, dass dieser Sektor jetzt noch weit mehr unter Druck
steht als noch 2013 mit dem Völkermordprozess.
In den auf die Verhaftungen
folgenden Tagen wurde viel konspiriert; es zirkulierten falsche Schreiben der Staatsanwaltschaft,
die angeblich weitere 84 Verhaftungen andeuteten; der aktuelle Chef des General--‐
stabs legte eine Verfassungsbeschwerde vor, 2 die bezweckte, die Ausnahmeregelung
des Amnestiegesetzes für schwere Menschen--‐ rechtsverletzungen für verfassungswidrig
zu erklären. Der klare Zweck dieser Aktionen war vor allem, den Zusammenhalt zwischen
den verschiedenen Militärs zu erzwingen, aktive und pensionierte Offiziere eingeschlossen:
„Wir sitzen in einem Boot und morgen kannst Du dran sein.“
Am 24.1. wurde dann der Stabschef
abgesetzt, weil er mit der Beschwerde seine Befugnisse überschritten habe; dieser
zeigte dann den Verteidigungsminister an: Das Militär stand unter Hochdruck, aber
es scheint, dass die aktiven Sektoren (Verteidigungsminister und Präsident) die
„Reissleine“ zogen, um nicht in eventuelle Gewaltakte der pensionierten Dinosaurier
(AVEMILGUA3) gezogen zu werden.
Parallel dazu wurde die Kampagne
gegen MenschenrechtsaktivistInnen intensiviert, die von der sog. Stiftung gegen
den Terrorismus geführt wird; ihr Vorsitzender ist Ricardo Méndez Ruíz, dessen Vater
5 Tage vor seiner Verhaftung im Rahmen der CREOMPAZ--‐ Ermittlungen verstarb. So
wurde ich selbst z.B. erneut als Hauptfigur hinter den Prozessen gegen die Militärs
genannt und meine Ausweisung wurde gefordert. Am 26.1. wurden dann drei Menschenrechtsanwälte,
Ramón Cadena, Rafael Maldonaldo und ich angezeigt, weil wir einer kriminellen Vereinigung
der organisierten Kriminalität angehören sollen; der Hintergrund dafür ist unsere
anwaltliche Arbeit für den Widerstand gegen die Goldmine in „La Puya“. Schon kurz
vorher eskalierte die Situation, so dass wir direkte Angriffe auf einige Staatsanwälte
befürchteten, zumal diese 3 Die Vereinigung der Militärveteranen „Stiftung“ eine
ständige Kampagne gegen den leitenden Staatsanwalt für Menschenrechte führt.
In diesen Tagen geschahen aber
auch andere Dinge, die Mut machen, wie z.B. die Verhaftungen mehrerer Bürgermeister
wegen Korruption, darunter derjenige von Antigua. Dazu lüftete der neue Präsident
des Kongresses das lange gehütete Geheimnis der Zahl seiner Angestellten und ihrer
Gehälter, was jetzt ermöglicht, das Ausmass der Korruption zu erforschen, zumal
viele dieser Arbeiter wahrscheinlich gar nicht existieren.
Aber heute, am 28.1. ereilt uns auch die Nachricht, dass das oberste
Gericht die Auf--‐ hebung der Immunität des Abgeordneten Ovalle abgelehnt hat: wegen
ungenügender Indizien. Hunderte von Leichen in einer Kaserne sind nicht genug, um
gegen den Kommandanten ermitteln zu dürfen. Und so bleiben wir trotz aller Fortschritte
letztlich Spielball der politischen Konjunktur, weil der „Rechtsstaat“ eben nicht
garantiert, dass seine Regeln auch eingehalten werden.