Nicht alle geniessen das Feuilleton der NZZ. Deshalb hier eine
Art Trouvaille. Geschrieben von einem, der sich nonkonformistisch gibt. Der den Marsch tanzt, den die Mächtigen
blasen:
NZZ. 6.2.16, aus
Umwertung der Wirtschaftswerte? Wettbewerb und
Ungleichheit als ästhetische Impulse. Von Hans Ulrich Gumbrecht:
Ich habe den Verdacht, dass unter gegenwärtigen europäischen Bedingungen in den Rufen nach grösserer materieller Gleichheit bloss ein Ressentiment der Intellektuellen und auch jener sozialen Schichten zum Ausdruck kommt, die Marx einst «kleinbürgerlich» nannte. Befreiung verspricht allein Grosszügigkeit, verstanden als Entschluss, seinen Neid loszulassen und die eigene Existenz auch ästhetisch zu begreifen. In Davos war viel die Rede von der vierten industriellen Revolution. Die Digitalisierung wird den Wettbewerb befeuern - dieser «Stress», der die Talente und Kompetenzen der Individuen weiter aufwertet, ist zweifellos wertvoller als jener des gesellschaftlich bewirtschafteten Ressentiments. Einen positiven Begriff der wirtschaftlichen Ungleichheit zu entwickeln - es wird dies die ebenso schwierige wie wichtige Aufgabe einer Politik auf der Höhe der Zeit sein.