Ecuador: Konterrevolution per Verrat

Freitag, 19. Januar 2018



(zas, 19.1.18) Für den 4. Februar ruft der unter linker Flagge gewählte, aber sich stets offener zum Bündnispartner der traditionellen Rechten entwickelnde Präsident Lenín Moreno zur Abstimmung über ein Referendum auf, das in den drei zentralen seiner sieben Fragen offen die  Position der Rechten aufnimmt und deswegen von der gesamten Schar Regierungspotentaten aus den Jahrzehnten der rechten Dominanz bis zum letztes Jahr in den Wahlen relativ knapp unterlegenen Finanz-Grossverbrecher Lasso frenetisch unterstützt wird. Die drei Punkte betreffen eine Aufhebung der unter Rafael Correa eingeführten Steuer für eine Handvoll Immobilien-Grossspekulanten, da diese angeblich die Wirtschaft schwäche. Eine weitere verbietet die Wiederwählbarkeit von Ex-Präsidenten. Sie ist gegen den immer noch sehr populären Correa gerichtet. Und die dritte schliesslich betrifft die Absetzung der gewählten Mitglieder im Consejo de Participación Ciudadana y Control Social (CPCCS, Rat für BürgerInnenbeteiligung und soziale Kontrolle). Er entspricht einer von fünf Staatsgewalten: Exekutive, Judikative, Legislative, Wahlbehörden und eben Transparenz im Staatsgebahren und soziale, also Basiskontrolle desselben. Moreno will die unter Correa gewählten Ratsmitglieder entlassen und mit handverlesenen Leuten ersetzen. Die iberoamerikanische Ombudsman-Föderation hatte sich kürzlich gegen die damit verbundene Absetzung des ecuadorianischen Ombudsman ausgesprochen.  Aber auch Posten wie die Leitung der Generalstaatsanwaltschaft wären direkt betroffen.
 Für Spanisch-Kundige: Kurzvideo zum Inhalt des Referendums
Die Verfassung sieht für die Abhaltung eines Referendums das Plazet des Verfassungsgerichts vor. Insbesondere bei der CPCCS-Frage scheint klar gewesen zu sein, dass das Verdikt des Gerichts negativ sein würde. Nachdem Moreno das Tribunal erst angeherrscht hatte, zackig sein positives Verdikt zu geben, wies er, als die Sache sich nicht so positiv entwickelte, die Wahlbehörde CNE einfach an, das Referendum in Gang zu setzen. Ein kleiner Verfassungsbruch, den die Wahlbehörde geflissentlich übersah und das Verfassungsgericht ohne Einspruch passieren liess – ein klares Indiz für Einschüchterung.

Es gibt nur das „Ja“
Doch Moreno, voll transparent, wusste auch die Abstimmungskampagne zu richten. Staatliche Gelder für die Kampagne gibt es nur für vom CNE anerkannte Parteien und Gruppen. Als der Einschreibungstermin letzten Dezember erreicht war, traf es sich, dass einzig Pro-Organisationen anerkannt waren (von der gespaltenen Partei AP, Alianza País, der Morenoflügel). Nach heftigem Protest u. a. des „Correa-verdächtigen“ Nationalen Frauenforum geruhte Moreno, die Frist um ein paar Tage zu verlängern. Was konnte er dafür, dass in diesen Tagen die Zuständigen des CNE gerade mit unaufschiebbaren anderen Aufgaben beschäftigt waren? Paula Pabón leitete unter Correa das Politische Sekretariat, eine gouvernamentale Instanz u. a. für die Koordinierung von Regierungsaktivitäten. Sie sagte bzgl. des Fauenforums: "Wie kann es sein, dass dieselben Mitglieder des CNE diese Organisation bei dem letzten Referendum Anfang des Jahres anerkannt haben und jetzt nicht? Fehlt nur noch, dass auf den Abstimmungszetteln die Kästchen für das Nein fehlen." (Heute wurde bekannt, dass der staatliche TV-Sender TC Televisión einen Nein-Spot des Frauenforums nicht ausstrahlt, trotz gesetzlicher Verpflichtung.) Generell berichten die grossen Medien ausschliesslich und affirmativ über die Ja-Kampagne. Die von Correa und anderen bekannten AktivistInnen der historischen AP organisierten Massenmeetings landauf landab werden verschwiegen, ausser die häufigen gewalttätigen Angriffe von rechten Trupps werden zum Beleg für die Intoleranz des Nein-Lagers umgedeutet. Einschliesslich der staatlichen Medien, deren Leitung Moreno nach Amtsantritt subito in die Hände berüchtigter rechter Medienschaffenden gelegt hatte. Die staatliche Tageszeitung El Telégrafo etwa zählt zu ihren Kolumnisten den brasilianischen Putschpräsidenten Michel Temer.

Korrupte Machenschaften der „KorruptionsbekämpferInnen“
Wie tief der Rechtsrutsch geht, zeigt die Verurteilung des gewählten Vizepräsidenten Jorge Glas zu sechs Jahren Gefängnis wegen angeblicher Korruption im Fall des brasilianischen Bauriesen Odebrecht. Glas folgte Moreno als Vize von Correa und wurde letztes Jahr auf dem AP-Ticket erneut in dieser Eigenschaft gewählt. Da er den Rechtskurs Morenos nicht mitmachte, enthob ihn dieser aller Funktionen. Um einen definitiven genehmen Ersatz ins Amt zu hieven, musste der gewählte Präsident zu mindestens 6 Jahren verurteilt werden. In einem Tweet vom 13. Dezember 2017 beleuchtete Correa ein Problem Morenos: Laut dem für die Anklage auf „Illegale Vereinigung“ relevanten Artikel 370 StGB wird Mitgliedschaft mit drei bis fünf Jahren bestraft. Doch das reichte nicht für einen Ersatz, da eine Strafe erst ab 6 Jahren nicht mehr suspendierbar ist. Das Gericht wendete einfach einen Paragrafen des alten StGB an. Was die Beschuldigung Glas‘ an sich betrifft: Erhoben hatte sie ein ehemaliger Regierungskader, der vor einer Korruptionsuntersuchung ins Ausland geflüchtet war. Und 2008 hatte Correa Odebrecht wegen Korruption aus dem Land gewiesen und erst nach einem Schuldbekenntnis und der öffentlichen Zahlung einer Millionenbusse 2010 wieder ins Land gelassen (s. dazu Correos 187, April 2017). Ein Onkel von Glas scheint tatsächlich in die Korruptionsaffäre verwickelt zu sein, gegen den ehemaligen Vizepräsidenten liegen nach Correa keine Beweise vor.
Dass die Demokratie richtig funktioniere, ist der Wahlbehörde CNE ein grosses Anliegen. Sie entschied am vergangenen Dienstag, dass die AP Moreno gehöre. Konsequenz: Der historische AP-Flügel verliert damit den Zugang zu Parteisitzen etc. Gleichentags verfügte der CNE, dass der Correa-Flügel auch nicht die Bezeichnung Revolución Ciudadana, BürgerInnenrevolution, annehmen dürfe, mit dem Argument, der Slogan gehöre einer anderen „politischen Bewegung“ (der AP Morenos). Es geht darum, die Einschreibung einer neuen Partei möglichst lange oder definitiv zu verhindern und damit von kommenden Wahlen auszuschliessen. Revolución Ciudadana war der Kampfbegriff, den Correa für seine neue Bewegung, die AP, und als Motto für seine Regierung geschaffen und popularisiert hatte.
Guyaquil: Nach dem CNE-Entscheid zugunsten der Moreno-Fraktion kommt es zu verbreiteten Austritten aus der Partei. Warteschlange vor einem CNE-Lokal in der Wirtschaftsmetropole.
 Doch der CNE macht faktisch die Türen dicht. Die Leute skandieren: "Wir wollen rein, aber sie lassen uns nicht austreten"

Ein gediegener Verein
Man könnte noch viel über die Verbrüderungen der Moreno-Clique mit zentralen Fraktionen des Grosskapitals und des Ancien Régime berichten. An dieser Stelle sei nur auf ein „Notabeln“-Gremium hingewiesen, dass Moreno ernannte, um die Verschuldungssituation des Landes zu „untersuchen“. Der neue Präsident hat sich schon mehrfach mit alarmistischen Aussagen zur vorherigen „Misswirtschaft“ hervorgetan, die dann von „unverdächtigen“ Quellen, selbst dem IWF, den Moreno wieder ins Land holen will, faktisch dementiert wurden. Eine katastrophale Schuldenlage des Landes verhindere, so der Verräter, die ihm vorschwebenden sozialen Wohltaten. Nun hat Correa bekanntlich gut ein Drittel der früheren Regierungsschulden als „illegitim“ gestrichen und dafür sogar die Gläubiger zu einem Plazet gezwungen. Doch Moreno, der von 2007 bis 2013 als Vize Correas fungiert und noch in seiner Wahlkampagne vor einem Jahr den freiwillig abtretenden Präsidenten in höchsten Tönen gerühmt hatte, will der Sache nun auf den Grund gehen, mit dem erwähnten Komitee. Der ecuadorianische Journalist und Menschenrechtler Martín Pastor untersucht in einem gestern von Rebelión veröffentlichten Artikel die Zusammensetzung dieses zwölfköpfigen „Notabeln“-Gremiums. Ein Gruselkabinett, bis auf eine Figur alle aus dem klassischen neoliberalen Hardcore-Segment. Da wären die ehemalige Generalstaatsanwältin, die unter den rechten Regimes Finanzbetrüge gedeckt hat; der Präsident der Handelskammer der Hauptstadt und jener des Ecuadorianischen Unternehmerkomitees, der auch über eine Rückkehr der US-Militärbasen mit sich reden lassen will; zwei ehemalige oberste staatliche Finanzkontrolleure, von denen der eine etwa einen Milliardenbetrug im Rentenwesen gedeckt hat; der Mann, der 1983 den entscheidenden Regierungsbericht für die Übernahme der Schulden der privaten Grossunternehmen durch die Notenbank verfasst hat, usw. Die eine nicht klassisch neoliberale Figur gibt der Ökonom Pablo Dávilas ab, der in seiner Kampagne als Parlamentskandidat der indigenen Partei Pachakutik eine Steuereliminierung forderte, um den Konsum anzukurbeln. Der Chef der „Notabeln“ war hoher Regierungsfunktionär unter den beiden extrem repressiven Regierungen von Abdalá Bucaram und Lucio Gutiérrez, auch sie wie der Rest ihresgleichen in vollem Einsatz für das Referendum. (Dem Bucarám-Clan hat Moreno zentrale Regierungsposten zugeschoben.)

Fragen
Kommt Moreno mit dem Referendum durch? Rein rechnerisch könnte es reichen: die gesamte Rechte plus ein Teil der AP. Plus die ganze permanente Hetze. Allerdings scheinen die Basismobilisierungen des populären Correa ein grosses Ausmass anzunehmen. Nur: So wie das rechte Lager funktioniert, das sich gerade um Moreno schart, und angesichts der Glanzleistungen des CNE ist die Frage nach Auszählbetrug vielleicht nicht völlig absurd. Kommt Moreno durch, wird sich die Repression gegen die Basisbewegung der historischen AP auf jeden Fall verschärfen. Correa selbst hat schon nach dem Skandalurteil gegen Glas davon gesprochen: „Jetzt sind sie bestimmt hinter mir her.“ Und stellte die Verurteilung von Glas in den aktuellen lateinamerikanischen Kontext: „Das gleiche Drehbuch wie bei Dilma, Lula, Christina. Alles ist eine Frage der Zeit, die Völker werden mit Sicherheit reagieren.“ Gemeint ist die Verstrafrechtlichung linker Politik.
Moreno ist nach Einschätzung von Linken im Land faktisch ein Gefangener der Rechten. Kommt er im Referendum durch, wird er bestimmt ein paar soziale Pirouetten drehen und zwecks Machterhalt versuchen, mal Linke gegen Rechte, mal Rechte gegen Linke auszuspielen. Doch eigentlich wird er dann nicht mehr gebraucht. Auch er könnte dann mal zu einem Abgang bewogen werden, wie das im Ancien Régime Usus war. Kommt das „Nein“ im Referendum durch, zumindest in den drei zentralen Fragen, dürfte vieles wieder offen sein. (A propos: Ehrlichkeit gehört definitiv nicht zu den Werten eines Moreno. So stellt er im Referendum auch die Frage, ob das Ölförderprojekt im indigenen und ökologischen Reservat Yasuní weitergeführt oder beendet werden solle. Wenig passt dazu die Nachricht auf amerika21.de, dass seine Regierung dort gerade neue Bohrungen als Auftakt zu einer mehrjährigen Ausbauphase der Ölförderung angeordnet hat, zur Konsternation bisher Moreno-begeisterter Umweltorganisationen.)
Gemeinsam lässt sich’s besser grunzen. Noch am Abend der Präsidentschaftswahl vom 26. November 2017 in Honduras vermeldete die dortige Zeitung La Tribuna: „Präsident Ecuadors gratuliert JOH zu seinem potenziellen Wahlsieg“ und brachte ein Video vom Telefonat JOH-Moreno. Der Verdacht, es könnte sich um eine Falschmeldung des honduranischen Diktators handeln, zerschlug sich – kein noch so leises Protestchen aus Ecuador.  
Wie tönte das noch aus manchen linken Ecken in Ecuador und hier? Correa ist so ein autoritärer Typ, der ist nicht links.