Honduras: Von Widerstand und Manövern

Montag, 8. Januar 2018

(zas, 7.1.18) Hunderttausend? Hunderttausende? Die Zahlen variieren, jedenfalls war es eine enorme Menschenmenge, die gestern Samstag in der Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula gegen den Wahlbetrug vom 26. November protestierten, der im offiziellen Ergebnis der Wiederwahl des diktatorischen Präsidenten Juan Orlando Hernández (JOH) „endete“. Washington und seine Vasallen im Kontinent, aber etwa auch Spanien, gratulierten zum Resultat. Deutschland und andere Staaten halten sich noch zurück. 
Gestern in San Pedro. Bild: Gilda Sivestrucci.
 Die Leute gingen gegen den Wahlbetrug auf die Strasse, aber auch gegen die zunehmende Repression. 37 Menschen sind seither nach angaben von Menschenrechtsorganisationen gezielten Politmordanschlägen zum Opfer gefallen. Diese sind mit grosser Wahrscheinlichkeit von JOHs eigener Prätorianergarde, der Policía Militar, ausgeführt worden. In den Social Media zirkulieren diverse Videos vom alltäglichen und allnächtlichen Normalterror dieser Truppe in den Volksquartieren. Dabei geht es vorallem um die Suche nach aufgrund von Fotos etc. identifizierten DemonstrantInnen (Beispiel). Von der PM Verschleppte sind später nach Angaben von Angehörigen als Leichen aufgefunden worden. Zur Repressionspropaganda gehört auch die endlose Wiederholung von Regierungsangaben, unterstützt von US-Elitenfunktionären wie Otto Reich aus der Reagan-Administration, betreffs der Proteststeuerung durch Venezuela und die FARC (s. zur FARC-Leier hier). 
Policía Militar bewacht eine Demo am 15. Dezember. Bild: Miami Herald.
 Und dennoch gingen die Leute auf die Strasse. Tatsächlich ist der Widerstand, der generelle Unwillen, die soziale Kahlschlagsdiktatur noch länger hinzunehmen, extrem verbreitet. Einen Einblick in die Lage gestattet der Umstand, dass die Zentralbank bekannt geben musste, mit „Fuera JOH“ (JOH raus) verzierte Geldscheine nicht anzuerkennen. Und doch sah es kurz vor Weihnachten nach einem Bruch in der Allianz gegen die Diktatur aus. Nachdem das State Department JOH zum Sieger erklärt hatte, meinte der gerade aus Washington zurückgekehrte reale, aber nicht anerkannte Wahlsieger, Salvador Nasralla, jetzt liesse sich punkto Präsidentschaft nichts mehr machen. Die Oppositionsallianz sei damit eine Sache der Vergangenheit. Kurz darauf erklärte er: „Jetzt, wo ich die Phase der Wahlallianz hinter mir gelassen habe, der ich für die Unterstützung, die sie mir gegeben hat, danke“, lade er sie sein, sich seinem neuen Projekt eines breit abgestützten nationalen Dialogs anzuschliessen. Mel Zelaya, der Chef der in der Allianz tonangebenden Linkspartei Libre, die auch auf der Strasse von den Organisationen die massgeblichste ist (viele Protestaktionen scheinen aber spontan entstanden zu sein), antwortete auf Twitter: „Entschuldigung, aber das ist kein ‚Nationaler Dialog‘, sondern eine JOH-Imitation. Die Wahrheit ist, man hat die Zerstörung der Allianz bekannt gegeben, denn niemand wird uns je erklären können, wie man die Allianz mitten im Kampf verlässt und das Volk entmutigt.“

Nasralla, beileibe kein Linker (er begrüsst auf seiner Facebook-Seite  etwa das US-Sanktionenregime und den Einsatz Washingtons gegen „Diktator“ Daniel Ortega in Nicaragua), versucht klar, in Washington gut Wetter zu machen für eine mögliche Kurskorrektur. Natürlich weiss er, dass die US-Lateinamerikapolitik von Ultras wie dem heutigen Stabschef im Weissen Haus und früheren Kommandanten des US-Südkommandos, John Kelly, oder Senator Marco Rubio bestimmt wird. Er weiss, mit wem er es zu tun hat. Vor Weihnachten, noch in Washington, schrieb er über seinen Besuch im State Department, er habe die Beweise für den Cyber-Wahlbetrug dessen Funktionären zur Prüfung übergeben. „Es liegt in ihren Händen“, so Nasralla weiter, „zu entscheiden, ob wir weiter ein Narcostaat bleiben oder uns in ein von ehrlichen Menschen regiertes Land verwandeln.“ Es verwundert auch nicht, dass er seinen „Nationalen Dialog“, den er allerdings klar nicht mit dem Wahlusurpator führen will, solange der auf seinem Betrug beharrte, explizit in folgenden Rahmen stellt: „Ich hoffe, wie es [Anm. zas: neben der UNO und der OAS] die US-Botschaft erbittet, dass wir diesen nationalen Dialog führen können, um einen Ausweg aus der Nicht-Regierbarkeit zu finden…“. In seiner Neujahrsadresse schlägt Mel Zelaya einen anderen Ton an: „Die Unverschämtheit der internationalen Organisationen und der USA, die, die Wahrheit kennend, öffentlich für das Verbrechen und die illegale Diktatur optierten“, sei trotz allen Erfahrungen erschütternd.
Aber der Bruch konnte verhindert werden, wie die wieder anziehenden, von der Allianz organisierten Proteste deutlich machen. Natürlich weiss Nasralla, dass, solange er mit Mel Zelaya und Libre assoziiert wird, er in Trumps Washington keinen Stich macht. Andererseits ist ihm klar, dass er ohne Libre im Land und in der Folge auch in Washington klar geschwächt dastehen würde. Vorderhand scheint der offene Bruch zumindest aufgeschoben zu sein. „Die Einheit der Oppositionsallianz ist absolut. Manuel Zelaya ist und bleibt der Generalkoordinator der Allianz“, zitierte das Blatt El Libertador Nasralla vor wenigen Tagen. Für die Woche vom 20. bis 27. Januar (Amtswiedereinsetzung von JOH) ruft die Allianz jetzt zu breitem Protest und zivilem Ungehorsam auf. Libre hat vorgestern für diese Zeit den Generalstreik proklamiert und den 6. Januar zum Beginn der neuen Mobilisierungswelle erklärt, die in den folgenden Tagen nach dem Grossaufmarsch in San Pedro Sula in anderen Städten weitergehen soll. In ihrer Erklärung strebt sie die Bildung eines „Oppositionsblocks gegen die Diktatur“ an, anerkennt „den Dialog als Prinzip“, allerdings ohne direkte Kommunikation mit „dem Betrüger“ JOH und stellt die Forderung nach Freilassung aller Gefangener in den Vordergrund.
Ein Wort noch zur OAS. Presseleuten gegenüber forderte OAS-Generalsekretär Luis Almagro eine Unterstützung der Mitgliedsländer für den Bericht der OAS-Wahlbeobachtungskommission in Honduras, der faktisch einen systematischen Computerbetrug des Wahlgerichts zugunsten von JOH beschrieb und sich für eine Wahlwiederholung aussprach. „Wir glauben, dass die Absegnung dieses Berichts sehr wichtig ist, um eine Lumpenisierung der Politik zu vermeiden im Sinne, dass in einem Wahlprozess alles durchgeht…“, sagte Almagro. Bisher allerdings hat der gerade die Präsidentschaft des zuständigen Permanenten Rats der OAS innehabende chilenische Botschafter den Rat noch nicht einberufen. Wiederholt betonte Almagro dieser Tage die Wichtigkeit dieses Schritts mit Verweis auf andere anstehende Wahlen im Südkontinent. In einem früheren Beitrag haben wir die Gefährlichkeit dieses Vorgehens etwas erläutert – die OAS würde damit neues, nicht-honduranisches Recht setzen und sich weiter in Richtung des von Almagro personifizierten „humanitären“ oder „demokratischen“ Interventionismus bewegen. Auf diese Karte setzt übrigens Nasralla (aber auch Mel Zelaya empörte sich kürzlich darüber, dass Almagro mittlerweile die Forderung nach einer Wahlwiederholung fallen gelassen habe). Es ist schwierig zu beurteilen, doch ein Element in dieser Dissoziation Washington/OAS dürfte im Elitenstreit über Trumps Politik liegen. Almagro scheint sich auf Seite der demokratischen Partei zu positionieren. Ein Schulterschluss mit der Trump-Administration in der Sache des für alle sichtbaren Wahlbetrugs des honduranischen Regimes würde der moralischen Verve schaden, die es für die geplanten OAS-Offensiven gegen Venezuela braucht. Wohl auch deshalb scheute sich Almagro nicht vor klaren Worten. In einer Antwort auf die Ablehnung der honduranischen Regierung einer OAS-Untersuchung der Fälle ermordeter DemonstrantInnen liess er schreiben: „Es gab Pressionen auf die [Wahlbeobachtungsmission], die ihre Unabhängigkeit verletzten; von Seiten von mit der Regierung verbundenen Akteuren, so dass die [Mission] zu einem Zeitpunkt die Möglichkeit erwogen hat, ihren Bericht aus Sicherheitsgründen in Washington vorzulegen.“