Brasilien: Terror in den Favelas

Sonntag, 25. Februar 2018



Agnese Marra*
Der Entscheid von Präsident Michel Temer, die Sicherheit der „wunderbaren Stadt“ den Militärs zu übergeben, folgte einem Wahlkalkül. Vorallem vertiefte es die Angst der BewohnerInnen der Favelas von Rio, die vom Staat seit Jahren schon kriminalisiert werden.
Nehmen Sie keinen Regenschirm mit, damit man ihn nicht mit einer Waffe verwechsle und Sie erschiesse. Teilen Sie Ihren Freunden mit, wohin Sie gehen und wann Sie wieder zurück sein werden. Haben Sie etwas Teures dabei, halten Sie die Quittung parat, damit sie nicht meinen, es wäre gestohlen. Halten Sie Ihren Wagen an, bitten Sie den Soldaten um die Erlaubnis, das Handschuhfach zu öffnen und Ihre Ausweise vorzulegen, andernfalls könnte er denken, Sie wollten eine Waffe ziehen. Spät nachts nicht ausgehen. Und wenn Sie eine Frau sind, homosexuell oder transsexuell, nicht allein ausgehen, stets in Begleitung.
Ratschläge. Warnungen. Sie dominieren in den Social Media, seit Präsident Michel Temer letzten Freitag die Sicherheit der wunderbaren Stadt in die Hände der Militärs legte.
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Es war die Armee, die als erste Besorgnis über die ihr aufgetragene Verantwortung ausdrückte. Diese Woche verlangte der Heereskommandant General Eduardo Villas Bõas „rechtliche Garantien“ dafür, dass seine Untergebenen nicht von der ordentlichen, sondern nur von der Militärjustiz gerichtet werden: „Erst verlangt man von uns, die Dealer zu bekämpfen, aber wenn dann einer meiner Männer in Notwehr tötet, wird er rechtlich verfolgt.“ Überdies verglich Villas Bõas die aktuelle Situation für seine Soldaten mit jener der Militärdiktatur: „Wir wollen dann keine Wahrheitskommission oder Anschuldigungen für Dinge, die wir nicht gemacht haben“, sagte er in TV Globo.
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Zurzeit ist das Gesetz auf der Seite der Militärs. Denn letzten November wurde eine Regelung angenommen, die Soldaten vor zivilen Gerichtsverfahren wegen Tötungen bei Operationen wie der in Rio laufenden bewahrt. „Das war eine erstes Alarmsignal, das wir von der Universität aus kritisiert haben: dass sich die Politik militarisiert, was fürchterliche Folgen für die Bevölkerung hätte. Genau das ist jetzt der Fall“, sagte Ignacio Cano zu Brecha.
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Eine der umstrittensten Massnahmen, die Verteidigungsminister Raul Jungmann einführen will, besteht darin, der Armee die Möglichkeit zu geben, kollektive Durchsuchungs- und Haftbefehle auszustellen. Diese Befehle würden dann nicht für ein spezifisches Haus gelten, sondern für irgendwelche Räume irgendwelcher BewohnerInnen. „In der städtischen Realität von Rio de Janeiro wird oft ein Haus durchsucht, aber der Gangster weicht in ein anderes nahegelegenes Haus aus; deshalb sind kollektive Befehle nützlicher“, argumentierte Jungmann.
Ob dies durchkommt, weiss man nicht, denn dieser Vorschlag,stösst mit auf die grösste Opposition der Staatsanwaltschaft. Doch Justizminister Torquato Jardim, der die Vorfälle in der Favela Rocinha mit dem „Krieg gegen den Terror“ der USA gegen die islamistischen Terroristen verglich, zeigte, dass er für eine Politik der harten Hand eintritt: „Wir werden alle nötigen Sondermassnahmen ergreifen, um diesen Krieg zu gewinnen“, erklärte er im Correo Braziliense.
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Neben vielem anderen bedeuten die Militärs für María do Rosario da Silva (36) zum Beispiel, dass sie es sich zwei Mal überlegt, ihre Tochter in die Schule Vila Holanda in der Favela Complexo da Maré zu bringen – wegen der Gefahr, in eine Schiesserei zu geraten. Und wer es glücklich bis zur Schule schafft, muss als erstes den Schulsack leeren. So geschehen diesen Mittwoch in der Favela Kelson’s im Norden der Stadt, wo die Militärs die Kinder zwischen 7 und 12 Jahren in einer Reihe antreten liessen, um ihre Sachen zu zeigen, die von den mit Kriegswaffen ausgerüsteten Soldaten inspiziert wurden.
·        *Estado de Excepción en Río de Janeiro. Zuerst erschienen in der uruguayischen Zeitschrift Brecha, danach von Rebelión am 24. Februar 2018 übernommen. 
"Willkommen in Syrien".