(zas,
23.2.18) Das Verfahren, um Lula aus dem Präsidentschaftsrennen zu entfernen und
einzuknasten, ist überladen mit schwerwiegenden Manipulationsindizien (S. Brasilien: Manipulierte Dokumente als Beweismittel gegen Lula da Silva?). Doch jüngste Artikel in den brasilianischen
Medien deuten darauf hin, dass die ganze „Korruptionsbekämpfung“ im Zusammenhang
mit dem früheren Infrastrukturgiganten Odebrecht nicht nur in Brasilien,
sondern in weiten Teilen Lateinamerikas, gezielt manipuliert wird – und zwar
unter „Mitwirkung“ der USA.
Am 29.
Januar 2018 veröffentlichte das Flaggschiff der Regimemedien, O Globo, einen Artikel,
der für einige Tage kaum grosse Aufregung zu bewirken schien. O Globo zitierte
einen Staatsanwalt aus der in Sachen Lula, Petrobrás und Odebrecht führenden
Ermittlungsequipe von Curitiba, Carlos Fernando Santos Lima. Der Konzern Odebrecht
hatte anscheinend zwei verschlüsselte Websites zur Dokumentierung seiner legalen
und illegalen (Bestechungs-) Ausgaben geführt, Drousys und MyWebDay. Auf Kronzeugen-Aussagen
inhaftierter Odebrecht-Manager etwa fussen die beiden bisherigen Verurteilungen
Lulas. Nun sollten Kronzeugen ihre Aussagen eigentlich belegen. Nur, wie
Staatsanwaltschaft Santos Lima in O Globo (zitiert in Brasil247
vom 4. Februar 2018) sagte: Die elektronischen Krypto-„Schlüssel für den Zugang zu den Geheimnissen von Odebrecht sind verloren.“
Brasil247, ein wichtiges Newsportal, hatte einen Artikel von Jeferson Miola, ehemaliger
Direktor des administrativen Sekretariats des Mercosur, abgedruckt. Miola kopiert
aus dem (nur gegen Bezahlung einsehbaren) O Globo-Artikel ein weiteres Zitat
des Staatsanwalts: Das MyWebDay-„System
ist mit zwei verlorenen Schlüsseln verschlüsselt; es gibt keine Möglichkeit,
sie wieder zu kriegen. Und ich weiss nicht, ob es sie jemals geben wird.“
Miola fragt sich u. a., ob die Ermittlungsbehörden von Lava Jato, also den
grossen Korruptionsfällen, Kronzeugen Strafermässigung erteilt haben, ohne
deren Aussagen zu verifizieren und warum sie sich stets geweigert haben, den
früheren Odebrecht-Anwalt Rodrigo Tacla Duran einzuvernehmen, der ausgesagt
hatte, im verschlüsselten System seien Daten gefälscht worden, um „gezielt bestimmte Angeklagte zu
inkriminieren“?
Die Folha
de São Paulo (FSP) veröffentlichte am letzten 4. Februar (Marcelo
Odebrecht insinua que cunhado destruiu provas) explosive Aussagen des
früheren Odebrecht-Chefs Marcelo Odebrecht, der nach zweieinhalb Jahren
Gefängnis und umfassenden Kronzeugenaussagen in den Hausarrest entlassen wurde.
Marcelo ist FSP zufolge in einen Streit mit Nachfolgern und Ex-Kollegen im Unternehmen
verwickelt, was seine neuen Aussagen etwa zu seinem Schwager und Chef der
Rechtsabteilung des Multis, Maurício Ferro, erkläre. Die FSP schreibt: „Marcelo zufolge hat er selbst Anfang 2015,
als er noch das Unternehmen leitete, veranlasst, dass Ferro die Abteilung [der
Korruptionsaufträge] schliesse. Diese Abteilung – der Sektor der strukturierten
Operationen – unterstand direkt Marcelo.“ Dem Blatt zufolge hat Odebrecht
dies so in einem Verhör letzten Dezember ausgesagt. Und das Blatt bringt nun Washington
ins Spiel:
„In der Operation, um den Sektor zu beenden, wurden
einige Zugangsschlüssel zu den Geheimarchiven von Odebrecht gelöscht. Dies ergibt
ein Dokument des Justizministeriums der USA, wo Odebrecht und Braskem ebenfalls
kooperiert haben, um ein Verfahren in jenem Land einzustellen. [Braskem: Joint
Venture von Odebrecht mit Petrobrás]. Dem amerikanischen Dokument zufolge sind
zwei Kader aus der Bestechungsabteilung in die USA gereist, um das
elektronische System zu zerstören, das das Unternehmen benutzte, um die
illegalen Zahlungen geheim zu halten. Im Januar 2016 haben, stets nach dem
amerikanischen Dokument, Luiz Eduardo da Rocha Soares und Fernando Migliaccio, die elektronischen
Zugangsschlüssel zum System MyWebDay zerstört.“
Jeferson Miola schreibt am 5. Februar (Uma
enorme nuvem de suspeição recobre a Lava Jato):
“Das Aussage-Abkommen von Odebrecht mit Lava
Jato betraf 77 hohe Funktionäre des Unternehmens. Der Megadeal wurde als ‚Denunziation
des Endes der politischen Welt‘ bekannt, er wurde im November 2016
unterzeichnet. Merke: im November 2016. Das Liefern von Beweisen für die von Aussagewilligen
denunzierten Verbrechen ist eine unabdingbare Voraussetzung für jegliche
Übereinkunft mit Kronzeugen. Im Fall von Odebrecht würde dies den vollen Zugang
der Lava-Jato-Task-Force zu den beiden Systemen mit den Einträgen über
Bestechungsgelder und finanzielle Wahlhilfen, also Drousys und MyWebDay,
bedeuten. Doch wenn die FSP schreibt ‚im Januar 2016 [wurden]
die elektronischen Zugangsschlüssel zum System
MyWebDay zerstört‘, heisst dies, dass, als der Aussagedeal mit Odebrecht
im November 2016 unterschrieben wurde, das Unternehmen nicht mehr im Stand
gewesen wäre, die in MyWebDay archivierten Beweise zu liefern, da die
Zugangsschlüssel im Januar 2016 zerstört worden waren?“
(Einer Note
von Odebrecht zuhanden des Untersuchungsrichters von Curitiba zufolge befindet
sich das versiegelte MyWebDay-System, zitiert FSP in ihrem Artikel, „in der Obhut der Schweizer Behörden.“)
In Argentinien
„ermitteln“ die Behörden unter dem Schlagwort Odebrecht angestrengt gegen das
kirchneristische Lager. Es lohnt sich diesbezüglich ein Blick auf einen Artikel
des prominenten argentinischen Rechtsblattes La Nación vom 9. Juli 2017 (Estados
Unidos brindará datos a jueces y fiscales que investigan a Odebrecht). Odebrecht-Kronzeugen beschuldigen
Mitglieder der Administration von Cristina Kirchner der Bestechung. Die
argentinischen Behörden auf Macri-Kurs hatten Probleme mit dem Einholen der
entsprechenden Unterlagen aus Brasilien. Denn das Regierungslager, so La
Nación, „misstraut diesem Vorgehen, bei
dem die Generalstaatsanwältin involviert ist, denn es hält dafür, dass
Alejandra Gils Carbó die Angaben politisch benutzen könnte, um das
Regierungslager zu schädigen. Es bezieht insbesondere mit ein, dass beim Vertrag
für den unterirdischen Zug von Sarmiento der argentinische Partner von
Odebrecht das Unternehmen Lecsa war, damals Eigentum von Ángelo Calcaterra war,
dem Cousin von Präsident Mauricio Macri.“ Die Macri-Regierung wusste einen
Ausweg: Sie schickte letzten Juli mehrere Ermittler und Richter nach
Washington, um dort die (seither andauernde) Speisung mit US-„Aktenerkenntnissen“
einzuleiten. (Die Generalstaatsanwältin liess Macri mittlerweile absetzen.)