Mauro Lopes*
Es sind kaum 45 Tage seit dem bizarrsten Machtphänomen in
der Geschichte des Landes vergangen. Aber es ist zu Ende. Die Regierung von
Jair Bolsonaro mit der aus dem Wahlsieg von Oktober 2018 resultierenden Machtkonstellation
gibt es nicht mehr. Mit dem Abschluss der Zeit der StaatsbürgerInnenverfassung
von 1988 beginnt jetzt die Phase 2 des Regimes. Jetzt übernimmt eine
Militärjunta die Macht in der schon bisher von ihr dominierten Regierung. Es
sind vier Generäle, alle im Regierungspalast zuhause: Augusto Heleno, Hamilton
Mourão, Carlos Alberto dos Santos Cruz und Eduardo Villas Bõas. In den nächsten
Tagen kann die Junta den General Floriano Peixoto Neto integrieren, der
Bebianno[1]
ersetzt hat.
Heleno, Mourõa, Cruz, Villas Bõas |
Kein eigentlicher Staatsstreich. Den gab es 2015-16. Sie
sind schon da. Sie haben schon die wichtigen Regierungsposten besetzt. Sie übernehmen
jetzt die von den karikaturesken Figuren von Bolsonaro und seinen Söhnen
verlassene Macht. Der Hauptmann Jair darf weiter im Palácio da Alvorada[2]
wohnen und sogar Videogames auf seinem Schreibtisch in Planalto[3]
spielen. Es reicht, wenn er seinen Vorgesetzten, den Generälen, gehorcht.
Der wichtigste Mann der Junta müsste Villas Bõas sein. Er
war der grosse Stratege, der Artikulator, derjenige, der es sich zu Herzen
nahm, die Demokratie zu verraten, das Oberste Gericht zu unterwerfen, um eine
Freilassung von Lula und seine Kandidatur zu verhindern und so den Beginn des
neuen Regimes zu garantieren. Tollpatsch Bolsonaro hatte pathetisch wie gewohnt
die entscheidende Rolle von Villas Bõas, die im Halbdunkel verbleiben sollte, ans
Tageslicht gezerrt. Beim Amtsantritt des neuen Verteidigungsministers Fernando
Azevedo e Silva am 2. Januar, auch er ein General, radebrechte der heutige Zombipräsident
öffentlich: «General Villas Bõas, was wir
schon besprochen haben, bleibt unter uns. Sie sind einer der Verantwortlichen
dafür, dass ich heute hier stehe.»
Villas Bõas ist wie ein postmoderner Pinochet in einer Zeit
der Putsche ohne Truppenmobilisierung, ohne Bombardierung und Blutvergiessen
auf der Strasse – vorläufig. Er wurde von Dilma ernannt, wie seinerzeit
Pinochet von Allende, und müsste jetzt Juntachef sein. Aber das ist er nicht,
denn er leidet an einer schweren und tödlichen Krankheit, der amyotrophen
Lateralsklerose. Sie bindet ihn an einen Rollstuhl und ein Atemgerät. Er ist
bei hellem Verstand und ein Vollmitglied der Militärjunta.
Aufgrund der Krankheit Villas Bõas übernimmt General Augusto
Heleno, formal Chef des institutionellen Präsidentschaftskabinett, die Rolle
des informellen Präsidenten der Junta. Er hatte eine entscheidende Rolle in der
Wahlkampagne und sein Namen wird im Offizierskorps geachtet. Er und General
Santos Cruz, Regierungssekretär, sind Freunde und bilden den «haitischen Kern»
in der Junta, zusammen mit Floriano Peixeto Neto. Sie dienten alle drei in den
UNO-Truppen in Haiti (Minustah). Heleno ist Primus inter pares, da er als
erster die Minustah kommandierte (2004-2005); Santos folgte 2006 auf diesem
Posten und Floriano Peixeto von 2009-2010.
Hamilton Mourõa kommt quasi wie ein Fisch im Trockenhabitat en
in die Junta. Er gehört nicht zur gleichen Gruppe, hat keine enge Beziehung mit
einem anderen Mitglied und wurde stets als Outsider gesehen. Aber er hat etwas,
was die anderen nicht haben: Er ist der gewählte Vizepräsident, unkündbar. Aber
was in der zivilen und demokratischen Welt einen enormen Unterschied ausmacht,
hat vielleicht im neuen Machtgefüge im Planalto weniger Gewicht. Mourão ist als
Vizepräsident unkündbar. Aber ist vielleicht wer von einer Militärjunta
«kündbar»? Was zeigt, dass es schon jetzt latente Spannungen in der Haltung
annehmenden Regierung gibt.
Die Militärjunta tritt mit breiter Unterstützung der zivilen
Eliten an. Die Militärs werden als vielleicht letzte Chance gesehen, um ein
Programm durchzusetzen, das vorhat, die nationalen Reichtümer ins Ausland zu
verscherbeln und den Reichtum in einem ungekannten Mass zu konzentrieren, unter
dem Titel der «Kompetenz» des Ultraliberalismus und unter der Ägide des
«Marktes».
Bolsonaro mischt nicht mehr mit. Die Eliten hatten den Schluss
gezogen, schon bevor die Mitschnitte von Bebianno Vater und Sohn moralisch
definitiv beschädigt hatten, dass sie mit Jair Bolsonaro nirgends hingelangten.
Die Editorials von O
Globo und O
Estado de S. Paulo von Dienstag waren schneidend: Er ist am Ende. «Es wäre naiv zu glauben, dass sich Bolsonaro
von heute auf morgen wie ein Präsident benehmen und der Verantwortung seines
Amtes gerecht werden werde», dekretierte das Blatt von São Paulo. Die Marinhos[4]
liessen sich ganz in der putschistischen Tradition der Familie nicht lange
bitten: Sie verlangten, dass nach der Nicht-Regierung der Bolsonaro-Clans eine
Militärjunta das Kommando übernehme. Sie wissen, was sie wollen.
·
brasil247.com,
19.1.19: Junta militar assume o poder. Der Autor leitet das Infoportal
brasil247.com.
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Krisenauslöser: Gustavo
Bebianno leitete während der Wahlkampagne die rechtsextreme Partei PSL, für die
Bolsonaro kandidierte. Laut einer Veröffentlichung der Folha da São Paulo
letzten Februar leitete Bebbiano staatliche Gelder, erhalten unter dem Titel
der Frauenförderung für die Kampagnen von Scheinkandidatinnen in zwei Gliedstaaten
u.a. in die Kasse des heutigen Agrarministers um. Ein klassischer Betrugsfall
also, ungünstig für einen Präsidenten, der als «Saubermann» auftritt. Gegen
Medienspekulationen über seine Entlassung wehrte sich Bebianno mit der
Versicherung, er stehe in häufigem Telefonklontakt mit dem damals
hospitalisierten Präsidenten und von Krise keine Spur. Das rief einen Sohn des
Präsidenten, den Gemeindeabgeordneten Carlos, auf den Plan: Nicht ein Mal, so
tweetete Junior, habe Papa mit Bebianno, dem «Lügner», gesprochen. Eine Botschaft, die Daddy kurz danach
retweetete. Doch wenig später veröffentlichte das rechte Hetzmagazin Veja
Kopien von am fraglichen Tag zwischen Jair Bolsonaro und Bebianno hin und her zirkulierenden
Whatsapp-Audios, die die Bolsonaros ihrerseits als Lügner entlarvten. Den
Glaubwürdigkeitsverlust konnte auch die folgende Entlassung Bebiannos nicht
wettmachen.
Linke Medien betonten die klare Machtstärkung der Militärs;
diese hatten Bolsonaro schon mehrmals öffentlich in die Schranken gewiesen, z.
B. bei dessen eilfertigem Versprechen anlässlich des Besuchs des
US-Aussenministers Pompeo, dem er eine US-Militärbase in der Amazonía
zugesichert hatte, ohne die Generäle zu befragen. Rechte Medien wie etwa die
BBC Brasil konzentrierten sich dagegen auf den Machtkampf zwischen Jairs
Söhnen, die in Sachen Machismo und Brutalokultur keineswegs hinter ihrem Vater
zurückstehen wollen, und Bebianno. Tatsache ist, dass die Militärs nicht nur
die wichtigste Gruppe im Kabinett stellen, sondern nach verschiedenen Angaben
an die 50 weitere Schaltstellen im Regierungsapparat besetzt haben. Zur
zentralen Rolle der Streitkräfte beim Aufbau eines neuen Militärregimes s. den
klärenden Artikel aus dem argentinischen Wirtschaftsblatt Ámbito vom letzten 6.
Oktober, übersetzt hier.
Haiti: Am 7. Juli
2005 kommandierte Minustah-Chef Augusto Heleno in faktischem US-Auftrag eine sog.
Antigang-Operation im Armutsquartier Cité Soleil in Port-au-Prince, einem
Zentrum des Widerstands gegen die Invasion der Insel und den Putsch gegen Präsident
Aristide im Jahr zuvor. Nach offiziellen Angaben wurden dabei fünf bis sechs die
Friedenstruppen beschiessende Kriminelle getötet. Doch sogar Reuters weiss
es anders: Gestützt auf zahlreiche ZeugInnen, Menschenrechtsgruppen und Wikileakskabel
berichtet die Agentur von einem Massaker an vielleicht 70 Menschen, darunter «mehrere Babys und Frauen». (In den
Correos-Heften jener Jahre haben wir viel zu dieser enormen
Unterdrückungspolitik geschrieben.) Wie viele andere unterstreicht auch Reuters
die Rolle der «haitischen Schule» für den Krieg der brasilianischen Armee in
den Favelas, propagiert als Bekämpfung von Narcoterror.
Minustah in Cité Soleil, 2005. |