Militärjunta übernimmt die Macht in Brasilien

Samstag, 2. März 2019


Mauro Lopes*
Es sind kaum 45 Tage seit dem bizarrsten Machtphänomen in der Geschichte des Landes vergangen. Aber es ist zu Ende. Die Regierung von Jair Bolsonaro mit der aus dem Wahlsieg von Oktober 2018 resultierenden Machtkonstellation gibt es nicht mehr. Mit dem Abschluss der Zeit der StaatsbürgerInnenverfassung von 1988 beginnt jetzt die Phase 2 des Regimes. Jetzt übernimmt eine Militärjunta die Macht in der schon bisher von ihr dominierten Regierung. Es sind vier Generäle, alle im Regierungspalast zuhause: Augusto Heleno, Hamilton Mourão, Carlos Alberto dos Santos Cruz und Eduardo Villas Bõas. In den nächsten Tagen kann die Junta den General Floriano Peixoto Neto integrieren, der Bebianno[1] ersetzt hat.
Heleno, Mourõa, Cruz, Villas Bõas

Kein eigentlicher Staatsstreich. Den gab es 2015-16. Sie sind schon da. Sie haben schon die wichtigen Regierungsposten besetzt. Sie übernehmen jetzt die von den karikaturesken Figuren von Bolsonaro und seinen Söhnen verlassene Macht. Der Hauptmann Jair darf weiter im Palácio da Alvorada[2] wohnen und sogar Videogames auf seinem Schreibtisch in Planalto[3] spielen. Es reicht, wenn er seinen Vorgesetzten, den Generälen, gehorcht.
Der wichtigste Mann der Junta müsste Villas Bõas sein. Er war der grosse Stratege, der Artikulator, derjenige, der es sich zu Herzen nahm, die Demokratie zu verraten, das Oberste Gericht zu unterwerfen, um eine Freilassung von Lula und seine Kandidatur zu verhindern und so den Beginn des neuen Regimes zu garantieren. Tollpatsch Bolsonaro hatte pathetisch wie gewohnt die entscheidende Rolle von Villas Bõas, die im Halbdunkel verbleiben sollte, ans Tageslicht gezerrt. Beim Amtsantritt des neuen Verteidigungsministers Fernando Azevedo e Silva am 2. Januar, auch er ein  General, radebrechte der heutige Zombipräsident öffentlich: «General Villas Bõas, was wir schon besprochen haben, bleibt unter uns. Sie sind einer der Verantwortlichen dafür, dass ich heute hier stehe.»
Villas Bõas ist wie ein postmoderner Pinochet in einer Zeit der Putsche ohne Truppenmobilisierung, ohne Bombardierung und Blutvergiessen auf der Strasse – vorläufig. Er wurde von Dilma ernannt, wie seinerzeit Pinochet von Allende, und müsste jetzt Juntachef sein. Aber das ist er nicht, denn er leidet an einer schweren und tödlichen Krankheit, der amyotrophen Lateralsklerose. Sie bindet ihn an einen Rollstuhl und ein Atemgerät. Er ist bei hellem Verstand und ein Vollmitglied der Militärjunta.
Aufgrund der Krankheit Villas Bõas übernimmt General Augusto Heleno, formal Chef des institutionellen Präsidentschaftskabinett, die Rolle des informellen Präsidenten der Junta. Er hatte eine entscheidende Rolle in der Wahlkampagne und sein Namen wird im Offizierskorps geachtet. Er und General Santos Cruz, Regierungssekretär, sind Freunde und bilden den «haitischen Kern» in der Junta, zusammen mit Floriano Peixeto Neto. Sie dienten alle drei in den UNO-Truppen in Haiti (Minustah). Heleno ist Primus inter pares, da er als erster die Minustah kommandierte (2004-2005); Santos folgte 2006 auf diesem Posten und Floriano Peixeto von 2009-2010.
Hamilton Mourõa kommt quasi wie ein Fisch im Trockenhabitat en in die Junta. Er gehört nicht zur gleichen Gruppe, hat keine enge Beziehung mit einem anderen Mitglied und wurde stets als Outsider gesehen. Aber er hat etwas, was die anderen nicht haben: Er ist der gewählte Vizepräsident, unkündbar. Aber was in der zivilen und demokratischen Welt einen enormen Unterschied ausmacht, hat vielleicht im neuen Machtgefüge im Planalto weniger Gewicht. Mourão ist als Vizepräsident unkündbar. Aber ist vielleicht wer von einer Militärjunta «kündbar»? Was zeigt, dass es schon jetzt latente Spannungen in der Haltung annehmenden Regierung gibt.
Die Militärjunta tritt mit breiter Unterstützung der zivilen Eliten an. Die Militärs werden als vielleicht letzte Chance gesehen, um ein Programm durchzusetzen, das vorhat, die nationalen Reichtümer ins Ausland zu verscherbeln und den Reichtum in einem ungekannten Mass zu konzentrieren, unter dem Titel der «Kompetenz» des Ultraliberalismus und unter der Ägide des «Marktes».
Bolsonaro mischt nicht mehr mit. Die Eliten hatten den Schluss gezogen, schon bevor die Mitschnitte von Bebianno Vater und Sohn moralisch definitiv beschädigt hatten, dass sie mit Jair Bolsonaro nirgends hingelangten.
Die Editorials von O Globo und O Estado de S. Paulo von Dienstag waren schneidend: Er ist am Ende. «Es wäre naiv zu glauben, dass sich Bolsonaro von heute auf morgen wie ein Präsident benehmen und der Verantwortung seines Amtes gerecht werden werde», dekretierte das Blatt von São Paulo. Die Marinhos[4] liessen sich ganz in der putschistischen Tradition der Familie nicht lange bitten: Sie verlangten, dass nach der Nicht-Regierung der Bolsonaro-Clans eine Militärjunta das Kommando übernehme. Sie wissen, was sie wollen.
·        brasil247.com, 19.1.19: Junta militar assume o poder. Der Autor leitet das Infoportal brasil247.com.
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Krisenauslöser: Gustavo Bebianno leitete während der Wahlkampagne die rechtsextreme Partei PSL, für die Bolsonaro kandidierte. Laut einer Veröffentlichung der Folha da São Paulo letzten Februar leitete Bebbiano staatliche Gelder, erhalten unter dem Titel der Frauenförderung für die Kampagnen von Scheinkandidatinnen in zwei Gliedstaaten u.a. in die Kasse des heutigen Agrarministers um. Ein klassischer Betrugsfall also, ungünstig für einen Präsidenten, der als «Saubermann» auftritt. Gegen Medienspekulationen über seine Entlassung wehrte sich Bebianno mit der Versicherung, er stehe in häufigem Telefonklontakt mit dem damals hospitalisierten Präsidenten und von Krise keine Spur. Das rief einen Sohn des Präsidenten, den Gemeindeabgeordneten Carlos, auf den Plan: Nicht ein Mal, so tweetete Junior, habe Papa mit Bebianno, dem «Lügner», gesprochen. Eine Botschaft, die Daddy kurz danach retweetete. Doch wenig später veröffentlichte das rechte Hetzmagazin Veja Kopien von am fraglichen Tag zwischen Jair Bolsonaro und Bebianno hin und her zirkulierenden Whatsapp-Audios, die die Bolsonaros ihrerseits als Lügner entlarvten. Den Glaubwürdigkeitsverlust konnte auch die folgende Entlassung Bebiannos nicht wettmachen.
Linke Medien betonten die klare Machtstärkung der Militärs; diese hatten Bolsonaro schon mehrmals öffentlich in die Schranken gewiesen, z. B. bei dessen eilfertigem Versprechen anlässlich des Besuchs des US-Aussenministers Pompeo, dem er eine US-Militärbase in der Amazonía zugesichert hatte, ohne die Generäle zu befragen. Rechte Medien wie etwa die BBC Brasil konzentrierten sich dagegen auf den Machtkampf zwischen Jairs Söhnen, die in Sachen Machismo und Brutalokultur keineswegs hinter ihrem Vater zurückstehen wollen, und Bebianno. Tatsache ist, dass die Militärs nicht nur die wichtigste Gruppe im Kabinett stellen, sondern nach verschiedenen Angaben an die 50 weitere Schaltstellen im Regierungsapparat besetzt haben. Zur zentralen Rolle der Streitkräfte beim Aufbau eines neuen Militärregimes s. den klärenden Artikel aus dem argentinischen Wirtschaftsblatt Ámbito vom letzten 6. Oktober, übersetzt hier.

Haiti: Am 7. Juli 2005 kommandierte Minustah-Chef Augusto Heleno in faktischem US-Auftrag eine sog. Antigang-Operation im Armutsquartier Cité Soleil in Port-au-Prince, einem Zentrum des Widerstands gegen die Invasion der Insel und den Putsch gegen Präsident Aristide im Jahr zuvor. Nach offiziellen Angaben wurden dabei fünf bis sechs die Friedenstruppen beschiessende Kriminelle getötet. Doch sogar Reuters weiss es anders: Gestützt auf zahlreiche ZeugInnen, Menschenrechtsgruppen und Wikileakskabel berichtet die Agentur von einem Massaker an vielleicht 70 Menschen, darunter «mehrere Babys und Frauen». (In den Correos-Heften jener Jahre haben wir viel zu dieser enormen Unterdrückungspolitik geschrieben.) Wie viele andere unterstreicht auch Reuters die Rolle der «haitischen Schule» für den Krieg der brasilianischen Armee in den Favelas, propagiert als Bekämpfung von Narcoterror.   
Minustah in Cité Soleil, 2005.





[1] Gustavo Bebianno, bis Mitte Februar Generalsekretär der Präsidentschaft, eines der zentralen Organe der Präsidentschaft im Rang eines Ministeriums.
[2] Residenz des Präsidenten.
[3] Sitz der Präsidentschaft.
[4] Die Eigentümerfamilie des Medienmolochs O Globo.