Venezuela: Zur Logik der Sanktionen und der Lüge

Montag, 4. März 2019


(zas, 4.3.19) Geht es um das Elend, dass der Diktator des eigentlich so reichen Venezuelas über sein Volk gebracht hat, herrscht Einhelligkeit und bluten die Herze. Noch jede Dummheit, noch jede Lüge wird mit heiligem Zorn verbreitet – und das verfängt natürlich bei vielen Leuten. «Dieser Diktator da in Südamerika», empörte sich ein befreundeter Mann, «in…», «Venezuela?» sag ich, ahnend, was gemeint sei, «ja, in Venezuela, das ist doch unglaublich! Das Land ist doch reich, aber der hat es geschafft, die Leute ins Elend zu stürzen!». Um es gleich klar zu machen: Es ist nicht die Aufgabe dieses Mannes, jahrelange Desinformation zu demaskieren. Er empörte sich über den Schurken dort in Südamerika im gleichen Atemzug wie über Macron, der die Reichtumssteuer abschafft, und dessen Schweizer Pendants. Mein Freund hat nur für ihn Unüberprüfbares, jahrelang eingeträufelt, in einen Erfahrungsraster derer unten gestellt.
Was les ich gerade in der NZZ Online? Natürlich dieses:

«Venezuela befindet sich in einer Krise, die in der westlichen Welt ihresgleichen sucht. Das einst wohlhabende Land liegt nach jahrelanger Misswirtschaft, Korruption und Repression am Boden. Für viele Venezolaner sind aufgrund der Hyperinflation selbst Grundnahrungsmittel unerschwinglich geworden:»

Die «Aktualisierung der Lage in Venezuela» strotzt dann von den üblichen Lügen und Dummheiten, die endlos zu widerlegen keinen Sinn macht. Halten wir eine von der NZZ (s. o.) publizierte Leitlinie einer Umfrage fest - «Venezolanern fehlt das Geld für Nahrung, Kleider und medizinische Versorgung» - und wenden wir uns einer Figur aus dem US-Machtestablishment zu.

Brownfield und die «Abermillionen»
William Brownfield war während Jahrzehnten einer der wichtigen Akteure im State Department: 2004-2007 Bushs Botschafter in Venezuela nach dem gescheiterten US-inspirierten Putschversuch, danach von 2007 bis 2010 für den gleichen Präsidenten Botschafter in Kolumbien, 2011 bis 2018 für Obama und dann Trump Chef International Narcotics and Law Enforcement Affairs des State Departments, also der Koordinierungsstelle im Aussenministerium für alle Belange, die den globalen «Drogenkrieg» des Imperiums betreffen. Bei der Ausarbeitung des genozidalen Plan Colombia kam ihm eine wichtige Rolle zu. Als die FARC-Guerilla letztlich kapitulierte, hielt es der damalige kolumbianische Präsident für opportun, einige wenige Teile des Friedensabkommens nicht ganz ignorieren. Z. B. die Ersetzung der enorm zerstörerischen Besprühung von Coca-Plantagen mit Glyphosat durch ein manuelle Coca-Zerstörung (die alternativen Entwicklungsprogramme vergass auch Santos). Nur, State-Department Capo Brownfield verlangte ultimativ, das Abkommen auch in diesem Punkt zu sprengen und Land und Leute wieder mit Glyphosat zu vergiften. Letztes Jahr pensioniert, tritt Brownfield häufig an Anlässen zentraler US-Thinktanks auf.
No nice guy, no commie.
Aber einer, der sich immer wieder als «Querdenker» gibt. Als einer, der die Dinge beim Namen nennt. Honorieren wir das mit der Beachtung folgender Aussage vom 20. November letztes Jahr bei einem Podium des Center for Strategic and International Studies, einem der entscheidenden Thinktanks der aussenpolitischen US-Machtelite (Venezuela as a narco state, ab Min. 53.30). Thema: Sanktionen gegen Venezuela.


«Worüber wir jetzt reden, ist die Auswirkung [der Sanktionen] auf die Leute in Venezuela (…) Wie stark sollen sich Mangelernährung, Mangel an Medikamenten, Auswirkungen im Gesundheitssystem steigern? (…) Das ist eine legitime Frage (…) Wie stark wollen wir wirklich die Schrauben bei den zwangsläufigen Auswirkungen auf das venezolanische Volk anziehen? Für mich ist das so: Wir sollten dies ein wenig wie eine Agonie, wie eine Tragödie ansehen, die solange dauert, bis sie endlich beendet wird. Und falls wir etwas machen können, das dieses Ende schneller bringt, sollten wir das vermutlich tun. Aber wenn wir es tun, dann sollten wir verstehen, dass das Auswirkungen auf Abermillionen von Menschen hat. Wir haben die Schwierigkeiten, genug zum Essen zu finden, schon verschärft, Pflege zu erhalten, wenn man krank ist, oder den Kindern Kleider anzulegen, wenn sie zur Schule gehen (…) Wir müssen die harte Entscheidung fällen: Das gewünschte Resultat legitimiert diese ziemlich strenge Bestrafung.»

Brownfield in der Mitte.
Gleich danach «korrigierte ein Mann des CSIS die Aussage des US-Strategen mit dem Hinweis, das Sanktionsregime sehe humanitäre Ausnahmen vor. Nur:  Die gegenteiligen Beispiele häufen sich. Aber das muss die imperiale Mediengefolgschaft nicht bekümmern – sie ignoriert ohnehin alles, was nicht ins Bild passt.

Brownfield und die «kritischen» Chavistas
In einem Auftritt vor dem «altehrwürdigen» Council on Foreign Relations, wohl immer noch die  massgebliche Stimme des aussenpolitischen US-Establishments, meinte Brownfield am 4. April letztes Jahr:
«Ich pflegte im letzten Jahr meines Aufenthalts in Venezuela [also 2007] Oppositionsführern oder solchen, die sich dafür hielten, privat zu sagen, sie sollten sich wirklich darauf einstellen, dass die zukünftige Opposition gegen den Chavismus eventuell von Chavistas selber kommt, dass sie sich mit diesem Gedanken anfreunden sollten. Und das ist gut so, denn wenn du Leute dazu bringst, so zu denken, baust du tatsächlich Brücken (…) Die Idee, dass Oppositionelle und derzeitige Mitglieder der chavistischen Struktur langfristig miteinander ins Gespräch kommen, ist gut.»
Nun: Seit ein paar Jahren profilieren sich ehemalige prominente «MitstreiterInnen» von Hugo Chávez (und Maduro) als «kritische Chavistas» und suchen den Schulterschluss mit der Rechten. Das geht von mehr oder weniger trotzkistischen Sprachrohren über ehemalige Minister (mit viel Korruptionsdreck am Stecken) hin zu akademischen PropagandistInnen eines «dritten», nämlich wahrhaft bolivarischen Wegs. Von letzteren darf einer, Edgar Lander, an einer von Die Linke und Rosa-Luxemburg-Stiftung (arme Genossin!) organisierten Konferenz zur Unterstützung des «sozialrevolutionären» Flügels der Regime-Change-Kräfte in Nicaragua in einem Monat in Berlin auftreten, als «authentischer» Chavista.

Erinnerungen
Doch, es lohnt sich manchmal, sich genauer mit der Logik des Gegners auseinanderzusetzen (mit mentalen Schutzmechanismen gegen Vergiftung, logo). Schaut euch z. B.  die beiden zitierten Panels an. Der mit human touch «originell» vorgetragene Willen eines Brownfields, seine Gegner zu zerstören; die in derlei Kreisen geübte coole Selbstverständlichkeit, mit der Nachwuchskader rhetorische Petarden und kleine Witze verschiessen, um dabei zu sachlich erörtern, wie man die Bevölkerung «cry uncle» schreien lässt – ein Ausdruck aus dem Sport, «ich geb auf», den US-Präsident Ronald Reagan in den 80-er Jahren vom sandinistischen Nicaragua eingefordert hatte -  die sexistische Pose der globalen Geschickelenker, verkauft als Völkerfreundschaft  
An zwei Dinge haben mich diese Panels erinnert, an ein Buch und an einen TV-Film. Das Buch: Die «Vordenker der Vernichtung» von Götz Aly (bevor dieser nach rechts kippte) und Susanne Heim. Eine absolut aktuelle, unbedingt zu lesende Studie über die junge professionelle Nazi-Intelligenzija, die ihr Effektzivitätsdenken in die Planung von Hungernöten, Völkermorden und das «Verschwinden der Juden aus der Gleichung» umsetzten. 
Und der Film: Die Wannseekonferenz (1984) (online in eher schlechter Qualität oder als DVD zu kaufen). Der Streifen zeichnet auf der Basis des Konferenzprotokolls die Rationalität von Terror und Judenvernichtung nach.