Aus aktuellem Anlass
ein Artikel aus Correos 133, Februar 2003.
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Schattenkrieger der Sabotage
Wer bewegt den Anker?
Die Vorgänge in Venezuela werden in den
Mainstreammedien mit atemraubender Systematik verzerrt. Ein Blick auf einen
nicht genannt sein wollenden Drahtzieher des Geschehens.
Dieter Drüssel
(8.2.03) Der bolivarianische
Abgeordnete Julio García erläuterte im venezolanischen Staatsfernsehen, warum
die Wiederinbetriebnahme der »bestreikten« Ölschiffe so schwierig sei: »Auf der
Strasse werden wir immer wieder angehauen:’ Warum könnt ihr diesen Anker nicht
einfach heben?’ Nun, diesen Anker kann man weder von Hand noch maschinell
heben. Das alles läuft digital und manchmal ist der 5. Stock (der nominell
staatlichen Ölgesellschaft) Pdvsa per Satellit mit dem Schiff verbunden.
Resultat: Diese ganze Technologie, die die Nation während Jahren in unser
Prunkstück Pdvsa investiert hat, ist jetzt in den Händen einer Gruppe von
Terroristen, welche die Leute über die Verknappung der Güter zum Verzweifeln
bringen will«. Den Terminus ‚Terroristen’ begründet García mit einem Mitschnitt
eines Telefonats des ehemaligen Vizeadmiral Huizi Clavier, der sich über die
Absicht unterhält, eine gigantische Umweltkatastrophe zu provozieren. Das Öl
des »bestreikten« Schiffes León Pilín soll in den Macaraibo-See ausgelassen und
die Schuld dafür der Regierung in die Schuhe geschoben werden[1].
Das Joint Venture der Ölgesellschaft
Die Ölgesellschaft Pdvsa wurde
1976 nationalisiert. Ihre Kader aber wurden von den im Land operierenden
Ölmultis gestellt. Das hatte Auswirkungen. 1976 gingen noch 80% der
Pdvsa-Einnahmen an den Staat, 2001 nur noch 20%. Das Grossunternehmen schien
sich im einschlägigen internationalen Vergleich zur unrentabelsten Lotterbude
entwickelt zu haben. Doch der Schein trügt: Tatsächlich transferierte das
»staatliche« Unternehmen während der letzten beiden Dekaden mindestens $5 Mrd.
pro Jahr ins Ausland. Zum Beispiel Citgo, die Pdvsa-Filiale in den USA: Sie
subventionierte die US-Autofahrt mit einem im Vergleich zur Konkurrenz $2-4
tieferen Verkaufspreis pro Fass – für Venezuela sind das bisher $6 Mrd.
weniger. Während Pdvsa die eigenen hochwertigen Ölraffinerien verlottern lässt,
investiert sie $10 Mrd. in den Kauf von 19 unrentablen, für venezolanisches Öl
zudem ungeeignete Raffinerien in den USA und Europa – die Verkäufer freut’s. An
die Öltechbude Schlumberger Geoquest und ein Joint Venture mit SAIC (Science
Applications International Corporation) namens Intesa gehen $5 Mrd. für das
Outsourcing von Informatik und die geospaziale Erfassung von Öl- und
Gasvorkommen in Venezuela[2].
Das Joint Venture funktioniert
auf feine Weise: Pdvsa zahlt und die SAIC bestimmt. SAIC hat’s in sich. Nach
eigenen Angaben 1969 vom Los Alamos-Atomforscher J.R. Beyster gegründet und hat
über 41000 Angestellte. Sie gehört zu den Fortune 500-Unternehmen und fährt
einen Grossteil ihrer Einkünfte (aktuell $6.1 Mrd.) mit Regierungsaufträgen ein[3]. Laut
SAIC-Europe-Sprecher Brian Gunn hat sich das Mutterwerk in den USA in den
letzten 30 Jahren schwergewichtig auf Pharma und Life-Sciences-Sparte
konzentriert, auf Öl und Gas und auf Finanzdienstleistungen und
Regierungsprogramme[4]. Zu diesen SAIC-
Regierungsprogrammen schreibt ein Insiderblatt von »Marktnischen, die hart zu
erobern sind, wie die Geheimdienstindustrie und andere Regierungsagenturen«[5].
Agenten im Netz
Nicht für die SAIC. In ihren
Leitungsgremien tummelten sich die letzten Jahre, neben hunderten von hohen
Offizieren i.R., die US-Kriegsminister Melvin Laird und William Perry, die
CIA-Chefs Robert Gates und John Deutch, der Direktor der National Security
Agency Bobby Ray Inman, der Koordinator des National Security Council Jasper
Welch, der Chef für Forschung und Entwicklung im Pentagon, Donald Hicks, der
Chef der US Special Forces, Wayne A. Downing, alle in der Eigenschaft
»ehemalig«. Downing leitete nach dem 11. September den militärischen Teil von
George W. Bushs neuem zivilmilitärischen Ministerium der Homeland
Security.
Vor Jahren sorgte SAIC in der
Internetscene für Aufsehen. Die US-Regierung hatte das InterNIC (Internet
Network Information Center) geschaffen, weltweit zuständig für die
Registrierung der Domainnamen, die auf .org, .gov, .edu., .com oder .net enden.
(Domainnamen erlauben es, etwa www.saic.com einzugeben statt zehnstelliger
Zahlenfolgen, wie sie die den Internetverkehr regulierenden Computer
verwenden). Ab 1993 wurde diese Aufgabe in die Hände der NSI (Network Solutions
Inc.) privatisiert. Im September 95 begann NSI, für eine Namensregistrierungen
Geld zu verlangen. Angesichts des astronomischen Wachstums des Internet eine
wahre Goldgrube. Einige Monate zuvor war NSI von der SAIC aufgekauft worden.
Die um einen vor Regierungszugriff geschützten Datenfluss auf dem Web besorgten
Organisationen waren in Aufruhr: Das ursprünglich aus dem
Pentagon-Forschungsarm DARPA entstandene Internet war via SAIC, trotz
gegenteiliger Cyberfolklore, in den überwachten Hafen der Geheimdienste
zurückgekehrt[6].
Die Macht per IT
SAIC ist schwergewichtig in der
Informatikbranche tätig, genauer in deren Outsourcing aus staatlichen
Agenturen. Angeblich aus Spar- und Effizienzgründen lagern die
US-Regierungsstellen bedeutende Teile ihrer Informatik- und Verwaltungsaufgaben
an Privatanbieter aus. Das führt zu bedrohlichen Situationen. Als die kritische
Gruppe Harvard Watch (Ehemalige und aktuelle Mitglieder der Eliteuni) letztes Jahr die Zusammenhänge zwischen
Enronkriminalität und Harvard-Management zu recherchieren begann, stiess sie
auf eine verblüffende Frage: Ob nämlich die Börsenaufsicht SEC und das FBI
überhaupt in der Lage wären, die Untersuchungen zu führen. Beide
Regierungsagenturen hatten ihre hoch sensiblen Datenbanken an Unternehmen wie
den Rüstungsgiganten Lockheed und an die eng mit ihm zusammenarbeitende DynCorp
ausgelagert. Die aus Pentagon- und Geheimdienstleuten zusammengesetzte DynCorp
arbeitet mit firmeneigener, durchs Betriebsgeheimnis vor Kontrolle geschützter
Software und stellt für viele Regierungsapparate auch gleich noch das
Computerbedienungspersonal. DynCorp-Exponenten sassen aber auch in
entscheidenden Posten sowohl beim Harvard-Management wie bei Enron. M.a.W.,
potentiell motivierte FBI-AgentInnen haben gar keinen Zugang auf »ihre« Daten,
der nicht über DynCorp u.a. Privatanbieter liefe[7].
Frères et Cochons
SAIC arbeitet auf einem ähnlichen
Feld, oft genug mit DynCorp zusammen. Das US-Umweltministerium EPA erteilte
SAIC und ihrem Subkontraktor DynCorp den Auftrag, das »automatisierte Pestizid-
und Giftstoff Datensystem« weiter zu entwickeln[8]. Ein
Jahr später erhielt ein »SAIC-Team«, das DynCorp und Booz, Allen & Hamilton
miteinschloss, von der gleichen Behörde die Erneuerung eines 7-Jahre-Vertrag
für die IT-Unterstützung für die Aufgaben der EPA[9] -
trotz SAIC-Betrugsstrafverfahren im Umweltbereich. Ein weiteres SAIC-Team (mit
DynCorp, TRW, Lockheed) bekam vor zwei Jahren von der US-Army den Auftrag, ein
Planungs-, Monitoring- und Kontrollsystem für Kampfoperationen zu entwickeln[10]. Im
Vorfeld des Irakkrieges wird dieses Programm massiv ausgeweitet. SAIC zog weiter
den 2. Teil des hochgeheimen FBI-Trilogy-Programms an Land. Das Programm
integriert weltweit die Datenbanken und IT-Kommunikationen des FBI in ein
einziges System. Die erste Phase wird von DynCorp abgedeckt[11]. Das
$457 Mio.-Programm wird vom Generalinspektor des Justizministerium wegen
unlauterer Geschäftspraxis kritisiert[12].
Auf der Website von SAIC ist
nachzulesen, wie doll sich die Bude für die Homeland Security verdient macht,
wie brillant ihr antiterroristisches Training, wie durchschlagend ihre Kriminalitätsbekämpfung
etwa in der Verbindung der Verbrecher-Dateien der einzelnen US-Staaten oder bei
der Verwaltung der Haftbefehle in New York. SAIC ist speziell eng mit dem
Pentagon liiert. Ob technischer Support für eine Luftwaffenbasis oder
Entwicklung eines neuen monströsen Fliegers mit Lockheed zusammen, die
Zeitungsberichte sind sich in der jetzigen Phase vor dem Irakkrieg einig, dass
SAIC zu den grossen Nutzniessern des explodierenden US-Militärbudgets gehört[13]. Am
7. Februar gab das Pentagon bekannt, dass sich sein Defense Science Board
(Weichenstellung für Akquisitionen, Technologie und Logistik) die nächsten
Monate am Hauptsitz der SAIC versammeln wird[14]. Das linkslaizistische Réseau Voltaire in
Frankreich mit Zugang zu dortigen Geheimdienstkreisen zählt zu den Acquis von
SAIC die digitale Kartographierung der USA, die Sicherung der
Pentagon-Informatik, die Informatik für Entscheidungs- und Vermittlungszentren
von Ölmultis wie BP Amoco, die Y2k-Vorbereitung im Weissen Haus, die
Informatisierung der Mobilisierung der US-ReservistInnen, die Überwachung der
atomaren Nonproliferationsverträge, die Konzipierung der Kommandozentralen C4I
(Comand & Control, Communications, Computer, Intelligence) für den See- und Luftkrieg u.a.m.[15]
Gehackte SAIC
Das also gehört zum Hintergrund
jener Kräfte, die in den Medienberichten als mutige streikende Erdölarbeiter
gefeiert werden. (A propos: Der bewunderte Gewerkschaftsführer Carlos Ortega,
Liebkind beim Internationalen Bund Freier Gewerkschaften, ist im
Pdvsa-Jahresbericht von 1997 als Personalchef ausgewiesen). Intesa, nominell
die Joint Venture von SAIC und Pdvsa, zählt zu ihren Kunden auch wenig
erstaunlich BP, Shell, Total. Das Bild wird klarer: Intesa und Pdvsa-Kader sind
integriert in ein internationales, von den US-Multis und Diensten gesteuertes
Netz zur Kontrolle der Ölvorkommen. Die vorerst gescheiterte Sabotage von
Dezember/Januar sollte diese Kontrolle garantieren, gegen das Vorhaben einer
Regierung, nationale Reichtümer in den Dienst der Mehrheit zu stellen. Was
Wunder, bedurfte die Regierung des Hugo Chávez der Hilfe engagierter Hacker,
welche die SAIC-Software knacken und so die Anker wieder heben konnten. Die
internationale Aufmerksamkeit wurde in der Zwischenzeit mit atemberaubender
Dramaturgie aufs Nebengeleise einer angeblich demokratischen Volksbewegung
gelockt. Allerdings ging die Rechnung nicht auf: So katastrophal die
wirtschaftlichen Folge der langen Sabotage sind, im Resultat ist die Pdvsa
jetzt von den Kräften des Ancien Régime befreit. Ähnlich wie nach dem
Putschversuch vom letzten April die Armee.
[1] www.aporrea.org, 19.12.02,
„Transcripción de la conversación donde vicealmirante Huizi Clavier autoriza
contaminar lago“
[2] Vgl. „El golpe de Estado
fue petrolero“ auf www.soberania.info.
[3] vgl. www.saic.com
[4] Sunday Herald, 29.9.02, Darran Gardner,
„Secret weapons aims for Europe“
[5] Washington Technology, 7.2.00, Cindy O’Hara,
„Firms Reel In Talent Through Acquisitions“
[6] vgl. Covert Action Quarterly # 59, Winter
1996/1997, John Dillon, „Networking with Spooks“
[7] www.harvardwatch.org,
31.1.02, ‚Trading Truth: A Report on Harvard’s Enron Entanglements’ und folgende
Berichte. Ein Überblick zu DynCorp findet sich in Correos 131, September 2002,
Dieter Drüssel, „Marktplatz der Macht“
[8] U.S. Environmental Protection Agency, Federal
Register Environmental Documents, 27.8.1997: „Science Application International
Corporation and DynCorp Inc.; Transfer of Data“
[9] SAIC, 21.11.1998, „SAIC Wins EPA’S MOSES
Contract“. Booz Allen Hamilton, ihrerseits eng mit der CIA liiert,
bezeichnet sich als Consultingunternehmen für Strategie und Technologie. Am
WEF-Regionalgipfel in Lateinamerika von November 02 gab Booz Allen die
Stossrichtung mit vor, dass die Multis nun auch Kernbereiche der
lateinamerikanischen Staaten direkt mit verwalten sollten: Justizreform,
Wahlsysteme etc. Vgl. „Auf der internationalen Geisterbahn des WEF“ in der Mobilisierungszeitung
des Oltner Bündnis, Januar 03
[10] NetworkWorldFusion, 24.5.01, Carolyn Duffy
Marsan, „SAIC snares Army’s massive net management system“
[11] Washington Technology, 13.6.01, Gail Repsher
Emery, „SAIC wins Part of FBI Trilogy Project“
[12] Washington Post, 31.1.03, „FBI activates
Trilogy network“
[13] Fast täglich sind
Berichte zu SAIC über die Suchfunktion
etwa von Hoover’s Online zu finden (www.hoovers.com)
[14] Federal Information & News Dispatch,
Department of Defense, 7.2.03, „Defense Science Board“