(zas, 24.8.19) Der Frente de Pueblos en Defensa de al Tierra
y el Agua (FPDTA), der den Kampf gegen das Projekt Gaskraftwerk im Gliedstaat Morelos (Proyecto Integral
Morelos, PIM), veröffentlichte am 20. August 2019 ein Communiqué unter dem
Titel: «A
6 meses del asesinato de Samir, abajo lo
reconocen, arriba lo desprecian» (6 Monate nach dem Mord an Samir: Unten
anerkennen sie ihn, oben verachten sie ihn). Siehe dazu: «Mexiko:
EZLN gestärkt, Ungewissheiten bleiben». Darin schreibt die Organisation:
Zapatistische Schwestern und Brüder, wir sind sehr zufrieden und froh, dass Widerstand und Autonomie in den zapatistischen Territorien wachsen, und wir wollen euch sagen, dass ihr für unser Volk eine Orientierung seid. Wir danken euch speziell für eure Anerkennung unseres Bruders Samir in diesem so wichtigen Prozess der Ausweitung des rebellischen Territoriums und dass ihr dieser Arbeit von 15 Jahren den Kampagnennamen ‘Samir Flores Vive’ gebt.
Aber unsere Freude wird zur Empörung, wenn wir die Worte des Präsidenten der Republik hören, wonach der Tod unseres Bruders ‘nichts mit der Regierung zu tun hat’. Und wie war das, dass er nicht hören wollte, als wir ihn ein paar Wochen vorher in Bezug auf die schwierige, durch den PIM verursachte Situation aufmerksam machten, dass er Acht gebe, nicht mehr Gewalt zu erzeugen? Er hat uns ignoriert und mit seinen Beleidigungen in Cuautla im Gegenteil das Feuer entfacht, als er die Consulta inmitten des Aufschreis des Volkes ‘So nicht!’ ankündigte.
Wie erlaubt sich heute López Obrador Samir ‘Compañero’ zu nennen, nachdem er ihn gestern ‘erzkonservativen Linksradikalen’ tituliert hat? Wenn er seinen Tod weiter verachtet und geringschätzt? Wenn er als oberster Befehlshaber nicht den kleinen Finger für die Aufklärung seiner Ermordung rührt und den Fall weiter in den Händen der Staatsanwaltschaft von Morelos belässt, einer Staatsanwaltschaft, die sich dazu verstieg zu sagen, dass ihr das Budget für die Untersuchung so vieler Morde in Morelos fehle, und sie sich deshalb nur dazu verpflichte, den Mord an Samir und zwei weitere Fälle zu untersuchen? Und die auch das nicht macht.
Wir wollen wissen, Herr Präsident, was Sie meinen, wenn Sie sagen, dass wir verantwortlich wären, falls das Proyecto Integral Morelos zu Schrott würde? Ist das eine Drohung, was uns erwartet, wenn wir auf dem Weg der Würde und Gerechtigkeit für unsere Völker weitergehen? Wir wollen keine Drohungen, wir wollen einen Dialog und warten auf eine Antwort auf unsere Einladung zu einem Treffen in Huesca [Standort des Heizkraftwerks].
Wir erinnern daran, dass Sie an die Macht kamen, weil das Volk von Mexiko genug hat von Ungerechtigkeit und Vorzugsbehandlung für die Reichen auf Kosten der Armen. Deshalb kamen Sie an die Macht, weil Sie den Völkern Gerechtigkeit versprochen haben, als Sie 2014 sagten: ‘Wir wollen diese Gaspipeline nicht, wir wollen dieses Heizkraftwerk nicht, und auch nicht die Minen’.»
Nehmen Sie Ihre Verantwortung als höchster Befehlshaber wahr und befehlen Sie, dass die nationale Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren an sich zieht! Ordnen Sie die Schaffung einer Wahrheitskommission über den gesellschaftlichen Impakt des PIM an! Bestrafen Sie die Unternehmen, die uns einsperrten, folterten und die Dörfer spalteten; nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und annullieren Sie den Vertrag mit den spanischen Unternehmen Elecnor und Enagas, die ohne weitere Vorkehrungen in einer Zone mit vulkanischem Risiko eine Gaspipeline bauten.
Soweit aus
dem Communiqué des Frente de Pueblos. Es ist klar, dass die Leute sich
von AMLO verarscht fühlen; vermutlich gab es Kontakte, Äusserungen, die sie auf
eine andere Entwicklung hoffen liessen.
Gestern veröffentlichte amerika21 einen Artikel
zum Thema der von den beiden Autoren als «bedeutend»
beschriebenen Ausweitung der zapatistischen Selbstverwaltungszonen. Der Artikel
enthält wertvolle Angaben dazu, insgesamt ergibt sich der klare Eindruck, dass
die zapatistische Bewegung näher «an die Front» gerückt ist. Vor dem Hintergrund
des Streits um das PIM und der Ermordung von Samir Flores, schreiben die
Autoren:
Dass der mexikanische Präsident die Ausweitung der zapatistischen Einflusszone am Montag willkommen hieß, weil es ‘dem Wohl der Dörfer und Menschen’ diene, dürfte ihm vor diesem Hintergrund von vielen als Doppelzüngigkeit ausgelegt werden.
Gestern schrieb der
angesehene frühere EZLN-Berater Gilberto López y Rivas in La Jornada als
Antwort auf AMLOs Behauptung, die gegen das PIM demonstrierenden Linksradikalen
seien in Wirklichkeit «Konservative» (s. «Mexiko: EZLN gestärkt, Ungewissheiten
bleiben»):
Das EZLN und der Congreso Nacional Indígena haben es wiederholt gesagt: Die laufenden Megaprojekte – der sogenannte Tren Maya; der Trockenkanal im Isthmus von Tehuantepec (mit seinen Schienen für Containerzüge, Industriekorridoren, touristischen und Immobilienprojekten inklusive der sicheren mörderischen Schädigung von Ethnien und Umwelt); das Proyecto Integral Morelos (mit der Eröffnung obsoleter Heizkraftwerke und Gaspipelines, mit dem Brandzeichen des Todes von Samir Flores und der Kriminalisierung der Oppositionellen); der neue hauptstädtische Flughafen in den Händen der Armee; die weiter gültigen Minenkonzessionen in mindestens einem Drittel des nationalen Territoriums etc. – diese Megaprojekte stellen nicht nur eine Kontinuität der neoliberalen Politik der vergangenen Präsidentschaften dar, sondern gehen noch über das hinaus, was diese Regierungen im Dienst der kapitalistischen Unternehmen durchgesetzt haben.
Noch verheerender, denn:
Der Neoliberalismus charakterisiert sich genau durch sein Trachten nach einem Staat, der als effizienter Vermittlungsmechanismus die Rekolonialisierung der Territorien ermöglicht. In diesem Sinn stellen der Kampf gegen die Korruption und die Verschlankung des Regierungsapparates - wenn auch im nationalen Imaginarium der Empörung über die Straflosigkeit der regierenden Klasse beim Raub des nationalen Reichtums immer positiv besetzt – paradoxerweise einen» Wettbewerbsvorteil für Mexiko dar.
Dieser Tage wird die Amazonía niedergebrannt (und die
Schweiz sichert sich wie die EU mit einem Freihandelsvertrag mit den
Brandstiftern des Mercosur noch schnell ihre Gewinnbeteiligung).
Es braucht wohl kein weiteres Argument, um die Kampfinhalte der gegen die
Zerstörung kämpfenden indigenen Comunidades weltweit als eigene anzuerkennen. Tatsächlich
haben und hatten die progressiven Regierungen Lateinamerikas eine diesbezügliche
Bringschuld, eine der grössten Schwächen des Aufbruchs zu Beginn dieses
Jahrhunderts. Und doch irritiert die scheinbar klare Feindortung à la EZ. Wir ersehen
daraus: Der Feind heute heisst AMLO. In all diesen Darstellungen verschwimmt
die «traditionelle» Rechte zu einer Beigabe. Leider hält sie sich nicht daran,
sondern orchestriert in Mexiko Destabilisierungskampagnen gegen die AMLO-Regierung,
trotz ihrer namhaften Vertretung darin. Man kann das routiniert als Zank um den
Zugang zu den Trögen abtun. Aber vielleicht lehrt die Entwicklungen in
Brasilien, in Argentinien, in Ecuador etc. doch etwas anderes? Sollen darauf
keine Lehren gezogen werden?
Das wäre Aufgabe genau jener Kräfte, die in Mexiko gegen Modernisierungoffensiven
antreten. Statt sich über «Beleidigungen» zu empören, die wie im Fall von Samir
Flores von einem Teil dann gleich als Mordinstruktionen AMLOs ausgegeben werden,
wäre es sinnvoll, sich auch mit dieser «klassischen» Rechten auseinanderzusetzen,
die wie überall versucht, sich in soziale Inhalte zu kleiden. Diese
Auseinandersetzung wird fast durchgängig verweigert. Das ist nicht, wie López y
Rivas schreibt, radikal im Sinn, das Problem an der Wurzel anpackend, sondern
steht für kognitive Dissoziation.
Im Chile der Volksfront gab es linke Mobilisierungen unter
dem Motto: «Allende – asesino!».
Zuvor hatte die linke Organisation MIR, die danach heroisch gegen die Militärdiktatur
kämpfte, eine Zuspitzung der Kämpfe für den Durchbruch zur Revolution forciert.
Sie promovierte die bewaffneten Sowjets in den Industriezonen Santiagos. Die
Rechte und die Sicherheitskräfte, irgendwie nicht ganz passé, unterdrückten die
Ansätze sofort – mit einem oder mehreren Toten auf unserer Seite. Eben: «Allende
– asesino!». Heute noch?