Kolumbien: Geständnis eines ehemaligen Chefs der Paramilitärs

Sonntag, 18. August 2019


Camilo Rengifo Marín*

Mitten in einer der schlimmsten humanitären Krisen Kolumbiens berichtete Jorge Iván Laverde, «El Iguano», ungeschminkt (und reuig?) über seine Aktivität im Norden des Landes. Er leitete den Frente Fronteras der paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) und ist bekannt, weil er Leichen von BäuerInnen in Öfen für die Herstellung von Ziegelsteinen verbrannt hatte.
Laverde ist verantwortlich für mindestens 5000 Ermordete im Departement Norte de Santander. Sein Auftritt am Treffen «Hablemos de Verdad» (Lasst uns von Wahrheit reden) in Cúcuta, das von der deutschen Botschaft in Kolumbien unterstützt wurde, gehörte zu den eindrücklichsten.
Er sagte: «Kein Blatt wurde ohne mein Wissen gewendet. Wir koordinierten unsere Aktionen mit der Polizei und der Armee. Es gab Strassensperren, gemeinsame Patrouillen, sie gaben uns Geheimdienstinformationen. Für niemanden ist es ein Geheimnis, dass wir alles infiltriert hatten: den Geheimdienst DAS, die Staatsanwaltschaft, die Sicherheitskräfte, die Gemeinde- und Departementsregierungen.»
Laverde hatte 13 Jahre in Gefangenschaft verbüsst und bat die Opfer des bewaffneten Konflikts, unter ihnen BäuerInnen im Catatumbo und Angehörige des indigenen Volks der Barí, um Verzeihung.
Er verpflichtete sich zur Nicht-Wiederholung und zur wahrheitsgetreuen Aussage. Die Wahrheit ist schon in über 800 Verfahren erzählt worden, doch das Land kennt sie nicht, weil die Generalstaatsanwaltschaft ihre Veröffentlichung nicht bewilligt.
Er bat auch die Opfer von gewaltsamen Verschwindenlassen um Vergebung, ein Delikt, das er als «das tragischste des bewaffneten Konflikts» bezeichnete. Er erklärte sein Handeln als Folge einer Orientierung in den Ausbildungsschulen. Sie hatten angenommen, dass die Familien das Verschwinden nicht denunzieren würden. Er sagte. «Leider muss man die Sachen bei ihrem Namen nennen, sie waren Zahlen. Es ging darum zu verhindern, dass die Medien die Zahl der Morde in den Gemeinden registrieren würden, und es ging darum, den Sicherheitskräften Probleme zu ersparen.»
«In einer Stadt, in der man an einem einzigen Tag 10, 20 oder sogar 40 Personen exekutiert, bringt das den Kommandanten der legalen Streitkräfte Probleme. Es waren die Sicherheitskräfte, die uns sagten: ‘Lasst sie verschwinden, lasst mir nicht alle diese Leichen, damit das nicht aktenkundig wird’», erläuterte Laverde.

Wer die Paras finanziert hat
Er forderte auch, dass die Zeugnisse von Paramilitärs im Gefängnis gehört werden, die noch nicht einmal ein Verfahren haben konnten. Er erklärte, dass mehrere Ex-Kommandanten ermordet wurden, um zu verheimlichen, wer den Krieg in Norte de Santander, einem strategischem Wirtschaftsgebiet, wie finanziert hatte. «Nachdem wir in das Departement kamen», versicherte er, «unterstützten uns viele Personen. Ja, viele Leute profitierten davon. Wenn die AUC Gebiete eroberten, kamen andere und kauften sie oder bauten Unternehmen darauf. Sie profitierten vom Schmerz und dem Blut der Personen, die gelitten haben. Von Beginn listeten wir die Namen derer auf, die uns, die AUC, finanziert hatten, und wie sie das gemacht hatten. Viehzüchter, Reisanbauer, Minenbetreiber, Händler. Dies wurde alles der Staatsanwaltschaft übergeben», die die Namen und Geständnisse nicht veröffentlicht hat.

Heute Konfliktgebiet
Norte de Santander gehört zu den Departementen, die nach den Friedensabkommen nicht eine Minute Frieden gehabt hatten. Während der heftigsten Konfliktphase (1999 – 2006) wies diese Grenzregion mit Venezuela die höchsten Zahlen von Morden, Vertreibungen und Massakern auf, die auf den Einmarsch und die Konsolidierung der paramilitärischen Gruppen zurückgingen. Den Krieg lebte man in den Vierteln von Cúcuta, in der Grenzregion und vor allem im Catatumbo-Gebiet. Zwischen 1999 und 2002 gab es mehr als 60'000 Vertriebene, ungefähr 300 Opfer von Antipersonen-Minen und 2002 allein im Catatumbo 877 Morde. In den folgenden Jahren gingen die Zahlen zurück, zum Teil wegen der Konsolidierung der Paras und später ihrer Demobilisierung.
Heute streiten sich inmitten der venezolanischen Migrationskrise rund 30 Gruppen und mit dem Drogenhandel, dem Schmuggel, dem Menschenhandel und dem illegalen Verkauf von Treibstoffen verbandelte kriminelle Gruppen um das Gebiet, das die FARC nach Friedensschluss aufgegeben haben.
«Der Krieg war ein schlimmer Fehler, eine entsetzliche Nacht. Für uns ist das extrem beschämend. Zum Gewehr greifen und anderen Bauern, die das Land bearbeiten, Schaden zuzufügen, ist beschämend. Seit 13 Jahren bin ich im (Wiedereingliederungs-) Programm Justicia y Paz, den Opfern gegenüberzustehen und versuchen, etwas zu erklären, das keine Erklärung hat, ist schwer. Ich weiss nur, dass das nie hätte geschehen dürfen», sagte der ehemalige Parachef. Am Schluss berichtete er am Treffen in Cúcuta von einem Fall der Vergebung: «Eine Mutter sagte mir, sie vergebe mir, dass ich ihr ihren Mann und ihren Sohn weggenommen habe. Sie erzählte mir auch, was nach jenem Einfall geschehen war. Die Comunidad bekam Angst, ihr zu helfen. Und so schleppte diese Frau ihren Sohn auf den Schultern einen Kilometer bis zu einem Weg. Danach kehrte sie für ihren Gatten zurück. So brachte sie sie zu dem Weg, an dem sie wohnte, um ihnen ein christliches Begräbnis zu geben.»
Die Mutter bat den Ex-Para, als sie sah, wie er litt, um eine Umarmung, die ihr helfe, ihm zu verzeihen. «Das hat mich gezeichnet.» Seither sagt er, dass die einzige Möglichkeit für eine Versöhnung darin bestehe, die Wahrheit zu erzählen, jene Wahrheit, die die Regierung von Präsident Iván Duque versucht zu unterdrücken.
·         estrategia.la, 16.8.19: Exjefe paramilitar colombiano relata masacres y acusa a quienes las financiaron para beneficiarse. Der Autor ist kolumbianischer Ökonom und Akademiker.
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Kontinuität des Mordens, Kontinuität des Lügens
(zas, 17.8.19) Am 15. hatte die Zeitung El Espectador das Treffen in Cúcuta organisiert. Sie zitierte danach u. a. diese Aussage Laverdes: «Wir nahmen Personen fest, richteten sie hin und beerdigten sie in Massengräbern. Bei einer Gelegenheit sagten uns Mitglieder der Staatsanwaltschaft, eine Kommission komme, um die Leichen auszugraben, und das werde einen Skandal geben. Da beschlossen wir, sie in den Ziegelsteinöfen zu verbrennen und den Ziegelsteinen beizumischen.»
Cúcuta, die Parastadt, war der Ort, wo die USA und ihre lateinamerikanische Seilschaft letzten Februar das widerliche Spektakel der «humanitären Hilfe» nach Venezuela zu inszenieren versuchten, inklusive Open-Air-Konzerte einer Reihe von Grössen aus dem Musikbusiness. Und Cúcuta ist die Stadt, wo jetzt Bürgermeisterwahlen anstehen. El Espectador bringt auch einen Video, in dem Laverde bestätigt, dass zwei der aktuellen Kandidaten seine Truppe mitfinanzierten. Der eine, der das Unternehmen El Palustre vertritt, kandidiert für die Partei Centro Democrático, die den aktuellen Präsidenten stellt, einen Laufburschen des faschistischen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe. Der andere vertritt ein anderes Unternehmen. Beide Kandidaten und ihre Unternehmen waren offen in die Para-Finanzierung involviert.
Was Laverde sagt, ist bei weitem nicht das erste Geständnis dieser Art von Para-Seite. Das wird an der Mainstream-Darstellung des von den USA geleiteten Massenmordes im Zeichen des Plan Colombia nichts ändern. Diese Version ist simpel: Die FARC verkörperten das Böse, den Drogenhandel, die Unmenschlichkeit, aber auch die Paras waren keine Chorknaben. Doch unbeirrt von diesen Polen steuerte die Regierung unter Anleitung der internationalen Gemeinschaft einen Kurs für jährlich mehr Demokratie, Respekt der Menschenrechte und Wirtschaftsaufschwung. Vor allem dies: Mit den Paras hatten abgesehen von bedauerlichen Einzelfällen die Sicherheitskräfte nichts zu tun, und schon gar nicht die wirtschaftlichen Wohltäter der Bevölkerung, das trans/nationale Kapital.
Praktisch täglich werden heute AktivistInnen von sozialen Bewegungen, ermordet, zusammen mit demobilisierten FARC-Guerillas oder deren Angehörigen. Fast nie  ein Wort Wahrheit dazu (und wenn in homöopathischer Dosierung): Wieder streiten sich irgendwelche Kriminelle um die Drogenbeute, und die Regierung kämpft dagegen mit internationaler Hilfe. (Und sowieso ist Venezuela schuld.) Die mainstream-mediale Mordakklamation geht gut geölt weiter.
Laverde links. Zum Video: