(zas, 19.8.19) Am 17. August verlas Subcomandante Moises
(Marcos) eine Erklärung
des EZLN über ein beträchtliches Wachstum der autonomen zapatistischen
Gemeinden über ihre bisherigen «klassischen» Zonen hinaus. Während drei Jahren haben, so die
Erklärung, sowohl das EZLN wie der pro-zapatistischen Consejo Nacional Indígena
(CNI) diese «Offensive» im Stillen betrieben
und dabei die Überwachungsmechanismen der vergangenen Regierung des PRI wie
auch der jetzigen von AMLO überlistet. Wichtig dafür sei auch die Schaffung des
vom CNI lancierten Consejo Indígena de
Gobierno (CIG, Indigener Regierungsrat) gewesen. Damit
«und mit der Ernennung zur CIG-Sprecherin von Marichuy hat der CNI sich der Aufgabe gestellt, die Botschaft des Alarms und der Organisation den Brüdern und Schwestern auf dem Land und in der Stadt zu vermitteln.»
(Marichuy hatte
bei den letzten Präsidentschaftswahlen kandidiert.)
Marcos sagte weiter:
«Der Antritt einer neuen Regierung hat uns nicht in die Irre geführt. Wir wissen, dass der Herrschsüchtige kein Vaterland jenseits des Geldes kennt und in der Welt und der Mehrheit der Fincas, die ‘Länder’ genannt werden, dominiert … Wir wussten und wissen, dass unsere Freiheit nur unser Werk sein kann, jenes der Urvölker. Mit dem neuen Vorarbeiter in Mexiko gingen auch Verfolgung und Tod weiter. Binnen weniger Monate wurden zehn Compañeros des CNI-CIG, soziale Kämpfer, ermordet. Unter ihnen auch ein von den zapatistischen Völkern sehr geschätzter Bruder: Samir Flores Soberanes, hingerichtet, nachdem er vom Vorarbeiter genannt worden ist. Ein Vorarbeiter, der zudem die neoliberalen Megaprojekte weiterführt, die ganze Dörfer verschwinden lassen, die Natur zerstören und das Blut der Urvölker in Profite für das Grosskapital verwandeln.»
«Wir haben die
Umzingelung durchbrochen»
«Wir sind raus gegangen, ohne um Erlaubnis zu bitten. (…) Wir gingen auf Wegen und Routen, die keine Landkarten und keine Satelliten verzeichnen, die sich nur im Denken unserer Ältesten befinden (…) Draussen trafen wir auf Unterkunft, Ernährung, Gehör und Wort. Wir verstanden uns, wie das nur die tun, die nicht nur den Schmerz, sondern auch die Geschichte, die Empörung, die Rebellion teilen. Wir verstanden so nicht nur, dass Umzingelung und Mauern dem Tod dienen, sondern auch, dass der Ankauf/Verkauf der Regierungen von Überzeugungen stets unnützer wird. (…) So gingen wir hinaus. Von weitem sahen wir den Rücken des Herrschsüchtigen mit seinen Guardias Nacionales, Soldaten, Polizeien, Projekten, Hilfen und Lügen. «
Und, führte der Zapatistas-Sprecher weiter aus, jetzt ist
die Zeit der Information und Rechenschaftsablegung gegenüber den Urvölkern
gekommen, wie sich die politische Organisationsarbeit in neuen zapatistschen
Selbstverwaltungsgebieten niedergeschlagen hat, die einzeln aufgeführt werden. In
den nächsten Tagen will das EZLN Details zur Organisierung mehrerer nationaler
und internationaler Treffen etwa zur Frage «Verteidigung
des Territoriums und der Mutter Erde» oder zum Bereich von Kultur, Wissenschaft
und Leben bekanntgeben. Auch international wird eine Intensivierung des Kampfes
(«ohne zu hegemonisieren») angegangen.
Die Erklärung richtet sich explizit auch an LGBTI-Kollektive.
Bei der Verlesung des Communiqués. Bild: La Jornada. |
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Soweit zur Erklärung. Den «Vorarbeiter» - also AMLO – macht das
EZLN wie zuvor Umwelt- und indigene Gruppen direkt für die Ermordung des
indigenen Aktivisten Samir Flores verantwortlich. Er war engagiert gegen das Projekt
eines Heizkraftwerks mit Schwerpunkt im Gliedstaat Morelos, aber Verästelungen
nach Puebela und Tlaxcala hinein. Er wurde am 20. Februar dieses Jahres beim
Verlassen seines Hauses in Cuautla (Morelos) von bis heute nicht dingfest
gemachten Tätern niedergeschossen. Die untersuchende Staatsanwaltschaft von
Morelos gab zuerst bekannt, der Mord stehe nicht im Zusammenhang mit dem
Widerstand gegen das Stromprojekt, die dabei benutzte Technik deute vielmehr auf
«kriminelle Strukturen» (man verstehe: Abrechnung unter Narcos o. ä.) Später
musste sie das zurücknehmen, gab dafür aber an, ein Untersuchungs-«Beweisstück»
sei verloren gegangen. Trotz aller Forderungen, dass die nationale
Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren an sich ziehe, sei diese aber untätig
geblieben, wie der Frente de Pueblos (FPDTAA) , dessen Aktivist Samir Flores
war, zwei Monate nach dem Mord denunzierte.
Umstrittene Consulta
Das Stromwerkprojekt hat AMLO von der Vorgängerregierung
übernommen. Zwar machte seine Administration offenbar einige Konzessionen, doch
im Wesentlichen hielt sie am Projekt fest. AMLO hatte Anfang Februar in Cuautla
(Morelos), wo Flores danach am 20. April umgebracht wurde, für den 24. und 25.
Februar eine konsultative Abstimmung in den betroffenen Gemeinden der drei Gliedstaaten
anberaumt, deren Ausgang bindend sein würde. Das Resultat der Consulta
erbrachte 60 % Zustimmung und 40 % Ablehnung. Im hauptsächlich betroffenen Osten
Morelos kam es zu aktivem Widerstand gegen die Abstimmung (Verbrennung von
Urnen u. a.); insgesamt verkaufte eine Regierungssprecherin aber das Ganze in
inhaltsleerem Smarttalk als guten Lernerfolg. Tatsache ist, dass dort, wo die
Anlage dereinst stehen soll, das «Nein» überwog. Oppositionsgruppen, die sich
im Gegensatz zum Frente de Pueblos an der Abstimmung beteiligt hatten, kündigten
an, das Resultat anzufechten, u.a. wegen ungenügender Informiertheit der
Abstimmenden. Der Frente de Pueblos, der den Boykott/die Sabotage der
Abstimmung organisiert hatte, gab bekannt, auf jeden Fall den Bau des
Kraftwerkes zu verhindern.
Einige der gegen das Projekt ankämpfenden Organisationen wie
die bäuerische Bewegung CNPA wiesen
die angekündigte Abstimmung als «rassistisch» zurück, offenbar mit dem
Argument, dass nicht-indigene Gemeinden beschliessen sollten, ob indigenen
Comunidades Land enteignet werden soll.
Widersprüche hüben
und drüben
Dass AMLO in Cuautla Samir Flores genannt haben soll, dürfte
nicht stimmen, ohnehin nicht, dass er ihn zum Abschuss freigeben wollte. In Artikeln
zu seiner Rede, auch in solchen mit Anti-AMLO-Bewegungsbackground, stand davon bis
nach dem Mord nichts. AMLO richtete sich in Cuautla so an eine Gruppe gegen
sein Projekt Protestierender: «Hört, ihr
Linksradikalen, für mich seid ihr bloss Konservative. Wenn wir das Heizkraftwerk
des staatlichen Stromwerkes CFE nicht gebrauchten, müssten wir den Strom weiter
bei ausländischen Unternehmen einkaufen, statt ihn für ganz Morelos zu haben.»
Möglicherweise war der ermordete Compañero tatsächlich unter
den DemonstrantInnen, die AMLO als «Konservative» kritisierte. Doch darauf dann
die Falschdarstellung der namentlichen Nennung von Flores durch AMLO zu begründen,
ist manipulativ. Es passt dafür in den EZLN-Diskurs von von AMLO als dem
grössten Unheil, das Mexiko zustossen konnte. Es dient aber nicht der Klärung
der Fronten, die wohl dringend ist.
AMLO ist vom ersten Tag seiner Regierung mit einem Kabinett
angetreten, dessen einer Teil der kapitalistischen Horrorshow entsprungen ist.
In Bezug auf die Migrationspolitik ist klar, dass die mexikanische Regierung
sich von Washington zu massiver Repression hat erpressen lassen (tausende von
Guardias an der Grenze mit Guatemala, deren Einsatz gegen die MigrantInnen
definitiv nicht mit Ausflüchten zu «erklären» ist). Mag sein, dass jede
mexikanische Regierung gegen die Erpressung mit den Zöllen auf mexikanischen
Exporten keine andere Möglichkeit gehabt hätte, als sich zu unterwerfen. (Die
oft gezogene Schlussfolgerung, dass sie dann eh nichts nütze und nur der
Revolution im Wege stehe, wird damit nicht richtiger.) Kann auch sein, dass das
Zusammentreffen der urplötzlich das Bild beherrschenden Karawanen aus
Zentralamerika mit der Regierungsübernahme von AMLO kein Zufall war. (Nach allem,
was wir wissen, sind diese Karawanen nicht Ergebnis einer Basisinitiative. Sie widerspiegeln
aber die Lebensbedingungen der Leute, deren Recht auf eine bessere Zukunft
anderswo auch in den Amerikas brutal unterdrückt wird.) All das ändert nichts
an der Kapitulation der Regierung von López Obrador in dieser Sache.
Die berüchtigten Megaprojekte, zu denen auch das Heizkraftwerk
gehört, gegen das Samir Flores gekämpft hat, bedürfen tatsächlich einer anderen
Darlegung als der der Regierung. Beispiel: der Tren Maya. In verschiedenen Staaten des Südwestens Mexikos soll eine
Zuglinie den TouristInnen eine bequeme Rundreise zu verschiedenen grossen
Ruinenzentren ermöglichen. Die Zapatistas gehören zu den entschiedenen
GegnerInnen dieses Vorhabens. Am 7. August bekräftigte
AMLO an einer Pressekonferenz erneut: «Wir
werden mit grosser Umsicht vorgehen, wir wollen überzeugen, nicht
aufzwingen. Wir sehen die Zapatistas
nicht als Gegner, geschweige denn als Feinde. Wir denken, ihnen fehlen einige
Informationen.» AMLO’s Aussage, die Zugstrecke von insgesamt 1300 km führe
nur über 100 km durch Gebiet in Chiapas, irritiert. Glühender Lokalpatriotismus
ist definitiv nicht Triebkraft des EZLN. Wenn wahr, ist diese Versicherung AMLO’s
spannender: «Es geht nicht darum, Bäume
zu fällen, etwas zu zerstören (...) Wo ist der Schaden, wenn die Gleise schon
seit 70 Jahren existieren? Klar, ginge es um eine (Weiterführung der) Zuglinie
von Palenque nach San Cristóbal, dann - ja.»
Die Gleise gibt es seit 70 Jahren, aber die Züge fahren seit
vielen Jahren nicht mehr. Wer lebt heute dort, was bedeutet eine Instandsetzungsarbeit
für diese Leute? Es wäre schön, aber wohl nicht zu haben, dass zapatistische Kreise
dies ausführen. Wichtiger scheint die umfassende Feindeserklärung. Eine gewisse
Unsicherheit kommt hoch: Hat AMLO den danach Ermordeten namentlich denunziert?
No, aber es passt ins Schema, also hat er es gemacht. Andererseits: Seit Jahrzehnten
kämpfen bäuerische, indigene und andere Gruppen unter grossen Opfern gegen die
Megaprojekte, riesige Infrastrukturvorhaben für eine «modernisierte Entwicklung».
Wenn jetzt im o. e. Fall des Heizkraftwerks bekannt wird, dass nicht das Wasser
eines lokalen Flusses für die Kühlung der Generatoren benutzt werden soll,
sondern nach Alternativen wie Ventilatoren gesucht wird, ist das sicher
positiv. Aber das ändert beispielsweise nichts daran, dass das Kraftwerk selber
sowie die Gaspipeline im Gefährdungsbereich des Vulkans Popocatépeti liegen ...
Und beantwortet auch nicht die Frage bzw. Versicherung, dass indigene
Comunidades vertrieben werden sollen.
Ob AMLO und Linke in seiner Regierung faktisch schon die
Waffen gestreckt haben, müssen die Bewegungen in Mexiko klarkriegen. Oder ob
immer noch Räume für emanzipatorische Kräfte offen sind. Was wir in der Ferne
mitbekommen, ist weniger Diagnose als Propaganda.