(zas, 18.1.20) Niemand behaupte, der De-facto-Regierung in
Bolivien gehe es nicht um Befreiung. Im Gegenteil: Schon Anfang Dezember waren
die Regimemedien voll von Meldungen über eine anstehende «Befreiung» des
Exports. Davon seien «alle, absolut alle»
Waren betroffen, liess damals Wilfredo Rojo, De-facto-Minister für die Produktion, verlauten.
Denn, so wusste der Mann, die Exportwirtschaft «dynamisiert die interne Nachfrage und verschafft uns längerfristige
Multiplikatoren».
Wussten sie schon früher, Z. B. in Argentinien, als die
Macri-Regierung die Agrarexporte «liberalisierte». Das würde unfehlbar
ausländische Investitionen und damit Wohlstand für alle anziehen. Nun, statt Investitionen
gaben es eine Riesenverschuldung beim IWF. Ein Detail, unwichtig. Ganz auf
Linie verkündete
Rojo am 30. November: «Wir werden die
(Exporte) befreien, so dass wir bis Ende 2020 für mindestens $ 400 Millionen
bis $ 500 Millionen mehr nicht-traditionelle Güter exportieren werden.» (Das
freut die Agraroligarchie von Santa Cruz.)
Am letzten 13. Januar meldete die bolivianische Presse Fortschritt
in der Sache. Die Unternehmerorganisationen aus Santa Cruz und die De-facto-Regierung
gaben in Santa Cruz an einer Pressekonferenz eine Exportübereinkunft bekannt,
die Anfang Februar per Präsidialdekret der «Übergangsregierung» in Kraft treten
soll. Der Minister für Agrarentwicklung, Mauricio Ordoñez, erklärte
dabei: «Wir können allen Produzenten des
Landes sagen, dass wir auf Forderung von vielen Jahren eingehen.» Wie das
geht, machte
schon letzten Dezember ein Chef eines Zuckerohrwerkes deutlich: «Mit dem Minister (Wilfredo Rojo) fiel der Entscheid
(für den Zuckerexport) nach 40 Minuten, und so muss eine Regierung sein, sie
soll die Sache erleichtern.»
Das sehen auch die an der Übereinkunft von Santa Cruz beteiligten
Organisationen so: Die Export- und Investitionskammer von Santa Cruz (Cadex),
die Landwirtschaftskammer des Ostens (Santa Cruz) etc. Vorbei die schrecklichen
Zeiten, als unter Evo Morales, der Agrarproduktion (bis hin zu Gentechsaaten) und
Export zwar förderte, aber nicht ausreichend, die Exporte von Gesetz her
beschränkt blieben, um den internen Konsum zu garantieren. Welch Unvestand! Wo
doch alle Welt weiss: Exporterlöse bewirken über trickle down allgemeinen Wohlstand und damit Nachfrage nach
importierten Esswaren.
Rojo, der De-facto-Minister, hatte sozusagen mit sich selbst
verhandelt. Er hatte früher die Exportkammer von Santa Cruz, die Industrie- und
Handelskammer von Santa Cruz und die nationale Exportkammer präsidiert.
Eine solche Wirtschaftspolitik braucht eine entsprechende
Sicherheitspolitik. Das De-facto-Regime mobilisiert seit vorgestern die Armee
zum landesweiten Grosseinsatz, angeblich bis zum 24. Januar. Am 22. Januar hätte
die Amtszeit von Präsident Evo Morales geendet. Die sozialen Bewegungen forderten
deshalb die «Übergangsregierung» auf, an diesem Tag zurückzutreten. Denn deren Aufgabe
hätte, wenn überhaupt, einzig in der Organisation von Neuwahlen binnen dreier
Monate bestanden (und nicht in umfassenden Konterreformen, Massakern oder der Rückkehr
der USA und der Bibel in den Regierungssitz).
Für den 22. Januar hatten die
Bewegungen deshalb zu grossen friedlichen Demonstrationen aufgerufen. Aufruhr,
Terrorismus! Zur Beruhigung seines Lagers schickte das De-facto-Regime deshalb
seine Streitkräfte auf die Strassen. Im Chapare, dem Gebiet der Cocaleros,
deren einer Evo Morales ist, veranstalten die Streitkräfte seit gestern Fallschirm-«Übungen»
und «Manöver» der Territorialkontrolle. Und siehe, eine Spezialeinheit der
Sicherheitskräfte «fand» daselbst gestern 16 Kokainlabors.
Der Terror kommt wenig überraschend als Antidrogenkrieg daher.
Sowie der Versuch der Liquidierung des gegnerischen Lagers derzeit primär per Einknastung
von immer mehr ExponentInnen der gestürzten Regierung unter dem Banner der Korruptionsbekämpfung
erfolgt. Heute kam die Nachricht, die USA wollten helfen, die für Mai
angesagten Wahlen zu organisieren. Und zwar, wie der neue Präsident der
Wahlbehörde, Salvador Romero, ein Intimus des gegen Evo Morales unterlegenen
Rechtskandidaten Carlos Mesa, gestern erklärte:
«… direkt, über die Unterstützung
verschiedener Stiftungen oder internationaler Organisationen».
Der massive aktuelle Armeeeinsatz kann, je nach Entwicklung, wie
im Dezember Massaker ankünden oder die Bewegungen erfolgreich einschüchtern. Im
Chapare soll gestern nach Medienberichten eine wichtige Polizeistation zerstört
worden sein. Definitiv eingeschüchtert scheinen also nicht alle zu sein. Andererseits
schälen sich im gestürzten Regierungslager immer deutlicher Spaltungstendenzen
heraus. So forderten die sozialen Bewegungen gerade wieder an einem nationalen
Treffen den Abgang von Áñez und Co. am 22. Januar (Interimspräsidentin soll die
Vorsitzende des Obersten Gerichts werden). Gleichzeitig segnet das Parlament
(in dem die MAS-Fraktion eine deutliche Mehrheit hat) das Áñez-Dekret ab, das
dem De-facto-Regime die Ausübung ihrer Funktionen bis im Juli gewährt.
Für weitere Angaben zum aktuellen Armeeeinsatz s. Putsch-Regierung
in Bolivien schickt wieder Militär auf die Straße auf amerika21. Einen
Eindruck vermitteln auch die Szenen im Video von vorgestern aus La Paz: https://youtu.be/NlOaOujUa0I