Bolivien: Von Wilden, Satanischem, finsteren Schutzmächten - und neuer Putschsolidarität

Mittwoch, 8. Januar 2020


(zas, 8.1.20) ) Neun hohe ExponentInnen der gestürzten Regierung von Evo Morales haben in der mexikanischen Botschaft Zuflucht gefunden und vom mexikanischen Präsidenten AMLO Asyl, von der De-facto-Regierung aber keine Ausreisebewilligung erhalten. Die Putschkräfte vergrösserten trotz mehrmaligen Protests der mexikanischen Regierung ihr schwer bewaffnetes Belagerungsdispositiv um die Botschaft inklusive Einsatz von Überwachungsdrohnen, um, so begründen sie den klaren Bruch der Wiener Konvention, jegliche Unterstützung für weiteren Aufruhr zu unterbinden. Zum Éclat kam es anlässlich eines Besuchs der spanischen Geschäftsträgerin in der Botschaft.  Als am 24. Dezember Mitglieder des Sicherheitspersonals von der spanischen Polizeieinheit Geo die Geschäftsträgerin wieder abholen wollten, wurden sie unter dem Vorwand festgenommen, möglicherweise Teil einer Operation zur Flucht der in die Botschaft Geflüchteten zu sein. Am 30. Dezember verwies die De-facto-Regierung die mexikanische Botschafterin, die Geschäftsführerin und den Konsul Spaniens sowie die GEO-Angehörigen des Landes. Diese Gruppe habe, so die Putschpräsidentin Áñez, «die Souveränität und Würde des bolivianischen Volkes und seiner verfassungsmässigen Regierung schwer verletzt». Spanien und anschliessend die EU-BotschafterInnen in Bolivien hatten zuvor die absurde Version von der Fluchthilfe zurückgewiesen. Die Ausweisung ihres Personals bezeichnete die spanische Regierung als «feindlich».

Eine heisse Spur
Am 3. Januar d. J. der nächste Streich. De-facto-Innenminister Murillo wies die Staatsanwaltschaft an, den ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero, die Podemos-Chefs Pablo Iglesias und Íñigo Errejón sowie Baltasar Garzón als Zeugen zum Thema Finanzierung spanischer Parteien durch Evo Morales vorzuladen. Auf die heisse Spur kam Murillo dank eines Besuchs eines Euro- und eines nationalen Abgeordneten von Vox und aufgrund schwerwiegender Indizien. Garzón, früher berüchtigt als Untersuchungsrichter im spanischen Polittribunal Audiencia Nacional wegen seiner Komplizenschaft mit der Anti-ETA-Todesschwadron GAL , danach bekannt u. a. wegen der Inhaftierung Pinochets in London, ist Mitglied des Verteidigungskollektivs von Evo Morales. Und «Iglesias, Leader von Podemos, war in Bolivien», wie uns La Razón bedeutungsschwanger mitteilt. Murillo teilte mit: «Seit dem Besuch der spanischen Abgeordneten sind wir sehr besorgt, denn der Informationsaustausch förderte klare Belege für die Finanzierung ausländischer Parteien durch die Regierung von Evo Morales zutage.» Vorgestern fasste La Razón Murillo noch so zusammen: «Die vier Namen [der Vorgeladenen] tauchen wiederholt im Informationsaustausch auf».

AMLO – ein Mörderchen
Auch der mexikanische Präsident López Obrador (AMLO) bekommt sein Fett ab. «Tuto» Quiroga, ehemaliger Präsident Boliviens, heute offiziell internationaler Delegierter des Putschregimes, attackierte AMLO am 26. Dezember, nach der «Botschaftsaffaire», in doch unüblichem Ton. «Antworte, López Obrador! Warum hast du erlaubt, dass Mexiko benutzt wird, um Gewalt in Bolivien anzustiften?» Quiroga hatte eine weitere «Frage an dich, feiges Mörderchen, warum hilfst du dem Drogenhandel, wo Mexiko diesen doch erleidet?» Und Servilität mag der in Lateinamerika seit Jahren als Instrument Washingtons bekannte Putschist gar nicht leiden: «Es ist Zeit für Klartext: Sie haben sich dafür entschieden, der Pate lateinamerikanischer Tyrannen zu sein, und Sie sind ein feiges Mörderchen, das vor Trump niederkniet» (im Zusammenhang mit der der US-diktierten Anti-MigrantInnenpolitik).
Wie kommt das Putschregime dazu, sich mit den Regierungen des NATO-Landes Spanien und Mexikos anzulegen? Zu den nicht verheimlichbaren Impulsen seiner reaktionären Raserei kommt klar die Rückendeckung aus Washington dazu.

Satanisches und «Befreiungstheologie»
Bei solcher Klarheit mag auch Putschaushängeschild Áñez nicht aufs Maul sitzen. Sie, die als Senatorin und brave Jihadistin in Twitter indigene Kosmovisionen der Pachamama als «satanisch» bezeichnet hat (mittlerweile gelöscht), warnte vor wenigen Tagen vor einem «falschen» Resultat der auf Mai angekündigten Wahlen: Die Rechte müsse geeint antreten, «um zu verhindern, dass die Willkürlichen, Gewalttätigen und die Wilden wieder an die Macht gelangen». Sie sagte dies in einer Rede in der Casa de la Libertad in Sucre. Hier wurde, so die Frau, ein Ereignis als Anlass für eine der «grössten Ungerechtigkeiten» genommen. Das Ereignis von Mai 2008: Eine Gruppe halb entkleideter Indigener wurde gezwungen, vor der Casa de la Libertad niederzuknien und um Verzeihung zu bitten. Damals tobte sich anti-indigene Gewalt in einem Sezessionsversuch des Agarkapitals im weissen Ostens aus. Die Ungerechtigkeit: Dass deswegen die an ihrem Anlass anwesenden Bürgermeisterin von Sucre, die Gouverneurin des Departments und weitere Mittäter verurteilt wurden.
Solcher «anti-satanistischer» Religionskampf ist vielleicht auch auch Schweizer «ErbInnen» von sich früher auf die Befreiungstheologie berufenden Organisationen rund um das Romero-Haus in Luzern wie der Voluntärorganisation Comundo/Interteam so fremd nicht zu sein. Bolivien-Leiter Peter Strack von Comundo veröffentlichte etwa in der Dezember-Nummer der deutschen Solizeitschrift ila (die sich zuweilen Fragen nach den «Objekten» ihrer Solidarität gefallen lassen muss, nicht nur in Sachen Bolivien) einen Weisswasch-Artikel zum Putsch, gespickt mit zahlreichen Propagandalügen des Regimes, auf die hier nicht einzugehen ist. Der Nicht-Putsch fand eine «erstaunliche» Lösung: «Nachdem die laut Verfassung (…) zuständige Senatorin Jeanine Áñez erstaunlich schnell zumindest das gesetzliche Vakuum gefüllt und (…) die Präsidentschaft übernommen hatte, erklärte Morales den Volksaufstand zum Putsch.» Mehrere Lügen in einem Satz – soit! An einer Áñez oder einem Murillo finden Figuren wie Strack kaum Gefallen. Aber sie bieten nolens volens», wie wir am Schluss des Artikels belehrt werden, dank eines von ihnen zwangsreformierten MAS,  der «Solidaritätsbewegung die Möglichkeit, libertäre Ideale zu unterstützen, statt den Autoritarismus und die Missachtung der Menschenrechte, die sich zwecks Machterhalt in der MAS-Regierung ausgebreitet hatten».
Zur möglichen Einbettung: In Bolivien haben sich nicht nur die aus den USA stammenden evangelischen Jihadi-Formationen für den Putsch eingesetzt. Auch die Konkurrenz von der katholischen Bischofskonferenz liess und lässt sich in jahrhundertalter Tradition nicht lumpen. Kirchenchef Bergoglio, der in Lateinamerika eine prägnant progressive Weste trägt (wenn es nicht um Dinge wie Geschlechterfragen oder Pädophilie geht), hielt bis heute seinen Mund zum Putsch, trotz zuvor markierter Freundschaft mit Evo Morales. Voluntäreinsatz--Organisationen wurden vor Jahren von der DEZA zunehmend an die «professionelle» Leine genommen. Comundo, Immensee-Mission, Interteam sowie einige grössere NGOs fallen mit Unterstützung für westliche, von der katholischen Hierarchie begleitete Regime-Change-Kräfte in Lateinamerika auf. So befreiungstheologisch wie imperialismuskritisch natürlich. Man muss sich die folgende Aussage Stracks zum Putschkontext im Mund vergehen lassen: «Gewiss, das State Department wird seine Kontakte genutzt haben, so wie Venezuela, Cuba, Russland oder die Europäische Union.» Kontakte? In einem Land, dessen Geschicke lange von der CIA und den von ihr geretteten Nazis samt Nachfolge bestimmt wurden – und in dem das gerade wieder so werden soll. Welch scharfe, engagierte Kritik! Geäussert im Wunsch, «libertären Ideen» zum Durchbruch zu verhelfen. Mitläufer, Pharisäer, hiess das mal.