von María Torrellas*
Schon am Morgen wurde klar, dass dieser Tag für die Frauen
und die Vielfalten der sexuellen Orientierung, aber auch für das ganze
chilenische Volk und die Nation Mapuche, die seit dem 18. Oktober den Abgang
Piñeras fordern, historisch werden würde. Ausgehend von den verschiedenen territorialen
Vollversammlungen, den Armutsquartieren und den Aktivitäten vieler
Selbstmobilisierter entwickelte sich dieser kolossale Ameisenstrom, der sich in
die Strassen von Santiago ergoss, die Mikrobusse und die Metro bestieg und sich
auf den grossen Alamedas ausbreitete. Alle* gingen wir zur Plaza de la Dignidad
(Platz der Würde). In der U-Bahn zeichnete sich das «Ambiente» schon ab, das danach
Realität wurde. An jeder Haltestelle stiegen kompakte Gruppen von Frauen zu,
geschmückt mit dem grünen Halstuch pro-Abtreibung und dem violetten feministischen.
Als wir beim Ziel, der Universidad Católica, ausstiegen, sahen wir, dass der
Besammlungspunkt wegen des grossen Zustroms auf einen guten Teil der Alameda
ausgeweitet worden war. Dort kam das Fronttransparent hin, mit der klaren
Botschaft: «Wir sind alle Arbeiterinnen.
8. März: Wir sind mehr. Die feministische Revolte muss weitergehen, bis es sich
lohnt zu leben.»
Wir waren so viele, die wir uns umarmten, grüssten,
zulachten, auch wenn wir uns nicht kannten. Im Wissen, dass wir dort waren, um unsere
Entschlossenheit zu zeigen, Sexismus, Patriarchat und Femizide zu unterbinden. Ohne
zu ignorieren, dass, was wir dort machten, sich in jeder Stadt von Chile und in
jedem Land und in jedem Volk des Kontinents und der Welt ereignete. Das stärkte
die Entschlossenheit dieser enormen Mobilisierung.
Wir waren Frauen jeden Alters, Differenzen, und klar, von
der Realität der verschiedenen Klassen geprägt, aber mit der Gewissheit, dass
die meisten junge waren, Teens, Mädchen (davon viele an der Hand ihrer Mutter
oder Schwester).
"Keine Sorge, Mama, heute geh ich nicht allein aus." |
Das todas juntas sino pa
qué (alle gemeinsam oder wozu sonst) machte deutlich, was man an einer Demo spüren
kann, die im Lauf der Stunden zu 2 Millionen Marschierenden anschwoll und jenen
Männern und Frauen eine Lektion erteilte, die aus der Macht heraus auf viel
kleinere Zahlen setzten. Das hatte eine geschmacklose Generalin der Carabineras
zur Pressemitteilung veranlasst, es wären bloss 150'000 Frauen gewesen. Fad und
blind die uniformierte paca (pacos: Bezeichnung
für Carabineros), die bestimmt auch die ohrenbetäubende Parole putas, maracas pero nunca paca (Huren,
Strichfrauen, aber nie Bullin) oder la
paca no es sorora, sino represora (die Paca ist nicht Schwester, sondern Unterdrückerin)
nie aufnahm.
Jedenfalls setzte sich die grün-violette Flut um Mittag beim
Centro Cultural Gabriela Mistral in Bewegung, und die Strasse erzitterte unter
dem Getöse, das den Beginn einer der grössten Demos der letzten Jahrzehnte
begleitete. Hunderttausende von Compañeras hatten sich beim Fronttransparent
besammelt und öffneten diesem eine Gasse.
2 Millionen ist schnell gesagt, aber es ist so
beeindruckend, dort zu sein mit ihnen, Schulter an Schulter, und zu spüren, wie
sich das Selbstwertgefühl zu reiner Schwesterlichkeit wandelt, während die
Kolonne Schritt um Schritt und langsam vorwärts zu gehen versucht. Uns vergegenwärtigen,
dass sie uns nicht geschafft haben, nicht mit Jahrhunderten der
Marginalisierung, der Erniedrigung, der Misshandlung, der Folter jeder Art und
des Mordes. Alle unsere Forderungen auf jedem Karton, auf jedem Transparent, in
den Parolen und Liedern.
"No ist no. Für mehr Flexibilität, geh ins Yoga." |
Und wir erhöhen
zudem die Wette, wenn die Jungen, viele von ihnen vermummt, in ihren Parolen,
auf ihren selbstgebastelten Plakaten den Kapitalismus ins Visier nehmen, den
Imperialismus, die bourgeoisen PolitikerInnen der Rechten und einer gewissen arrivierten
«Linken» wie jener, die die Regierungen der Concertación unterstützt haben, skrupellose
Leute, die den routinierten Diskurs zu einem Dauerbetrug und ein paar Lügen gemacht haben. An der Seite dieser chilenischen
Compañeras zu sein, ist Balsam, der uns Feministinnen hilft, jedes Auf und Ab
und jedes Gefühl zu überwinden, gegen so viele Feinde in unseren täglichen
Kämpfen nie siegen zu können. Deshalb demonstrieren wir und machen aus Wut
Freude, weil wir uns stark fühlen, sogar angesichts einer urplötzlichen
Provokation dieses bewaffneten Todeskorps, das Pinochet und die grosse Mehrheit
der ihm nachfolgenden falschen «Demokraten» so in den Himmel gelobt haben.
Die ganze Strecke war ein Fest der Forderungen, und es
gelang, die geplante Route einzuhalten, obwohl die Menge die Demoordnung überbordete
und die Demospitze sich unter dem Druck so vieler anderer chilenischer Transparente
und Fahnen, jener der Mapuches oder von diesem Armutsquartier oder jenem
Arbeitsplatz schnell auflöste. Wir kamen zum Regierungssitz, wo es die Darbietung
von Las Tesis gab. Als Tausende riefen «Der Vergewaltiger bist du» und auf den
Palacio de la Moneda und die Carabineros zeigten, die jenen Sitz verteidigten,
den die politischen und militärischen Väter der jetzigen Bewohner 1973 bombardiert
hatten und wo Salvador Allende bis zum Schluss Widerstand leistete, krönten
Applaus und Ovation den Einsatz jener, die ihren Körper einsetzten, damit alles
besser als gut werde.
Kurz danach – noch immer kamen Abertausende von Frauen erst
hier an – begannen die Carabineros ohne irgendeinen Vorwand mit der
willkürlichen Repression, nur weil sie dazu von ihren Herren ermächtigt werden,
weil sie die hassen, die vor ihrer Arroganz nicht niederknieen, weil sie ein
Korps sind, das früher oder später verschwinden muss.
Viele Compañeras versuchten wegzukommen, aber die Uniformierten
hatten einen Kessel gemacht, Strassen geschlossen und mit ihren Wagen «Trichter»
gebildet. Es kam zu Scharmützeln, und gemeinsam versuchten wir uns zu schützen oder
dafür zu schauen, dass die Ältesten oder die Frauen mit Kindern nicht vom Gas
oder dem starken Strahl des Wasserwerfers getroffen würden. Der Mut der unersetzlichen
Frauen der Primera Línea muss erwähnt werden. Nur so und mit einem hohen Grad
an Volksverantwortlichkeit konnte Schlimmeres, das die Angreifer bezweckten,
verhindert werden. Sie konnten mit ihrer bekannten Präpotenz das nicht
verhindern, was die ganze Welt trotz der Zensur schon weiss, dass die chilenische
Diktatur nämlich nur unterdrücken kann, und an diesem 8. März haben die Frauen
und die Kollektive der sexuellen Diversität, diese zwei Millionen, wieder klar
gemacht: «Piñera ist ein Mörder wie Pinochet». Die 123 jungen Arbeiterinnen der
Hemdenfabrik in New York, die wegen ihrer Patrons 1911 verbrannten, wären stolz
auf ihre chilenischen Genossinnen gewesen, die sie an diesem 8. März auf den
Strassen so hochleben liessen, wie es sich gehört. Sie werden es wieder machen
und sich am Montag am internationalen feministischen Streik beteiligen und in
der folgenden Zeit die Revolte verstärken.
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Chile 8M. Dos millones de feministas
contra el patriarcado, el capitalismo y el dictador Piñera Die Autorin stammt aus
Argentinien.