Bolivien: OAS antwortet, speit – und droht?

Montag, 2. März 2020


(zas, 2.3.20) Die OAS hat reagiert. Gonzalo Koncke, Stabschef des OAS-Generalsekretärs Luis Almagro, antwortete auf die Veröffentlichung zweier Forscher des Massachussetts Institute of Technology (MIT) in der Washington Post. Deren Befund: Entgegen der Aussagen der OAS ist ein statistischer Betrug bei den Präsidentschaftswahlen vom letzten 20. Oktober in Bolivien höchst unwahrscheinlich; Evo Morales hatte die Präsidentschaft gewonnen (s. dazu MIT-Forscher sagen: Kein Wahlbetrug in Bolivien).
Koncke wirft den beiden Autoren vor, die Hauptaussagen des OAS-Schlussberichts von letztem Dezember zum angeblichen Wahlbetrug ignoriert zu haben, namentlich «Falschunterschriften von Wahltisch-Offiziellen» und den Einsatz «zweier versteckter Server» bei der Resultatübermittlung.  Der Beitrag der MIT-Autoren «enthält zahlreiche Unwahrheiten» und «verzerrt den Schlussbericht der OAS absichtlich», schreibt der OAS-Mann. «Es entbehrt aller Logik, dass Individuen, die sich als ‘Wissenschaftler’ und ‘Spezialisten für Wahlintegrität’ ausgeben, eine so fehlerhafte Analyse vorlegen (…)Ich bin enttäuscht, dass ein Artikel, der grundlegende journalistische Standards nicht einhält, da er weder ehrlich, noch faktenbasiert oder umfassend ist, veröffentlicht wurde.»
Im OAS-Apparat hat die Post-Veröffentlichung wohl wie ein Verrat gewirkt. Hat das Blatt nicht wie die anderen «freien Medien» bis jetzt die Geschichte vom Volksprotest gegen den Wahlbetrug des Tyrannen erzählt? Und Salz in die Wunde, dass nach der Post-Veröffentlichung andere bedingungslose Alliierte wie die New York Times und weitere grosse internationale Medien die Story vom Nicht-Betrug aufgenommen haben (anscheinend nicht so in der Schweiz, Standhaftigkeit ist Tugend). Da ist es wenig Trost, dass die Post et al. dieses eine Mal eine abweichende Meinung verbreiten, wenn auch wie so oft viel zu spät, um noch etwas zu bewirken – das Regime des Ausnahmezustands hat schon viel zerstört
.
Kein Grund aber, die Koncke-Lügen nicht anzuschauen. Gleich vorweg: Die beiden MIT-Autoren haben klar gesagt, dass ihre Analyse einzig die statistischen Behauptungen des OAS-Betrugsnarrativs betrifft, also die von der OAS als Kern ihrer Putschmanöver behauptete statische extreme Unwahrscheinlichkeit, dass Evo am Schluss der Auszählung als Sieger dastand. Koncke behauptet: «Der Artikel konzentriert sich ausschliesslich» auf das Thema statistische Betrugsfaktoren, «welches das OAS-Audit als eines von vielen Beweisstücken für Falschspiel ansieht». Nebelpetarde. Zwar widmet der OAS-Dezemberbericht diesen Punkten tatsächlich viele Worte, doch lesen wir auf S. 8 vom «Hauptereignis, das das Vertrauen in den Wahlprozess in Frage stellte», nämlich der Stopp der provisorischen, rechtlich nicht bindenden Trendauszählung beim Stand von über 80 % der Akten. Ein «Hauptereignis» nämlich, von dem wir schon im zweiten Satz des Berichts erfahren, dass es ein «absichtlicher und willkürlicher Stillstand ohne technischen Grund» darstellte. Die MIT-Autoren zitieren Charakterisierungen dieses «Hauptereignisses» im OAS-Audit wie «ein in seiner Dimension das Resultat bestimmende» Faktor, eine «klare Manipulation (…), die die Resultate» sowohl der vorläufigen wie «der offiziellen Auszählung beeinträchtigte.»  
Erinnern wir uns: Die OAS, die bolivianischen Putschkräfte, die «freien Medien» betonten ab Oktober pausenlos den «unerklärlichen», «überraschenden» Stopp der provisorischen Trendauszählung, nach deren (übrigens von der internationalen Putschgemeinschaft geforderten Wiederaufnahme) Evo Morales «plötzlich», «wunderbarerweise» mehr als die für einen Sieg in der ersten Runde gesetzlich geforderten 10 Punkte Vorsprung auf den Zweitplatzierten (und mindestens 40 % der Stimmen) aufwies. Bloss «eines von vielen Beweisstücken»? Ach? «Hauptereignis», auch im OAS-Schlussaudit! Und genau dieses «Hauptereignis» hatten die MIT-Autoren untersucht und kamen, wie vor ihnen schon die ExpertInnen des Center for Economic and Policy Research (CEPR), zum Ergebnis, dass das Schlussergebnis sowohl bei der Trend- wie bei der rechtlich bindenden offiziellen Auszählung von klar über 10 % Vorsprung lupenrein war: «Wir können keine statistische Evidenz für einen Betrug finden», schreiben sie.
Kunststück, betrug doch der Vorsprung von Evo schon vor dem Stopp der Trendauszählung 7.1 %, und kam der Grossteil der damals noch nicht erfassten Akten aus Kerngebieten des MAS.
Zu den anderen «Betrugsbeweisen» sind in Die Falschspieler von der OAS II Antworten auf das OAS-Konstrukt aus Berichten des CEPR und des lateinamerikanischen Think Tank CELAG übersetzt. Hier ganz kurz: Die angeblichen Falschunterschriften will die OAS auf von ihr ausgesuchten Wahlakten gesichtet haben, in denen die Unterschriften und Fingerabdrucke der Wahltisch-Offiziellen nicht gefälscht, während indes ihre Namen und Ausweisnummern von einer einzigen Person geschrieben worden sind. Enormer «Betrug» in indigenen Gemeinden, in denen doch alle Schreiben und Formularausfüllen perfekt beherrschen. Doch wären sogar alle Stimmen dieser Wahlakten dem Hauptkonkurrenten Evos zugeteilt worden, hätte Evo immer noch mehr als 10 % mehr Stimmen gehabt.
Jake Johnson vom CEPR  geht auch auf die «verdeckten» Sever ein: «Während ihres Wahlaudits hätte die OAS eine Reihe von verschiedenen Überprüfungen der Legitimität der Resultate durchführen können, z. B. um festzustellen, ob der «versteckte» Server oder andere Schwachstellen der Datenbank tatsächlich für eine Manipulation der Resultate benutzt worden seien. Diese Tests sind simpel und liegen für alle mit Wahlbeobachtung Befassten auf der Hand.» Hat die OAS aber nicht.
Und so weiter (s. den zuletzt verlinkten Bericht). Hier noch eine Bemerkung zu dem laut Betrugsnarrativ willkürlichen Stopp der Trendauszählung: Ein Ende  der übrigens mit von der OAS vermittelten Software durchgeführten Trendauszählung bei rund 80 % war bei den letzten Urnengängen die nie beanstandete Norm. Weil sie eben bloss der Trendbestimmung dienen und nicht mit der beginnenden offiziellen Auszählung kollidieren sollte. Elf Tage vor der Oktoberwahl wurde dies auch wieder offiziell festgehalten, wie in den bolivianischen Medien nachzulesen war. Soweit zum …unerklärlichen «Hauptereignis» (beim Stand übrigens von über 83 % erfasster Akten).  
Und :  Die entscheidende offizielle Auszählung fand in den in den departementalen Zentren der Wahlbehörden statt. Jede Wahlakte wurde da unter Beteiligung der Parteivertretungen (die alle eigene Kopien hatten) und Beobachtungsmissionen begutachtet. Die Resultate wurden anschliessend im Web veröffentlicht, wo sie von den Parteien kontrolliert werden konnten. Nachdem ihre zentrale «statistische Unwahrscheinlichkeit» beim Wahlsieg von Morales schon vom CEPR und anderen durchlöchert worden war, bemühte die OAS Software- und IT-Probleme als Hilfserklärungen für ihre Betrugsthese. Selbst wenn diese Probleme so wären wie vom der OAS geschildert, wären sie für die offizielle Auszählung absolut sekundär.
Koncke geht inhaltlich mit keinem Wort auf die statistische Analyse der MIT-Spezialisten ein, was ein faktisches Schuldgeständnis darstellt. Er versteckt das hinter seinen Ausfällen auf die «Unwissenschaftlichkeit» der beiden Autoren, was in den USA vielleicht nicht gut ankommet - MIT ist schliesslich MIT. Gleichzeitig kann seine «Kritik» an der Post, so einen «Wisch» überhaupt zu veröffentlichen, auch als Drohung gemeint sein. Konckes Chef Almagro schwimmt heute in Trumps Machtgewässer. Vielleicht verspricht die Post demnächst genauere «Prüfungen» in Zukunft.