(zas, 13.3.20) Gerade hatte der venezolanische Präsident Nicolás
Maduro angesichts der auch in Venezuela drohenden Coronavirus-Epidemie seinen
Aussenminister aufgefordert,
sich dafür zu einzusetzen, «dass die
Regierung der USA mitten in dieser Pandemie alle ihre ungerechten und illegalen
Sanktionen aufhebt, die Finanzen, Öl und Wirtschaft Venezuelas angreifen». Er
rief dabei den Gesundheitsnotstand
aus inkl. «Verbot von grossen Versammlungen
und Events, Konzerten und Schliessung öffentlicher Einrichtungen wie Museen».
Mit den Regierungen von Kolumbien und Brasilien, wo es schon mehrere Covid-19-Kranke
gibt – in Venezuela sind heute gerade die ersten beiden Fälle bekannt geworden
- will er die Schliessung der Grenzen erörtern und sich mit «den Behörden dieser Länder koordinieren und
die Grenzbevölkerung berücksichtigen». Die notwendigen Testmaterialien zu
beschaffen, koste Caracas «drei Mal mehr
Anstrengung» wegen der Sanktionen.
Die Antwort aus Washington erfolgte noch am gleichen Tag. Nachdem
Washington schon die russische Rosneft wegen Zusammenarbeit mit der venezolanischen
Ölgesellschaft PDVSA mit Sanktionen belegt hatte und Rosneft für dieses
Geschäft auf ihre in der Schweiz domizilierte Tochtergesellschaft TNK
ausgewichen ist, verkündete
Finanzminister Steven Mnuchin die Verhängung von Sanktionen gegen TNK (Beschlagnahmung
von TNK-Werten «in den USA oder unter
Kontrolle von US-Personen»). Denn
schliesslich bleibe «die
Trump-Administration der Verfolgung jener verpflichtet, die die Ausbeutung der
venezolanischen Ölreserven durch das korrupte Regime unterstützen.» Am 19.
Februar 2020 hatte Mauricio Claver-Carone, im Nationalen Sicherheitsrat der USA
für die westliche Hemisphäre zuständig, schon verkündet:
Die Sanktionsumgehung von Rosneft werden Folgen haben. «Wir werden die Tyrannei von
Maduro zermalmen und vernichten.»
Was sollen Epidemie-Tote, wenn es doch um Höheres geht? Das erklärte Mike
Pompeo gestern so: Mit der neusten Sanktion «bringen
wir das Volk von Venezuela näher zu Freiheit und Wohlstand.»
Flughafen Caracas. |
Kleindemo und
Medienwirbel
Vorgestern in den Morgenmeldungen von Radio SRF die
Mitteilung, die venezolanische Polizei habe gewaltsam eine Demo des
Oppositionsführers Juan Guaidó zum Parlament gestoppt, an der sich «hunderte
von Personen» beteiligt haben. Wow, eine Demo weit weg mit «hunderten von
Personen» - aber sicher berichtet dein Radio darüber. Überhaupt: Gegen 5
Millionen Menschen seien wegen «der wirtschaftlichen
und politischen Krise» aus Venezuela abgehauen. Du brauchst keine Meteo, um
zu wissen, woher der Wind weht, sang mal einer: Eine neue US-Aktion, um Maduro
zu stürzen, soll anrollen. Auf der Fahrt danach im Postauto sozusagen die Bestätigung
im News-Ticker auf dem Display. Gross aufgezogen die Mitteilung, Maduro wolle «Interimspräsident»
Guaidó nicht anerkennen und setze deshalb Gewalt ein. Guaidó hat mit der
schwachen Mobilisierung eine weitere Schlappe erlitten, wie amerika21 heute zusammenfasst.
Ihm droht vielleicht die Absetzung durch Trump.
9. März 2020: Ein rechtes Kommando setzte ein Lager mit rund 50'000 Wahlmaschinen in Brand. Trump (und deshalb Guaidó) wollen keine wahlen, die sie vielleicht nicht gewinnen. |
Zwei Dinge: Erstens ist es beeindruckend, wie kapillar bis
hinunter zum Postauto-Newsticker die US-Politik von den Medien um den halben
Globus reflexartigen Gehorsam einfordern kann. Washington sagt, was News-Wert
hat. Und zweitens die Erbärmlichkeit all dieser Medien mit ihren
Krokodilstränen wegen des Leids der VenezolanerInnen, stets die Hauptverantwortlichen
dafür nicht nur ausklammernd, sondern in Schutz nehmend. (Wir werden wohl bald hören,
wie sich Maduro um die Kranken foutiert.)
Der innere Feind
Nicht, dass die Regierung tel quel unser Idol sein sollte.
Seit Ende letzten Februar z. B. liefern sich der Justizminister und
regierungsnahe Medien faktisch eine Schlacht um Deutungshoheit mit diversen chavistischen
Basisorganisationen. Eine präsidiale Sonderkommission mit grossen Vollmachten
zur Bekämpfung der Korruption in PDVSA und deren Neuorganisation hat zwei mittlere
Kader in PDVSA wegen angeblicher Spionage für die USA verhaften lassen. Die
beiden, Aryelis Torrealba und Alfredo Chirinos, sitzen seither in Haft,
offenbar ohne Kontakte nach aussen. Als eine Stimme unter mehreren sei hier
jene von Osvaldo León genannt, ein bekannter Vertreter der ArbeiterInnenmacht von
unten. «Alfredo und Aryelis» sind, so
León in einem seiner
Artikel zum Thema «Arbeiter in
Leitungspositionen». Sie «haben vor
mehreren Monaten Korruptionsvorfälle in diversen Abteilungen [von PDVSA]
denunziert, und bis jetzt gibt es keine Untersuchung gegen die Denunzierten.»
Gestern schrieb er in einem weiteren Beitrag:
«Die [präsidiale] Kommission hat ihre Macht gebraucht, um die beiden GenossInnen als CIA-AgentInnen zu beschuldigen. Als erstes hätten die Kommissionsmitglieder eine Auswertung ihrer verschiedenen Amtsperioden in [PDVSA] offerieren müssen, da [viele ihrer Mitglieder dort] hohe Positionen innegehabt haben. Sie hätten auch ihre Bankkonti, ihr Eigentum und andere Besitztümer öffentlich rechtfertigen müssen, was ihnen genug moralische Autorität verliehen hätte, um am Kampf gegen die Korruption teilzunehmen.»«(…) Uns schmerzt das Schweigen so vieler RevolutionärInnen in Machtpositionen, das Schweigen der Abgeordneten, das Schweigen der Organisationen, die den revolutionären Prozess unterstützen und die genau wissen, wie das Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden ist. Uns schmerzt das Schweigen der Comandantes, die weiter von ihrer Vergangenheit zehren, aber wegschauen , wenn die Gegenwart ihre Festigkeit erfordert.»«Wir wissen, dass viele StaatsfunktionärInnen ein Siegeslied anstimmen, die verantwortlich sind für:- Die Schliessung von Ölraffinerien- Die Zerlegung der Industrien- Das Durchdrücken despotischer Administrationen durch jene, die glauben, sie kommandierten Armeebataillone aus [vor-chavistischen] IV. Republik.»
Alfredo Chirinos, Aryelis Torrealba. |
Seit nun geraumer Zeit sind in Venezuela klar restaurative
Tendenzen vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch im Sicherheitsbereich,
festzustellen. Eine Kombination von Machtaspirationen der neuen «roten Bourgeoisie»,
zu der eindeutig ein Teil des Militärkaders zählt, und des Versuchs, unter dem
enormen Druck des Wirtschaftskriegs und seit 2015 der Sanktionen durch eine Art
Appeasementpolitik Investitionen anzulocken. Aus den Belegschaften der PVSA und
anderer Staatsbetriebe sind deutliche Warnungen vor einer schleichenden
Re-Privatisierung zu hören.
Justizminister Néstor Reverol, der früher die Guardia kommandiert
hatte, gehört zu den deklarierten Hauptfeinden Washingtons in Venezuela. Widersprüche
gehören wohl zu dem, was León am Anfang seines Artikels sagt, dass nämlich der Klassenkampf
in der Phase des Aufbaus des Sozialismus «am
heftigsten, schwierigsten und gefährlichsten» werde. Im Fall von Venezuela
kann man sich darunter etwas vorstellen.