Eine Pandemie ist nicht der Zeitpunkt für US-Wirtschaftsanktionen

Samstag, 28. März 2020


NEW YORK – Die Regierung von US-Präsident Donald Trump hat in den letzten Jahren einseitig harte Wirtschaftsanktionen gegen eine Reihe von Ländern verhängt, deren Regierungen sie zu bestrafen sucht. Diese Maßnahmen sind unmenschlich, verstoßen gegen das Völkerrecht und fügen den Menschen, denen die USA angeblich helfen wollen, Schmerz und Leid zu. Und da die gesamte Welt sich derzeit der COVID-19-Pandemie ausgesetzt sieht, haben sich die US-Sanktionen zudem zu einer direkten Bedrohung für das Überleben der Menschen in diesen Ländern – und aller übrigen – entwickelt. Sie sollten unverzüglich aufgehoben werden.
Nicht zufällig wurden der Iran und Venezuela – zwei Zielländer der USA – von der Pandemie hart getroffen. Auf den Iran entfallen nur 1,1% der Weltbevölkerung, aber erstaunliche 11,2% aller COVID-19-Toten, während Venezuela nach der rapiden Verbreitung der Krankheit seit der ersten Diagnose im Land vor zwölf Tagen am Rand eines massiven Ausbruchs zu stehen scheint.Indem sie den Zugriff dieser Länder auf ausländische Devisen und damit ihre Fähigkeit zur Einfuhr wichtiger medizinischer Güter eingeschränkt haben, haben die amerikanischen Sanktionen die Infrastruktur des Gesundheitswesens beider Länder geschwächt. Für Venezuela zeigen Studien, dass die Sanktionen gegen die Finanz- und Ölsektoren die venezolanische Wirtschaft seit 2017 mindestens 17 Milliarden Dollar gekostet haben; das ist das Vierfache der Nicht-Öl-Importe des Landes. Auch wenn die Sanktionen bei weitem nicht die einzige Ursache des wirtschaftlichen Zusammenbruchs sind, waren sie die treibende Kraft hinter der massiven Kontraktion im Jahr 2019, die Venezuela ein Drittel seines BIP kostete. Wie UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet im vergangenen August warnte, sind die Sanktionen „extrem breit angelegt und enthalten keine ausreichenden Maßnahmen, um ihre Auswirkungen auf die gefährdetsten Sektoren der Bevölkerung abzumildern“. Dies habe „weitreichende Auswirkungen auf die Rechte insbesondere auf Gesundheit und auf Nahrung“.Auch auf die iranische Wirtschaft hatten die Sanktionen dramatische Auswirkungen. Nach dem Rückzug der Trump-Regierung aus dem Nuklearabkommen von 2015 fiel die Ölproduktion steil um 1,8 Millionen Barrel täglich auf gut die Hälfte des Niveaus vor Beginn der Sanktionen. Im Oktober berichtete Human Rights Watch, dass die US-Wirtschaftssanktionen „den iranischen Bürgern unnötiges Leid zufügen“ und dass die Folgen für Patienten mit seltenen Erkrankungen „katastrophal“ sein könnten. Inzwischen weist der Iran nach Italien die zweithöchste COVID-19-Sterblichkeitsrate auf.Wirtschaftssanktionen beruhen auf der Idee, dass die Erhöhung der täglichen Not der Normalbürger deren Regierung unter wachsenden Druck setzt. US-Außenminister Mike Pompeo hat es im Februar 2019 so formuliert: Aufgrund der Wiederaufnahme der Sanktionen „ist die Lage für die iranische Bevölkerung jetzt viel schlechter, und wir sind überzeugt, dass dies das iranische Volk dazu bringen wird, sich zu erheben und das Verhalten des Regimes zu ändern“.Statt die Wirtschaftssanktionen während der Pandemie auszusetzen, hat die Trump-Regierung sie tatsächlich noch ausgeweitet, was es den betroffenen Ländern zusätzlich erschwert, an Devisen zu kommen, und die Auswirkungen des globalen Zusammenbruchs der Ölpreise weiter verschärft. Erst letzte Woche, als die Zahl der Toten die Tausendermarke erreichte, setzte das US-Finanzministerium neun Unternehmen, darunter eine Investmentgesellschaft der Sozialversicherung, wegen Geschäften mit dem petrochemischen Sektor den Landes auf die Schwarze Liste. Am 12. März verhängten die USA Sanktionen gegen eine russische Firma, weil diese geholfen habe, venezolanisches Öl ins Ausland zu verkaufen, und setzte Unternehmen in Indien, China und Spanien unter Druck, alle Käufe aus Venezuela einzustellen. Aufgrund der Sanktionen verlangen die wenigen Trader, die noch bereit sind, venezolanisches Öl zu kaufen, Nachlässe von bis zu 23 Dollar pro Barrel, was das Land zwingt, unter Produktionskosten zu verkaufen, und ihm so seine einzige wichtige Einnahmequelle nimmt.
Die US-Behörden argumentieren scheinheilig, dass die Sanktionen Ausnahmen für Geschäfte mit humanitären Gütern zulassen. Wer Geschäfte mit dem Iran macht, weiß, dass das nicht zutrifft. Das ist, als erzähle man jemandem, der gerade Arbeit und Einkommen verloren hat, dass er noch immer in einen Laden gehen und dort nach Belieben einkaufen könne. Zudem verringern die Wirtschaftssanktionen nicht nur die Fähigkeit des Ziellandes, für unverzichtbare Güter zu bezahlen; sie steigern zudem die Regulierungs- und Reputationsrisiken von Geschäften jedweder Art mit der betreffenden Regierung dramatisch. Fast alle Unternehmen aus dem privaten Sektor entscheiden sich daher, das Risiko nicht einzugehen – oder sie berechnen dafür hohe Aufschläge.
Auch ist es nahezu unmöglich, die von Gesundheitsexperten zur Eindämmung von COVID-19 empfohlenen Maßnahmen zur Quarantäne und zur sozialen Distanzierung einzuhalten, wenn die Regierung die zu Hause bleibenden Arbeitnehmer nicht entschädigen kann. Länder mit sanktionsverheerten Staatsfinanzen können sich derartige Subventionen kaum leisten. Daher haben sowohl der Iran als auch Venezuela den Internationalen Währungsfonds um Notfallgelder gebeten, um ihnen bei der Bekämpfung der Pandemie zu helfen. Der IWF hat auf Venezuelas Ersuchen bisher mit der Aussage reagiert, eine derartige Hilfe könne erst in Betracht gezogen werden, wenn sich seine Mitglieder einig seien, welche der duellierenden politischen Gruppierungen des Landes als legitime Regierung anerkannt werde. Dies ist eine direkte Folge der ungeheuerlichen US-Entscheidung vom letzten Jahr, mit diplomatischer Tradition zu brechen und eine Regierung anzuerkennen, die keine Kontrolle über ihr Land ausübt, und andere aufzufordern, sich dem anzuschließen.Die Wirtschaftssanktionen schaden nicht bloß den Menschen in den mit Sanktionen belegten Ländern. Sie erhöhen das Risiko, dass sich diese Länder zu regionalen COVID-19-Epizentren entwickeln, was alle Versuche der Nachbarländer, die Flut aufzuhalten, vereitelt. Die Eindämmungsbemühungen müssen weltweit erfolgen, und gefährdete Länder müssen auf jede erforderliche internationale Unterstützung zählen können. Sanktionen durch die Regierung der weltgrößten Volkswirtschaft machen dies unmöglich.Die USA sollten umgehend alle Wirtschaftssanktionen gegenüber Ländern, die sich bei der Bekämpfung der Krankheit schwer tun, aussetzen. Das Finanzministerium sollte zudem Leitlinien erlassen, die klarstellen, dass alle Geschäfte mit Regierungsvertretern, die persönlich mit Sanktionen belegt wurden, in dem Umfang zulässig sind, in dem diese Regierungsvertreter in ihrer offiziellen Eigenschaft handeln. Die USA sollten außerdem aufhören, Bemühungen betroffener Länder um eine multilaterale Finanzierung zur Bekämpfung der Notlage zu blockieren.Die US-Wirtschaftssanktionen haben dazu geführt, dass Millionen von Menschen leiden, und könnten bald Zehntausende töten, wenn nicht sogar deutlich mehr. Die Verschärfung des Leids der Zivilbevölkerung in dem Versuch, das Verhalten ihrer Regierung zu ändern, ist moralisch verwerflich und durch das Völkerrecht untersagt. Diese Strategie während der schlimmsten Gesundheitskrise der modernen Zeit zu verfolgen zeigt eine rücksichtslose Missachtung menschlichen Lebens und Verachtung für die Normen zivilisierten Verhaltens.Aus dem Englischen von Jan Doolan
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(zas) Francisco Domínguez ist ein antichavistischer venezolanischer Starökonom mit Vergangenheit in Führungpositionen beim UNDP, bei der Bank of America und bei Torino Capital. 2018 leitete der die Wirtschaftsequippe von Henri Falcón, dem danach gegen Maduro unterlegenen Präsidentschaftsanwärter.
Jeffrey Sachs, berühmter US-Ökonom. Berüchtigt für seine «Schocktherapien» in Polen und Russland nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und für sein in den 80-er Jahren in Bolivien angewandtes Konzept der Bekämpfung der Hypeninflation (lass die Armen erst mal verrecken). Seither aktiv in UN- und anderen Gremien der Entwicklungspolitik zur Bekämpfung der Armut. Mitverfasser eines letztes Jahr erschienen Papers zu den mörderischen Folgen der US-Sanktionspolitik in Venezuela.
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Das US-Finanzministerium verhängte gestern weitere Sanktionen gegen diverse iranische Akteure, darunter die Revolutionsgarden. Begründung: Terroristische Aktivitäten. Real geht es um eine weitere Lähmung des verbliebenen Ölexports und damit auch eine weitere Verunmöglichung der Mittelbeschaffung für den Kampf gegen die Covid-19-Epidemie. Auf den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro und weitere chavistische Offizielle setzte Washington vorgestern ein Kopfgeld für ihre «Ergreifung» aus. The war must go on. Hier dient die geradezu lächerliche Begründung, Venezuela hätte mit den FARC zusamnmen während 20 Jahre die Kokainwelle in den USA verschuldet, weiter auch um eine Ablenkung der bitteren Opferung vieler Menschenleben zugunsten weiterer «guter Deals» für das US-Grosskapital.