Seit 1986
gibt es eine Städtepartnerschaft zwischen La Trinidad und Delémont mit starker
Beteiligung des Groupe Nicaragua von Delémont. Die folgenden Tatsachen haben
wir via Skype, Telefon etc. von verschiedenen Personen erfahren, die in La
Trinidad leben. Die Chronologie zeigt, dass die Mehrheit der Medien die extrem
gravierende Lage in Nicaragua nicht objektiv beschreibt, weder im Land selbst
noch im Ausland. Die Feinde der Demokratie und die Mörder sind nicht immer
jene, die uns gezeigt werden.
Jean Parrat,
Delémont
Am 30. Mai
wird um 5 h früh auf der Brücke von La Trinidad eine Barrikade errichtet. Sie
wird von Bewaffneten bewacht. Keine StudentInnen. Einige kennt man, aber die
meisten kommen von auswärts.
An diesem
Tag wird eine sandinistische Karawane angegriffen, die unterwegs ist zur
Kundgebung auf der Plaza de la Revolución in Managua. Resultat: ein toter
Bauer, sandinistischer Sympathisant aus Teocacinte in Nueva Segovia, und mehr
als 25 Verletzte. Nach Angaben eines Zeugen vor Ort hat die Polizei nur
Tränengas eingesetzt. Ein weiteres Zeugnis: „Nach
dem Angriff verlagern sich die ‚autoconvocados‘ – Selbstmobilisierten – ins
Stadtzentrum und bedrohen die Sandinistas mit dem Tod. Am schlimmsten ist, dass
die Polizei nicht handelt. Wenn sie es macht, wird sie der Repression beschuldigt.
Zwei ‚autoconvocados‘ sind vor meinem Haus vorbeigefahren und haben in die Luft
geschossen.“
Am
folgenden Morgen ist die Stimmung total bedrückt. Die Compas haben immer mehr
Angst vor Angriffen. Regelmässig gibt es Drohungen. Sie fangen an, wegen der
andauernden Präsenz von Bewaffneten („das
Bürgermeisteramt ist voll von Bewaffneten“), die im Haus der
Vize-Bürgermeisterin verpflegt werden, ihre Bewegungen einzuschränken. Einige Familien
verlassen wegen der Drohungen und Pressionen das Stadtzentrum; sie flüchten zu
Bekannten in sicherere Stadtteile. Nach
zwei Tagen kehren sie zurück, aber die Spannung hält wegen der Dauerpräsenz der
Bewaffneten an. Die Sperre auf der Panamericana-Strasse geht weiter.
Seit dem 3.
Juni gibt es jeden Abend bis Mitternacht eine systematische
Einschüchterungskampagne. Die ‚autoconvocados‘
schiessen mit morteros[1]. Sie verwenden auch Schusswaffen,
um ein Klima der Angst und der Repression zu erzeugen. Bewaffnet und maskiert,
fahren sie auf Motorrädern herum und verhindern jegliche Zirkulation. Einige
Mitglieder des FSLN werden direkt und via Social Media bedroht. Unsere FreundInnen
sagen alle das Gleiche: Wir schliessen uns zuhause ein und zeigen vorallem
keine Angst. Für all unsere Copains gilt: nicht auf Provokationen reagieren.
Die
Projekte des Groupe Nicaragua sind gestoppt, denn eine sichere Zirkulation ist
unmöglich. Die FreundInnen vor Ort stellen die Arbeit ein, da die Zirkulation
zu gefährlich ist (einige kommen von Comunidades ausserhalb des
Gemeindehauptorts und müssen über gefährliche Strecken der Panamericana
kommen). Zudem muss jede und jeder von ihnen bei der Familie sein.
Seit dem
10. Juni werden weitere Barrikaden in der Zone von San Isidro und El Guasimal
errichtet, von den gleichen Leuten und etwas südlich von La Trinidad auf der
Panamericana. Die Einschüchterungen gehen weiter, jeden Abend bis Mitternacht:
Schüsse, Schreie, Drohungen, das Haus in Brand zu stecken etc. Das Geläute der
Kirchenglocken (bzw. in La Trinidad ihre Tonbandaufnahme) wird nachts für den
gleichen Zweck eingesetzt.
Am 11. Juni
morgens dringen Bewaffnete in das Haus des früheren politischen FSLN-Sekretärs
(René Arroyo) von La Trinidad ein und richten die Waffen auf die ganze Familie
inklusive die Kinder; alle müssen niederknien. Den Compa nehmen sie an einen
unbekannten Ort mit. Am Abend des 11. Juni ist er wieder zurück, nachdem andere
FSLN-Mitglieder dem Bürgermeister mitgeteilt haben, er könnte verantwortlich
gemacht werden, falls es zu einem Drama und zu einer grösseren Konfrontation
käme. Andere verlassen die Stadt, wenn sie können (die Barrikaden versperren
den Ausgang). Der ehemalige FSLN-Sekretär und seine Familie haben die Stadt
verlassen. Die Bewaffneten bedrohen die Polizei, die nicht reagiert, um sich
nicht der Anschuldigung der Repression auszusetzen: „Es läuft eine Säuberungsaktion“, sagt mir ein direkter Zeuge.
In den
folgenden Tagen verändert sich die Lage nicht: Die vom Bürgermeisteramt und
besonders von der Vize-Bürgermeisterin empfangenen und verpflegten Gruppen von
auswärts blockieren die Panamericana weiterhin. Sie verbarrikadieren jetzt den
ganzen städtischen Bereich: um das Bürgermeisteramt, die Zugänge (Ausgänge) zur
Stadt auf der Hauptstrasse und um den zentralen Park. Der Lastwagen des
Bürgermeisteramts wird für den Transport von Materialien eingesetzt.
13. Juni:
Die Vermummten künden an, alle Läden, die morgen, am Tag des nationalen
Ausstandes (Lahmlegung des Landes), öffnen, zu zerstören. Nach Kämpfen in San
Isidro gibt es einen Toten auf ihrer Seite. Sie geben bekannt, dass sie eine
Liste von Leuten erstellt haben, die sie fertig machen wollen. Sie verkünden
das auf der Strasse und schiessen dabei in die Luft. Die Situation ist sehr
angespannt, und die Copains fühlen sich im Visier, auch wenn sie versuchen,
ihre Sorge nicht zu zeigen. Die Polizei ist auf den Strassen von La Trinidad nicht
zu sehen.
Am 14. Juni
versuchen Gruppen Vermummter, in der Gegend des Barrios San José (bei der
Schule Divan Niño) Barrikaden zu errichten. Ziel war anscheinend, die Schule
Divino Niño in Brand zu setzen (wie schon in der Stadt Masaya geschehen). Die
Bevölkerung vertreibt die Vermummten und organisiert sich, um sie an einer
Rückkehr zu hindern. Bewaffnete Vermummte dringen ins Spital von la Trinidad
ein, um den „nationalen Ausstand“ durchzusetzen. Alles ist geschlossen.
Am Morgen
des gleichen Tags übergibt die zehnköpfige Polizeitruppe von La Trinidad ihren
Posten dem Bürgermeister (also den „Vermummten“). Es gibt keine öffentliche
Sicherheit mehr in La Trinidad, die Vermummten haben freie Bahn. Unsere
FreundInnen sind sehr besorgt, sie setzen wie seit Beginn grosse Hoffnungen
darauf, dass der neu lancierte Dialog Resultate zeitigt.
Das
Bürgermeisteramt veröffentlicht folgendes Communiqué: „Wir teilen allen Einwohnern von La Trinidad mit, dass die Nationale
Polizei Bürgermeister Bismark Rayo kontaktiert hat, damit er die Sicherheit der
Installationen und des Postens der Polizei in der Gemeinde garantiert. Das
Bürgermeisteramt, die studentische Bewegung[2] und die autoconvocados[3] haben deshalb beschlossen, die Gemeinde bei der Aufrechterhaltung der
Sicherheit für alle Bewohner der Gemeinde gegen jegliche Verletzung der Ordnung
zu garantieren. La Trinidad, 14. Juni 2018.“
Am 15. Juni
sagt uns ein Zeuge: „Heute versuchen wir,
durchzukommen“, „alle bei sich zuhause“. Die Einschüchterungen gehen
weiter.
17. Juni,
Sonntag: keine Änderung in La Trinidad. Die „Vermummten“ von der Sperre auf der
Panamericana blockieren den Verkehr, patrouillieren bewaffnet und sind sehr
bedrohlich. Man sagt mir, dass es in La Trinidad an nichts mangle, aber dass
die Situation in Estelí immer kritischer werd. Dort fehle es an Fleisch, Eiern
und frischen Nahrungsmitteln. Im ganzen Land herrscht ein ungewisses Warten.
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Kommentar: Seit
zwei Wochen erlebten nun viele Familien in La Trinidad diese Zustände. Und
jene, die dies verursachen, die bedrohen und sogar töten, haben frei Bahn,
während unsere Freunde auf baldige Resultate des Dialogs hoffen und versuchen,
nicht auf die Einschüchterungen zu reagieren. In der Dialogrunde vom 15. Juni
ist La Trinidad erwähnt worden. Der Landwirtschaftsminister Edward Centeno
denunzierte dort, dass in La Trinidad terroristische Gruppen, die den Verkehr
blockieren und die Leute einschüchtern, einen Angestellten des
Landwirtschaftsministeriums aus dem Geburtstagsfest seiner zehnjährigen Tochter
entführt hatten. Einige Stunden später fand man seine Leiche. Die Mörder sind
auf der Strasse, bei den Barrikaden, und respektieren keine demokratische
Regel. Eine Situation, die nicht von Dauer sein kann. Die kommenden Wochen
werden entscheidend sein.
[1] Meist selbstgebastelte Mörser
mit Geschossen bis zu einem Gewicht von 2.5 kg.
[2] Eine in am 18. April in den
Universitäten von Managua und León lancierte Bewegung. Es gibt in La Trinidad
natürlich keine solche Bewegung. Aus direkter Quelle wissen wir übrigens, dass
die AbschlussstudentInnen der Medizinfakultät von León zusammen mit dem
Lehrkörper in Vollversammlungen mit 150 : 30 Stimmen beschlossen haben, den
Unterricht wieder aufzunehmen. Das haben Drohungen der „Vermummten“ verhindert.
[3] Gruppen von Maskierten, die
Destabilisierungsaktionen begehen, insbesondere Strassensperren, Angriffe auf
Geschäfte, Zerstörung verschiedener Gebäude, (Brand-) Angriffe auf
Bürgermeisterämter und andere staatliche Institutionen. Ihre Herkunft ist
unklar, aber sie scheinen Befehlen zu gehorchen.