Nicaragua: Kommuniqué Nr. 2 von Schweizer Solidaritätsgruppen

Montag, 1. Oktober 2018


Nicaragua – eine ungelöste Krise wartet auf eine politische Antwort
Auch wenn in den letzten Wochen die in der zweiten Aprilhälfte entfesselte Gewalt beträchtlich zurückgegangen ist, steht eine Lösung der politischen Krise in diesem zentralamerikanischen Land weiter aus. Es braucht dringend und bald gemeinsame Schritte aller beteiligter Sektoren, um einen tragfähigen Konsens zu erzielen.
Davon sind wir, seit 40 Jahren solidarisch aktive Gruppen, überzeugt. Wir betonen erneut die Notwendigkeit einer politischen Lösung der Krise. Diese braucht es, um jedes Risiko eines Bürgerkriegs und des überholten und mörderischen Spiels mit dem Gedanken an eine ausländische Militärintervention auszuschliessen.
Die gesellschaftlichen Brüche und Polarisierungen in Folge der Ereignisse seit dem 18. April sind eine äusserst traurige und beklagenswerte Tatsache.
Der Schmerz wegen der mehr als 200 Toten (einige Quellen sprechen von über 300 Toten), Oppositionellen und Sandinistas, wegen der hunderten von Verletzten auf beiden Seiten und den Verhafteten wiegt schwer in der aktuellen politischen Lage. Die enormen Schäden für die bis April stetig wachsende Wirtschaft sind offenkundig. Sie beeinträchtigen die ganze nicaraguanische Gesellschaft, besonders aber die einkommensarmen Sektoren, die den Verlust von tausenden von Arbeitsplätzen ertragen müssen.
Dieses Trauma kann als Nation nur mittels eines breiten Dialograums mit Teilnahme aller betroffener Sektoren bewältigt werden.
Es steht uns als Solidaritätsbewegung nicht zu, wem immer in Nicaragua Rezepte zu verschreiben: weder der Regierung, noch der Opposition, noch unseren Partnerorganisationen, mit denen wir seit vier Jahrzehnten eng zusammenarbeiten.
Uns steht nicht zu, zu sagen, ob die Wahlen vorverlegt werden sollen, ob die Regierung bleiben oder gehen soll, oder wie die Dynamik des Dialogs oder die Rolle der internationalen Gemeinschaft zu sein haben. Alle diese Entscheidungen liegen einzig in den Händen der Regierung und der Bevölkerung von Nicaragua, mit der Verfassung als zentraler Referenz.
Als Solidaritätsbewegung können wir jedoch unsere schon im ersten Kommuniqué vom 18. Mai festgehaltene Position bezüglich der Notwendigkeit eines Raums für den politischen Dialog als strategisches Mittel gegen die Gewalt bekräftigen.
Es steht uns als Solidaritätsbewegung auch zu, von den nicaraguanischen Behörden Massnahmen zur Aufklärung der Ursachen für die während der Krise Getöteten und Verletzten zu erbitten. Und auf der Notwendigkeit unparteiischer juristischer Untersuchungen aller Gewaltsvorkommnisse zu insistieren, auf gerechten Urteilen sowohl für Oppositionelle wie für Mitglieder des Regierungslagers, Alle BürgerInnen sind, unabhängig von ihren politischen Positionen, vor dem Gesetz gleich.



Wir können als Solidaritätsbewegung auch die Regierung von Nicaragua – wie jede Regierung hauptverantwortlich für die Politik im Innern – dazu aufrufen, nicht der Versuchung von Repressalien, verstärkter Militarisierung oder Kriminalisierung gesellschaftlicher Akteure nachzugeben. Die Antwort auf Gewaltfälle muss im Rahmen des Gesetzes erfolgen. Friedlicher Protest und Meinungsvielfalt müssen garantiert sein. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit darf einzig Sache der ordnungsgemäss als solche identifizierte Polizeikräfte sein.
Wir beharren auf diesen Punkten, auch wenn uns bewusst ist, dass oppositionelle Sektoren Gewalt angewendet haben - bewaffnete Barrikaden, Morde an sandinistischen AktivistInnen und Polizeimitgliedern, Zerstörung öffentlicher Einrichtungen und Transportmittel etc. Dies gipfelte in vielen Regionen in einer dramatischen Unsicherheit. Es zeitigte auch die erwähnten wirtschaftlichen Folgen mit schlimmen Auswirkungen für die verletzbarsten sozialen Sektoren. Wir weisen diese Strategie des Chaos und des Putsches gegen die verfassungsmässige Ordnung zurück.
Wir insistieren darauf, dass sich die Krise in unseren Augen und gestützt auf vielfältige Informationen unserer Partnerorganisationen, nicht mit mehr Repression, Repressalien oder Verfolgung Andersdenkender lösen lässt, sondern mit politischem Dialog, mit Konsens, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer.
Wir wiederholen, was wir im Mai gesagt haben: Als zentrale AkteurInnen der Solidarität in der Schweiz sind wir entschlossen, unsere Partnerorganisationen in Nicaragua und das sandinistische Volk mehr denn je zu unterstützen. Wir nehmen nicht die Position von Sektoren der Zusammenarbeit ein, die sich jetzt aus dem Land zurückziehen. Wir sind nicht einverstanden mit sich als links bezeichnenden Sektoren in Europa, die einseitig den Frente Sandinista angreifen und schamlos die von oppositionellen nicaraguanischen Gruppen verübten Gewalttaten und Morde verschweigen. Sie unterstützen damit jene, die aus dem Ausland auf eine Strategie des Chaos setzen.
Wir bekräftigen unser solidarisches Engagement für alle lokalen Organisationen, Initiativen, NGOs, laufenden Projekte etc., mit denen wir seit Beginn der 1980er Jahre zusammenarbeiten. Und die in dieser ganzen Zeit – einschliesslich der letzten Wochen und Monate und trotz der Auswirkungen der Krise – nie auf den Aufbau eines egalitäreren, sozialeren und menschlicheren Nicaraguas verzichtet haben, das Vermächtnis und die Essenz der sandinistischen Revolution.
Bern, 1. Oktober 2018

AMCA (Aiuto medico als Centro America), Association Maurice Demiere, Association Nicaragua-El Salvador Genf, É-Changer, Städtepartnerschaft Biel-San Marcos, Städtepartnerschaft Delémont-La Trinidad, ZAS (Zentralamerika-Sekretariat) und AktivistInnen aus Aigle, Bern, Fribourg, Lausanne, Zürich und weiteren Orten.