Letzten Februar in einem Armutsviertel bei San Salvador: Das
zehnjährige Mädchen, das vor seinem Haus mit einem anderen Kind spricht, sieht,
wie ein fremder Mann Geld auf den Boden wirft. Es nähert sich, um eine Münze aufzulesen,
wird dabei vom Mann hochgehalten und an seinen Genitalien betatscht. Daraufhin rennt
der Mann fort, das Mädchen schreiend zu seiner Mutter, die den Typen bis zu
seinem Wagen verfolgt. Er wird identifiziert.
Am 1. November hat der Mann den Prozess. Die Verteidigung
des Mannes argumentiert,
«eine Berührung gefährdet die sexuelle
Freiheit der Person nicht». Die Kammer spricht den Mann von der Anklage des
sexuellen Angriffs auf eine Minderjährige frei, die ihn sonst 8 bis 12 Jahre
Gefängnis gekostet hätte. Sie hält ihn aber eines «Verstosses gegen die
öffentlichen Sitten» schuldig. Das gibt eine Busse, für die ein Zivilgericht
zuständig sei.
Der Mann heisst Jaime Escalante und ist Richter in der 3.
Zivilkammer des Obersten Gerichts.
Sofort erhoben die Feministinnen massiven Protest und
verlangten eine Bestrafung. Ihre Wut wurde von Müttern und Väter gestärkt, die
fassungslos auf den Richterspruch reagierten. Petitionen sind lanciert, im Kongress
betreiben FMLN-Parlamentarierinnen die Abschaffung des das Urteil ermöglichenden
Paragraphen, der Hastag «Sí es delito» (Doch, es ist ein Delikt) verbreitet sich
rasend schnell. Staatspräsident Nayib Bukele, auf jeden Fall immer bestens über
Trends in den Social Media auf dem laufenden, vergeudete wenig Zeit, um expressis
verbis «Handeln» zu markieren: Das
Oberste Gericht habe den Fall zu untersuchen. (Detail: Eine «Untersuchung»,
also Beurteilung des Falls, durch höhere Justizinstanzen hängt eigentlich nicht
von einem Tweet des Präsidenten ab, sondern von rechtlichen Schritten.) Die
Generalstaatsanwaltschaft, die verbissen um Jahrzehnte Knast für junge Frauen
aus der Armutsbevölkerung wegen «Kindsmord» (Fehlgeburt) kämpft, zeigte sich
erst «überrascht» vom Urteil und
kündigte dann, die Nase doch noch im Wind, Berufung an.
Die FMLN-nahe Journalistin Tania Escobar schrieb
am 2. November:
2014 wurde ein Mann verurteilt, weil er einem Mädchen im (Engros-)
Markt La Tiendona an den Hintern langte. Aber der hatte keine Connections in
diesem «Justizsystem». Doch: Mädchen zu betatschen ist ein Delikt. Kinder zu missbrauchen
ist ein Delikt!
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Democracy
Now, 24. Oktober 2019:
In Louisiana klagen Angehörige von Bauarbeitern, die beim Einsturz
des halbfertigen Hard Rock Hotels in New Orleans ums Leben kamen, die
Unternehmen hinter dem Unglück an. Die Angehörigen sagen, das 18-Stock-hohe
Gebäude sei schlecht geplant und von unlizenzierten Vertragsnehmern und
nicht-gewerkschaftlichen Arbeitern gebaut worden. Beim Einsturz am 12. Oktober
kamen drei Arbeiter um und Dutzende wurden verletzt. Zwei Tage, nachdem er das
Unglück knapp überlebt hatte, wurde ein migrantischer Arbeiter, der drei
Stockwerke tief gestürzt war, von der Migrationsbehörde ICE verhaftet. Die
AnwältInnen sagen, Delmer Ramírez -Palma müsse operiert werden, doch im
ICE-Gefängnis in Oakdale, Louisiana, wo er auf seine Abschiebung nach Honduras
warte, bekomme er keine angemessene ärztliche Betreuung. Kurz nachdem er in
einem spanisch-sprachigen TV-Sender seine Verletzungen beschrieben hatte, wurde
er verhaftet.
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Vor Jahren sagte mal einer in El Salvador, der später für
seine Geisteshaltung mit dem Leben zahlte: «Die
Justiz ist wie die Schlange. Sie beisst nur die Barfüssigen.» (Arnulfo
Romero)