Argentinien: Beifall für die Mafia

Samstag, 23. April 2016





(zas, 23.4.16) „Es handelt sich um einen wichtigen Meilenstein für die Argentinier, eine Phase geht nach mehr als zehn Jahren Isolation und Konflikt zu Ende, um einer neuen Epoche zu weichen, die mit Investitionen kommen wird“. Ein Erfolg des „Dialogs“, hängte der argentinische Präsident Mauricio Macri noch an.  Macris Finanzminister Prat-Gay tweetete: „Ciao Default, eine neue Epoche beginnt.“  Grund für die Freude: Nachdem Argentinien letzte Woche Schulden in der Höhe von $ 16 Mrd. aufgenommen hatte – die grösste derartige Operation eines Schwellenlandes seit über 15 Jahren – überwies es gestern den Geierfonds  in einer ersten Zahlung $ 6.3 Mrd., die dieser Tage auf $ 10.5 Mrd. steigen werden. 

Macri bei seinesgleichen.

Diese Fonds, zentriert um den rechtsradikalen US-Geier Paul Singer, Superspender der Republikanischen Partei, haben auf ein Viertel ihrer Forderungen verzichtet, wie die transnationale Desinformation nicht müde wird zu betonen.  Real machen sie auf ihre Wetteinsätze bis zu 1600 % Profit – 1 Dollar für 6 Cents. Sie hatten staatliche argentinische Schuldenpapiere zu einem Ramschpreis aufgekauft, nachdem die IWF-gesteuerte Wirtschafts- und Finanzpolitik das Land 2002 in den Ruin samt Zahlungsstopp (Default) getrieben hatte. Die Geier verlangten den vollen Buchwert der Papiere. Nun vergnügen sie sich mit den drei Vierteln.
In Correos 178 vom August 2014 ("Und es regnete Steine, Frösche und Schlangen") ist die Schuldengeschichte nachgezeichnet und wie sich das Weisse Haus, der Supreme Court der USA und der IWF entgegen ihrer ursprünglichen Intentionen auf die Seite der Geier schlugen. Für ein neues transnationales Finanzmanagement grosser Weltteile also, das alle Ansätze (auch innerhalb des IWF) zu einem „geordneten“ Schuldenmanagement obsolet macht.  Das Problem war, dass die damalige Regierung Kirchner nicht mitspielte, trotz des globalen Herrschaftsanspruchs der US-Justiz. Erst der knappe Wahlsieg der argentinischen Rechten letzten Oktober öffnete die Tür für das aktuelle Freudenfest. Geier Singer veröffentlichte im Time Magazine eine Lobeshymne auf Macri, den „Meister der Wirtschaftsreformen“; nach US-Finanzminister Jacob Lew  „bewundert“ Washington „die Geschwindigkeit“ Argentiniens auf dem Weg zu „einem nachhaltigen Wachstum“.
Die neuen Schuldenkredite von $ 16 Mrd., von denen über $4 Mrd. übrigens für laufende Regierungsgeschäfte vorgesehen sind, der Rest für die Tilgung weiterer krass illegitimer Schulden, wurden von sieben Banken organisiert: JP Morgan, Deutsche Bank, HSBC, Santander, BBVA, Citigroup und UBS. Dafür strichen sie als Vorspeise Kommissionen von gegen $30 Mio.. Página/12 schrieb vorgestern: „Der privilegierte Zugriff auf den Kauf der Schuldentitel im Moment ihrer Emission erlaubt [den sieben Banken], sie ihren Marktkunden zu einem höheren Preis als dem ursprünglichen zu verkaufen. Die gestern [Mittwoch] auf den [einschlägigen] Finanzplätzen erzielten Werte erzeugten einen von den Banken aneigbaren Zusatzgewinn in der geschätzten Höhe von $ 350 Mio.“, wie Daten der Finanzinformationsagentur Thomson Reuters ergeben.

Good game. Der fette Zins auf den Staatsboni – zwischen 7% und 7.5% - dürfte, zusammen mit der Washingtoner Dollarschwemme, in einer von Null- oder Negativzinsen gezeichneten Metropolenwirtschaft den Aufwärtstrend der Schuldentitel noch anhalten lassen.  Da bedankt man sich doch gerne bei den „Reformern“ in Argentinien bedanken. Nicht nur bei Macri, der gerade ein Problemchen wegen einer „Panama-Paper“-Offshorekonstruktion hat, sondern auch bei Finanzminister Prat-Gay und seinem Ministeriumssekretär Luis Caputo. Beide hatten früher Kaderpositionen bei JP Morgan und Deutsche Bank bekleidet. Prat-Gay hatte sich als Finanzanwalt auch für HSBC verdient gemacht, wie die Unterlagen aus der Genfer HSBC- Filiale von Whistleblower Hervé Falciani zeigen. (Falciani wurde letzten Oktober vom Bundesstrafgericht wegen „Wirtschaftsspionage“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.] In diesen „Swissleaks“-Unterlagen tauchten allein  4000 argentinische Steuerkriminelle auf, darunter die seither verstorbene reichste Frau im Land, Amalita Lacroze de Fortabat. Prat-Gay hatte ihr die „Steuerflucht“ nach Genf eingefädelt. In Argentinien hatte es Untersuchungen wegen der HSBC-Verbrechen gegeben. Nicht mehr. Macris neue Leitung der damit beauftragten UIF (Finanzinformationseinheit) hat sie als eine ihrer ersten Amtshandlungen eingestellt. Der UIF-Chef war früher als Anwalt für argentinische HSBC-Steuerkriminelle tätig, seine Vize als Anwältin der HSBC (s. Argentinien: Finanzkriminalität – der Bock wird Gärtner).  

Prat-Gay

Und schöne Verheissung: Parallel zum Geierfest gab Prat-Gay bekannt, der IWF, von den Kirchners ausgeladen, werde seine Tätigkeit in Argentinien wiederaufnehmen.

Aus dem kirchneristischen Lager waren vor dem Deal Zweifel zu hören gewesen, dass internationale Investoren so „dumm“ sein könnten, $ 16 Mrd. in den Sand zu stecken. Die Zweifel sind ausgeräumt. Gut möglich, dass die Dollar-Bonanza erst mal anhält – Argentinien hat den Anschluss wieder gefunden. Die Frage ist bloss: an was? Tatsächlich dürfte das zu erwartende Szenario sich in dieser Hinsicht kaum stark von jenem der 90er Jahre und des Defaults von 2002 abheben: erst Dollarregen; IWF-Jubel; fachmännische Beratung (wie bei jener ersten, von der CS geleiteten grossen „Schuldenumwandlung“ 2001, die aus $ 28. Mrd. neu $ 40 Mrd. machte); danach Kollaps und Benennung der Bösewichte:  argentinische Tölpel, die mit der transnationalen Weisheit nicht umzugehen verstanden. Jetzt sind wir in der Jubelphase. Das unter den Kirchner-Regierungen erzielte tiefe Schuldenniveau (17 % des Bruttoinlandsprodukts) erlaubt momentan viele Neuschulden.

Etwa wie diese: Noch vor der aktuellen Schuldenemission hatte Argentinien vom o. e. Bankenkartell Kredite von $5 Mrd. erhalten – auch sie für Schuldendienste an andere Geierfonds u. ä. JP Morgan durfte dafür neue Staatsanleihen bewerten, die noch keinen Marktpreis hatten. Anleihen auf der Basis von Schulden unter verschiedenen staatlichen Institutionen mit einem Saldo von $ 10 Mrd. Diese Titel mit einem Nominalwert von $ 10 Mrd. erhielten die Banken und sprachen dafür $5 Mrd. Kredite ( s. Vuelve la deuda con los mismos beneficiarios). Das lohnt sich.

Der transnationale Medienjubel über die „Einigung“ mit dem Geierkartell  zeigt dessen Macht auf. Noch vor einem Jahr gab es da und dort leisen oder gar deutlichen Tadel für diese Hedgefonds, die unbekümmert um soziale Aspekte und internationale Abstürze ihre spekulativen Interessen durchzusetzen versuchten. Tempi passati, die Mafia kommandiert. Schon Anfang März, erinnere ich mich, als sich der „Deal“ abzeichnete, sprach die TV-Moderatorin mit spürbarer Erleichterung vom „Durchbruch“. Die gleiche Tonlage landauf, landab in den Medien. Und vor einigen Tagen durfte ich im Postauto, ausgestattet mit Bildschirm für Werbungen und die Ticker des Regionalmediums, mit tiefer Befriedigung erfahren, dass Argentinien in die internationale Gemeinschaft zurückkehrt. „Gehobene“ Medien verbreiten Optimismus, zu Recht. Sie wissen, jetzt kann Kasse gemacht werden (dass die UBS dabei ist, beschwingt natürlich). Die in einigen Jahren kommenden Zusammenbrüche, die neue Expertise hungernder Kinder in Sachen Rattenfleisch wie Ende des 20. Jahrhunderts werden dann vom gleichen Chor, der heute jubelt, dem tumben Argentinier zugeschrieben. Eine Szenarioänderung allerdings wird angestrebt. Das Weisse Haus kündigte anlässlich des Obama-Besuchs in Argentinien exakt am 40. Jahrestags des Putschs in einem Fact Sheet u. a. eine umfassende militärisch-polizeilich-geheimdienstliche „Zusammenarbeit“ mit Macri an. Eine um sich greifende Sozialbewegung gegen das transnationale Diktat wie 2001 soll doch möglichst verhindert werden.

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